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payoff Focus

Im Zeitalter der Brückenbauer

04.02.2021 9 Min.
  • Serge Nussbaumer, Chefredaktor

Nicht nur die neue US-Regierung möchte massiv in die Infrastruktur investieren. Weltweit stehen milliardenschwere Projekte an. Neben der Demografie und dem zunehmenden Alter von Strassen, Brücken und anderen öffentlichen Ein- richtungen schieben die Digitalisierung sowie der Kampf gegen den Klimawandel den Markt für Infrastruktur an. Für Anleger bietet sich dabei eine Fülle an Chancen.

Am 20. Januar 2021 hat Joe Biden eine wahre Herkulesaufgabe übernommen. Als 46. Präsident der USA warten unzählige Herausforderungen auf den Demokraten. Sei es die angespannte innenpolitische Situation, die Corona Pandemie mit ihren dramatischen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen, der Klimawandel oder das schwierige Ver- hältnis zu anderen Ländern – allen voran China. Als Nachfolger des quer durch die verschiedenen Politikfelder polarisierend auftretenden Donald Trump wird der 78-jährige vor allem als «Brückenbauer» gefordert sein. Diese Eigenschaft braucht Biden nicht nur symbolisch. Als Baumeister könnte der Demokrat auch im wahrsten Sinne des Wortes in die Geschichte eingehen. Die Modernisierung der US-Infrastruktur steht auf der To-Do-Liste der neuen Regierung weit oben.

Noch im Februar 2021 möchte Joe Biden einen entsprechenden Plan vorlegen. Nachdem er schon kurz vor seiner Amtseinführung als «ersten Schritt» ein USD 1.9 Billionen schweres Corona-Rettungspaket präsentiert hatte, soll bei seinem ersten Auftritt vor beiden Kammern des Kongresses der «Build Back Better Recovery Plan» auf das Gleis kommen. «Er wird historische Investments in die Infrastruktur enthalten», liess der neue Präsident bereits durchblicken. Neben der Produktion sollen Innovation, Forschung und Entwicklung und vor allem das Thema saubere Energie im Fokus stehen. Biden möchte die US-Ökonomie samt ihrer Beschäftigen auf diese Weise fit machen, um «in der globalen Wirtschaft der kommenden Jahre zu bestsehen und zu gewinnen.» Gleichzeitig verwies er auf eine Untersuchung von Moody’s. Laut der Ratingagentur könnten im Zuge der geplanten Massnahmen mehr als 18 Millionen gut bezahlte Jobs entstehen.

«Einzig in China sehen Experten einen noch deutlich höheren Bedarf.»

Marode Brücken, holprige Strassen

Der neue starke Mann im Weissen Haus knüpft direkt an sein Wahlprogramm an. Die Biden-Kampagne hatte für die vier Jahre der ersten Amtszeit «beschleunigte Investments» in einem Volumen von USD 2 Billionen angekündigt. Dieses Geld soll unter anderem in den Bau und die Modernisierung von Strassen und Brücken, Grünflächen, Wassersystemen sowie Strom- und Breitbandnetzwerken fliessen. Als Ziel nannte das Biden-Lager den «Wiederaufbau der maroden amerikanischen Infrastruktur». In der Tat stehen die USA hier auch und gerade im internationalen Vergleich nicht besonders gut da. Das World Economic Forum (WEF) hat 2019 die Infrastruktur vieler Länder unter die Lupe genommen. Während Singapur die beste Bewertung erhielt, schafften es die USA als grösste Volkswirtschaft der Welt nicht einmal unter die Top 10 (siehe Grafik 1).

Passend zu diesem Ranking ist der Bedarf an Infrastrukturausgaben in keiner westlichen Industrienation so gross wie in den Staaten. Laut Statista summieren sich die zwischen 2017 und 2035 erforderlichen Investitionen auf annähernd USD 14 Billionen. Einzig in China sehen Experten einen noch deutlich höheren Bedarf. Die Diskrepanz passt zum Anspruch des grössten Schwellenlandes, sowohl politisch als auch wirtschaftlich eine globale Vormachtstellung zu erreichen. Grafik 2 zeigt auch, dass die von der neuen US-Regierung geplanten Massnahmen nur ein Anfang sein können. Gleichzeitig steht auch der alte Kontinent beim Thema Infrastruktur vor einem wahren Kraftakt. Hierzulande ist diese Aufgabe in der Legislaturplanung 2019-2023 verankert. Im vergangenen Herbst hat die Bundesversammlung das Folgende beschlossen: «Die Schweiz sorgt für zuverlässige und solid finanzierte Verkehrs- und IKT-Infrastrukturen.»

High Speed dank 5G

Diese Zielsetzung zeigt, wie wichtig neben Strassen und Eisenbahnschienen die Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) ist. Die Corona-Pandemie, respektive die mit ihr einhergehenden Kontaktbeschränkungen, haben den Megatrend Digitalisierung forciert. Home Office, Digital Payment, E-Commerce, Streaming oder autonomes Fahren – eine stabile und leistungsstarke IT-Infrastruktur ist für nahezu jede Applikation unabdingbar. Insofern wird 5G zu Recht als eine Art technische Revolution bezeichnet. Der neue Mobilfunkstandard ermöglicht Downloadgeschwindigkeiten von 20 GB pro Sekunde. In 4G-Netzen lässt sich in dieser Zeit lediglich 1 GB «ziehen». Einen Quantensprung bedeutet auch die Latenzzeit von nur noch 1 bis 4 ms gegenüber den momentanen 40 bis 60 ms.

Noch steht die Technologie ziemlich am Anfang. Weltweit liegt die Zahl der 5G-Anschlüsse bei weniger als einer halben Milliarde. Doch der Netzwerkausrüster Ericsson geht hier von einem rasanten Wachstum aus. Den Schweden zufolge könnten 2025 bereits knapp 2.8 Milliarden Nutzer aktiv sein (siehe Grafik 3). Wenig überraschend wird der Grossteil der zukünftigen «5G-Community» in den bevölkerungsreichsten Teilen der Welt, sprich in Asien, anzutreffen sein. In jedem Fall sollte bei Ericsson und Co. die Kasse klingeln: Bereits im kommenden Jahr könnten laut einer Prognose der Marktforscher von IDC allein mit der für 5G erforderlichen Netzwerktechnik weltweit Umsätze von USD 26 Milliarden erwirtschaftet werden.

Regenerativ in die Zukunft

Neben der Digitalisierung gilt der Kampf gegen die Erderwärmung als ein Treiber der Infrastrukturausgaben. Als eine seiner ersten Amtshandlungen hat Joe Biden den Wiedereintritt der USA in das Pariser Klimaschutzabkommen in die Wege geleitet. Bis 2050 sollen die USA unterm Strich keine Treibhausgasemissionen mehr verursachen. Auf dem Weg dorthin möchte Biden die regenerativen Energieträger ausbauen – sein Wahlprogramm sah unter anderem 8 Millionen zusätzliche Photovoltaikdächer sowie die Förderung von Speichertechnologie vor. Zum selben Zeitpunkt wie die Staaten möchte die Europäische Union ihren C02-Fussabdruck löschen. Hierbei hat die EU die Gangart zuletzt sogar verschärft. Bis zum Ende des laufenden Jahrzehnts sollen die Treibhausgasemissionen um mindestens 55% gegenüber 1990 sinken. Zuvor lag die Messlatte tiefer bei einer Einsparung von 40%.

Ende 2019 hat die EU den «European Green Deal» lanciert. In diesem Aktionsplan konkretisiert die Union die Dekarbonisierung ihrer Wirtschaft. Sie fährt dabei eine breit angelegte Strategie – die Massnahmen reichen von der Gebäudesanierung und der Förderung erneuerbarer Energieträger bis zu einer nachhaltigen Landwirtschaft. Ländern, denen die Transformation zu einer umweltfreundlichen Wirtschaft besonders schwerfällt, möchte die EU technologisch und finanziell unter die Arme greifen. Die Europäische Kommission hat hierfür einen eigenen Mechanismus entwickelt. «Damit sollen im Zeitraum 2021–2027 in den am meisten betroffenen Regionen mindestens EUR 100 Milliarden mobilisiert werden», erklärt das EU-Organ.

Digitalisierung, Klimaschutz und fiskalische Impulse im Kampf gegen die Coronakrise sind die eine Seite der Medaille. Ungeachtet dieser Faktoren macht allein der demografische Wandel den Ausbau der Infrastruktur erforderlich. Das gilt insbesondere für die Schwellenländer. Egal, in welchem Winkel der Erde die Bagger unterwegs sind, respektive neue Projekte in Angriff genommen werden: Für Anleger bietet dieses Themenfeld eine Fülle an Chancen. Infrastrukturunternehmen sind an der Börse kotiert und darüber hinaus als Emittenten an den Rentenmärkten aktiv. Wer sich nicht selbst auf die Suche nach den aussichtsreichsten Aktien, respektive Obligationen aus relevanten Sektoren wie Bau, Telekommunikation, Industrie, Versorger oder Technologie machen möchte, kann auf Indexlösungen zurückgreifen.

Multi-Asset, High Speed-Aktien, Teilschutz

Mehr als CHF 1 Milliarde liegen im SPDR Morningstar Multi-Asset Global Infrastructure ETF. Der Referenzindex des an SIX unter dem Symbol MAGI kotierten Fonds enthält mehr als 2’000 Vermögenswerte. Die Gewichtung besteht dabei jeweils zur Hälfte aus Aktien und Anleihen. Insgesamt greift die Methodik auf 18 Branchen zurück. Den Ton geben Versorger sowie der Teilbereich Transport & Infrastruktur an. Aus geografischer Sicht dominieren die USA mit einem Anteil von knapp der Hälfte. Mit Nextera Energy stellen die Staaten auch das aktuelle Schwergewicht. Wobei die Aktie des nach eigenen Angaben weltgrössten Produzenten von Wind- und Sonnenstrom gerade einmal 2.2% zu der Benchmark besteuert. Unter den Top 10-Holdings sind auch die europäischen Versorger Iberdrola und Enel zu finden. Das Konzept funktioniert: Nach Kosten warf der Multi-Asset-ETF auf Sicht von fünf Jahren (per 31. Dezember 2020) beachtliche 8.3% p.a. ab.

Allein wegen der Fokussierung auf Aktien ist das Tracker-Zertifikat FIVETQ auf den Swissquote 5G Revolution Index ein deutlich offensiveres Investment. Der namensgebende Direktbroker hat diesen Basiswert im Zuge seiner «Themes Trading»-Reihe lanciert. Ausgangspunkt war das disruptive Potenzial des neuen Mobilfunkstandards. «Die 5G-Mobilfunktechnologie wird alles verändern», erklären die Initiatoren. Chancen sehen sie zunächst vor allem bei den am Aufbau der Netzwerke beteiligten Unternehmen. Folgerichtig sind die europäischen Branchengrössen Nokia und Ericsson im Index zu finden.

Durch den Auswahlprozess hat es mit American Tower auch ein global agierender Real Estate Investment Trust (REIT) geschafft. Das 1995 gegründete Unternehmen bezeichnet sich selbst als einen führenden unabhängigen Eigentümer, Betreiber und Entwickler von Immobilien für drahtlose Kommunikation. Weltweit hält American Tower mehr als 181’000 Liegenschaften, auf denen Sendemasten stehen. Seit der Emission hat sich das von Leonteq emittierte Partizipationsprodukt auf die 5G-Auswahl um rund zwei Drittel verteuert (siehe Grafik 4). Auch wenn es kaum in diesem Tempo weitergehen dürfte, bietet der Open End-Tracker für Anleger mit einem Buy-and-Hold-Ansatz eine gute Gelegenheit, die Infrastruktur-Karte zu spielen.

Wer aufgrund der mitunter steil nach oben ragenden Charts selbst vor einem diversifizierten Direktinvestment zurückscheut, kann auf Teilschutzprodukte ausweichen. Mit ABB, Geberit und LafargeHolcim hat die UBS drei heimische Infrastrukturaktien für den Barrier Reverse Convertible KHWFDU zusammengepackt. Der Industriekonzern ABB ist an verschiedenen Stellen – die Palette reicht von der regenerativen Energie über moderne Stromnetze bis zur Eisenbahn – im Thema. Während Geberit bei der effizienten und nachhaltigen Wasserversorgung eine wichtige Rolle einnimmt, versorgt LafargeHolcim Baustellen rund um den Globus mit Zement und Beton. Das mit einem Coupon von 5.00% p.a. ausgestattete Produkt ist seit der Emission gefallen. Dadurch zog die Rendite auf 7.4% p.a. an. Selbst beim aktuellen «Worst Performer» Geberit steht dieser Chance ein Polster von nahezu 40% gegenüber. Die Laufzeit endet im Januar 2023 – bis dahin sollte Joe Biden seine Fähigkeiten als Brückenbauer sowohl im übertragenen als auch im wortwörtlichen Sinne unter Beweis gestellt haben.

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