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payoff Opinion Leaders

Der Volatilitätsvirus

26.02.2018 4 Min.
  • Eric Lonergan, Fondsmanager Multi-Asset-Management

In den letzten 25 Jahren gab nur drei Phasen, in denen sich der S&P 500 in solch einer kurzen Zeit derart schnell bewegt hat. Die Einbrüche gingen mit Asienkrise, Technologieblase und globaler Finanzkrise einher. Der Flash Crash hebt sich hier ab.

Wenn ich von Kunden gefragt werde, wo aktuell die grösste Blase zu finden ist, weise ich normalerweise auf die „Volatilität“ hin. Nicht niedrige Volatilität oder hohe Volatilität, sondern Volatilität an sich. Die Analyse des Value at Risk (VaR), auf Volatilität basierende Messungen des aktiven Risikos, Volatilitätsziele, Risikoparität – diese Modeerscheinungen haben das kollektive Bewusstsein entführt.

Von Volatilität besessen
Auf Volatilität basierende Strukturen sind heute allgegenwärtig. Das Portfoliorisiko wird anhand von VaR-Modellen gemessen. Damit soll versucht werden, die Volatilität eines Portfolios zu erfassen und, je nach Annahme über Korrelationen und Renditeverteilungen, wahrscheinliche Verluste mit unterschiedlichen statistischen Konfidenzniveaus zu bestimmen. Überall werden Anleger dazu aufgefordert ihr „Risikoprofil“ festzulegen. Dies führt zu einer Konstruktion von Portfolios mit vorgegebenen Volatilitätszielen – die risikoaversen Älteren sollen in weniger volatile Fonds anlegen, die risikobereiten, jungen Anlageprofis werden dazu angeregt, sich weiter oben im Volatilitätsspektrum zu orientieren.

Jeder Bereich der professionellen Investmentbranche weltweit ist von Volatilität besessen. Risikomanager gründen ihre Prozesse auf Volatilität, institutionelle Anleger verlangen Volatilitätsziele, Privatsektor und Aufsichtsbehörden nutzen Volatilität als Linse, durch die alles erfasst wird. Die Gründe dafür sind nachvollziehbar. Volatilität – gemessen als Standardabweichung des Kurses eines Wertpapiers – ist einfach zu messen. Und die Messbarkeit ist der Heilige Gral. Wenn man messen kann, kann man berechnen.

Allerdings gibt es drei signifikante Probleme:

1. Anlegerverhalten weist zunehmende Korrelation auf
Das erste Problem wird üblicherweise gar nicht erkannt: Das Verhalten der Anleger weist eine zunehmende Korrelation auf. So wird es im Fachjargon ausgedrückt, und es bedeutet, dass sich immer mehr Menschen auf exakt die gleiche Weise verhalten. Die Korrelation von Überzeugungen und Verhalten ist eine der triftigsten Erklärungen dafür, aus welchem Grund sich Asset-Preise häufig sehr viel stärker bewegen als es Veränderungen der zugrundeliegenden fundamentalen Informationen rechtfertigen würden.

Die Anschauung ist relativ einfach. Wenn Anleger verschieden sind, unterschiedliche Ziele, Präferenzen und Überzeugungen mit Blick auf die Zukunft haben, gibt es eine höhere Wahrscheinlichkeit für einen geordneten Handel – Käufer finden leicht Verkäufer und umgekehrt. Wenn das Verhalten allerdings korreliert und jeder versucht, sich in eine Richtung zu bewegen, dann sind starke Kursbewegungen notwendig, damit der Markt dies ausgleichen kann. Korreliertes Verhalten verstärkt Kursbewegungen.

2. Unmenge von Daten sind Rezept für Pseudowissenschaft
Die Technologie spielt bei der Übertragung des Virus eine wichtige Rolle. Technologie schafft einen Anreiz für das Quantifizieren. Das ist die grundsätzliche Wirkung einer statistischen, preisbasierten Risikomessung. Wir verfügen über Unmengen an Daten, wir können alle Portfolios vergleichen und uns einer grenzenlosen Rechenleistung bedienen. Es ist also keine Überraschung, dass sich der Volatilitätsvirus auf alle Bereiche der Anlagemärkte ausgebreitet hat und mittlerweile ein globales Phänomen ist. Technologie verstärkt unsere Verdrahtung: wir können kopieren und uns mit allen anderen vergleichen. Die größten Statistiker im Finanzwesen betonen, wie wenig wir tatsächlich wissen. Statistiker im Finanzwesen sollten überaus bescheiden sein.

3. Volatilität ist nicht gleich Risiko
Drittens: Volatilität ist nicht Risiko. Volatilität misst kurzfristige Wertschwankungen, aber langfristig ist das einzig wahre Risiko letztendlich das Risiko eines dauerhaften Kapitalverlusts. Volatilität ist meistens ein schlechter Indikator für einen dauerhaften Kapitalverlust und damit auch ein schlechtes Risikomass.

Die Bestimmung der Volatilität anhand von täglichen Kursen und Untersuchungszeiträumen von drei Monaten – die Grundlage für den bekannten VIX Index – sollte abgesehen von einem Leveraged VIX Trader gewiss niemandem als Risikomass dienen. Anleger sollten keinen täglichen Anlagehorizont haben, und drei Monate sind für jemanden mit einem Anlagehorizont von drei bis fünf Jahren ein fadenscheiniger Untersuchungszeitraum. Die meisten Anleger sollten in Dimensionen von mindestens Fünfjahreszeiträumen denken, wenn nicht sogar von Jahrzehnten. Risiko, fundamental betrachtet, ist keine Zahl – oder zumindest nicht ausschliesslich eine Zahl.

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