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Sorgt EZB-Chefin Christine Lagarde für Überraschungen?

03.03.2020 4 Min.
  • Dr. Jörg Zeuner, Chefökonom und Leiter Research & Investment Strategy

Wegen ihrer Nullzinspolitik steht die Europäische Zentralbank (EZB) in der Kritik. Nun will sie bis Ende 2020 klären, ob sie ihre Strategie ändert – und beispielsweise im Klimaschutz eine grössere Rolle spielen müsste. Die neue EZB-Chefin Christine Lagarde könnte hier für einige Überraschungen gut sein.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat sich eine Menge für die Überprüfung ihrer geldpolitischen Strategie vorgenommen: Die Zinsen normalisieren? Den Klimawandel und die Ungleichheit in der Gesellschaft bekämpfen? Ein besseres Inflationsziel ausgeben? Deshalb sind das europäische Parlament, die Wissenschaft sowie Vertreter der Zivilgesellschaft gefragt, wie denn die EZB künftig ihre Geldpolitik zum Wohle aller gestalten soll.

Bis Ende des Jahres sollen die Vorschläge bereits vorliegen. Zu ihrem Inflationsziel möchte sich die EZB möglicherweise bereits im Sommer äussern. Das ist eine sehr kurze Zeit für die Klärung sehr vieler wichtiger, fundamentaler Fragen. Es ist zu erwarten, dass nicht viel dabei herumkommt und für Europa grundsätzliche Themen unbeantwortet bleiben.

Strategie ist 17 Jahre alt

Die Überprüfung der geldpolitischen Strategie sei keine grosse Sache, sagt die neue EZB-Chefin Christine Lagarde. Aber ist es damit getan? Die heutige Strategie ist 17 Jahre alt und wurde 2003 kaum geändert. Doch seither ist viel passiert: Es gab vor zehn Jahren eine Eurokrise, die fast zum Zerbrechen der Währungsunion geführt hat. Haben wir wirklich alle Lektionen daraus gelernt? Die meisten Experten würden das verneinen. Die Währungsunion bleibt unvollendet, was sie in Krisenzeiten anfällig macht. Die Alternative ist eine enger abgestimmte Fiskalpolitik in der Eurozone. Es wäre sicher eine gute Idee, wenn Europa dieses anspruchsvolle Projekt endlich angehen würde.

Ohne eine stärkere Integration zwischen den einzelnen Staaten der Währungsunion wird die Zentralbank gut daran tun, sich andere Möglichkeiten offenzuhalten. Wenn die Finanzstabilität gefährdet ist, wird sie nicht darum herumkommen, ihren Spielraum für Anleihekäufe zu erweitern. Der Praxistest für das Kaufprogramm wird schon bald kommen, wenn der Bestand an kaufbaren deutschen Bundesanleihen aufgebraucht ist. Dies liegt auch an der sparsamen Haushaltspolitik der Bundesrepublik.

Klimapolitik spielt wichtige Rolle

Um die Quantitative Lockerungspolitik (QE) in die Verlängerung zu bringen, könnte die EZB auch Anreize zur  Finanzierung des „Green Deals“ setzen. Die Klimapolitik spielt für die EZB-Chefin schon jetzt eine wichtige Rolle. In Europa einfach so weiter zu machen und fossile Energieträger als Garant für Wachstum zu sehen, wäre genauso falsch wie zu glauben, dass der Umbau der Energieversorgung hin zu Erneuerbaren oder eine grössere Energieeffizienz zwangsläufig in eine wirtschaftliche Depression führen muss.

Die EZB ist nicht der schlechteste Ort, um diese Debatte mit zu gestalten. Um den klimaverträglichen Umbau der Wirtschaft anzuschieben, könnte sie durch erweiterte Anleihekäufe die Finanzierung erleichtern. Wenn dadurch netto die Investitionen in Europa steigen und damit Wachstum und Inflation zunehmen, ist daran wenig auszusetzen. Allerdings würde dieses Vorgehen der EZB zu Debatten in den Nationalstaaten führen. So wurde das Anleihekaufprogramm vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe unter Auflagen gebilligt. EU-Mitgliedsstaaten könnten Sorgen haben, dass diese Erweiterung der Anleihekäufe mit einem finanzpolitischen Souveränitätsverlust einher gehen würden. Hier ist ein Umdenken gefragt.

Investitionen sind nicht gestiegen

Ein anderes Problem sind die niedrigen Zinsen. Die Realzinsen fallen in den grossen Volkswirtschaften seit nunmehr 50 Jahren. Die Investitionen sind trotzdem nicht gestiegen. Gleichzeitig haben wir Millionen Arbeitslose. Kann die Geldpolitik überhaupt noch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und die Preise steuern, wenn eine Veränderung der Finanzierungskosten kaum noch sichtbare realwirtschaftlichen Folgen hat?

Höhere Zinsen bremsen Volkswirtschaften, so viel ist klar. Zur Stimulierung braucht es aber wohl deutlich mehr, vor allem den Staat mit wirtschaftspolitischen Zielen und Ausgaben. Hier braucht es Antworten, um Ziele und Instrumente richtig zu wählen, und damit letztlich auch ein glaubwürdiges Inflationsziel zu setzen.

Sie sei eine „Eule“, die mit ihrer Weisheit zwischen den geldpolitischen Polen stehe, sagte Christine Lagarde über sich selbst. Das lässt hoffen, dass die EZB-Chefin noch für einige, hoffentlich positive Überraschungen gut sein dürfte.

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