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Stagflationsszenario

08.04.2022 4 Min.
  • Karine Patron, Vermögensverwalterin

Die geopolitischen Unsicherheiten lassen zusammen mit der hartnäckig hohen Inflation – die Preise explodieren und das BIP-Wachstum schwächelt – die Befürchtung einer Stagflation aufkommen.

Die Anleiherenditen haben kräftig angezogen, da die Fed in ihrer jüngsten Rede betonte, dass die kurzfristigen Zinsen in den kommenden Monaten um bis zu 50 Basispunkte angehoben werden könnten, falls dies notwendig sein sollte. In Europa und allen voran in dem stark produktions- und exportabhängigen Deutschland wurden die Wirtschaftsprognosen nach unten revidiert.

Dennoch haben die wichtigsten Börsen seit dem Tiefpunkt von Mitte März eine eindrückliche Rally vorgelegt. Zu Beginn dieser Woche muss allerdings festgestellt werden, dass die Verhandlungen über einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine bis anhin nicht wirklich in Gang gekommen sind, was die Börsenperformance tendenziell ausbremst. Angesichts der an ukrainischen Zivilisten verübten Massaker durch die russische Armee könnte die Europäische Union eine fünfte Sanktionsrunde gegen Moskau beschliessen.

Was die europäischen Aktien anbelangt, so war die vergangene Woche durch eine Erholung der Titel des Automobilsektors geprägt, während bei den anderen Anlageklassen erneut das Auf und Ab der Energiepreise im Fokus stand. Der Rohölpreis bildete sich nach der Entscheidung der USA, die strategische Reserve anzuzapfen, und angesichts der Zunahme der Covid-19-Fallzahlen in China um etwa 13% zurück. Der Gaspreis war hingegen aufgrund der Kraftprobe zwischen Moskau und Europa in Bezug auf die von Russland geforderte Bezahlung der Gaslieferungen in Rubel grösseren Schwankungen unterworfen. Die Möglichkeit eines Importstopps für russisches Gas steht nun auf der Tagesordnung.

In den USA verbesserte sich die Beschäftigungslage in allen Sektoren (+431’000 Stellen im März, +739’000 Stellen im Februar, revidiert), vor allem aber im Dienstleistungsbereich, der zur Schaffung von praktisch 1,5 Millionen neuer Arbeitsstellen im ersten Quartal 2022 beitrug. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt bleibt aufgrund der fehlenden Arbeitskräfte angespannt, was die Löhne auf Jahressicht um 5,6% ansteigen liess und eine Lohn-Preis-Spirale befürchten lässt. Dieser Anstieg ist jedoch geringer als die Inflation und wirkt sich positiv auf die Stimmung und die Ausgaben der Haushalte aus.

In China bildete sich der PMI-Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe im März auf 48,1 Punkte zurück. Diese Entwicklung ist auf die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine und die Lockdown-Massnahmen aufgrund der wieder zunehmenden Covid-19-Fallzahlen zurückzuführen. Abgesehen vom Tiefpunkt im März 2020 liegt der Index aufgrund der schwachen Binnennachfrage und der rückläufigen Exportaufträge aktuell auf dem tiefsten Stand seit 2016. Damit steigt die Erwartung, dass Massnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft durch Peking eingeleitet werden.

 
Erdöl
Die USA planen, ab Mai sechs Monate lang täglich 1 Mio. Barrel aus ihrer strategischen Ölreserve zu verwenden. Es wird die bisher grösste Freigabe der strategischen Reserve der USA und das dritte Mal sein, dass Washington innerhalb von 6 Monaten darauf zugreift. Diese 180 Mio. Barrel entsprechen rund zwei Tagen der weltweiten Nachfrage, werden aber nicht ausreichen, um den Ausfall des russischen Öls zu decken. Der US-Präsident forderte die Ölgesellschaften auf, ihre Bohrungen zu intensivieren, um die steigenden Benzinpreise und damit die galoppierende Inflation zu bekämpfen, welche die Verbraucher beeinträchtigt.

Die OPEC+ beschloss ihrerseits, sich an ihre Vereinbarung zu halten und ihre Produktion im Mai nur um 432‘000 Barrel pro Tag zu erhöhen. Um die Produktion nicht vermehrt zu erhöhen, stützte sie sich auf die Ankündigung des US-Präsidenten sowie auf die Lockdown-Massnahmen in China aufgrund des erneuten Anstiegs der Covid-19-Fälle.

Die Biden-Administration fordert die anderen Mitgliedsländer der Internationalen Energieagentur auf, ebenfalls Kapazitäten freizugeben. Dadurch würden 30 bis 60 Mio. Barrel hinzukommen, um den Ausfall der russischen Exporte zu kompensieren und so die strukturelle Versorgungslücke und damit auch die explodierende Preisentwicklung zu dämpfen.

Obwohl diese Entscheidung dem Ölmarkt helfen würde, dieses Jahr ins Gleichgewicht zu kommen, ist sie keine Dauerlösung. Denn die USA werden ihre Reserven, die sich auf dem niedrigsten Stand seit März 2020 befinden, schnellstmöglich wieder auffüllen wollen.

Die Energiepreise werden weiterhin von den Unwägbarkeiten des Konflikts zwischen der Ukraine und Russland abhängig sein, was Erinnerungen an den Jom-Kippur-Krieg von 1973 weckt, als die arabischen Länder den mit Israel verbündeten Ländern den Ölhahn zudrehten, was die Rohölpreise um das Vierfache ansteigen liess.

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