Trendwende für Value-Aktien
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Yoram Lustig, Head of Multi-Asset Solutions
Value-Aktien könnten vor einer Trendwende stehen.
Auf den Punkt gebracht
- Die Coronavirus-Impfprogramme ebnen den Weg für eine Normalisierung der Wirtschaft, und das globale BIP-Wachstum könnte 2021 das höchste Niveau seit Jahrzehnten erreichen.
- Anleger sollten Chancen in Anlageklassen wie Value-Aktien in Betracht ziehen, die dank des hohen Gewichts von Finanz- und Energiewerten von einem starken Wirtschaftswachstum profitieren könnten.
- Obwohl wir 2021 mit einer Outperformance von Substanz- gegenüber Wachstumsaktien rechnen, könnte ein Gleichgewicht zwischen beiden Anlagestilen mit einer möglichen Bevorzugung des Value-Segments für Diversifizierung sorgen und das Risiko einer Rotation zurück zu Growth-Aktien vermindern.
Die Erholung der Wirtschaft von der Pandemie ist im Gange, und täglich werden Millionen Menschen gegen COVID-19 geimpft. Die Bevölkerung der USA, Großbritanniens und anderer Länder, die mit ihren Impfprogrammen weit fortgeschritten sind, baut rasch einen Schutz gegen das Coronavirus auf. In einer Reihe anderer Länder verlaufen die Impfkampagnen zwar langsamer, scheinen sich jedoch ebenfalls positiv zu entwickeln. Dank der erfolgreichen Impfungen wird erwartet, dass die Volkswirtschaften allmählich wieder geöffnet werden und sich das Konsumklima – und damit die Nachfrage – bessert. Eine anschließende Konjunkturerholung ist wahrscheinlich.
Unterstützt durch beispiellose fiskal- und geldpolitische Anreizmaßnahmen steuern wir auf eine Art Normalisierung zu, und viele Ökonomen rechnen für 2021 mit dem stärksten globalen BIP-Wachstum seit Jahrzehnten. Die Inflation ist 2021 bereits gestiegen, ebenso wie die Renditen von Staatsanleihen sowie die Rohstoff- und Energiepreise. Ein nachhaltiges Wachstum könnte diese Trends verstärken. Wir glauben, dass Anleger Chancen in Marktsegmenten berücksichtigen sollten, die beim Ausbruch der Pandemie vernachlässigt wurden und nun von einem erneuten Wirtschaftswachstum profitieren dürften. Dazu zählen Aktien mit geringer Marktkapitalisierung und insbesondere Substanzaktien.
In der Anfangsphase der Pandemie wurden sowohl Small-Cap- als auch Value-Aktien durch die Lockdowns und die wirtschaftliche Unsicherheit belastet und blieben hinter dem Gesamtmarkt zurück. Wachstumsaktien mit hoher Marktkapitalisierung, die vor allem in den Sektoren IT und zyklische Konsumgüter zu finden sind, erzielten dagegen eine Outperformance. Als der Optimismus zurückkehrte, erholten sich Small Caps jedoch viel schneller als Value-Aktien. Im Verlauf der Pandemie haben sie die Performance von Large Caps inzwischen deutlich übertroffen und ein überzogenes Bewertungsniveau erreicht. Value-Aktien haben dagegen gerade erst begonnen, die im Jahr 2020 gegenüber Wachstumsaktien verzeichnete Underperformance auszugleichen – zumal sich das Growth-Segment bereits in den zehn Jahren davor meist hervorragend entwickelt hatte.
Dieser langfristige Trend wurde stark durch die sinkenden Zinsen beeinflusst, die Finanzwerte – eine wichtige Komponente des Value-Universums – erheblich unter Druck setzten. Ein Umfeld mit steigenden Zinsen, einer höheren Inflation und einem positiven Wirtschaftswachstum dürfte Substanzaktien jedoch Auftrieb verleihen.
Obgleich sowohl Small Caps als auch Value-Aktien von einer Beschleunigung des Wirtschaftswachstums profitieren könnten, bietet das Value-Segment Anlegern daher unseres Erachtens ein größeres Aufwärtspotenzial.
Die weit verbreitete globale Aktien-Benchmark MSCI All Country World Index (ACWI) lässt sich in den ACWI Growth und den ACWI Value Index aufteilen. Die beiden wichtigsten Sektoren im ACWI Growth sind IT (mit einer Gewichtung von über 33%, gegenüber rund 10% im ACWI Value) und zyklische Konsumgüter (mit einer Gewichtung von über 18%, gegenüber weniger als 8% im ACWI Value). Den größten Sektor im ACWI Value bilden die Finanzwerte mit einer Gewichtung von über 23% (gegenüber weniger als 5% im ACWI Growth). Ein weiterer Sektor mit einer größeren Gewichtung im ACWI Value ist die Energiebranche mit einer Gewichtung von über 5%, gegenüber weniger als 1% im ACWI Growth.
Auf diese Unterschiede in der Sektorgewichtung, insbesondere zwischen den Sektoren IT und Finanzen, lässt sich ein Großteil der Performancedifferenzen zwischen dem Value- und dem Growth-Segment zurückführen, wie Abbildung 1 verdeutlicht. Wenn IT-Werte eine Outperformance erzielen, entwickelt sich in der Regel auch das Growth-Segment überdurchschnittlich. Übertreffen Finanzwerte den Gesamtmarkt, schneidet im Allgemeinen auch das Value-Segment relativ gut ab.
Abbildung 1: ACWI Growth minus Value und ACWI Information Technology minus Financials
Wenn sich die Volkswirtschaften wieder öffnen und die Arbeit im Homeoffice, Videokonferenzen und Online-Einkäufe reduziert werden, nimmt die relative Attraktivität von IT-Werten ab. Da die Renditen von Staatsanleihen steigen, was die besseren Wirtschaftsaussichten und die höheren Inflationserwartungen widerspiegelt, können Banken im Kreditgeschäft höhere Gewinne erzielen (indem sie für langfristige Kredite höhere Zinsen vereinnahmen, als sie auf kurzfristige Einlagen zahlen). Wie Abbildung 2 veranschaulicht, gehen steigende Renditen von Staatsanleihen in der Regel mit einer Outperformance von Value- gegenüber Growth-Aktien einher, vor allem aufgrund des großen Gewichts von Finanzwerten im Value-Segment.
Abbildung 2: ACWI Value minus Growth und Rendite 10-jähriger US-Treasuries
Eine andere Sichtweise ermöglicht die Duration – die Sensitivität gegenüber Zinsänderungen – von Growth- und Value-Aktien. Wachstumsaktien zahlen in der Regel niedrigere Dividenden als Substanzaktien. Die potenziellen Cashflows, die Anleger aus Aktien des Wachstumssegments erhalten, liegen daher weiter in der Zukunft als bei Substanzwerten, sodass Wachstumsaktien eine längere Duration aufweisen als Value-Titel. Aufgrund ihrer längeren Duration haben Growth-Aktien in den vergangenen zehn Jahren zumeist von sinkenden Zinsen profitiert. Steigende Zinsen könnten dagegen die Performance von Substanzwerten beflügeln, während sie Wachstumswerte unter Druck setzen.
Zudem führt ein starkes Wirtschaftswachstum zu einer steigenden Nachfrage nach Rohstoffen, insbesondere Öl, was die Aussichten für den Energiesektor verbessert. Eine Outperformance von Energieaktien könnte das Value-Segment im Vergleich zu Wachstumsaktien ebenfalls begünstigen, da der Sektor in Value-Indizes stärker gewichtet ist.
FAZIT
Nachdem sich Wachstumsaktien mehr als zehn Jahre lang besser entwickelt haben, könnte sich das Blatt im Jahr 2021 zugunsten von Substanzaktien wenden. Doch Tendenzen können sich rasch ändern. Unseres Erachtens sollten Anleger daher in ihren Portfolios ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Substanz- und Wachstumswerten anstreben – mit einer taktischen Präferenz für das Value-Segment. Growth-Aktien mögen sich in den letzten Monaten unterdurchschnittlich entwickelt haben, doch ein erneuter Umschwung der Anlegerstimmung ist denkbar. Auf lange Sicht bilden IT-Aktien weiterhin einen attraktiven Sektor mit Potenzial für weitere Innovationen, und die durch die Pandemie ausgelösten Veränderungen werden langfristige Auswirkungen haben. Durch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Substanz- und Wachstumswerten lassen sich Portfolios angemessen diversifizieren. Gleichzeitig vermindert sich das Risiko, später zu bedauern, einen der beiden Anlagestile irrtümlich bevorzugt zu haben.