Zinsen – quo vadis?
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Dieter Haas
Redaktor
Der Zinsanstieg in den vergangenen Monaten war Balsam für die Finanzindustrie und belebte das Geschäft in einigen Produkttypen der Strukturierten Produkte. Ist das Ende der Fahnenstange in Sicht oder setzt sich der steigende Trend fort?
Allmählich zeigen die Zinserhöhungen der meisten westlichen Notenbanken Wirkung. Die ausgewiesene Teuerung beginnt sich zurückzubilden. Die Märkte sind weiterhin optimistisch, dass es im kommenden Jahr zu einer Rückbildung der langfristigen Zinsen kommt und die Notenbanker ihre Schleusen bald wieder öffnen werden, um der ansonsten drohenden Rezession Einhalt zu gebieten. Liegt die OECD mit ihren Prognosen richtig, dann wäre die Anlageklasse der Obligationen wieder salonfähig und würde zunehmend zu einer Alternative zu den Aktien. Die Prognosen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bis Ende 2024 gehen mit wenigen Ausnahmen von einer Seitwärts- bis leicht steigenden Zinsentwicklung aus.
Im Falle der Kurzfrist-Zinsen sieht das Bild ähnlich aus. Auch hier erwartet die OECD bis Ende 2024 mehrheitlich eine Seitwärtsbewegung. In den USA schwingt wohl die Hoffnung mit, dass im Wahljahr die Fed erste Senkungen ihrer Leitzinsen vornimmt.
Für eine Entwarnung scheint es aber verfrüht. Einerseits gibt es von Seiten der Notenbanken noch keine Anzeichen für eine baldige Senkung der Leitzinsen und andererseits könnten der unverändert robuste Arbeitsmarkt, Angebotsknappheiten bei diversen Rohstoffen und die labile geopolitische Lage sehr schnell die sinkende Teuerung wieder anheizen. Der in vielen Ländern mittlerweile sehr hohe Schuldenstand (Japan, Italien, USA) begrenzt zudem den Spielraum der Notenbanken. Im Januar 1962 als die 10-jährige US-Rendite das letzte Mal auf dieses Niveau stieg, hatten die USA eine Gesamtverschuldung von USD 0.4 Billionen und ein Verhältnis von Schulden zum BIP von 41%. Heute sind es USD 31 Billionen und 129%! Der Fed sind daher zunehmend die Hände gebunden. Sie kann längst nicht mehr derart aggressiv vorgehen wie in früheren Jahren, sonst explodieren die Zinskosten in astronomische Höhen. Das Beispiel Japans lässt grüssen. Die Bank of Japan wehrt sich mit Händen und Füssen gegen eine Zinserhöhung. Sie nimmt dabei in Kauf, dass sich der Yen massiv abwertet.
Teuerung hartnäckiger als erwartet
Die Teuerung ist weiterhin virulent und wesentlich hartnäckiger als gedacht. Dies verspüren besonders die niedrigen und mittleren Einkommensklassen. Ihr Einkaufskorb hat sich deutlich stärker verteuert, als es die offiziellen Zahlen zeigen. Die gefühlte Teuerung übersteigt nämlich die ausgewiesene um einiges. Das liegt vor allem an den überproportional gestiegenen Nahrungsmittelpreisen. Die Prognose der OECD stetig sinkender Inflationsraten bis Ende 2024 erscheint vor diesem Hintergrund reichlich optimistisch. Sollte sie tatsächlich eintreten, wäre das für die Finanzmärkte positiv und würde den gebeutelten Obligationen nach längerer Durststrecke wieder Auftrieb verleihen.
Bis dato dominiert die Erwartung, dass es den Notenbanken gelingen wird, die Teuerung in den Griff zu bekommen. Dies deckt sich mit der Tatsache, dass die Marktteilnehmer gegenüber langfristigen Staatsanleihen gemäss dem BofA Global Fund Manager Survey so optimistisch sind wie nie zuvor. Da die derzeitigen inflationären Kräfte eine bedeutende strukturelle Grundlage zu haben scheinen, besteht eine erhebliche Gefahr, dass es wieder einmal anders kommt. Die jüngsten Entwicklungen mahnen auf alle Fälle zur Vorsicht. So übertraf die 10-jährige Rendite der US-Staatsanleihen Mitte August ihr Vorjahreshoch und erreichte den höchsten Stand seit 16 Jahren, obwohl die meisten Fondsmanager einen Rückgang der langfristigen Zinssätze erwarteten.
Kursanalyse mahnt zur Vorsicht
Aus markttechnischer Sicht lässt sich bislang keine Wende zu sinkenden Zinsen erkennen, ganz im Gegenteil: Ein weiterer Zinsanstieg hätte fatale Folgen für die Finanzmärkte und könnte zu einer Entwicklung wie in den 70er-Jahren führen, als die Zinsen aufgrund der ersten und zweiten Ölkrise ausser Kontrolle gerieten. Die Aktienmärkte tendierten damals während rund zehn Jahren seitwärts, die Anleihenmärkte verloren stetig an Wert, einzig die Rohstoffe erwiesen sich als widerstandsfähig und erzielten teils spektakuläre Gewinne. Ihre Bewertung im Vergleich zu Aktien in den letzten 53 Jahren befindet sich nahe dem Tiefpunkt.
Sofern die US-Notenbank nicht eine überraschende Kehrtwende vollzieht und beispielsweise zu einer Politik der Zinskurvenkontrolle wie in Japan wechselt, erscheint eine Rückkehr zu den Niedrigzinsen reines Wunschdenken. Gemäss kritischen Geistern wie Egon von Greyerz sollten Anleihen, insbesondere Staatsanleihen, gemieden werden wie die Pest. Inflation und mögliche Zahlungsausfälle oder Moratorien würden sie zur schlechtesten Investition überhaupt machen. Darüber hinaus werde die Entwertung der Währungen dazu führen, dass der reale Wert von Anleihen sehr schnell null erreichen wird.
Profiteure der Zinswende
Die Finanzindustrie hat zweifellos von der Entwicklung der vergangenen Monate profitiert, abgesehen von Banken mit Altlasten und solchen mit einer inadäquaten Fristigkeit zwischen Ausleihungen und Sicherheiten wie einige der US-Regionalbanken. Zu den Gewinnern der Zinswende gehören auch Produktkategorien bei den Strukturierten Produkten, allen voran die Kapitalschutzprodukte. Bei ihnen gilt: Je höher die Zinsen für die Laufzeit und die Währung des gewählten Kapitalschutzprodukts, desto attraktiver die Konditionen. Die gestiegenen Zinsen machten diese Anlagekategorie wieder attraktiv und führten zu einer stark gestiegenen Nachfrage. 100%-geschützte Kapitalschutzprodukte auf Indizes wie den SMI können mittlerweile bei entsprechend langer Laufzeit auch in CHF wieder mit einer 100%igen Partizipation aufwarten wie etwa das am 28. Juni liberierte Kapitalschutzprodukt XEOLTQ. Es bietet nebst einem 100% Kapitalschutz eine 100% Partizipation an der Kursentwicklung des SMI oberhalb der Marke von 11’173.65.
Anlagemöglichkeiten bei den ETFs
Klassische Obligationen-ETFs dürften es weiterhin schwer haben, auf einen grünen Zweig zu kommen. Die Ertragschancen werden selbst im Optimalfall sinkender Langfristzinsen eher bescheiden ausfallen. Die besten Chancen besitzt unter den an SIX Swiss Exchange am häufigsten gehandelten Obligationen-ETFs der CHF-währungsgesicherte IBTC von iShares auf 1-3-jährige US-Staatsanleihen. Für eine Trendwende ist aber eine Änderung der Geldpolitik der US-Notenbank eine zwingende Voraussetzung. Das gilt verstärkt auch für Anlagen in die CHF-währungsgesicherten ETFs IDTC und DTLC, die auf 7-10 jährigen respektive auf 20+ US-Staatsanleihen basieren. Eine weitere Option im Falle sinkender Langfristzinsen wäre auch der CHF-währungsgesicherte ETF CMES auf den J.P. Morgan ESG Emerging Market Bond Index Global Diversified Index.
Investoren, die in dieser Anlageklasse richtig punkten möchten, müssen sich aber bis auf Weiteres weiterhin an Spezialfälle halten. Diese sind bislang ausschliesslich an ausländischen Börsenplätzen zu finden. ETFs wie PFIX, TBF oder TMV brachten in den vergangenen Monaten respektable Gewinne. Der Simplify Interest Rate Hedge ETF PFIX zielt darauf ab, sich gegen Zinsschwankungen abzusichern, die sich aus steigenden langfristigen Zinssätzen ergeben. Er profitiert zudem vom Marktstress, wenn die Volatilität von festverzinslichen Wertpapieren zunimmt. Der Fonds hält eine grosse Position in ausserbörslichen (OTC) Zinsoptionen, die ein direktes und transparentes konvexes Engagement in grossen Aufwärtsbewegungen der Zinssätze und der Zinsvolatilität bieten sollen. Die Strategie erwies sich in den vergangenen Monaten als sehr erfolgreich und schlug seit Oktober 2021 den S&P 500 Index um Längen.
Der Short-ETF TBF von ProShares strebt eine Rendite an, die -1x der Rendite seiner zugrunde liegenden Benchmark für einen einzelnen Tag beträgt, gemessen von einer NAV-Berechnung zur nächsten. Bei der Benchmark handelt es sich um den ICE U.S. Treasury 20+ Year Bond Index. Dieser umfasst öffentlich begebene US-Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von mehr als zwanzig Jahren und einem ausstehenden Nennwert von mindestens USD 300 Millionen, ausgenommen die von der Federal Reserve gehaltenen Beträge.
Der Direxion Daily 20+ Year Treasury Bear 3x Shares ETF TMV strebt ein tägliches Anlageergebnis vor Gebühren und Kosten in Höhe von 300% der entgegengesetzten Wertentwicklung des ICE U.S. Treasury 20+ Year Bond Index an. Der ETF ist somit noch um einiges aggressiver als TBF und sollte nur von erfahrenen Anlegern in Betracht gezogen werden.
Fazit
Obligationen dürften im Vergleich zu Aktien weiterhin einen schweren Stand haben. Das
Zinsniveau ist zu wenig attraktiv für Umschichtungen im grossen Stil. Erst bei einem Ende der Leitzinserhöhungen durch die Notenbanken könnte es zu einer Entspannung im Markt für Zinspapiere kommen. Grosse Sprünge werden aber auch dann nicht zu erwarten sein.