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payoff Focus

Wasserstoff: Zukunftsphantasie im Portfolio

07.05.2020 8 Min.
  • Martin Raab

Trotz des Ölpreis-Crashs gehört alternativen Antrieben die Zukunft. Die Industrie forciert unbeirrt die Weiterentwicklung von Brennstoffzellen. Im Praxiseinsatz gibt es allerdings noch Hürden für eine flächendeckende Nutzung. Wie Anleger schon heute an den Antrieben von morgen partizipieren können.

Ende April mussten viele Automobilisten in den USA zweimal auf die Tankstellen-Displays sehen: USD 1.34 pro Gallone? Kein verspäteter Aprilscherz, sondern verrückte Realität. Eine Tankstelle in Charlotte, North Carolina setzte den Rekordtiefpreis der gesamten Ostküste. Die Spritpreise befinden sich auf Niveaus wie zuletzt vor 25 Jahren. Umgerechnet 3.7 Liter für CHF 1.30 sind brutaler Ausdruck des jüngsten Ölpreis-Crashs als direkte Folge der Corona-Krise. Die Virus-Schlagzeilen überschatten neben dem Ölmarkt auch die Klimaschutzdebatte – wenn auch nur kurzfristig. So liess vor zwei Wochen ein markenübergreifendes, EUR 1.2 Milliarden teureres, Joint-Venture aufhorchen. Der LKW-Hersteller Volvo Trucks und Mitbewerber Daimler Trucks spannen zusammen und entwickeln gemeinsam Lastwagen mit Wasserstoffantrieb. Erstauslieferungen sind ab 2024 geplant. «Die Elektrifizierung im Strassentransport ist ein Schlüsselelement für die angestrebte Klimaneutralität», erklärt Volvo Präsident und CEO Martin Lundstedt in der Videokonferenz. Corona-Krise hin oder her, die Zukunft soll nicht verschlafen werden.

Wasserstoff sogar für Brummis
Das Joint-Venture aus Mercedes Benz Fuel Cell und Volvo Trucks ist allerdings auch wegen massiv steigendem Konkurrenzdruck entstanden. Hyundai ist bereits in den letzten Vorbereitungen den Wasserstoff-LKW «H2 Xcient» an Kunden auszuliefern. Bei Iveco Trucks soll ab dem kommenden Jahr in der Geburtsstadt Albert Einsteins, dem schwäbischen Ulm, der «Nikola TRE» als Joint-Venture mit der amerikanischen Nikola Motor Company vom Band rollen. Egal ob Brummi oder klassisches Auto, Brennstoffzellenfahrzeuge sind Elektrofahrzeuge, die keine klassische Batterie, sondern eine Brennstoffzelle besitzen. Diese erzeugt durch Umwandlung von Wasserstoff und Sauerstoff aus der Umgebungsluft Strom (und Wasserdampf) – der Strom treibt den E-Motor des Fahrzeugs an. Bei den praxiserprobten Autos beträgt die Reichweite aktuell um die 500 Kilometer. Der globale Markt für Wasserstoff-Fahrzeuge beläuft sich nach Schätzungen auf derzeit rund USD 600 Millionen Absatzvolumen und könnte rund 70% jährlich bis 2025 wachsen.

Markante To-Do’s
Die Herausforderungen sind so lukrativ wie banal. Beim Thema Wasserstoff im Fahrzeugbereich bremsen aktuell zwei Faktoren: der hohe Anschaffungspreis und ein fehlendes flächendeckendes Tankstellennetz. Privatautos mit Brennstoffzelle kosten rund CHF 80’000, einen Occassionsmarkt gibt es nicht wirklich. Bei den LKWs sind die Kosten im unteren sechsstelligen Bereich. Als Auto-Hersteller fungieren bis dato Hyundai, Toyota und Honda mit deutlichem Stückzahlenabstand vor Mercedes. Die Schwaben haben mit dem «GLC F-CELL» zwar das attraktivste Karosserie-Design, bieten die Fahrzeuge vorerst aber nur selektiv im Rahmen eines Full-Service-Mietmodells an sieben deutschen Stützpunkten an. Bei den Trucks gibt es – wie oben erwähnt – rund ein duzend Hersteller mit sehr ernsten Ambitionen. LKWs mit Wasserstoffantrieb werden sich mutmasslich rascher als Autos durchsetzen, da Erstgenannte buchstäblich täglich auf Achse sind und sich die Anschaffungskosten rascher amortisieren. Zusätzlich kann beim LKW der Tank deutlich grösser sein als bei PKWs. Damit steigt die Reichweite dort erheblich an.

«Hyundai ist bereits in den letzten Vorbereitungen den Wasserstoff- LKW ‹H2 Xcient› an Kunden auszuliefern.»

Betankung erfordert Fingerspitzengefühl
Beim zweiten Sorgenfaktor, den Tankstellen, kommt langsam Bewegung in den Markt. Kritiker meinen aber viel zu langsam. Schweizweit sind gerade mal zwei Betankungsmöglichkeiten live: In Hunzenschwil im Aargau und in Dübendorf bei Zürich. Der Förderverein H2 Mobilität Schweiz möchte den Ausbau vorantreiben. Sechs neue Stationen sind in Vorbereitung. Fünf in der Deutsch-Schweiz, eine in der Romandie. Deutlich dichter ist das Netz nördlich von uns. In Deutschland gibt es derzeit schon 87 Wasserstoff-Tankstellen, pro Jahr kommen 20 bis 30 dazu. Das sind absolut gesehen viele, aber noch zu wenige, um Bürger und Logistiker ins Wasserstoff-Zeitalter zu lenken. Knackpunkt ist die Integration von Wasserstoff-Zapfsäulen zu den Reihen konventioneller Zapfsäulen an den Tankstellen. Das ist sehr anspruchsvoll wegen der Explosionsgefahr bei Wasserstoff zu Luft. Zusätzlich fehlt der regulatorische Rahmen u. a. für Einspeiseanschlüsse und Förderzuschüsse. So polterte der Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, Andreas Pinkwart (FDP), im Handelsblatt vor Kurzem: «Wir müssen zügig den Einstieg in eine Wasserstoffwirtschaft schaffen und hierfür einen verlässlichen Rahmen gestalten».

Glaubensfrage: blau oder grün?
In Deutschland, einem der bisherigen Pioniere innerhalb der EU, haben die Wirren der Corona-Krise auch die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung arg in Verzug gebracht. Nach ursprünglicher Planung hätte das deutsche Kabinett diese schon Ende 2019 verabschieden sollen. Bisher ist nichts passiert. Ein Grund ist die politische Konfliktlinie. Diese verläuft, ähnlich wie in Bundesbern, direkt zwischen dem Umweltministerium und dem Wirtschaftsressort. Linke und Umweltschützer wollen einzig und allein auf grünen Wasserstoff setzen. Das Wirtschaftsministerium sieht dagegen den blauen Wasserstoff als Übergangslösung und möchte ihm auch eine Chance geben. Klimafreundlich ist hier das vielzitierte Stichwort. Soll Wasserstroff rein «grün» sein – oder auch «blau»? Bei grünem Wasserstoff wird der Strom aus erneuerbaren Quellen und ohne CO2 hergestellt. Blauer Wasserstoff dagegen wird aus Erdgas produziert, das dabei freiwerdende CO2 wird unterirdisch gespeichert. Nach Definition der Wirtschaftsfraktion ist blauer Wasserstoff damit auch klimaneutral. Die Debatte zwischen «grün» und «blau» hat manchmal schon fast fanatisch-religiöse Prägung.

Interessant auch fürs Portfolio
Sehr weltlich ist der Investmentaspekt beim Thema Wasserstoff. Viele globale Akteure mischen in diesem Segment mit. Neben der reinen Wasserstoffbetankung von entsprechenden Fahrzeugen ist die Speicherung und Infrastruktur-Nutzung des Gasnetzes entscheidend. Dort spielen u. a. die börsenkotieren Unternehmen Linde plc (ISIN: IE00BZ12WP82) und Air Liquide SA (ISIN: FR0000120073) eine führende technische Rolle. Beide bauen schlüsselfertige Wasserstoff-Tankstellen. Linde, mit steuergünstigem Sitz in Irland (entstanden aus Fusion der deutschen Linde AG und der US-amerikanischen Praxair), deckt die gesamte Wertschöpfungskette ab – von der Erzeugung und Verflüssigung über Lösungen für Transport und Speicherung bis zum Betanken wasserstoffbetriebener Fahrzeuge. Die Linde-Aktie ist derzeit mit einem KGV von 23 und einer Dividendenrendite von rund 2% ähnlich wie Air Liqudie bewertet. Der übergreifende Ansatz macht Linde jedoch ein Stück interessanter und könnte durch das Thema Wasserstoff beflügelt werden.

Volatiles Wasserstoff-Trio
Regelmässig für Schlagzeilen sorgen die drei wohl bekanntesten Wasserstoff-Aktien: Ballard Power Systems Inc. (ISIN: CA0585861085), Nel ASA (ISIN: NO0010081235) und PowerCell AB (ISIN: SE0006425815). Das Trio gilt als Inbegriff der massentauglichen Brennstoffzellenherstellung – inklusive aller Ups and Downs aus diesem Pioneer-Effekt. PowerCell ist eine Ausgründung von Volvo, Nel ist global sehr gut im Bereich Wasserstoff vernetzt und hat mit diversen Unternehmen Joint-Ventures (u. a. Nikola Trucks). Nel plant ähnlich wie Linde und Air Liquide mehr oder weniger als Generalunternehmer Wasserstofftankstellen zu liefern. Ballard Power Systems ist das etablierteste Unternehmen innerhalb des genannten Trios und hat ein Netz an Kooperationen und Beteiligungen (u. a. Weichai, Chinas führendes Wasserstoff-Unternehmen. Die drei Aktien sind volatil, haben sich aber auf Sicht der letzten Jahre stark nach oben bewegt. Die jüngsten Kurseinbrüche (siehe Charts) sind für risikobewusste Anleger sicherlich gute Einstiegschancen. Bei PowerCell ist allerdings schon fast wieder «Vorkrisen-Niveau» erreicht. Fundamental-Daten dürfen für den Moment bei den drei genannten Valoren getrost vernachlässigt werden – dort zählt einzig die Zukunftsphantasie. Early Believer kaufen jetzt unbeirrt.

«Die jüngsten Kurseinbrüche sind für risikobewusste Anleger sicherlich gute Einstiegschancen.»

Pionierarbeit der Waadtländer KB
Insbesondere für Anleger, die eine umfassende Abdeckung des Themas wünschen, ist das Tracker-Zertifikat «BCV Wasserstoff und Brennstoffzellen Basket» (Valor 46’386’340) eine sehr gute Alternative. Das Produkt bildet einen Korb aus 20 unterschiedlich gewichteten Aktien ab – alle im Wasserstoff-Thema tätig – und ist börsentäglich an SIX Exchange handelbar. Bequem partizipieren geht nicht einfacher. Zu beachten gilt das Wechselkursrisiko, das Zertifikat handelt in CHF, die Basiswerte in Fremdwährungen wie EUR, USD, JPY, KRW. Ferner sollte auf den Bid-/Ask-Spread geschaut werden. Einziger Nachteil: Das Produkt ist endlich und wird am 15.02.2022 zurückgezahlt. Vor wenigen Tagen ist auch Swissquote und Leonteq auf das Thema aufgesprungen. Das in USD-kotierte Tracker-Zertifikat auf den Swissquote Hydrogen Index (Symbol HYDRTQ / Valor 51359947) ist ebenfalls auf 19 Wasserstoff-Aktien und als Beimischung auf Palladium-ETF fokussiert. Dieses Produkt ist ohne Laufzeitbeschränkung konzipiert und gebührenmässig in ähnlicher Spurbreite wie der erwähnte BCV Basket. Auch beim HYDRTQ sind als Anleger Wechselkurseffekte zu beachten und der tagesaktuelle Bid-/Ask-Spread. Was die separate «Transaction-Fee» von jährlich 0.10% p.a. zum ultimativen Produktnutzen beiträgt ist dabei fraglich.

Bisher Fehlanzeige bei ETFs
Im Segment der ETFs gibt es kurioserweise noch keine reinrassigen Hydrocell bzw. Wasserstoff-Angebote. Der Xtrackers Future Mobility UCITS ETF (IE00BGV5VR99) bietet zum Beispiel keinerlei Partizipation an Wasserstoff-Unternehmen. Auch in den eigentlich innovationsfreudigen USA sind Hydrocell ETFs Fehlanzeige. Derzeit überlagern die News zu den Tumulten in manchem Öl-ETF. Wer übrigens mit einem Wasserstoff-Auto in Amerika unterwegs ist, partizipiert nicht wirklich am Preissturz der fossilen Treibstoffe. Die Tankfüllung kostet unverändert rund USD 50, auch wenn das inzwischen sehr günstig gewordene Erdgas für die Wasserstoff-Generierung verwendet wird. Kleines Trostpflaster: Von der eingangs erwähnten Tiefpreis-Tankstelle in Charlotte sind es «nur» 270 Kilometer bis zu einer Wasserstoff-Zapfsäule. Die nächste Gelegenheit für Wasserstoffbetankung kommt dann aber erst in 900 Kilometern. Also eher kein Argument für Fahrer von fossilen Sechs-Zylinder-Motoren jetzt sofort auf Brennstoffzellen zu wechseln – leider.

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