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payoff Interviews

«Wir haben beim Brexit gesehen, wie falsch die Experten liegen können.»

15.11.2016 5 Min.
  • Martin Raab

Jim O’Sullivan, Chefökonom bei High Frequency Economics in Valhalla, New York State, gilt als genauester Prognostiker in Amerika. Er spricht über den Zustand der US-Wirtschaft, einen Zinsspurt in drei Schritten und den Kassensturz im Weissen Haus.

Jim, es scheint so, als ob es dem amerikanischen Arbeitsmarkt gutgeht. Die Arbeitslosenzahlen waren seit über einem Jahrzehnt nicht mehr so tief und die Erstansprüche auf Arbeitslosengeld bleiben sehr niedrig. Was ist aber mit der Unterbeschäftigung?
Die Unterbeschäftigung hat sich in letzter Zeit ein wenig reduziert. Die Abnahme der Arbeitsmarktbeteiligung ist aber mehrheitlich auf das Altern der Bevölkerung zurückzuführen. Inzwischen beträgt das Beschäftigungswachstum fast 2% pro Jahr, weit über dem Bevölkerungswachstum von 1%. Die Unterbeschäftigung und unfreiwillige Teilzeitbeschäftigung sind zwar immer noch sehr hoch im Bezug zur Arbeitslosigkeit, aber auch diese Tendenz nimmt langsam ab. Inzwischen signalisiert der Arbeitsmarkt in vielen Branchen Lohnzuwächse. Daher besteht im Grossen und Ganzen kein Zweifel, dass sich der Arbeitsmarkt drastisch verbessert hat.

Welche Zahlen / Statistiken sollten für die Zukunftserwartungen des Arbeitsmarktes in Betracht gezogen werden?
Die Arbeitslosenquote ist nach wie vor als relevanter Frühindikator des Lohn- und Inflationsdrucks zu sehen. Durch die Abflachung der Arbeitslosenrate hat auch die US-Notenbank Fed vor Kurzem kalte Füsse bei ihrem Zinsentscheid bekommen. Allerdings signalisieren die wöchentlichen Arbeitslosenzahlen fristgerechter und zuverlässiger, ob sich der Schwung auf dem Arbeitsmarkt plötzlich ändert. Bis jetzt bleiben die Signale vom Arbeitsmarkt sehr ermutigend.

In welcher Verfassung sehen Sie den US-Wohnungsmarkt im achten Jahr nach dem Crash? Haben einige Regionen wieder Blasen?
Blasen sind rückblickend natürlich viel einfacher zu identifizieren als vorher, aber ich sehe das nicht als Problem. Die Neubauzahlen haben noch Luft nach oben. Die Immobilienpreise in den USA sollten aber zumindest in der Lage sein, genau so schnell wie die Inflation zu steigen.

Was denken Sie über die Fed und ihre erwarteten Maßnahmen?
Die Stabilisierung der Arbeitslosenquote hat der Fed in den letzten Monaten mehr Zeit gegeben, ihre Massnahmen zu überdenken. Wir erwarten keine Massnahmen bis zur nächsten Sitzung Anfang November; das ist nur eine Woche vor der Wahl. Wir erwarten, dass sie an der Sitzung im Dezember die Zinssätze um 25 Basispunkte erhöhen und 2017 drei weitere Züge folgen werden.

Was erwarten Sie, welche spezifischen Daten (Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld, Kerninflation etc.) der Auslöser sind, um die Preise zu erhöhen?
Am Ende wird der wichtigste und entscheidende Faktor sein, ob die Arbeitslosenrate ihren Abwärtstrend, so wie wir es erwarten, wieder aufnimmt. Die Fed-Vertreter sehen die Arbeitslosenrate als Schlüssel für den Inflationsdruck. Das heißt, wichtige Schlüsselindikatoren wie Arbeitslosenansprüche und die ISM-Indizes sind immer wichtig. Natürlich sind auch die Inflationsdaten und die Entwicklung der Finanzmärkte von Bedeutung!

Zurzeit lässt es sich nicht vermeiden, über Politik zu reden. Einige Ökonomen gehen davon aus, dass eine Trump-Präsidentschaft die Märkte massiv erschüttern könnte, wohingegen Clinton im Weißen Haus die Dinge vorhersehbarer halten würde – was denken Sie?
Wir haben beim Brexit gesehen, wie falsch die Experten liegen können – auch über die Auswirkungen des Marktes. In Bezug auf Trump sind die Unsicherheiten und Bedenken wahrscheinlich höher als bei Clinton, vor allem wegen seiner Anti-Freihandel-Rhetorik. Derzeit sieht es jedenfalls so aus, dass Clinton mit leichtem Vorsprung gewinnen wird.

Wie lautet Ihre fachliche Meinung als Ökonom zur oft zitierten Reindustrialisierung der USA (wieder Arbeitsplätze in der Produktion zu schaffen) und Handelsdefiziten?
Der Anteil der Arbeitsplätze in der Produktion ist seit Jahrzehnten weltweit und auch in den USA rückläufig. Ich glaube nicht, dass sich das plötzlich ändern wird. Mittlerweile ist das Leistungsbilanzdefizit mit 2,6% des BIP überschaubar, ohne ein Anzeichen für eine große Veränderung.

Ein wichtiger ökonomischer Parameter sind Wechselkurse. Wie sehen Sie die Zukunft für den US-Dollar (hauptsächlich vs. EUR) in den nächsten sechs Monaten?
Wahrscheinlich geht der US-Dollar ein bisschen nach oben, wenn wir mit der Zinsanhebung der Fed recht behalten. Die Märkte preisen derzeit eine Zinserhöhung ein, aber voraussichtlich nicht genug. Höhere Zinssätze neigen dazu, die jeweilige Währung zu unterstützen. Ich würde keinen plötzlichen Anstieg des US-Dollars erwarten, unter anderem da die quantitative Lockerung in Europa langsam, aber sicher ausgeschöpft ist.

Erwarten Sie allgemein, dass es den Sektoren, unabhängig von den US-Präsidentschaftswahlen, in den nächsten Quartalen gut gehen wird?
Ich kann nicht behaupten, dass wir generell ein starkes Wachstum erwarten; selbst knapp über 2% des BIP waren genug, um die Arbeitslosenquote in diesem Zeitraum aufgrund der schwachen Produktivität und des Wachstums der Arbeitskräfte zu senken. Allerdings sollten Unternehmensinvestitionen besser dran sein als zuvor, da der Energiesektor – insbesondere die Ölförderung – seinen Boden gefunden hat. Und die Konsumausgaben sollten stabil bleiben, wenn das Beschäftigungswachstum gesund bleibt. Der Wohnungsbau hat ebenfalls gewisses Aufwärtspotenzial.

Zu guter Letzt: Im Weissen Haus ist bald Kassensturz angesagt. Was denken Sie über den amerikanischen Bundeshaushalt in 2017?
Das Bundesdefizit der USA ging stetig zurück, seit es im Jahr 2009 auf 9,8% des BIP stieg. Das Niveau lag im Jahr 2015 bei 2,5%. Allerdings geht es wieder leicht aufwärts – auf etwa 3% im Jahr 2016 und wahrscheinlich wieder um die 3% im Jahr 2017. Das ist noch alles überschaubar, egal wer am Ende die Regierung stellt.

 

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