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payoff Interviews

«Wohin führt Chinas Neue Seidenstrasse?»

06.06.2019 6 Min.
  • Serge Nussbaumer, Chefredaktor

Gary Monaghan, Investment Direktor für asiatische Aktien bei Fidelity International, Hongkong zur Neuen Seidenstrasse.

Die Neue Seidenstrasse wird Handelswege nach Europa, Afrika und Lateinamerika erschliessen. Das Maga-Infrastrukturprojekt hat nicht nur das Potenzial, die bestehende Handelsordnung grundlegend zu verändern, es bietet auch Chancen für Anleger. Kann China − wie von Staatspräsident Xi Jinping angestrebt − seine politische und wirtschaftliche Einflusssphäre mit der Neuen Seidenstrasse ausweiten?
China hat sich in kürzester Zeit von einem Schwellenland zur global führenden Handelsnation und dem mit Abstand wichtigsten Industriestandort entwickelt. In letzter Zeit ist das Reich der Mitte jedoch mit einigen Problemen konfrontiert − beispielsweise infolge erheblicher Überkapazitäten. Um hier gegenzusteuern will die chinesische Führung die alten Handelsrouten der Seidenstrasse, die den Wohlstand Chinas über Jahrhunderte hinweg begünstigte, zu neuem Leben erwecken. Obwohl die Neue Seidenstrasse auf der Agenda der chinesischen Regierung ganz oben steht, ist es nicht die einzige politische Initiative, die für Investoren von Interesse sein kann. Pläne zur fortschreitenden Öffnung der chinesischen Kapitalmärkte und die Initiative Made in China 2025 sind weitere Kernelemente der Zukunftspläne Chinas.

 

Welche wirtschaftlichen Auswirkungen erwarten Sie von der Neuen Seidenstrasse im Einzelnen?
Konkret geht es bei der neuen Seidenstrasse vor allem um die Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Nationen, so die chinesische Führung. Im Fokus steht die Beseitigung von Handelshemmnissen, wie beispielsweise Zollabfertigungen, Inspektionen, Quarantänen, die effiziente Allokation von Ressourcen, die politische Koordination und − sehr wichtig im derzeitigen Umfeld − einen Plan zur Förderung des Freihandels im Rahmen der Grundsätze der Welthandelsorganisation.

 

Letztlich geht es also darum, bestehende (Über-)Kapazitäten neu zu kanalisieren …
Richtig. Die Rolle Chinas als Werkbank der Welt und Infrastrukturinvestitionen haben den wirtschaftlichen Aufstieg in den letzten zwei Dekaden angetrieben. Jetzt ebben die damit verbundenen Wachstumseffekte ab. Um die Konjunktur weiter anzukurbeln stehen heute höherwertige Produkte für die wachsende chinesische Mittelschicht und den Export im Fokus. China kann mit der Neuen Seidenstrasse die verfügbaren Kapazitäten und Finanzmittel nutzen. Im Gegenzug erhalten ausländische Unternehmen Zugang zur konsumfreudigen chinesischen Mittelschicht. Ein wichtiger Schachzug ist zudem, dass die hohe Abhängigkeit der Chinesen von den USA durch den diversifizierten Kapitalexport langsam reduziert wird.

 

Wie bei vielen Grossprojekten steckt der Teufel im Detail. Bisher wurden viele Projekte durch Renminbi-Darlehen finanziert. Da der Renminbi nur in China ausgegeben werden kann, waren die chinesische Schwerindustrie und Baukonzerne die wichtigsten Profiteure.
Aus praktischer Sicht befinden wir uns noch in der Gründungsphase der Initiative. Die Diskussionen auf Regierungsebene dauern an, und viele der laufenden Projekte müssen noch abgeschlossen werden. Die Chinesen sind allerdings nicht umsonst für ihren langen Atem bekannt. Der volle Nutzen für alle Beteiligten wird dann sichtbar, wenn die Projekte voll funktionsfähig sind.

 

«Ein wichtiger Schachzug ist zudem, dass die hohe Abhängigkeit der Chinesen von den USA durch den diversifizierten Kapitalexport langsam reduziert wird.»

 

Stichwort Schuldenfallen-Diplomatie: Ein Kritikpunkt ist, dass vor allem Schwellenländer im Zusammenhang mit Projekten der Neuen Seidenstrasse in eine zu starke Abhängigkeit geraten.
Richtig ist, dass am Seidenstrassenprojekt viele Schwellenländer teilnehmen, die nur einen eingeschränkten Zugang zu Finanzierungen haben. Es besteht also das Risiko, dass die Partnerländer in eine zu starke Abhängigkeit von China geraten. Wie es aussieht, wenn die Schuldenfalle zuschnappt, zeigte sich 2017 in Sri Lanka. Auch dort hatte China im Rahmen der Neuen Seidenstrasse Geld zugeschossen und den Hafen Hambantota ausgebaut. Als Sri Lanka dann aber die Kredite nicht bedienen konnte, musste es den Hafen und ein Industriegebiet für 99 Jahre an ein chinesisches Unternehmen verleasen. Inzwischen zeichnet sich allerdings auch auf chinesischer Seite eine höhere Sensibilität zu solchen Praktiken ab.

 

Umweltthemen rücken global immer stärker ins Blickfeld von Investoren. Sind mit der Neuen Seidenstrasse verbundene Investments für verantwortungsbewusste Investoren ein gangbarer Weg?
Xi Jinping hat gefordert, dass das Projekt Neue Seidenstrasse grün und nachhaltig sein muss und dass die Teilnehmer Korruption gemeinsam bekämpfen sollen. Einige der Projekte haben zudem einen konkreten Nachhaltigkeitsbezug. Die Biokraftstoffanlagen in Indonesien und Papua-Neuguinea, Müllheizkraftwerk-Projekte in Myanmar, das Hue International Hospital in Hue, Vietnam und der Bau von Studentenwohnungen in Südafrika sind nur einige Beispiele dafür. Insgesamt muss man sich aber im Klaren darüber sein: in der Regel handelt es sich um Infrastrukturvorhaben oder Schwerindustrieprojekte, die naturgemäss mit höheren Umweltbelastungen verbunden sind.

 

Lassen Sie uns über Anlagechancen im Zusammenhang mit der Neuen Seidenstrasse sprechen. Welche Trends sollten Anleger im Auge behalten?
Die Neue Seidenstrasse verspricht Handelsrouten und Märkte zu öffnen − und zwar sowohl in China, als auch in den Partnerländern. Bis vor kurzem lag der Fokus in China noch auf dem schuldenfinanzierten Aufbau der Schwerindustrie und der Herstellung billiger Produkte. Jetzt geht es um den Wandel zu einer nachhaltigen konsumorientierten Wirtschaft, bei der höherwertige Güter und innovative Technologien im Zentrum stehen. Unabhängig davon, ob es um das Projekt Neue Seidenstrasse geht oder um andere strategische Pläne, wie «Made in China 2025»: Anvisiert wird die Aufwertung der chinesischen Industrie, die Weiterentwicklung zu höherwertigen Produkten und die Stärkung des High-Tech-Bereichs, der bislang weitgehend von ausländischen Unternehmen dominiert wird. Made in China 2025 wird dabei eine noch direktere Auswirkung auf die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft zugesprochen als der sich eher langfristig auswirkenden Neuen Seidenstrasse.

 

Aus Sicht von Investoren waren die direkten Anlagemöglichkeiten jedoch begrenzt.
Das ist korrekt. Die Hauptbegünstigten auf Unternehmensebene waren bisher einige der grossen Staatsunternehmen der Schwerindustrie. Darüber hinaus sollte die Neue Seidenstrasse wichtige Impulse für die chinesische Wirtschaft bieten. Im Fokus stehen dabei unserer Einschätzung nach potenzielle Chancen im Konsum-, Technologie- und Gesundheitssektor. Infolge dieser Wirtschaftspolitik sehen wir in China heutzutage viele Innovationen. Bei der Künstlichen Intelligenz ist China einer, wenn nicht der Technologieführer und möglicherweise das Power-House von morgen.

 

VITA

Gary Monaghan ist Investment Direktor für asiatische Aktienfonds von Fidelity International. Er ist seit sieben Jahren in Hongkong tätig und war zuvor  im Londoner Büro von Fidelity aktiv, zuerst als Investmentspezialist für europäische Aktienfonds und dann als Investment Direktor für Equity Income Portfolios. Vor seiner Tätigkeit bei Fidelity arbeitete Gary zwei Jahre lang als Quant-Research-Analyst für das interne Investmentteam von Royal Dutch Shell. Gary studierte Volkswirtschaftslehre und Finanzen an der Brunel University, London.

 

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