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payoff Learning Curve

Unberührte Möglichkeiten für heimische Finanzinstitute

05.08.2016 7 Min.
  • Martin Raab

Strukturierte Produkte im Volumen von über 200 Milliarden CHF werden von Offshore-Plätzen emittiert. Grund für das Exil ist die eidgenössische Verrechnungssteuer. Dabei ist der einstige Steuernachteil fast unbemerkt Geschichte geworden und jede Bank oder Finanzhaus könnte «Strukis» von der Schweiz aus steuerneutral in CHF emittieren.

St. Peter Port auf Guernsey könnte als Kulisse für einen Rosamunde-Pilcher-Film dienen: Fischerkähne und elegante Yachten ankern im idyllischen Hafen, enge Gassen und Touristen füllen die Pubs und Cafés. Die 60‘000 Seelen-Insel im milden Golfstrom ist Kronbesitz der Queen of England und daher weder Teil des UK noch der EU. Weniger romantisch, aber keinesfalls hektisch geht es in den umliegenden Büros zu. Dort ist strikte Raumeffizienz angesagt. Insgesamt 19‘341 Unternehmen sind derzeit allein auf der Kanalinsel domiziliert. St. Peter Port hat mehr Briefkästen als Einwohner. Auch gibt es auf Guernsey einen unübersehbaren Bezug zur Schweiz: Emittenten von der Kanalinsel repräsentieren hierzulande ein Viertel aller vertriebenen Strukturierten Produkte. Der Grund hierfür ist einfach: In der Vergangenheit war es nur Unternehmen, die nicht in der Schweiz ansässig waren, möglich, die eidgenössische Emissionsabgabe als auch die eidgenössische Verrechnungssteuer zu vermeiden. Die erstgenannte Stempelsteuer wurde im März 2012 glücklicherweise abgeschafft. Die 35%ige Verrechnungssteuer gibt es immer noch.

Schweizer Stammtisch im Inselpub

Entsprechend haben sich bekannte Emittenten im Exil formiert. «Auf Guernsey gibt es inzwischen sogar jeden Freitag einen Stammtisch der Schweizer Diaspora», erklärt Thiebaud Guy-Michel, General Manager der Banque Cantonale Vaudoise Guernsey. Er kümmert sich federführend um deren Emissionsprogramme. «Es sind rund ein Duzend Schweizer auf der Insel, fast alle aus dem Finanzbereich», so Guy-Michel. Seine Verzahnung mit dem Hauptquartier in Lausanne ist ebenfalls eng. «Wir telefonieren täglich, die Abstimmung läuft sehr gut», so Guy-Michel. Die Strukturierten Produkte der BCV Guernsey erreichen ein Volumen von 123 Millionen CHF. Absolut stattlich, relativ ein Leichtgewicht. Die grosse Schwester sitzt dabei gleich ein Büro weiter – die Zürcher Kantonalbank Finance (Guernsey) Limited. Mit einem Volumen von rund 3.8 Milliarden CHF ist die ZKB die Nummer eins unter den Kantonalbanken. «Die ZKB beschäftigt vor Ort in Guernsey weniger als eine Handvoll Mitarbeitende. Diese stehen im täglichen engen Austausch mit ihren Kollegen in Zürich», bestätigt Patrick Friedli von der Medienstelle der Zürcher Kantonalbank.

360 Firmen auf einer Etage

Ebenfalls Tisch an Tisch sitzt die Notenstein Finance (Guernsey) Limited und die Leonteq Securities AG, Guernsey Branch. Ihr Stockwerk müssen sich die beiden Emittenten mit rund 360 anderen Firmen postalisch teilen. Die Leonteq-Niederlassung in Guernsey hat inzwischen Strukturierte Produkte im Volumen von rund 6.6 Milliarden CHF emittiert, Notenstein Guernsey erreicht immerhin 2.1 Milliarden CHF. In der Nähe der Hafenpromenade und des Royal Channel Islands Yacht Clubs kommt man zur Lefebvre Street. Dort sind die Bank Julius Bär, Guernsey Branch und eine Handvoll Mitarbeitende untergebracht. Nigel Gallienne, Head of Markets & Treasury Guernsey Branch, und ein Kollege arbeiten für das Strukturierte-Produkte-Programm und stehen ebenfalls im täglichen Dialog mit dem Group Treasury in Zürich. Derzeit sind zirka 19.7 Milliarden CHF an Strukturierten Produkten von der Guernsey-Niederlassung emittiert. Eine Insel weiter hat die UBS ihr Domizil bezogen. Von St. Helier aus sind derzeit Produkte von UBS AG, Jersey Branch im Volumen von rund 704 Millionen CHF emittiert. Dort teilt man sich das Büro des «UBS House» einzig mit den Kollegen vom Private Banking und Trust Services.

Charmante Lage unter der Sonne

Eine gänzlich andere Richtung hat die Bank Vontobel für ihre Derivatemissionen gewählt: die arabische Halbinsel. Vontobel Financial Products Limited, Emittentin von Strukturierten Produkten im Volumen von rund 69 Milliarden CHF, ist im Emirat Dubai angesiedelt. Das Büro befindet sich im neunten Stock des Liberty House, wo eine Vielzahl unterschiedlichster Unternehmen residiert, vom Juwelier Charriol bis hin zu Buffalo Wings & Rings und der britischen Drogeriemarktkette Boots. Auf 42 Stockwerken sind rund 300 Firmen registriert, welche die Steueroase Dubai als Domizil nutzen. Sonnenverwöhnt und in direkter Nähe zu legendären Karibikstränden und dem geschäftigen Kreuzfahrthafen ist die Credit Suisse AG, Nassau Branch angesiedelt. Die Niederlassung in der Hauptstadt der Bahamas ist weit mehr als nur ein grosser Briefkasten. Die Telefone werden prompt und professionell beantwortet. Zwei Bankerinnen kümmern sich dort um die Strukturierte-Produkte-Emissionen. Auch dort ist man, trotz Zeitverschiebung, eng mit den Kollegen im Uetlihof verzahnt.

Steuernachteil in Luft aufgelöst

Insgesamt begründet sich das Exil der Schweizer Emittenten, wie erwähnt, durch die bewusste Neutralisierung der eidgenössischen Verrechnungssteuer. Sämtliche Erträge der von einem Inländer emittierten Obligationen, also beispielsweise auch der Zinsanteil der hierzulande heiss geliebten Barrier-Reverse Convertibles, wären Gegenstand des Verrechnungssteuersatzes in Höhe von happigen 35%. Diese Steuer dient der Sicherungsfunktion des Fiskus und wird mit der Steuererklärung zurückerstattet. Der Zinsanteil errechnet sich durch Verwendung des CHF Swap-Satzes (Tausch fester Zinsen vs. LIBOR). Genau dort liegt der Clou: Bis vor zwei Jahren belief sich der Zinsanteil durchschnittlich auf 0,25%, vor einer Dekade gar noch auf gut 1,5%. Durch die Notenbankintervention vom 15. Januar 2015 ist der CHF Swap-Satz aber ins Negative abgerutscht. Damit ist der Zinsanteil bei null. In direkter Folge hat die Verrechnungssteuer ihren Schrecken verloren. Inländische Emittenten könnten gegenwärtig ohne Steuermanko Strukturierte Produkte in CHF begeben – ganz ohne Hilfe von Exilbüros.

Parlament winkt ab

Paradoxerweise hat sich diesen Umstand aber bisher noch keine Schweizer Bank oder Finanzgesellschaft zunutze gemacht. «Diese Thematik wurde bislang nicht geprüft, wäre aber durchaus interessant. Dagegen spricht, dass wir am Ende noch Strafzinsen für die eingeworbenen Cashbestände bezahlen müssten», äussert sich ein Bank-Treasurer, der anonym bleiben möchte. «Es ist allgemein unbestritten, dass die heutige Ausgestaltung der Verrechnungssteuer Verbesserungspotenzial hat. Die entsprechende Bundesratsinitiative wurde bereits 2014 gestartet jedoch vor circa einem Jahr aufgrund des negativen Vernehmlassungsergebnisses vorerst auf Eis gelegt» kommentiert von juristischer Seite Stefan Simon, Partner bei HSW Legal in Zürich dazu. «Schweizerische Banken oder Finanzhäuser werden daher wahrscheinlich weiterhin ihre nicht rein derivativen Finanzinstrumente regelmässig über ausländische Strukturen emittieren» vermutet Rechtsanwalt Stefan Simon. Doch ob die Zinsen im Schweizer Franken in absehbarer Zeit wieder verrechnungssteuerrelevante Levels erklimmen, ist mit Blick auf die künftigen Swap-Sätze mehr als fraglich. Fremdwährungen wie US-Dollar oder Euro sind aussen vor. Dort existiert nach wie vor ein kleiner Zinsanteil. So wird es auch künftig den Schweizer Stammtisch freitags in St. Peter Port auf Guernsey geben. Für heimische Akteure scheint die neue Chance, CHF-Emissionen von der Schweiz aus steuerneutral zu begeben, bisher eher undurchdringlich – fast wie der zähe Herbstnebel auf den Kanalinseln.

 

AUF EINEN BLICK: VERRECHUNGSSTEUER UND DAS EXIL

Die eidg. Verrechnungssteuer eine klassische Quellensteuer, die auf bestimmten Kapitalerträgen erhoben wird. Steuerpflichtig ist der inländische Schuldner der steuerbaren Geldleistung. Die Steuer erfasst ausschliesslich Erträge aus inländischen Quellen, sprich solchen mit Sitz in der Schweiz. Sinn und Zweck ist eine Sicherungsfunktion des Fiskus. Man möchte damit letztlich erreichen, dass der inländische Steuerpflichtige (natürliche Person oder Unternehmen) eine Steuererklärung beim Steueramt abgibt. Problem dabei: Die Sicherungsfunktion wird nur teilweise erfüllt, weil natürlich auch Erträge aus ausländischen Quellen der Einkommens- und Vermögenssteuer für in der Schweiz ansässige Steuerzahler relevant sind. Diese Zahlungen werden aber nicht von der Verrechnungssteuer erfasst werden. Ein Reformanlauf zur Neukonzeption der Verrechnungssteuer, welcher vorsah, dass die Steuer nicht mehr vom Schuldner der steuerbaren Leistung erhoben wird, sondern von der schweizerischen Zahlstelle, die die betreffenden Erträge ihrem Kunden gutschreibt, ist letztes Jahr vom Parlament auf Eis gelegt worden. Die Emissionen im Exil laufen entsprechend weiter. Aufgrund der aktuellen Swap-Sätze im Schweizer Franken wäre inzwischen aber eine Emission von der Schweiz aus ohne Steuerfolgen möglich. Diese Situation steht selbstverständlich mit dem Auf und Ab der jeweiligen Swap-Sätze, doch ein CHF-LIBOR von z.B. 3% ist aktuell eher unrealistisch.

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