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payoff Focus

Structuring-Plattformen im Praxistest

28.02.2018 6 Min.
  • Martin Raab

Bereits die Hälfte der Primärmarkt-Umsätze in Strukturierten Produkten läuft bei vielen Emittenten nicht mehr über die klassische Sales-Person, sondern via Structuring-Plattform. Doch das Leistungsspektrum der Plattformen, die Preisqualitäten und auch die Benutzerführung sind alles andere als homogen.

In Zeiten, in denen man sich individuelle Tee- und Müslimischungen oder Turnschuhe mit eigenem Namen im Internet kreieren und anschliessend als 24-Stunden-Lieferung bestellen kann, rückt auch die mehr oder weniger vollständige Automatisierung bei der Strukturierung von Anlage- und Hebelprodukten weiter in den Vordergrund. So laufen inzwischen fast 50% der Primärmarkt-Umsätze in aktiengelinkten Produkten bei einigen Emittenten über Structuring-Plattformen – statt über eine klassische Sales-Person. Beim Begriff Umsatz ist allerdings Vorsicht geboten, denn die klassischen Vermögensverwalter schliessen nur kleinere Ticket Sizes direkt über die Plattform ab. «Im seltensten Fall wird jemand eine Million oder mehr über eine Structuring-Plattform handeln, ohne einen Menschen am Sales-Desk des Emittenten nach einem Preis gefragt zu haben», hört man am Markt. Bei den angebotenen Strukturen herrscht Diversität. Einige Produkttypen, allen voran der Barrier Reverse Convertible, sind auf allen Plattformen zu finden. Doch gibt es nach wie vor Payoff-Diagramme, welche nur von sehr wenigen Emittenten über eine Structuring-Plattform direkt bepreist und abgeschlossen werden können. Express-Zertifikate sind so ein Beispiel. Unisono unter den in der Schweiz aktiven Emittenten werden sehr viele FX-Paare über die Plattformen bepreist und gehandelt; in der Regel die doppelte Anzahl an Devisenkombinationen im Vergleich zu aktiengelinkten Strukturen.

Bereits starke Abdeckung
Auf der Nutzerseite gibt es nach Wahrnehmung in der Branche inzwischen nur noch wenige «weisse Flecken». Die munteren Sales-Teams sind vielfältig und kreativ bei der Suche nach neuen Buy-Side-Kunden. Insbesondere in der deutschsprachigen Schweiz sind die meisten umsatzträchtigen Zielkunden aus dem Spektrum Banken, Vermögensverwalter und Family Offices bereits mit mehreren Plattform-Zugängen ausgestattet. In der zweiten Liga ist das Absatzpotenzial noch vorhanden, doch wie intensiv dort Strukturierte Produkte als Teil der Asset-Allokation zum Einsatz kommen, ist eher fraglich. In diesem Segment dominieren Aktien und aktive Anlagefonds, vermehrt auch der eine oder andere ETF.

Klare Vermögensverwalter-Feedbacks
Die Brevalia AG, eine Finanzboutique in Zürich, ist zum Beispiel ein intensiver Nutzer solcher Plattformen. «Wir arbeiten mit vier Multi-Custodian-Plattformen – Deritrade, ZKB eTrading-Pro, Leonteq Constructor und SG Markets alpha. Nach wie vor bin ich über die teils deutlichen Unterschiede zwischen den einzelnen Plattformen sehr überrascht, die in Sachen Bedienungsfreundlichkeit und den möglichen Payoffs, welche bepreist werden können, existieren», erklärt Pascal R. Bersier, Geschäftsverantwortlicher bei Brevalia. Für seine Kunden nutzt er regelmässig die Dienste der digitalen Strukturierungshelfer. «Als sehr intensiver Nutzer erstaunen einen auch die enormen Preisunterschiede bei kurzen Laufzeiten oder speziellen Basiswerten immer wieder», fügt Bersier hinzu. In punkto Kundenservice gibt es Lob. So reagieren die Plattformbetreiber auf Wünsche meistens rasch und nehmen Anpassungen an den Plattformen vor.

«Auf der Sell-Side läuft unterdessen der Ausbau und die Verfeinerung der jeweiligen Plattformen.»

Mit Preisunterschieden konfrontiert
Pricing-Differenzen werden im Gespräch mit ausgewählten Brokern als Dreh- und Angelpunkt betont. «Es geht um bis zu 3% Unterschied bei Coupons auf Nischenwert-Underlyings. Französische Emitten-ten sind oft die Adressen mit den besten Pricings», äussert sich ein Derivatveteran, der anonym bleiben möchte. In Sachen Handhabung attestiert er Leonteq die beste, weil simpelste Benutzerführung. Umfangreiche Preisabgriffe diverser Emittenten ermöglicht ihm deritrade MIP der Bank Vontobel. In eine ähnliche Richtung geht die Rückmeldung von Giuliano Glocker, CEO von CAT Financial Products, einem Brokerage-Unternehmen mit Büros in Zürich und Bern: «Man muss sehr genau hinsehen, wo man welche Strukturen und Basiswerte bepreist und dann letztlich handelt. Die Unterschiede bei den Konditionen zwischen den Emitten-ten sind enorm». Nach seinen Angaben sind die Plattform-Betreiber gut beraten, bei gestellten Preisen im Rahmen einer Simulation sehr nahe an den tatsächlichen, «scharfen» Konditionen zu sein. «Es ist ein Unding, wenn eine Plattform in der Simulation 4% Coupon anzeigt und auf telefonische Nachfrage die Sales-Person uns 5.25% offeriert», kritisiert Glocker. Sein Favorit ist SG Markets, die Plattform von Société Générale. Der Constructor (Leonteq) glänzt mit vielen Features und schneller Berechnung, hätte aber Nachholbedarf bei der Preisführung. Führend bei Pricings auf Basiswerte aus dem heimischen KMU-Segment ist MySolutions von der Credit Suisse.

Bei Brokern lebt der Telefonhandel weiter
Interessanterweise nutzen Broker – im Unterscheid zu vielen Vermögensverwaltern – die Structuring-Plattformen nach wie vor rein als Schätzwerkzeug. Nur sehr wenige handeln ihre Orders direkt über die Plattformen. So auch das Verständnis bei Decentia, einem Brokerageanbieter mit Sitz in Zug: «Wir brauchen die Tools in erster Linie, um rasch Indikationen zu berechnen und Ideen zu erstellen. In Bezug auf die Preisgenauigkeit verlassen wir uns ausschliesslich auf den Direktkontakt mit den Emittenten», erklärt Aran Nirandorn, Gründungspartner und geschäftsführender Gesellschafter der Decentia Investment Advisory AG. Aus Sicht von Nirandorn ist es entscheidend, welcher Provider eine grosse Auswahl an Basiswerten und Strukturen zur Ver-fügung hat, und wo man als Benutzer die Payoffs, bei Bedarf noch manuell anpassen kann. Letztlich ist in der Branche aber auch die simple Gewöhnung an eine bestimmte Benutzeroberfläche Grund für Nutzung oder Nicht-Nutzung der einen oder anderen Plattform.

Emittenten fokussieren Ausbau
Auf der Sell-Side laufen unterdessen Ausbau und Verfeinerung der jeweiligen Plattformen. So hat man nach Angaben von Patrick Stettler, Head Distribution Platform Solutions Switzerland, bei der Bank Vontobel die möglichen Strukturen, welche auf deritrade MIP angeboten werden, von ehemals 13 auf jetzt 19 ausgebaut. Bei den Emittenten auf deritrade MIP ist inzwischen Morgan Stanley ausgeschieden, die ZKB ist hinzugekommen. Diese betreibt mit eTradingPro auch eine eigene Structuring-Plattform. Dort wurden gemäss Information von Curdin Summermatter, Leiter Strukturierte Produkte ZKB, zuletzt massiv zusätzliche Währungen beim FX Discount-Zertifikat hinzugefügt, neben einer Reihe von Auto Callable Features bei klassischen Struk-turen neuerdings auch Französisch als Termsheet-Sprache. Über die gesamte Branche hinweg wird auch in den nächsten Quartalen mehr und mehr eine verstärkte Nutzung von Plattformen für Pricings und das Primärmarkt-Geschäft erwartet. Gerade die Individualisierung von Anlageprodukten hat letztlich auch den charmanten Vorteil, dass Produkte nicht auf Halde an der Börse kotiert werden, in denen dann nahezu kein Umsatz stattfindet. Ähnlich der Konsumgüterindustrie und Internetunternehmen ist es den Emittenten jedoch dank der Datenspur der Buy-Side-Kunden möglich, künftig persönlich zugeschnittene Vorschläge basierend auf den bisherigen Kalkulationen bzw. Emissionen zu offerieren – Fluch und Segen der neuen digitalen Welt.

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