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Warum die Unabhängigkeit der Zentralbank ein Fall für die Geschichtsbücher wird

20.09.2019 6 Min.
  • Nikolaj Schmidt, Internationaler Chefökonom

Nach einem Jahrzehnt ausserordentlicher geldpolitischer Anreize war es allzu voraussehbar, dass US-Präsident Donald Trump beim ersten Anzeichen eines monetären Gegenwinds die US-Notenbank ins Visier nehmen würde.

«Deutschland verkauft 30-jährige Anleihen mit negativen Renditen», tweetete Trump am 22. August, «Deutschland steht im Wettbewerb mit den USA. Aber unsere Federal Reserve erlaubt es uns nicht, das zu tun, was wir tun müssen. Sie benachteiligt uns gegenüber unseren Wettbewerbern.» Zuvor hatte Trump den Fed-Vorsitzenden Jerome Powell beschuldigt, «hilflos» zu sein und einen «gravierenden Mangel an Visionen» zu offenbaren.

Die Kommentare von Präsident Trump weckten Befürchtungen, dass der Status der US-Notenbank als unabhängige Zentralbank gefährdet ist. Es ist jedoch eine Tatsache, dass die Fed trotz der Billionen von Dollar an monetären Impulsen ihr Inflationsziel von 2% nicht erreicht hat. Weltweit haben es Zentralbanken versäumt, ihre Mandate zu erfüllen und stehen ebenfalls unter dem Druck frustrierter Politiker. Geht damit die Ära der unabhängigen Zentralbank zu Ende?

Ein neues Zeitalter

Die Vorstellung, dass moderne Volkswirtschaften unabhängige Zentralbanken benötigen, ist relativ neu. Sie entstand in den 1970er und 1980er Jahren aus der Arbeit von Ökonomen, die sich für die Denkschule «Rationale Erwartungen» einsetzen, insbesondere Finn Kydland und Edward Prescott, die für ihre Arbeit gemeinsam den Nobelpreis 2004 erhielten. Eine ihrer wichtigsten Argumente war, dass die Geldpolitik, wenn sie in den Händen der Politiker bleibt, zu einer Geisel des Wahlzyklus wird, weil die amtierenden Regierungen immer versuchen würden, die Wirtschaftstätigkeit anzuregen, um wiedergewählt zu werden. Als Nebeneffekt würde die Inflation steigen.

Da rationale Bürger jedoch das Verhalten ihrer Regierung vorwegnehmen, steigen die Inflationserwartungen und die Politiker müssen noch mehr Geld in die Wirtschaft pumpen, um den gleichen Wachstumsschub zu erhalten. Folglich argumentierten Kydland und Prescott, dass die Geldpolitik an ein unabhängiges Institut delegiert werden sollte, um die Inflation unter Kontrolle zu halten.

«Es ist eine Tatsache, dass die Fed trotz der Billionen von Dollar an monetären Impulsen ihr Inflationsziel von 2% nicht erreicht hat»

Den meisten modernen «unabhängigen» Zentralbanken ist es verboten, ihre Regierungen direkt zu finanzieren. Theoretisch zumindest schafft dies eine klare Trennlinie zwischen Fiskal- und Geldpolitik: Die Zentralbank kann der Regierung Haushaltsdisziplin aufzwingen, gerade weil sie sie nicht finanziert. Typischerweise erhält die Zentralbank ein enges konkretes Mandat wie etwa ein Inflationsziel, für das sie gegenüber der Öffentlichkeit einsteht.

Die Unabhängigkeit wird weiter gefestigt, indem den Zentralbank-Gouverneuren festgeschriebene Amtszeiten eingeräumt werden, die von der Regierung nicht gekündigt werden können. Diese Kombination aus Arbeitsplatzsicherheit, Rechenschaftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit und einem klar definierten Mandat ist beabsichtigt. Denn sie stellt sicher, dass der Notenbankchef Entscheidungen treffen kann, die der Zentralbank dienen – auch wenn sie bei der Regierung nicht beliebt sind.

Populistische Politiker stellen die Mandate der Zentralbanken in Frage.

So viel zur Theorie. Tatsächlich ist die Unabhängigkeit der Zentralbanken bisweilen übertrieben. In den USA ernennt der Präsident die Gouverneure des Federal Reserve Board – und der Kongress verabschiedet Gesetze, die die Befugnisse der Zentralbank betreffen. In Europa wurde die Europäische Zentralbank (EZB) stark in die Krise der Eurozone eingebunden, wie EZB-Präsident Mario Draghi 2012 zugab, als er sagte, dass die EZB «alles tun werde, was nötig ist», um die Stabilität der Eurozone zu gewährleisten. Dennoch gibt es einen klaren Unterschied zwischen einer Zentralbank, die von der Regierung beeinflusst wird und einer solchen, die von Politikern kontrolliert wird.

Dabei bleibt abzuwarten, wie lange die Politiker auf Distanz gehalten werden können. Eine Welt mit niedrigem Wachstum, sinkender Inflation und dauerhaft niedrigen Zinsen hat dazu beigetragen, den Anstieg des Populismus anzuheizen – was die Rolle der Zentralbanken erneut in den Fokus rückte.

Die Unabhängigkeit der Notenbanken wird nicht nur von Rechtspopulisten wie Präsident Trump in Frage gestellt. Auch die progressive Linke hat Vorstellungen, die nicht viel Raum für wirklich unabhängige Zentralbanken lassen. Ein Beispiel ist die moderne Geldtheorie (MMT), die von vielen linken Populisten unterstützt wird. Sie besagt, dass die institutionellen Beschränkungen, die eine Zentralbank daran hindern, ihrer Regierung direkte Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, eine unbrauchbare rechtliche Hürde sind, die abgebaut werden sollte.

Ihre Anhänger sind der Ansicht, dass die Geldpolitik so anpassungsfähig wie möglich gestaltet werden sollte. Zudem sollte die Fiskalpolitik genutzt werden, um sicherzustellen, dass die Wirtschaft ihr Potenzial ausschöpft – ein Potenzial, das sie am häufigsten als Vollbeschäftigung definiert hat, wobei die Inflationsrate nur zweitrangig berücksichtigt wird.

Warum Zentralbanken anfällig sind

In den USA ist die Unabhängigkeit der U.S. Federal Reserve derzeit durch institutionelle Restriktionen geschützt. Es wird für jeden amtierenden Präsidenten Zeit brauchen, den Kongress davon zu überzeugen, das Mandat der Zentralbank zu ändern. Die institutionellen Restriktionen werden jedoch mit der Zeit schwächer. Zum jetzigen Zeitpunkt scheint es wahrscheinlich, dass die Regierung, die das Weisse Haus nach den Wahlen 2020 besetzt, ob links oder rechts, eine wirtschaftliche Agenda haben wird, die auf den ersten Blick von einer wohlwollenden Zentralbank profitieren wird. Wenn die Unterstützung der Bevölkerung Politiker begünstigt, die die Unabhängigkeit der Zentralbank missachten, scheint es wahrscheinlich, dass sich auch die Sichtweise des Kongresses auf die Unabhängigkeit der Zentralbank ändern wird. Schliesslich ist der Kongress nichts anderes als die Vertreter des Volkes.

Die Zentralbanken sind aus drei wesentlichen Gründen nicht gut positioniert, um diesen Angriffen standzuhalten. Erstens trug ihre Ausrichtung der Geldpolitik dazu bei, die Ungleichgewichte zu erleichtern, die zur globalen Finanzkrise geführt haben. Zweitens haben die Zentralbanken seit Jahren ihre Inflationsziele nicht erreicht. Und drittens haben die Ereignisse des letzten Jahrzehnts die Annahme in Frage gestellt, dass die Monetarisierung der öffentlichen Defizite zu übermässiger Inflation führt. Kurz gesagt, die Zentralbanken haben an Glaubwürdigkeit bei politischen Entscheidungsträgern und der breiten Öffentlichkeit verloren. Darüber hinaus sind die Zentralbanken Opfer ihres eigenen Erfolgs: Die meisten haben die schmerzhaften Lehren aus den Tagen der galoppierenden Inflation, gefolgt von Desinflation in den 1970er und frühen 1980er Jahren längst vergessen.

Da die Unabhängigkeit der Zentralbank offensichtlich gefährdet ist, liegt die Frage auf der Hand: Wie wichtig ist es, dass sie unabhängig sind? Unserer Meinung nach ist die Wahrung der wesentlichen Leitlinien einer unabhängigen Notenbank für die Entwicklung der Wirtschaft und der Finanzmärkte elementar. Geringfügige Verletzungen hingegen sind wahrscheinlich weniger bedeutend. Die Grenze zwischen kleinen und grossen Übertretungen ist jedoch unscharf. Um eine allmähliche Verschlechterung der Unabhängigkeit zu vermeiden, werden gute Zentralbanker daher erklären, dass jede geringfügige Verletzung der Unabhängigkeit erhebliche Auswirkungen nach sich ziehen kann.

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