Zinsgipfel erreicht – wie geht’s weiter?
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Stephan Ertz
Abteilungsleiter Credit im Anleihenfondsmanagement
Union Investment
In den Kernmärkten ist der Zinsgipfel erreicht – inzwischen auch im Euroraum. Wann mit ersten Zinssenkungen zu rechnen ist und wo sich neue Möglichkeiten am Obligationenmarkt ergeben.
Nach zehn Leitzinserhöhungen in Folge ist Schluss: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in einer kontroversen Entscheidung ohne Einstimmigkeit auf ihrer September-Sitzung die Leitzinsen um weitere 25 Basispunkte angehoben. Der Einlagensatz beläuft sich damit auf 4% – so hoch wie noch nie seit Bestehen der EZB. Im geldpolitischen Beschluss des EZB-Rats heisst es: Die EZB-Leitzinsen haben ein Niveau erreicht, das – wenn es lange genug aufrechterhalten wird – einen erheblichen Beitrag zu einer zeitnahen Rückkehr der Inflation auf den Zielwert leisten wird. Nach diesen Worten ist davon auszugehen, dass nun auch die EZB das Ende des Zinserhöhungszyklus erreicht haben dürfte.
Die US-Notenbank Federal Reserve dürfte den Zinsgipfel bereits im Juli erreicht haben. Auf ihrer ersten Sitzung nach der Sommerpause bestätigten die Währungshüter die Fed Funds Rate bei 5.25% bis 5.5%. Die Kerninflation, also das Mass für den unterliegenden Inflationsdruck, befindet sich in den USA auf einem nachhaltigen Abwärtstrend. Die Datenpunkte in den kommenden Wochen und Monaten werden in der gesamthaften Betrachtung der Notenbank das Vertrauen geben, dass sie in ihrer geldpolitischen Ausrichtung mit dem aktuellen Zinsniveau ausreichend restriktiv ist. Eine weitere Straffung in diesem Jahr ist nur denkbar, wenn sich der Fortschritt bei der Inflations- beziehungsweise Lohnentwicklung oder am Arbeitsmarkt spürbar verlangsamt. Dies ist aber nicht das wahrscheinlichste Szenario.
Zinspause bis 2024 erwartet
Mit dem Einläuten des Zinsgipfels senden die Notenbanken aber eine falkenhafte Botschaft: «High for longer» ist die Devise. Die Zinsen werden relativ lange auf dem hohen Niveau verharren, damit sich die Inflation dem 2%-Ziel der Notenbank weiter nähert. Konkret liegen die Fed-Projektionen für den Leitzins per Ende 2024 bei 5.1% und für Ende 2025 bei 3.9%. In ihren Makro-Erwartungen erweckt die Notenbank zudem den Eindruck, eine sanfte Landung der US-Wirtschaft sei nunmehr ihr Basisszenario. Es ist 2023 mit keinen weiteren Zinsschritten zu rechnen und im zweiten Quartal 2024 ist die erste Zinssenkung zu erwarten. Bis Ende 2024 dürften noch drei weitere folgen.
Historischer Zinsanstieg
EZB-Einlagensatz versus Bundesanleihe-Renditen (in %)
Es ist denkbar, dass die EZB voraussichtlich ab Juni 2024 ebenfalls damit beginnen wird, die Zinsen zu senken. Im Euroraum hält sich die Inflation zwar auch deutlich über dem 2%-Ziel, befindet sich aber auf dem Rückzug. Laut EZB sollte die Inflation 2025 nur noch leicht oberhalb der Zielmarke liegen, wie aus den Inflationserwartungen der Notenbank hervorgeht (Gesamtrate: 2.1%; Kernrate: 2.2%). Im Laufe von 2025 sollte sich der neutrale Zins dann auf ein Niveau von 2.0% bis 2.5% einpendeln.
Inversion der Zinsstrukturkurven hält an
Mit dem Erreichen des Zinsgipfels dürfte der Aufwärtsdruck auf die langlaufenden Renditen nachlassen – sie sollten sich auf den aktuellen Niveaus einpendeln. Es ist trotzdem davon auszugehen, dass die Inversion der Zinsstrukturkurven noch bis in das Jahr 2024 anhalten wird. Erst dann sollte sich eine Normalisierung über rückläufige Renditen am kurzen Ende einstellen. Historisch gesehen erfolgte der Start der Normalisierungsbewegung meist um die erste Zinssenkung herum. Unter Berücksichtigung aller Einflüsse ist daher mit einem Ende der Inversion und einer leicht steigenden Zinsstrukturkurve in den USA und im Euroraum im Laufe der zweiten Jahreshälfte 2024 zu rechnen.
Aufgrund der Inversion der Zinskurven sind am Obligationenmarkt nach wie vor Positionen mit geringerer Zinsbindungsdauer (Duration) zu favorisieren – hier gibt es weiterhin attraktive Renditechancen. Allerdings gilt es, die weitere geldpolitische Entwicklung genaustens im Blick zu behalten. Denn sobald sich eine Normalisierung der Renditestrukturkurven abzeichnet, kann es mittelfristig von Vorteil sein, Investitionen in längere Laufzeiten einzugehen. Aktuell ist es dafür jedoch noch zu früh, den Schwerpunkt in der Anlage vom kurzen zum langen Laufzeitende zu verschieben – dabei geht zu viel Ertrag (Carry) verloren. Es ist daher eine abwartende Position zu empfehlen, um die Marktlage zu beobachten und auf der Anleihenseite von einer Normalisierung der Zinsstrukturkurve möglichst gut profitieren zu können.
Covered Bonds und Structured Credit attraktiv
Im Bereich geringer Zinsbindungsdauer ist aktuell die Assetklasse Structured Credits zu favorisieren: Verbriefte Unternehmenskredite (CLOs) sind in der Regel mit einem variablen Zinssatz ausgestattet (Floating Rate Notes) und konnten dadurch von den steigenden Zinsen im vergangenen Jahr deutlich profitieren. Je länger die kurzen Zinsen nun auf dem hohen Niveau verharren («High for longer»), desto grösser ist die laufende Rendite von Structured Credit-Produkten. Eine inverse Renditestrukturkurve und hohe Zinsen sind daher positiv für die Anlageklasse und bleiben auch in naher Zukunft ein positiver Faktor. Das zeigt sich auch in der Wertentwicklung: CLOs haben in diesem Jahr den breiten Markt in der (absoluten) Wertentwicklung auf Fondsebene deutlich übertroffen. Zu beachten ist dabei die Komplexität von Verbriefungen und dass die Spreadvolatilität in Stressphasen zunehmen kann.
Unternehmensanleihen und Covered Bonds wieder mit Renditechancen
Renditeverlauf über 20 Jahre
Auch die Assetklasse Covered Bonds, zu denen beispielsweise der deutsche Pfandbrief zählt,hat durch die Zinswende der Europäischen Zentralbank ein Comeback erfahren. Mit einem vergleichsweise kaum höheren Risiko als bei Staatsanleihen lassen sich aktuell auskömmliche Renditen vereinnahmen, vor allem über die Zeichnung am Primärmarkt. Das grosse Neuemissionsvolumen der letzten Monate führte dazu, dass Emittenten in der Regel eine höhere Neuemissionsprämie (rund 10 Basispunkte) zahlen. Die Bund-Swap-Spreads handeln zudem Ende September noch leicht über ihrem historischen Durchschnitt (55 Basispunkte). Kurzlaufende Pfandbriefe bieten damit einen attraktiven Renditeaufschlag gegenüber deutschen Bundesanleihen. In den kommenden Monaten sollte das Angebot an Covered Bonds weiter hoch bleiben, denn angesichts der gestiegenen Refinanzierungskosten bei der EZB dürften Banken nun wieder vermehrt auf Covered Bonds als Instrument zur Refinanzierung zurückgreifen.
Unternehmensanleihen bleiben Favorit
Über mittlere und lange Laufzeiten sind unverändert Unternehmensanleihen mit guter Bonität (Investment Grade) zu favorisieren. Die fundamentale Situation der Unternehmen ist nach wie vor stabil und aktuell ist nur ein sehr leichter Anstieg der Ausfallraten zu beobachten – vor allem im Bereich der schwachen Kreditqualität. Innerhalb der Assetklasse zählen Bankanleihen zu unseren Favoriten. In diesem Segment sind die Risikoaufschläge (Spreads) deutlich attraktiver im Vergleich zu Industrieunternehmen Für die Anlageklasse spricht zudem, dass es im historischen Vergleich eine negative Wechselbeziehung zwischen der Zins- und Spreadentwicklung gibt. Sinken die Zinsen, steigen die Spreads. In Summe lässt dies gegenwärtig eine stabilere Entwicklung in diesem Marktsegment erwarten, und die Volatilität sollte abnehmen.