Italien: Der Europameister dreht auf
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Serge Nussbaumer
Chefredaktor
Starke Banken, steigende Investitionen und eine günstige Bewertung machen Italiens Aktienmarkt zu einem Top-Performer in Europa. Das Land bietet weiterhin Chancen – Anleger sollten aber auch die Risiken beachten.
Es war eine magische Fussballnacht: Am 11. Juli 2021 setzte sich Italien im Finale der Europameisterschaft (EM) im Penalty-Schiessen gegen Gastgeber England durch. Drei Jahre und drei Tage nach dem Triumph der Squadra Azzurra im Londoner Wembley Stadion wird Europas Fussballkrone erneut vergeben. Allerdings zählt Italien nicht zu den Favoriten der anstehenden EM. Bei den Buchhaltern (bwin) beträgt die Quote für den Titelverteidiger 17. Wer auf England oder Frankreich setzt, bekommt im Erfolgsfall lediglich das 4.5-fache seines Einsatzes ausbezahlt. Die Quote für Gastgeber Deutschland liegt gut zehn Wochen vor dem Eröffnungsspiel in München bei 6.0.
Während die Mannschaft von Trainer Luciano Spalletti mit einer holprigen Qualifikation Vertrauen bei den Fans verspielt hat, ist der italienische Aktienmarkt unter Investoren schwer angesagt. Im 1. Quartal 2024 legt der FTSE MIB Index um 15% zu. Damit liess die mit 40 Unternehmen bestückte Benchmark die Leitindizes der anderen grossen europäischen Volkswirtschaften hinter sich. Auch den Vergleich über einen Zeitraum von 12 Monaten führt Italien an (siehe Grafik 1). Und doch ist an der Mailänder Börse – anders als in Paris oder Frankfurt – die Rekordglocke noch nicht ertönt. Seinen bisherigen Höchststand hat der FTSE MIB kurz nach der Jahrtausendwende erreicht. Am 6. März 2000 stand der Index bei mehr als 50’000 Zählern.
Dominante Finanzaktien
24 Jahre später trennen die 40 italienischen Large Caps rund 44% vom historischen Top. Insofern ist das Hoch aus dem Jahr 2007 bei gut 44’000 Punkten eine sinnvollere Orientierungsmarke (siehe Grafik 2). Allerdings muss sich zunächst zeigen, ob und inwieweit die Treiber der jüngsten Rallye intakt bleiben. 2023 hat der FTSE MIB stark von seiner Zusammensetzung profitiert. Banken steuern rund ein Viertel zum italienischen Leitindex bei. Nimmt man die Versicherer hinzu, dann liegt der Anteil des Finanzwesens bei annähernd einem Drittel (siehe Grafik 3). Diesen Unternehmen hat das Umfeld steigender Zinsen in die Hände gespielt. Ein Blick in die Erfolgsrechnung von Unicredit liefert einen Beleg für diese These: 2023 konnte die Grossbank ihre Nettozinseinnahmen um nahezu ein Drittel auf gut EUR 14 Milliarden steigern. Gleichzeitig entwickelten sich die Kosten stabil und das Institut musste weit weniger Geld für Kreditausfälle zurückstellen als noch im Vorjahr. Die Folge: Unterm Strich verdiente Unicredit 2023 mit EUR 8.6 Milliarden 54% mehr als im Jahr zuvor. Diesen Rekordüberschuss möchte die Bank vollständig ausschütten. «Seit 2021 werden wir dieses Jahr EUR 17.6 Milliarden an unsere Anteilseigener zurückgeführt haben», erklärte CEO Andrea Orcel bei der Bilanzvorlage.
Damit bezog er sich direkt auf die Strategie «Unlocked». Ende 2021 hatte Orcel diesen Transformationsplan vorgestellt. Er sieht eine engere Verzahnung der 13 zum Konzern zählenden europäischen Banken sowie Investitionen in die Bereiche Digitalisierung und Daten vor. Daneben liegt ein Schwerpunkt auf der Kundenbetreuung, der Aktionärspolitik sowie der Kosteneffizienz. «Vom Nachzügler zum Spitzenreiter», so beschreibt Unicredit die Fortschritte der Strategie in der jüngsten Zahlenpräsentation. Das Management untermauert den Führungsanspruch mit einem Kennzahlenvergleich mit europäischen Konkurrenten wie beispielsweise BBVA, Deutsche Bank oder Société Générale. Hinsichtlich Wachstum, Cost/ Income-Quote und Kapitalstärke sehen sich die Italiener an der Spitze.
Hilfe aus Brüssel
Neben den Erfolgen des Schwergewichts und anderer Unternehmen hat die Politik dem italienischen Aktienmarkt auf die Sprünge geholfen. Die rechte Regierung um Ministerpräsidentin Georgia Meloni schlug nach ihrem Antritt im Herbst 2022 nicht nur relativ moderate Töne an. Zudem übt sich das Bündnis aus drei Parteien in fiskalischer Disziplin. Daraufhin haben die Ratingagenturen die Einstufung Italiens bestätigt. Moody’s hob im vergangenen Herbst sogar den Ausblick für die drittgrösste Volkswirtschaft der Eurozone auf «stabil» von zuvor «negativ» an. Gleichwohl bewegt sich Italien mit dem Rating «Baa3» gerade noch im anlagewürdigen Bereich «Investmentgrade».
Nach wie vor schiebt das Land einen gewaltigen Schuldenberg vor sich her. Netto steht Italien bei seinen Gläubigern mit rund EUR 2.6 Billionen oder 132% der Wirtschaftsleistung in der Kreide. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht kaum eine Besserung und setzt die Verschuldungsquote per 2028 nur rund 2 Prozentpunkte tiefer an. Auch die Arbeitslosigkeit von rund 8% ist ein beinahe chronisches Problem. Umso mehr ist Rom auf die Hilfen der EU angewiesen. Melonis Vorgänger Mario Draghi hat im Rahmen des Aufbauprogramms «NextGenEU» in Brüssel Finanzmittel in Höhe von insgesamt knapp EUR 194 Milliarden zugesagt bekommen. Gut ein Drittel davon sind direkte Geldspritzen, der Rest entfällt auf Darlehen. Mehr als die Hälfte der Mittel soll in den Klimaschutz und die Digitalisierung fliessen. Zu den geförderten Projekten zählt «Tyrrhenian Link». Diese 970 Kilometer lange und 1’000-Megawatt starke Untersee-Stromleitung verbindet Sizilien mit Sardinien und der italienischen Halbinsel. Sie soll dazu beitragen, das Elektrizitätsnetzwerk des ganzen Landes zu stabilisieren und den Ausbau der regenerativen Energieträger anschieben.
Zusammen mit den Ausgaben der Regierung trägt die Unterstützung aus Brüssel dazu bei, dass die Investitionen in Italien trotz einer rückläufigen privaten Bautätigkeit 2024 Fahrt aufnehmen. So jedenfalls sieht es die EU-Kommission in ihrem jüngsten Ausblick. Gleichwohl traut sie Italien beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) im laufenden Jahr nur eine Steigerung von 0.7%, nach 0.6% in 2023, zu. Im kommenden Jahr soll die Wirtschaftsleistung um 1.2% vorankommen. Neben einem zunehmenden Effekt der «NextGenEU»-Mittel könnten dann verbesserte Finanzierungsbedingungen helfen.
Inflations-«Musterschüler»
An dieser Stelle kommt die Europäische Zentralbank (EZB) ins Spiel. Sie hält ihren Einlagensatz seit vergangenem September bei hohen 4.0%. Da sich die Inflation sukzessive abgeschwächt hat, erwarten die Marktteilnehmer, dass die EZB im Juni einen Kurswechsel einläutet beziehungsweise die Zinsen senkt. In der Eurozone als Ganzes lag die Teuerung im Februar bei 2.5% und damit noch ein Stück über dem EZB-Ziel von 2%. Das früher für eine notorisch hohe Inflation bekannte Italien hat den angepeilten Wert bereits unterschritten. Im März stiegen die Verbraucherpreise relativ zum Vorjahresmonat um 1.3%, im Februar waren es lediglich 0.8%. Hier dürften sich die Anti-Teuerungs-Massnahmen der Regierung auswirken: Unter anderem dank Milliarden-Hilfen aus Rom sind die Kosten für Energie deutlich gefallen. Ausserdem hat die Meloni-Administration im Herbst ein «Anti-Inflations-Quartal» ausgerufen. Dem Ziel, die Preise für Grundnahrungsmittel und andere Konsumgüter zu senken, schlossen sich Lebensmittelproduzenten, Verbände und Supermarktketten im ganzen Land mit verschiedenen Aktionen an.
Hohe Dividenden, tiefe Bewertung
Die Finanzierungskosten des italienischen Staates sind bereits gefallen. Mit knapp 3.8% wirft die 10-jährigen Anleihe der Republik rund 120 Basispunkte weniger ab als noch Mitte Oktober. Im selben Zeitraum ist der Spread zwischen Italiens Schuldtitel und der 10-jährigen deutschen Bundesanleihe um knapp 70 Basispunkte auf zuletzt 1.38 Prozentpunkte geschrumpft. Mit dem Rückgang der Rendite hat ein Argument für den italienischen Aktienmarkt an Schlagkraft gewonnen. MSCI taxiert die Dividendenrendite für seinen Landesindex auf 4.7%. Damit liegt die Kennziffer um 90 Basispunkte über der Anleiheverzinsung und übertrifft den MSCI-Wert für ganz Europa sogar um 1.5 Prozentpunkte. Auch bei der Bewertung tanzt der Mittelmeer- und Alpenanrainer aus der Reihe. Ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 8.7 bedeutet einen Abschlag von mehr als 40% zum kontinentalen Markt.
Angesichts der nahenden Zinswende tönt die Italien-Story eigentlich perfekt. Doch es gibt Tücken. Klar, für Rom könnte es in den kommenden Jahren einfacher werden, den Schuldenberg zu stemmen oder gar zu reduzieren. Doch muss sich zeigen, ob die Politik dazu wirklich gewillt respektive im Stande ist. Schliesslich hat das Land mit einer Reihe von strukturellen Problemen zu kämpfen. Das wirtschaftliche Nord-Süd-Gefälle zählt dazu genauso wie die hohe Arbeitslosigkeit, eine vielerorts marode Infrastruktur und die mit dem hohen Zustrom von Flüchtlingen einhergehenden sozialen und politischen Spannungen. Und natürlich muss sich zeigen, ob der Finanzsektor sein Momentum behaupten kann, sobald die Zinserträge schrumpfen. Dem Unicredit-Chef scheint nicht bange zu sein. «Unser Fortschritt ist lange nicht zu Ende», erklärte Andrea Orcel Anfang Februar.
Anlagelösungen
Wer den Optimismus teilt und sich die erste Börsenreihe Italien ins Portfolio holen möchte, kann zum ETF CSMIB greifen. Dieser Exchange Traded Fund bildet den FTSE MIB physisch ab. Das heisst, die 40 im Index vertretenen Aktien liegen analog zu ihrer Gewichtung im Fondsvermögen. Anleger partizipieren auch an den Dividenden, diese werden thesauriert, also im ETF einbehalten. Branchenkrösus iShares ruft für das im Jahr 2010 noch von der Credit Suisse lancierte Produkt eine Gesamtkostenquote (TER) von 0.33% p.a. auf.
Während der passive Fonds auf den «Buy and hold»-Ansatz abzielt, eignen sich Hebelprodukte für kurzfristige und spekulative Positionen. BNP Paribas handelt auf Swiss DOTS eine Palette an Mini-Futures, die auf dem FTSE MIB basieren. Durch den Höhenflug beim Basiswert sind die Hebel dieser Long-Produkte ziemlich geschmolzen. Immerhin 2.3 beträgt der Beschleunigungsfaktor beim Mini-Future mit der ISIN CH0582866866. Trader können mit diesem Produkt darauf setzen, dass Italiens Leitindex das nächste charttechnische Kursziel bei 36’000 Punkten ansteuert. Mit 20’470 Zählern liegt der Stop Loss aktuell mehr als 40% unter dem Indexstand. Italienische Large Caps bieten sich als Basiswerte für Renditeoptimierungsprodukte an. Leonteq spannt den Versicherer Generali mit dem Versorger Eni und der Unicredit für den Callable Multi Barrier Reverse Convertible CXMCBL zusammen. Die emittierende Corner Bank garantiert eine Couponzahlung in Höhe von 12.40% p.a. Diese Chance ist durch Barrieren von 59% der Anfangskurse teilgeschützt. Solange keine Aktie aus dem Trio auf oder unter diese Marke fällt, wirft der BRC in anderthalb Jahren die Maximalrendite ab. Geht dieses Kalkül nicht auf, wäre das Investment dem Risiko des schwächsten Titels ausgesetzt. Wenn das Produkt im Herbst 2025 fällig wird, läuft bereits die heisse Phase der Qualifikation zur Fussball-WM 2026. Dann können Fans schon abschätzen, wie die Chancen der Squadra Azzurra stehen am Turnier in Kanada, Mexiko und den USA dabei zu sein.