Auf die Geldpolitik kommt es an
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Jens Wilhelm, Vorstand Portfoliomanagement, Immobilien und Infrastruktur
Die Abhängigkeit des Kapitalmarkts von Zentralbankentscheidungen wächst. Konsequenterweise haben sie ihre Geldpolitik wieder gelockert. Dies sollte Aktien, Immobilien, aber auch Rohstoffe und ausgewählte Anleihensegmente weiter unterstützen.
In fast allen weltwirtschaftlich wichtigen Regionen dürfte das Wachstum zurückgehen. Wir rechnen in den USA noch mit einem Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts von 2,5 Prozent für 2019, im Folgejahr mit gerade einmal 1,6 Prozent. Das wird die Weltwirtschaft deutlich bremsen. Für die Eurozone erwarten wir ebenfalls eine Verlangsamung: Sowohl 2019 als auch 2020 dürfte das Wachstum nur um die Ein-Prozent-Marke liegen.
Handelsstreit weiter ungelöst
Bremseffekte gehen dabei weiter von den handelspolitischen Auseinandersetzungen zwischen den USA und China aus: Hinter dem Handelsstreit steht der hegemoniale Konflikt zwischen zwei Supermächten. Es geht um weit mehr als Zölle. Eine Eskalation ist nicht auszuschliessen. Diese Sorge schwebt bereits heute über vielen unternehmerischen Entscheidungen und belastet den Welthandel, der 2019 nur um 1,5 Prozent zulegen dürfte. Damit fällt ein wichtiger Wachstumsbeschleuniger für Exportnationen wie Deutschland und die Schweiz weg.
Zinssenkungen in USA und Euroraum zu erwarten
Bei den Zentralbanken hat daher bereits ein Umdenken eingesetzt. Leitzinsanhebungen sind für die kommenden zwei Jahre vom Tisch. Wir gehen vielmehr von baldigen Lockerungen aus. Die US-Notenbank Fed wird bis September die Zinsen um 50 Basispunkte senken. Auch von der Europäischen Zentralbank (EZB) sind Massnahmen zu erwarten: Der gesamte Zinskorridor dürfte spätestens im September um zehn Basispunkte gesenkt werden. Um die Auswirkungen der negativen Einlagenzinsen auf die Geschäftsbanken abzufedern, halten wir die Einführung von Freibeträgen nach dem Vorbild der Schweizerischen Nationalbank für angemessen – gefolgt von einer weiteren Leitzinssenkung im Dezember um 25 Basispunkte. Sollte das alles nicht reichen, ist auch die Wiederaufnahme der Anleihekäufe durch die EZB kein Tabu“.
Niedrigrenditeumfeld zementiert
Im Ergebnis ist für uns das Niedrigrenditeumfeld zementiert: Mit steigenden Zinsen ist auf mittlere Sicht nicht zu rechnen. Bei Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit liegt unsere Renditeprognose beispielsweise bei minus 0,4 Prozent zum Jahresende. Dieses Niveau dürfte sich bis zur Jahresmitte 2020 kaum verändern. Die Zinsen bleiben im tiefroten Bereich. Wir haben in der Eurozone de facto japanische Verhältnisse. Auch in den USA werden weiter sinkende Renditen erwartet, bei zehnjährigen US-Staatsanleihen etwa bis auf 1,9 Prozent Ende 2019.
Staatspapiere sicherer Schuldner versprechen demnach mittelfristig keine grossen Gewinne mehr, sollten die Renditen kurzfristig nicht noch stärker sinken. Ausgewählte Papiere aus der europäischen Peripherie stufen wir hingegen als interessant ein. Wir raten aber zur Vorsicht bei der Emittentenauswahl und favorisieren griechische und spanische Staatsanleihen. In beiden Ländern sinkt die Staatsverschuldung. Auf italienischen Anleihen lastet dagegen die Stagnation der italienischen Wirtschaft. Mehr Potenzial sehen wir ausserdem bei europäischen Unternehmensanleihen guter Bonität oder aber ausserhalb der Währungsunion. Unser Fazit: Papiere aus den Schwellenländern und Unternehmensanleihen der entwickelten Volkswirtschaften ausserhalb Europas sind attraktiv, gerade für langfristig orientierte Anleger.
Aktien, Rohstoffe und Immobilien bleiben attraktiv
Aktien bleiben im Niedrigrenditeumfeld ein wichtiger Anlagebaustein, vor allem im Vergleich zu anderen Anlageklassen: Das Kurspotenzial ist aber mittlerweile begrenzt. Eine schwächelnde Konjunktur und höhere Löhne in Kombination mit den kostensteigernden Auswirkungen von Handelshemmnissen sind Gift für die Margen der Unternehmen. Die Gewinne werden nur noch begrenzt wachsen. Damit wird die Bewertung die Schlüsselfrage bei Aktien. Eine leichte Ausweitung des Kurs-Gewinn-Verhältnisses in Verbindung mit niedrigen Gewinnsteigerungen sollte Aktien noch einen moderaten Aufwärtstrieb geben. Es kommt mehr denn je auf die Auswahl der richtigen Märkte und Einzeltitel an.
Regional bevorzugen wir defensive Märkte wie die USA. Europäische Aktien dürften aufgrund politischer Unsicherheit – Stichworte Italien und Brexit – vor allem von Investoren aus Übersee gemieden werden. In Verbindung mit der lahmenden Konjunktur schränkt das die Möglichkeit für Kurssteigerungen spürbar ein. Für attraktiv halten wir hingegen Rohstoffe und Immobilien. Niedrige Zinsen und ein spätes Konjunkturstadium sind traditionell gute Nachrichten für diese Anlageklassen.
Zentralbanken entscheiden über zweites Halbjahr
In den vergangenen Monaten haben sich eine Reihe von Hoffnungen nicht erfüllt: Die Weltwirtschaft ist nicht auf einen selbsttragenden Aufschwung eingeschwenkt, der Handelsstreit hat sich nicht beruhigt und der geldpolitische Ausnahmezustand wurde nicht beendet. Die positive Marktentwicklung ist daher vor allem auf die entschlossene Reaktion der Zentralbanken zurückzuführen. Hier sehen wir auch den entscheidenden Markttreiber für das zweite Halbjahr: Die Notenbanken haben klar signalisiert, dass ihr Fokus auf dem Wachstum und weniger auf der Inflation liegt. Das ist mittlerweile am Kapitalmarkt eingepreist und hat chancenorientierten Anlagen und sicheren Staatsanleihen sehr geholfen. Kommen die Währungshüter dieser Erwartungshaltung nach und bricht die Konjunktur nicht ein, werden zumindest die Aktienkurse weiter gestützt. Im Falle einer Enttäuschung besteht aber Rückschlagpotenzial. Angesichts des geringen Inflationsdrucks sind wir aber zuversichtlich, dass die eingepreisten Zinsschritte auch tatsächlich durchgeführt werden. Dann kann es trotz der vielfältigen Herausforderungen aus Anlegersicht durchaus ein erfolgreiches zweites Börsenhalbjahr werden.