«Meinung getarnt als Wissen»
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Steven Andrew, Asset-Allocation-Stratege
Anleger sollten sich vor emotionalen Reaktionen auf die Äusserungen von US-präsident Donald Trump in Acht nehmen.
Die Nachrichten verdeutlichten die starken emotionalen Reaktionen, die von der heutigen Politik und vor allem von Donald Trump hervorgerufen werden. Insofern ist es kein Zufall, dass entsprechend der derzeitigen Empfindung der Anleger Erträge und Kursverhalten im kommenden Jahr von den Handlungen von Präsident Trump bestimmt werden. Das ist jedoch höchst wahrscheinlich falsch.
Grosser Aufwand wird betrieben, um die Ernennungen im Ministerrat zu analysieren, über Mitteilungen aus dem Weissen Haus zu neuen politischen Initiativen zu grübeln, die Wahl anfänglicher Verfügungen des Präsidenten zu überprüfen und zu versuchen, provokative präsidiale Tweets zu interpretieren, um wenigstens zu irgendeiner Einschätzung darüber zu gelangen, welcher Art von Regierung Donald Trump vorstehen wird. Aus politischer und sozialer Perspektive sind das faszinierende Themen, die sondiert werden und über die diskutiert werden kann. Zu den Entwicklungen der letzten Monate gibt es viele Aspekte, die beleuchten können, was es heisst, US-Staatsbürger in der heutigen Gesellschaft zu sein. Rein aus Anlagesicht ist jedoch weniger klar, was eine weitere Analyse über Trump, abgesehen von einer verfrüht gebildeten Meinung, die auf gefährliche Weise als Wissen getarnt ist, noch ergeben kann.
Lediglich eine Ablenkung
Wir sollten mit Trump wahrscheinlich genauso verfahren, wie mit anderen politischen Entscheidungsträgern weltweit, nämlich die Richtung und das Ausmass der tatsächlichen politischen Entscheidungen bewerten, wenn sie aufkommen, ohne uns zu sehr in Spekulationen zu verlieren. Das bedeutet keinesfalls, dass die Wahl bedeutungslos war. Die Tatsache, dass die US-Wähler einen politischen Schritt nach rechts gemacht haben und nun alle Regierungsbereiche in den Händen der Republikaner sind, hat eine wesentlich grössere Bedeutung für die Finanzmärkte als die Tatsache, dass Donald Trump Präsident ist. Eine deregulierende republikanische Regierung dürfte das allgemeine strukturelle Umfeld für steigende Unternehmenserträge in den USA eher beflügeln als eine restriktivere demokratische Regierung.
Wenn es also darum geht, zu einer „Einschätzung“ über diese Dinge zu gelangen, sollten wir anerkennen, dass aufgrund der wirklichen Komplexität und inhärenten Unvorhersehbarkeit der US- und Weltwirtschaft – und deren Zusammenspiel mit zukünftigen Anlageerträgen – jegliche Bemühungen, diese Komplexität zu pauschalisieren und in verdauliche Aussagen oder Tweets herunterzubrechen, absolute Zeitverschwendung sind. Es ist lediglich eine unterhaltsame oder deprimierende Ablenkung – je nach Standpunkt.
Die Gefahren von Daten: Bruttoinlandsprodukt
Dieses Gefüge oder System ist auch an anderen Stellen ersichtlich, vor allem bei unserer Fokussierung auf Konjunkturdaten. Statistische Daten und harte Fakten liefern zwar nur selten so umfangreiches Material für gute Geschichten oder Empörung wie es vom neuen Präsidenten kommt, aber der Wunsch nach einem Blick in die Zukunft treibt uns an, permanent neue Informationen oder – noch besser – eine Prognose von einem Experten zu suchen.
Und all das trotz der Tatsache, dass wir „wissen“, dass es unmöglich ist, in brauchbarem Ausmass Kenntnis über die Zukunft haben. Ausserdem „wissen“ wir auch, dass, selbst wenn wir Kenntnis über zukünftige Fakten hätten, unsere Fähigkeit, diese auf Kursbewegungen zu übertragen, in den meisten Fällten sehr gering oder nicht existent wäre.
Eine kurze Analyse von BIP-Daten liefert ein interessantes Beispiel. Die Mitteilung vom Freitag, dass das BIP der USA im 4. Quartal eine Wachstumsrate von 1,9% aufwies, war eine „Enttäuschung“, lag es doch ganze 0,3%-Punkte (!) niedriger als die Konsensprognosen. Schnell kamen Kommentatoren mit Erklärungsversuchen für diese Tatsache und stellten eine Verbindung zu den Bewegungen bei Vermögenswertpreisen her.
Ein solch intensiver Fokus auf individuelle Datenpunkte ist schwer nachzuvollziehen. Häufig müssen hier (und bei vielen anderen Datenreihen) Revisionen durchgeführt werden und wir können deshalb nicht einmal sicher sein, dass das Vorzeichen korrekt ist. Seit dem Jahr 2000 veränderten sich die Zahlen des BIP-Wachstums in den USA zwischen der ursprünglichen und finalen Veröffentlichung durchschnittlich um 1,1%-Punkte. Der Beginn und die Schwere des Abschwungs 2008 wurden bei den ursprünglichen Veröffentlichungen nicht erfasst.
Selbst wenn man Kenntnis über die finalen Zahlen hätte, ist unklar, wie informativ dieses Wissen wäre. Die Methoden zur Datenerfassung konnten mit den Veränderungen der Wirtschaft nicht mithalten, was zu erheblichen Problemen durch Fehlmessungen beim BIP führte und daraus einen mangelhaften Indikator des wirtschaftlichen Fortschritts macht. Trotzdem gleitet das Augenmerk von Datenpunkt zu Datenpunkt, um diese zu analysieren und zu erklären, damit sie zu einer bestimmten Geschichte passen.
Fazit: Die Welt beschreiben
Permanent lassen Menschen Pauschalisierungen und Emotionen ihre Entscheidungen beeinflussen. Zum Zeitpunkt des Nennwerts nehmen wir die Äusserungen von politischen Entscheidungsträgern und von Expertenanalysen und missbrauchen sie für unsere eigenen Ziele – normalerweise, um eine bereits gebildete Meinung oder eine bereits getroffene Entscheidung zu rechtfertigen.
Zwar mussten sich Anleger schon immer damit auseinandersetzen. Aber es werden viele Nachrichten heutzutage zunehmend so formuliert, dass sie emotionale und voreingenommene Reaktionen hervorbringen. Auch heute scheint es solche Einflüsse zu geben: Werden Experten, die eine persönliche Abneigung gegen Trump haben, mit einer grösseren Wahrscheinlichkeit die negativen Auswirkungen seiner Politik betonen? Würden Sie eher zuhören, wenn das der Fall wäre? Denken Sie mehr über die Politik von Trump nach als über die von Xi Jinping oder Vladimir Putin, weil sich Ihre Nachrichten vorrangig damit beschäftigen?
Letztendlich müssen wir uns von nutzlosen Emotionen distanzieren. Lässt man all die störenden Einflüsse ausser Acht, gab es in den letzten Monaten unserer Auffassung nach mehrere entscheidende Entwicklungen, auf die wir uns weiterhin konzentrieren sollten.
1 Das klare Bild von Anleihenkursen (nach oben) und Wirtschaftserwartungen (nach unten: egal ob Erträge, BIP, Inflation oder Zinsen) hat sich gedreht: Zukünftig ist das starke Vertrauen in das Wesen von Anleihen, das die Volatilität abschwächt, nicht mehr vorhanden, ebenso wenig wie allseits verwendete Alliterationen wie „secular stagnation“ und „lower for longer“, mit denen Ansichten über die Zukunft beschrieben werden.
2 Entsprechend der Berichtslage wird die Wirtschaftstätigkeit (einschliesslich dem Wachstum der Unternehmenserträge) in vielen Regionen der Welt entweder fortgesetzt oder die Expansion, die im Grossen und Ganzen ohnehin seit einiger Zeit im Gange war, hält weiter an. Allerdings wollen die Märkte das jedoch nur gelegentlich wahrnehmen.
Vor dem Hintergrund dieses Umfeldes müssen sich Anleger darauf fokussieren, sich in solchen Bereichen zu engagieren, die für sich genommen attraktiv bewertet sind, also solche, die für die Risiken der Trump-Politik und für sonstige Risiken eine Entschädigung bieten. Auch sollten wir nicht zu sehr auf den Fortbestand historischer Korrelationsmuster und traditionell sicherer Häfen vertrauen. Und zu guter Letzt sollten wir die Chancen ergreifen, die uns durch die Marktvolatilität geboten werden, ob sie nun Trump bezogen sind oder nicht.
Allgemein betrachtet liegt unser Fehler nicht in dem Versuch, Trump, BIP-Daten oder das Verhalten der Finanzmärkte zu verstehen oder zu analysieren, sondern darin, dass wir der Signifikanz unserer Schlussfolgerungen aufgrund solcher Analysen zu viel Gewicht verleihen und dabei die Idee von „Wissen“ oder „Gewissheit“ kultivieren, obwohl dies nur selten der Fall ist.