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payoff Focus

Demografie: In den Wandel investieren

02.09.2020 12 Min.
  • Martin Raab

Generationenwechsel und steigende Lebens- erwartung führen zu einer Reform unserer Lebensmodelle. In der Wirtschaft entwickeln sich neue Geschäftsmodelle und Adaptionen der neuen Realitäten. Für Anleger ergeben sich jetzt lukrative Möglichkeiten.

Nidwalden und Obwalden sind, neben dem Kanton Schwyz, nicht nur bei Lebensqualität und Steuereffizienz national mit weitem Abstand seit Jahren führend. Auch die Lebenserwartung ist in den beiden «Schwesterkantonen» am Vierwaldstätter See schweizweit eine der höchsten: Für die Geburtsjahre 2018 berechnet das Bundesamt für Statistik dort aktuell 86.3 Jahre für Damen – das ist Rekord. Herren werden mit 83 Jahren im Kanton Zug am ältesten. Das sind um Welten mehr als noch vor 100 Jahren. In der Schweiz betrug für das Geburtsjahr 1917 die durchschnittliche Lebenserwartung 43 Jahre, für Frauen 47 Jahre. Unvorstellbar in der heutigen Gesellschaft und für unsere Lebensmodelle. Durch die erheblich längere Lebenserwartung der «über 70-jährigen» hat sich ein gänzlich neues Gesellschaftssegment entwickelt: die «Silver Society». Nicht weniger erstaunlich ist die Entwicklung bei den privaten Vermögen. Kurz nach Fall des «Eisernen Vorhangs» im Jahr 1991 belief sich das Vermögen eines Steuerpflichtigen auf einen Mittelwert von CHF 141’000. Im Jahr 2013 kletterte dieser Betrag bereits massiv – nämlich auf CHF 323’700. Derzeit liegen die Schätzungen bei CHF 400’000 Vermögen pro Steuerpflichtigen. Abgeleitet von ESTV-Daten haben wir derzeit rund 190’000 Millionäre in der Schweiz und circa 15’000 Ultra-Hochvermögende (mehr als CHF 10 Millionen Reinvermögen). Nota bene: Die 10% Topverdiener bezahlen gut zwei Drittel der Einnahmen der direkten Bundessteuer.

Kaufkraftstarke Generationen

Auch die durchschnittlichen Haushaltseinkommen pro Monat sind auf vergleichsweise paradiesischen Levels angekommen. Im Jahr 2006 betrug es noch CHF 6’600 Franken, in 2017 erreichte es CHF 7’300 Franken. Parallel hat die Generation der 25-40 jährigen Personen (auch als Angehörige der Generation Y bezeichnet) gegenwärtig so viel Einkommen wie niemand in ihrer Altersklasse vor ihr. Einzig die Bodenpreisinflation der letzten 20 Jahre hat es defacto vereitelt, dass Wohneigentum für die Mehrheit bezahlbar ist. Die Generation Y gilt als gut ausgebildet, technologieaffin und beruflich mobil. Ferner finden sich bei ihr grosse Zustimmungswerte bei den Stichworten Work-Life-Balance und Nachhaltigkeit. Auch in den westlichen Industrieländern, allen voran den USA, Deutschland und Grossbritan-nien, ist die Gen Y («Millenials») entsprechend finanziell gut aufgestellt. Einzig in Amerika werden die statistisch hohen Arbeitseinkommen dieser Generation durch hohe Studiumsschulden gedrückt.

«Die Milliarden-Summen des Generationenwechsel sind ein Lockruf für diverse Industrie- Sektoren.»

CHF 95 Milliarden Erbschaften dieses Jahr

Als die «Generation X» werden zwischen 1965 und 1980 Geborene bezeichnet. Dort hat sich seit ein paar Jahren der Untertitel «Erbengeneration» eingeschlichen. Vererbt – natürlich auch zu Lebenszeiten – wird von der sogenannten «Baby Boomer»-Generation. Als solche werden die Jahrgänge 1946 bis 1964 bezeichnet. Dieses Segment besitzt global gesehen die jeweils grössten, akkumulierten Vermögen. So erben allein Schweizerinnen und Schweizer (mehrheitlich der Gen X angehörend) dieses Jahr nach Zahlen der SRF Tagesschau rund CHF 95 Milliarden – fünf Mal mehr als noch vor 30 Jahren. In Deutschland werden in den nächsten Jahren geschätzte EUR 2.6 Billionen von der Vorgänger-Generation auf die Generation X und Generation Y übertragen werden. In den USA gehen die Schätzungen der Deutschen Bank für die nächsten 30 Jahre von Summen zwischen USD 12 bis 30 Billionen aus. Diese schwindelerregenden Summen sind ein Lockruf für diverse Industriesektoren.
Die jüngste Generation wird dem Buchstaben Z zugeordnet. Die Jahrgänge zwischen 2000 und 2015 der Generation Z sind in die heute gängigen Technologien rund um Internet, Smartphones und Social Media mehr oder weniger «hineingeboren». Entsprechend im Nachfrage-Fokus dieser Generation sind Technologie, innovationslastige Güter und Dienstleistungen. Parallel erhält diese Generation im historischen Vergleich in der Schweiz mit geschätzten CHF 200/Monat und Deutschland (ca. CHF 120/Monat) die höchsten finanziellen Zuwendungen, primär durch die Familie. Im Vergleich: In Italien oder Polen wird laut einer Studie der Bankengruppe ING regelmässiges Sackgeld nur in 22% bzw. 23% der Fälle an die Generation Z von Angehörigen bezahlt.

«2’000 Dollar Ausgaben jährlich nur für Coffee-Shop-Besuche wäre vor 30 Jahren das Ticket ins Irrenhaus gewesen.»

Ähnliche Verhaltsmuster bei Gen Z und Y

Die Verhaltens- und Konsummuster der Generationen Z und Y sind ähnlich bei monatlichen, laufenden Dienstleistungen und der grundsätzlichen Weltanschauung. Dank beider Generationen haben sich bestimmte Konzerne und Geschäftsmodelle prächtig etabliert. So gaben gemäss Forbes Magazine (vor Covid-19) allein in den USA das Segment Young Adults (25-34-Jährige) jährlich pro Kopf rund USD 2’000 nur für To-Go-Heissgetränke aus. Ausgaben von USD 2’000 jährlich nur für Coffee-Shop-Besuche wäre vor 30 Jahren das Ticket ins Irrenhaus gewesen. Heute ist es fast schon «normal». 40% des Markts werden dort durch Starbucks dominiert, gefolgt von der Dunkin Gruppe und JAB. Durch die Corona-Krise brachen zwar die Umsätze auch bei Starbucks ein, dennoch werden pro Quartal immer noch USD 2.8 Milliarden nur im Nordamerika-Geschäft brutto umgesetzt. Global hat sich Starbucks zur Lifestyle-Marke der Gen Y und Z entwickelt. Nicht weniger «überlebensnotwendig» ist nach wie vor die Smartphone-Hardware für diese Konsumentengruppe. Gemäss Zahlen von März 2020 ist global Samsung (20%) das führende Unternehmen für Smartphones, gefolgt von Huawei (17%) – derzeit unter heftigem Druck durch fortgesetzte Staats- und Wirtschaftsspionage-Vorwürfe. Allen Unkenrufen zum Trotz, hält sich Apple dank expansivem Service- und Cloudgeschäft mit stabilen Marktanteilen auf Rang drei (14%).

«Zurzeit ‹zocken› 2.5 Milliarden User täglich via Smartphone und generieren USD 55 Milliarden Umsatz jährlich für die Spieleanbieter.»

Milliarden-Umsätze durch Online-Gaming

Noch vor Jahren war es undenkbar, dass man mit entsprechenden Apps richtig Geld verdienen kann. Laut Research von TechCrunch ist exakt jeder dritte Download-Vorgang im App-Store als auch auf Google Play eine Gaming-App. Zurzeit spielen 2.5 Milliarden User täglich via Smartphone und generieren damit pro Jahr Umsätze für die Spielehersteller bzw. App-Programmierer in Höhe von USD 55 Milliarden. Zum Vergleich: Auf die Summe von 55 Milliarden Dollar belief sich im Jahr 1974 das Bruttoinlandprodukt der gesamten Schweiz. Mittendrin, aus dem Nichts erschaffen, spielen hier Tencent, Zynga, Ubisoft und EpicGames eine weltweit führende Rolle. Gleichzeitig zeigt das digitale Ökosystem entlang von Smartphone und Tablets rasante Zuwächse. Musikstreaming, Hörbücher oder Fitnesskurse im Video-Abo florieren nicht erst seit den Covid-19-Lock-Downs. In luftige Höhen explodiert sind in diesem Zusammenhang beispielsweise die Aktien von Spotify Technology, einem Musik-Streaming Anbieter. Der in Schweden beheimatete Anbieter rechnet bis zum Jahresende mit bis zu 153 Millionen Abo-Kunden und bis zu 348 Millionen Nutzern insgesamt. Das Unternehmen ist derzeit mit USD 48 Milliarden bewertet und begann im Jahr 2006 bei Null Usern. Dies beweist die oft unheimliche Macht digitaler Geschäftsmodelle.

«Demografiewandel ist keine Fake News, sondern ein Mega-Trend, der gerade erst beginnt.»

Weltenwandel für die Finanzbranche

Das Thema Digitalisierung erfasst seit Jahren auch die Finanzwelt mit voller Wucht. So gilt es insbesondere die (Erben-)Generation X als auch die Generation Y (die meisten sind schon voll geschäftsfähig und verfügen über erste finanzielle Ressourcen) für entsprechende Serviceangebote rund um Vermögen, Kontoguthaben und Anlagen zu begeistern. Dennoch trifft sehr häufig Wunschdenken von «Powerpoint-Beratern» auf die nüchterne Realität des Retail- und Affluent-Banking: Gemäss einer Studie der Hochschule Luzern verfügte vor vier Jahren effektiv nur jeder dritte Kunde in der Schweiz über einen Online Banking Zugang. Der Anteil aktiver Mobile Banking Nutzer, welche sich mindestens einmal pro Quartal einloggen, belief sich in 2016 auf lediglich 13%. Doch es bewegt sich was: Inzwischen kommt man beim Platzhirsch UBS zum Beispiel auf bereits 100 Millionen Logins pro Jahr bei den E-Banking- und Mobile-Banking-Applikationen. Und die junge Generation der Finanznutzer belebt auch den Bereich Fintech. So hat VIAC.ch (Web/App-basierte 3.-Säule-Angebot, 0.39% p.a. Verwaltungsgebühr) in zwei Jahren 28’000 Kunden in der oft trägen Säule 3a-Welt gewonnen. Die ZKB hat mit frankly.ch inzwischen gekontert und ein sehr ähnliches Angebot lanciert (0.47% p.a. Verw. Geb.). Noch rasanter ist die Geschäftsentwicklung des Gratis-Brokers Robinhood in den USA. Dieser hat für Retail-Kunden den gebührenfreien Wertschriftenhandel «erfunden» und hat inzwischen 10 Millionen Kunden. Natülich ist der Handel nicht völlig kostenfrei. Man refinanziert sich über Börsen-Retrozessionen, aber die Massen interessiert das nicht. Insbesondere Kunden, originär von E*Trade, Charles Schwab oder TD Ameritrade kommend, häufig zwischen 25 und 50 Jahren alt, nutzen Robinhood intensiv. Das Unternehmen selbst wurde vor wenigen Tagen mit USD 11 Milliarden bewertet – ist aber noch nicht kotiert und noch nicht profitabel. Wie so oft in der Fintech-Welt.

Health Care und Real Estate in neuen Formaten

In ganz anderen Dimensionen plant bereits der Gesundheits- und Immobiliensektor. Galten beispielsweise lange Jahre Seniorenresidenzen als verpöntes Abstellgleis mit lethargischen Insassen, sind heute die 70-jährigen Bewohner solcher Überbauungen weitaus fitter und anspruchsvoller als noch vor 40 oder 50 Jahren. Auch gehören heutzutage hochwertige, integrierte Medizin- und Physio-Dienste zum Standard-Repertoire. In den USA zählen daher seit einigen Jahren «Active Senior Living» Wohnanlagen, neben Mehrfamilienhäusern, zu den Bestsellern und Rendite-Kings. Die Nachfrage für derartige Einrichtungen ist ungebrochen. Gemäss einer Umfrage des Branchenportals National Real Estate Investor von Ende August 2020, plant ein Drittel aller Betreiber einen Ausbau der Kapazitäten in den nächsten 12 Monaten. Nüchterner sieht die Rating-Agentur Moody’s den Ausblick für Senior Housing REITS (börsenkotierte Immobilien-Fonds). Ausgerechnet die drei grössten Gesellschaften erhielten einen negativen Kredit-Ausblick. Bis dato eine der besten 1-Jahres-Performances innerhalb dieses Segments lieferten dagegen Global Medical REIT (GMRE; +28.63%), Community Healthcare Trust (Börsen-ticker CHCT; +14.2%) sowie der hochinteressante Klassiker Medical Properties Trust (MPW; +12%). Letztgenannter REIT ist eine US-Klinikbetreibergruppe, welche auch 71 Objekte in Deutschland besitzt und der Schweiz via einer Beteiligung an Aevis Victoria SA an Swiss Medical Network SA aktiv ist.

Für Anleger jede Menge Chancen

Parallel sind die potenziellen Zuwächse im Bereich Pharma und Biotechnologie durch eine zunehmende Alterung der Gesellschaft absehbar. Das Tracker-Zertifikat ZSLDCV der Bank Vontobel bündelt primär Health Care Aktien via dem eigens konzipierten Solactive Demographic Opportunity Performance-Index. Dieser besteht aus 20 auf die «Silver Society» fokussierte Aktien, welche auch in Zukunft mutmasslich gutes Potenzial bieten. Der Fokus (70%) auf medizinnahe Unternehmen erscheint ideal. Die Management-Fee in Höhe von 1% ist akzeptabel, da die Index-Komposition jährlich überprüft und gegebenenfalls angepasst wird. Als wesentlich breiter gefasster Index präsentiert sich der iSTOXX® Europe Demography 50. Auf diesen existiert ein Kapitalschutz-Produkt der Credit Suisse, welches bis zum 24.03.2027 läuft. Das Index-Konzept pickt aus dem STOXX Europe 600 Universum jene Aktien, welche durch den Demografiewandel direkt profitieren und mit hohen Dividenden und tiefer Volatilität punkten. Der Kapitalschutz spricht für sich, die Partizipation beträgt 90%. Für Anleger mit Depotwährung USD oder flair für US-Titanen im Kontext «Generationenumbruch» ist zusätzlich der Barrier Reverse Convertible (Symbol Z00S5Z, ISIN CH0521906260) auf Amazon.com, Microsoft und PayPal interessant, emittiert von der Zürcher Kantonalbank. Die Barriere bei 59% (Abstand derzeit 43%) ist fair, der Coupon mit 14% p.a. hoch attraktiv und das Rating des Emittenten ZKB nach wie vor erstklassig. Im Worst-Case erhält der Anleger eine der drei Zukunftsaktien geliefert. Verluste sind bei diesem Renditeoptimierungsprodukt aber per se natürlich nicht ausschliessbar.

90 Kerzen auf der Geburtstagstorte

Abschliessend lässt sich festhalten: Demografiewandel ist keine Fake News, sondern ein Mega-Trend, der gerade erst beginnt. In einer umfangreichen Studie des Imperial College of London zum Thema «Langlebigkeit in Industriestaaten», wird auf 1’335 Seiten untersucht, wie rasch es die Mehrheit der Einwohner in diesen Nationen zu dreistelligen Geburtstagen schafft und was das für die Sozial- und Gesellschaftssysteme bedeutet. Kurz und knapp kann gesagt werden, dass die Wirtschaft in wohlhabenden Staaten grundsätzlich länger und mehr Konsumimpulse erfahren wird, die Gesundheitskassen tendenziell teurer werden und die Damen ab dem Jahr 2030 mit mehr als 50%iger Wahrscheinlichkeit 90 Kerzen auf der Geburtstagstorte löschen dürfen. International stechen die folgenden Nationen mit den meisten Hundertjährigen hervor: Albanien, Türkei, Griechenland, gefolgt von Deutschland, Schweiz, Ungarn und Dänemark. Hierzulande leben derzeit rund 1’600 über Hundertjährige, 80% von ihnen sind weiblich. Wie stark sich die Mitgliederbasis im «100 Club» entwickelt und in welchem Gesundheitszustand diese sein wird, ist zwar hochgradig individuell, doch lässt sich ableiten, dass sich Kinder ab dem Geburtstag 2015 in Westeuropa mit hoher Wahrscheinlichkeit am 90. Geburtstag erfreuen werden. An der gewachsenen Lebensdauer erfreuen sich weiterhin ganze Industriezweige, deren Geschäftsaktivitäten entsprechend positiv beeinflusst werden. Passend philosophierte schon der deutsche Nobelpreisgewinner Albert Einstein im amerikanischen Exil: «Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben».

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