Anleihen auf dem Weg in die Selbständigkeit
-
Stephan Ertz, Leiter Unternehmensanleihen
Der Markt für Unternehmensanleihen muss sich wieder daran gewöhnen, ohne die Unterstützung der Notenbank auszukommen. Die Ankündigung der Europäischen Zentralbank, aus dem Anleihenkaufprogramm auszusteigen läutet damit auch das Ende des Corporate Sector Purchase Programme ein. Es wird kein einfacher Weg in die Selbständigkeit.
Die Europäische Zentralbank (EZB) kauft seit Juni 2016 neben Staatsanleihen auch Unternehmensanleihen – mit enormem Einfluss auf die Anlageklasse. Bereits die blosse Ankündigung des Anleihenkaufprogramms liess 2016 die Kurse in die Höhe schnellen. Seitdem sind die “Spreads”, also die Renditeaufschläge von Firmenanleihen im Vergleich zu Staatsbonds, nahezu kontinuierlich gesunken. Die Marktteilnehmer gewöhnten sich schnell an die geldpolitische Unterstützung. Politische Ereignisse wie das Brexit-Referendum oder die Wahlen in den Niederlanden und Frankreich hatten kaum Einfluss auf die Renditeentwicklung. Noch Ende Januar 2018 notierten die Risikoaufschläge europäischer Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Rating bei 35 Basispunkten. Das markierte das niedrigste Niveau seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007. Seitdem beobachten Marktteilnehmer aber eine Trendumkehr: Die Spreads weiten sich wieder aus, zwischenzeitlich auf über 72 Basispunkte. Und erneut ist es die Notenbank, die diese Entwicklung massgeblich beeinflusst. Denn seit Jahresbeginn haben die Währungshüter das Ankaufvolumen von Anleihen auf monatlich 30 Milliarden Euro verringert.
Zurück zur Normalität
Zuletzt gab die Notenbank bekannt, die Kaufsumme im September 2018 erneut zu halbieren, bevor ab 2019 keine neuen Käufe mehr getätigt und lediglich Zinszahlungen und Fälligkeiten reinvestiert werden. Das Tapering, also die Rückführung der Anleihekäufe, ist in vollem Gange. Und so wie das Anleihenkaufprogramm in den letzten beiden Jahren zu einer Spreadeinengung führte, bewirkt dessen Ende nun genau das Gegenteil. Die Risikoprämien einzelner Papiere, die vor dem Beginn des Corporate Sector Purchase Programme (CSPP) emittiert wurden, werden heute bereits auf dem Niveau des Frühjahrs 2016 gehandelt. Auch Neuemissionen werden überwiegend zu Preisen platziert, wie sie zur Zeit vor dem Inkrafttreten des CSPP üblich waren.
Das bedeutet: Die politisch entstandenen Preisverzerrungen durch die Käufe der EZB sind aus den Kursen bereits weitgehend verschwunden. Die Anleihenmärkte haben offenbar erkannt, dass sich die EZB tatsächlich zurückzieht und damit eine wichtige Stütze auf Nachfrageseite entfallen wird. Zeit, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Das Laufen muss aber nicht abrupt gelernt werden.
Gut gewappnet
Natürlich bedeutet das schrittweise Auslaufen des Kaufprogramms Gegenwind für Unternehmensanleihen. Von einer restriktiven Geldpolitik sind die Märkte in Europa aber noch entfernt. Nach wie vor ist davon auszugehen, dass die Währungshüter ab Januar Zinszahlungen und Fälligkeiten mindestens in gleichem Umfang reinvestieren werden. Hierbei ist zu beachten, dass die Zentralbank im Zuge des Anleihenkaufprogramms deutlich mehr Staats- als Unternehmenspapiere gekauft hat. Das muss nicht so bleiben: Die EZB könnte die Anleihenkäufe stärker bei Staatsanleihen zurückdrehen und fällige Staatsobligationen in Unternehmensanleihen reinvestierten. Das wiederum würde sich positiv auf Corporate Bonds auswirken. Die Notenbank wird künftig also nicht mehr so stark marktstabilisierend wie zuletzt wirken, ein gewisser Einfluss bleibt aber mittelfristig durch die Wiederanlage bestehen.
Die Unternehmen selbst haben in den vergangenen Quartalen gut gewirtschaftet. Angesichts des weiterhin robusten Konjunkturumfelds muss nicht mit grossen Ausfällen gerechnet werden. Die Verschuldungssituation hat sich zuletzt sogar noch leicht verbessert. Gleichzeitig haben Unternehmen aufgrund des CSPP einige Emissionen nach vorne gezogen und die Fälligkeitsstruktur der begebenen Anleihen verlängert. Dadurch ist der Neuemissionsbedarf erst einmal gering.
Leichte Spreadausweitung erwartet
Am Rentenmarkt zeigt der langfristige Zinstrend zwar nach oben, allerdings dürfte der Renditeanstieg für den Rest des Jahres nur noch moderat ausfallen. Der EZB ist es gelungen, das Tapering kommunikativ so einzubetten, dass es möglichst marktschonend vollzogen werden kann. Entsprechend spiegelt sich das Ende des CSPP bereits in den aktuellen Renditeniveaus wider. Die Risikoaufschläge sollten sich nach der Konsolidierung im ersten Halbjahr 2018 deshalb für den Rest des Jahres nur noch leicht nach oben bewegen. Risiken entstehen vor allem dann, wenn es angesichts der schwelenden Handelsstreitigkeiten zu einer deutlichen Abkühlung der Konjunktur käme.
Zwar dürften andere Risikosegmente – allen voran Aktien – zuerst von einer solchen Eskalation betroffen sein. Mit Zeitverzug und in abgeschwächter Form würde aber auch der Kreditmarkt in Mitleidenschaft gezogen. Zudem könnte ein neuerliches Aufkommen der Regierungskrise in Italien die Märkte belasten. Aktuell ist für Corporate Bonds aber entscheidend, dass der Markt den Weg in die Selbstständigkeit meistert.