Handelsstreit: Es geht um mehr als Handel
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Dr. Jörg Zeuner, Chefökonom und Leiter Research & Investment Strategy
Die Kapitalmärkte werden durch den Handelsstreit zwischen den USA und China in Atem gehalten. Trotz gewisser Entspannungssignale ist eine Lösung unwahrscheinlich. Darüber hinaus könnte es für Europa ungemütlich werden.
Schon seit eineinhalb Jahren überziehen sich die USA und China gegenseitig mit Zöllen. Dabei dreht sich die Eskalationsspirale immer schneller. Seit dem 1. September gelten neue US-Zölle auf chinesische Importe. Schon Ende des Jahres könnten alle Einfuhren aus dem Reich der Mitte – in Summe 550 Milliarden US-Dollar – mit Zöllen von bis zu 30 Prozent belegt sein.
Zuletzt sendeten die Kontrahenten Entspannungssignale: China setzte Mitte September die Zölle auf einige landwirtschaftliche Erzeugnisse aus den USA aus, darunter Schweinefleisch und Sojabohnen. Kurz zuvor verschob US-Präsident Donald Trump die eigentlich für Anfang Oktober angekündigte Anhebung der Strafzölle auf Importe aus China um zwei Wochen. Auch könnte es in den nächsten Wochen zu einem Handelsabkommen zwischen den USA und Japan kommen: Man befände sich in finalen Abstimmungsrunden, informierte Trump den Kongress.
Auswirkungen auf Realwirtschaft
Entspannung hin oder her – schon jetzt wirkt sich der Handelsstreit deutlich sichtbar auf die Realwirtschaft aus: In diesem Jahr dürfte der Welthandel bestenfalls noch um 1,5 Prozent wachsen, nach rund 3,5 Prozent im vergangenen Jahr. Die Schwäche im Welthandel trifft die weltweit am stärksten vernetzten Nationen wie China und Deutschland am härtesten. Die Wachstumsabschwächung im Reich der Mitte und die globale Industrierezession sind die Folgen. Es sollte kaum verwundern, dass ein Projekt wie die Liberalisierung des Welthandels nach weltweit hohen Wohlfahrtsgewinnen, bei Rückschritten das Gegenteil zur Folge hat. Leider fallen auch diesmal die Gewinne und Verluste nicht dort an, wo sie verursacht werden. Die Wirtschaftspolitik ist gefordert.
Während China schon einige Zeit leidet, behaupten sich die USA als binnenorientierte Volkswirtschaft bislang gut. Aber die Diskussion um den weiteren Verlauf der schwächelnden US-Konjunktur zeigt, dass Zölle eben nicht bloss komplizierte Technik und ansonsten ein willkommenes Instrument der Geopolitik sind. Werden die US-Zölle in den kommenden Monaten auf die gesamten Einfuhren aus China ausgeweitet, dürfte der US-Konsument das deutlich zu spüren bekommen. Dann wären auch Mobiltelefone, Laptops und Spielekonsolen, die aus China eingeführt werden, von den Strafzöllen betroffen.
Kein Durchbruch in Sicht
Die Unsicherheit über den weiteren Fortgang des Konflikts wiegt schwer. Firmenchefs halten sich aufgrund der unklaren Lage mit Investitionen zurück. Die Auftragsbücher der Industrie leeren sich. Diese Unsicherheit ist umso schädlicher, je länger sie anhält. Der Schaden entsteht daher auch in Europa, zumal seit mehr als einem Jahr das Damoklesschwert der Autozölle über der europäischen und vor allem über der deutschen Wirtschaft schwebt.
Es gibt viel, was gegen einen Durchbruch bei den anstehenden Gesprächen im Oktober zwischen den USA und China spricht. Einer der wichtigsten Gründe: Es geht um mehr als Handel. Es geht um die Durchsetzung politischer und militärischer Interessen, um sicherheitsrelevante Fragestellungen und auch um technologische Einflusssphären, vor allem in Asien. Zudem steht der US-Wahlkampf an. Gut möglich, dass Präsident Trump mit einem harten Vorgehen gegen China bei potenziellen Wählern punkten möchte. China dürfte auf der anderen Seite kein Interesse an Zugeständnissen haben, die Trump dann in einem guten Licht erscheinen lassen würden.
Die Unsicherheit für die europäischen Unternehmen wird bleiben, wenn die globalen Herausforderungen auf europäischer Ebene wirtschaftspolitisch unbeantwortet bleiben. Die Mitgliedsländer der EU haben es selbst in der Hand, ihr Wachstumspotenzial zu erhöhen. Das beginnt mit deutlich höheren staatlichen Nettoausgaben für die Modernisierung ihrer Wirtschaft. Die neue europäische Kommission muss modernere, einheitliche Rahmenbedingungen anstreben, Standards vorgeben, zum Beispiel wenn mehr Investitionen in die Elektromobilität fliessen sollen. Schliesslich müssen die Euroländer sich zu einem Regime durchringen, dass die Währungsunion strukturell stärkt. Die Zeit dafür ist jetzt da: Die Eurozone weist den niedrigsten Schuldenstand im Vergleich zu den USA und Japan auf. Und Negativzinsen haben nur dann etwas Gutes, wenn investiert wird.