Wie weiter am Obligationenmarkt?
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Christian Kopf, Leiter Portfoliomanagement - Anleihen
Am Anleihenmarkt dominiert die Inflation das Geschehen – die Renditen steigen spürbar, es werden etliche Zinsschritte eingepreist. Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, desto stärker dürften aber auch die negativen Folgen für das Wachstum ausfallen. Das Marktumfeld bleibt damit schwankungsanfällig. Es bietet aber Chancen für aktives Management.
Die Zeitenwende an den Anleihenmärkten hält an: Der Markt verabschiedet sich zunehmend von Negativrenditen, die das Bild seit einer Dekade geprägt haben. So waren Ende März im Investment-Grade-Bereich nur noch Anleihen im Volumen von rund drei Billionen US-Dollar ausstehend, die negative Renditen erbrachten, gegenüber mehr als 17 Billionen US-Dollar Ende 2020. Ungeachtet aller ungelöster geopolitischer Spannungen gewichten die Marktteilnehmer die möglichen Auswirkungen der stark gestiegenen Inflation auf die Geldpolitik höher als das Risiko einer konjunkturellen Vollbremsung.
Die Annahme ist durchaus begründet, der Inflationsanstieg ist breiter und persistenter als erwartet. Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) lässt sich durch den Ukraine-Krieg nicht von einer Straffung abhalten. Sie hat sich eindeutig dazu geäussert, der Inflation die Stirn zu bieten und dies höher zu gewichten als mögliche konjunkturelle Risiken. Nach einer kurzen Flucht in Sicherheit rund um den Einmarsch Russlands in die Ukraine Ende Februar sind die Kurse westlicher Staatsanleihen daher weiter gefallen und die Renditen spiegelbildlich dazu gestiegen. US-Staatsanleihen haben, gemessen am Bloomberg U.S. Treasury Total Return Index, die schwächste Entwicklung seit Beginn der Berechnung der Zeitreihe im Jahr 1973 ausgewiesen. Im zehnjährigen Bereich stieg die Rendite von 1,71 Prozent Anfang März innerhalb von vier Wochen auf über 2,5 Prozent. Die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihen ist im selben Zeitraum von -0,07 Prozent zeitweise bis auf über 0,70 Prozent gestiegen – eine Aufwärtsbewegung in historischer Dimension.
Anteil negativ rentierender Anleihen nimmt weltweit deutlich ab
Bloomberg Global Aggregate Index
Quelle: Bloomberg, Union Investment; Stand: 31. März 2022.
Konjunkturrisiken, aber Notenbanken auf Normalisierungskurs
Somit geht der Markt ungeachtet aller Risiken aus dem Ukraine-Krieg von einer zügigen Normalisierung der Geldpolitik aus. Er preist inzwischen mehr als zwei Zinserhöhungen für die Europäische Zentralbank (EZB) im laufenden Jahr ein, in den USA sind es inzwischen fast neun Zinsschritte. Die Ökonomen von Union Investment sind der Ansicht, dass dem ein zu positives Konjunkturbild zugrunde liegt. Der Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Sanktionen haben die Inflation insbesondere bei Rohstoffen wie Gas, Öl, Kohle, Agrarprodukten und Industriemetallen noch einmal angeheizt. Dies wirkt wie eine zusätzliche Steuer und bremst das Wachstum. Eine Rezession erwarten die Experten jedoch nicht – solange es nicht zu einem vollständigen Energieembargo der Europäischen Union gegen Russland kommt, oder Russland einen Gaslieferstopp durchsetzt. Ebenfalls geht Union Investment nicht von einer geopolitischen Eskalation (Eintritt des NATO-Bündnisfalls) im Ukraine-Krieg aus. Unsere Ökonomen erwarten für 2022 zwei Zinsschritte der EZB. Grundsätzlich dürfte die EZB ihren Normalisierungskurs fortsetzen, solange die mittelfristigen Inflationserwartungen oberhalb von zwei Prozent verharren.
Bei der Fed erwarten die Ökonomen von Union Investment eine Anhebung des Leitzinses um weitere 175 Basispunkte in diesem Jahr. Das Zielband der Fed Funds Rate dürfte damit Ende 2022 bei 2,00 Prozent bis 2,25 Prozent liegen. Die US-Notenbank dürfte zudem voraussichtlich im Mai mit der passiven Rückführung (Quantitative Tightening, QT) der Bilanz beginnen, also auslaufende Anleihen zumindest teilweise nicht mehr durch Neukäufe am Markt ersetzen. Dadurch dürften bis zu 95 Milliarden US-Dollar pro Monat an Vermögenswerten abgebaut werden. Da ein wichtiger Käufer wegfällt, dürfte tendenziell der Druck, insbesondere auf die langen Laufzeiten, steigen. Weil die Fed nach jüngsten Aussagen bestrebt ist, möglichst rasch auf eine neutrales Zinsniveau zu gelangen, um nicht zusätzlich Inflationsdruck aus der Geldpolitik zu erzeugen, dürfte aktuell eine Investition in langlaufende Staatspapiere wenig opportun sein. Chancenreicher erscheint eine kürzere Zinsbindungsdauer.
Inversion der US-Zinskurve nicht überinterpretieren
Keine übermässige Bedeutung sollte dagegen der leichten teilweisen Inversion der Zinsstrukturkurve in den USA beigemessen werden. Zweijährige US-Staatspapiere rentierten Anfang April etwas mehr als zehnjährige Papiere. Es handelt sich zwar um ein relativ seltenes Ereignis, das mitunter als Rezessionsvorbote diente. Doch sollten Anleger das Signal dieses Mal nicht überinterpretieren: Die Laufzeitprämien (Term Premium) bei US-Staatsanleihen sind durch die Wertpapierkäufe der US-Notenbank so stark gefallen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Inversion allein deswegen deutlich gestiegen ist. Zudem blickt die US-Wirtschaft trotz der gestiegenen Rohstoffpreise weiterhin auf einen robusten Arbeitsmarkt, der neben deutlichen Lohnzuwächsen den privaten Konsum stützt.
Insgesamt bleibt aber das Umfeld für die Anleihenmärkte herausfordernd und von grosser Unsicherheit geprägt. Wichtig ist: Ein tiefer Konjunktureinbruch ist derzeit nicht zu erwarten. Die Notenbanken dürften auf Normalisierungskurs bleiben. Für die Staatsanleihen bedeutet das in der Tendenz weiter sinkende Kurse und steigende Renditen. Für das Risikomanagement in einem Multi-Asset-Portfolio sollten Anleger zudem beachten, dass die historisch günstigen Eigenschaften von Staatsanleihen in gemischten Aktien-Obligationen-Portfolios derzeit geschwächt sind. Dies wegen der mittelfristig höheren Inflation sowie dem europäischen Niedrigzinsumfeld, das einen ungünstigen Ausgangspunkt für Staatsanleihen darstellt. Bis wieder auskömmliche Anleiherenditen zu sehen sind, ist erst eine deutliche Kursanpassung zu erwarten. Ausserdem nimmt bei einer höheren Inflation die Wechselbeziehung (Korrelation) zwischen Aktien und Staatsanleihen zu, damit nimmt der Diversifikationseffekt ab.
Der Kreditmarkt bietet Alternativen
Daher sind Alternativen zu suchen, die im Anleihenbereich derzeit bei Spread-Produkten oder Verbriefungen liegen. Denn mit der gestiegenen Inflation nimmt auch das Nominalwachstum der Wirtschaft zu. Dies ist aus Sicht eines Anleiheinvestors erfreulich, da sich die Kreditwürdigkeit verbessern kann: Wenn ein Unternehmen die Verschuldung nicht ausweitet und gleichzeitig aufgrund des nominalen Wachstums von Umsatz und Ergebnis die Schuldenquote senken kann, dürfte die steigende Bonität sukzessive über rückläufige Risikoaufschläge eingepreist werden. Daher zählen ausgewählte Unternehmenspapiere, auch im Hochzinsbereich, zu den interessantesten Anlagen im Anleihenmarkt.
Kein starker Anstieg der Risikoaufschläge
Staatsanleihen: Spread-Rückgang in der 2. Märzhälfte
Hartwährungen, Spread gegenüber US-Treasuries. Quelle: Bloomberg, Union Investment; Stand: 31. März 2022.
Corporates: Spreads zurück auf Vorkriegsniveau
Non-Financials. Quelle: Bloomberg, Union Investment; Stand: 31. März 2022.
Bei Anleihen aus Schwellenländern stehen gute Zinsaufschläge etwas grössere Risiken aufgrund des Infektionsgeschehens und der höheren US-Zinsen gegenüber. Aussichtsreich sind derzeit Regionen, die in ihrem Zinserhöhungszyklus bereits weit fortgeschritten sind. Auch bei Wandelanleihen finden sich interessante Anlagemöglichkeiten. Viele der im Jahr 2021 neu ausgegebenen Wandelanleihen notieren zum Teil recht deutlich unter pari (unter Nennwert) und weisen signifikant positive Renditen aus.
Zudem bietet der etwas komplexere Markt für Kreditverbriefungen (CLOs) interessante Diversifikationsmöglichkeiten für institutionelle Anleihenanleger oder Multi-Asset-Investoren, die einen mittelfristigen Anlagehorizont haben und dabei auf eine kürzere Kapitalbindungsdauer (Duration) in ihren Investments Wert legen. Der variable Zinssatz von CLOs bietet einen gewissen Puffer gegen Kaufkraftverlust, falls die Inflation hoch bleiben und die Zentralbanken an der Zinsschraube drehen sollten.
Bio
Christian Kopf, CFA, leitet seit September 2017 das Anleihen-Fondsmanagement von Union Investment mit mehr als 50 Mitarbeitern und gut 60 Mrd. Euro an Kundengeldern. Er ist eines von sechs stimmberechtigten Mitgliedern des „Union Investment Committee“ (UIC). Das UIC formuliert auf monatlicher Basis die Kapitalmarktstrategie von Union Investment und setzt damit die Leitplanken für die taktische Steuerung der Fonds durch die einzelnen Portfoliomanager.
Zuvor war Kopf von 2006 bis 2017 für Spinnaker Capital in London tätig, einer auf Anlagen in Schwellenländern spezialisierten Kapitalverwaltungsgesellschaft. Dort verantwortete er zuletzt als Partner die globale volkswirtschaftliche Analyse und Anlagestrategie, die Risikoallokation in Staatsanleihen, Zinsprodukten und Währungen der europäischen und asiatischen Zeitzonen sowie das Management des Spinnaker Emerging Markets Macro Fund. Vor seinem Wechsel nach London war Kopf sieben Jahre als Senior Portfolio Manager bei DWS Investments in Frankfurt tätig und dort für den Bereich Global Emerging Markets Fixed Income verantwortlich. Kopf schloss sein Studium an der Universität Witten/Herdecke als Diplom-Ökonom ab und ist CFA Charterholder.