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payoff Focus

Revolution der Rechenwelt

02.05.2024 9 Min.
  • Serge Nussbaumer
    Chefredaktor

Künstliche Intelligenz (KI) ist das Thema der Stunde. Doch der nächste Game Changer steht schon bereit: Nach KI rücken Quantencomputer immer mehr in den Fokus. Quantencomputer können Simulationen und Berechnungen im Vergleich zu herkömmlichen Computern enorm beschleunigen und in Verbindung mit KI zu einer Wissensexplosion führen. Dies eröffnet ungeahnte Möglichkeiten für Wirtschaft und Gesellschaft. Auch wenn vieles noch Vision und Spekulation ist, ist es an der Zeit, sich einen genauen Überblick über das Potenzial der Branche und die damit verbundenen Investitionsmöglichkeiten zu verschaffen.

Das Computerzeitalter schreitet in rasantem Tempo voran. Seit der «Steinzeit der Informatik» im Jahr 1889, als die Lochkarten erfunden wurden, haben die Rechenmaschinen zahlreiche Entwicklungsstufen durchlaufen. Einen Meilenstein auf dem Weg zum Computer der Neuzeit setzten Steve Jobs und Bill Gates in den 1970er-Jahren. Ihre Technologie veränderte die Welt und machte Computer zu den wichtigsten Werkzeugen des 21. Jahrhunderts. Doch schon steht die nächste Revolution bevor. Sogenannte Quantencomputer verfügen über eine nahezu unbegrenzte Rechenleistung und stellen alle herkömmlichen Systeme in den Schatten.

Von Bits zu Qubits 

Einer dieser Quantencomputer steht seit Jahren in der Schweiz, genauer gesagt im IBM-Forschungszentrum in Rüschlikon bei Zürich. Da diese Maschinen einen vibrationsfreien Standort benötigen, wurde das IBM-System direkt auf einen Felsen gestellt, um Erschütterungen zu vermeiden. Damit nicht genug: Damit die Maschine ihre volle Leistung erbringen kann, muss sie im Innern auf fast minus 273 Grad Celsius gekühlt werden. Diese Anforderungen gelten für alle Quantencomputer. Für einen Paukenschlag in der Branche sorgte 2022 die Inbetriebnahme von Europas erstem Quanten-Analyzer mit mehr als 5‘000 Quantenbits, kurz Qubits. In der Recheneinheit der Qubits liegt der grosse Unterschied zwischen Quantencomputern und herkömmlichen Computern. Ein PC führt seine Operationen mit Bits aus, die die Werte 0 und 1 annehmen können. Quantencomputer hingegen arbeiten mit Qubits, um mehrdimensionale Algorithmen auszuführen. Diese können neben 0 oder 1 auch alle Zwischenzustände annehmen.

Im Geschwindigkeitsrausch

Quantencomputer rechnen dadurch millionenfach schneller als ein klassischer PC und selbst die leistungsfähigsten Supercomputer können damit nicht mithalten. Rein theoretisch wäre es mit den Maschinen möglich, den Urknall zu simulieren. Der Grund: Ein Quantencomputer löst Rechenschritte parallel und nicht nacheinander wie herkömmliche Rechner. Angesichts dieser Fähigkeit sind sich Experten einig, dass die Technologie schon bald das Tor zu einer ganzen Welt neuer Anwendungen aufstösst.

Die Maschinen können beispielsweise dazu genutzt werden, Atome und Moleküle zu simulieren. Das ist in vielen Wirtschaftsbereichen von grossem Vorteil, wie zum Beispiel bei der Entwicklung neuer Batterien für E-Autos. Die chemische Reaktion, die in den Akkus abläuft, ist nämlich eine quantenmechanische. Darüber hinaus sind die Simulationsfähigkeiten der Technologie auch für die Pharmaindustrie interessant. Mithilfe von Big Data sowie Künstlicher Intelligenz (KI) können nicht nur neue Medikamente entwickelt werden, sondern auch Krankheiten langfristig vorhergesagt werden. KI in Kombination mit Quantencomputing gleicht einer Wissensexplosion. Laut dem Fraunhofer Institut könnte sich das Potenzial dieser Verknüpfung bereits in wenigen Jahren auf nahezu alle Bereiche unserer Gesellschaft auswirken. Neben besseren Logistiklösungen könnte die Netzwerkplanung im Energiesektor oder Portfolios im Finanzsektor optimiert werden. Tom Pelc, Chief Investment Officer von Fortu Wealth & Futurist, bringt auch noch den Verkehr ins Spiel: «Eine weitere Anwendung von Quantentechniken ist die Routen- und Verkehrsoptimierung. Sie könnten alle Daten in Echtzeit verarbeiten und die Routen für eine ganze Fahrzeugflotte auf einmal anpassen, um jedes Fahrzeug auf den optimalen Weg zu bringen.»

Milliardeninvestitionen

Der Wandel geht mit einem enormen wirtschaftlichen Potenzial einher. Laut dem «McKinsey Quantum Technology Monitor 2023» werden die Automobil-, Chemie-, Finanz- und Biowissenschaftsbranche durch den Einsatz von Quantencomputing bis zum Jahr 2035 ein mögliches Wertschöpfungspotenzial von bis zu USD 1.3 Billionen erzielen können. Um auf dem neuen IT-Innovationsfeld nicht den Anschluss zu verlieren, stecken die Staaten viel Geld in Quantentechnologien (QT). So investierte die EU im Jahr 2022 insgesamt USD 1.2 Milliarden, die USA sogar USD 1.8 Milliarden. Unangefochtener Spitzenreiter auf dem Gebiet ist aber China, dessen Investitionsausgaben diese Summen mit USD 15.3 Milliarden deutlich übersteigen. Da wundert es auch nicht, dass das Reich der Mitte seinen Vorsprung im Hinblick auf QT-Patente weiter ausbauen kann. So entfielen bis Ende 2022 mehr als die Hälfte aller Patente auf chinesische Organisationen. Europa und Japan liegen mit einem Anteil von je knapp 14% gemeinsam auf Platz zwei.

Tickende Zeitbombe

Trotz der Vielzahl an Vorteilen und Einsatzgebieten von Quantencomputing ist es vor allem für den Datenschutz Hoffnung und Albtraum zugleich. Experten gehen davon aus, dass bei einem Durchbruch der Technologie die meisten IT-Sicherheitssysteme in sich zusammenfallen werden. Mit Quantencomputern kann jede gängige Verschlüsselung geknackt werden. Besonders anfällig ist das derzeit gebräuchlichste RSA-Verfahren. Der US-Mathematiker Peter Shor hat schon vor Jahren eine Methode für Quantencomputer vorgestellt, wie die wichtigsten mathematischen Operationen, auf denen heutige asymmetrische kryptografische Methoden beruhen, in Zukunft in Echtzeit gelöst werden können. Grosse Tech-Player wie Amazon, Paypal oder Google versuchen bereits heute ihre digitale Kommunikation mit quantenresistenten kryptografischen Verfahren zu schützen.

Investieren in die Zukunft

Die Analysten von IDC rechnen damit, dass der weltweite Quantencomputing-Markt von USD 1.1 Milliarden im Jahr 2022 auf USD 7.6 Milliarden im Jahr 2027 zulegen wird. Dies entspricht einer fünfjährigen durchschnittlichen Wachstumsrate (CAGR) von 48.1% pro Jahr. Die Prognose umfasst die gesamten Serviceleistungen rund um Quantencomputing. IDC geht ausserdem davon aus, dass die Investitionen in den Markt im Prognosezeitraum 2023 bis 2027 mit einer CAGR von 11.5% zulegen und bis Ende 2027 knapp USD 16.4 Milliarden erreichen werden. Besonders heben die Experten das wachsende Interesse der Regierungsbehörden am Quantencomputing hervor, von denen mittlerweile 14 (13 Länder plus die Europäische Union) Quanteninitiativen angekündigt haben, die sich über mehrere Jahre erstrecken und Milliarden von Dollar für die Forschung generieren werden.

Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind, können von dem Geldregen profitieren. Dazu zählt beispielsweise die kanadische D-Wave, die als führender Anbieter von Quantencomputer-Systemen zusammen mit Jülich Supercomputing Centre das eingangs erwähnte erste Lead Quanten-Cloud-basierte System ausserhalb Nordamerikas in Betrieb genommen hat. Im Februar dieses Jahres gab das Unternehmen auch eine interessante Partnerschaft mit NEC in Australien bekannt. Das Duo möchte seine transformativen Quantenlösungen nicht nur Unternehmen, sondern auch der dortigen Regierung zur Verfügung stellen. «Quantencomputing ist nicht mehr nur Gegenstand futuristischer Spekulationen oder findet sich nur noch in streng geheimen Forschungseinrichtungen, es ist eine kommerziell verfügbare Technologie, die heute Geschäfts- und Regierungsabläufe revolutioniert», kommentiert Ayala Domani, Vizepräsidentin im Bereich «Technologie und Innovation» bei NEC.

Big-Techs spielen mit

Auch die grossen Tech-Player springen nach und nach auf den jungen Quantencomputer-Zug auf. Wie bereits zu Beginn erwähnt, spielt dabei «Big Blue» IBM eine grosse Rolle. Derzeit arbeitet das Unternehmen an einem ersten Quanten-Rechenzentrum in Europa, das über mehrere IBM-Quantencomputersysteme mit Quanten-Prozessoren von mehr als 100 Qubits verfügen wird. Weltweit hat der US-Konzern Bestrebungen, den Nutzern die Möglichkeit zu geben, das Potenzial von Quantencomputern zu nutzen und damit einige der grössten Herausforderungen der Welt zu lösen.

Die Alphabet-Tochter Google stellte ebenfalls bereits 2019 einen Quantencomputer vor und hat diesen jetzt noch einmal aufgepeppt. Die neue Version verfügt nun über 70 anstatt zuvor 53 Qubits, was die Leistung exponentiell erhöht. Damit ist die Maschine 241 Millionen Mal leistungsfähiger als der Quantencomputer von vor fünf Jahren. Nach Konzernen wie IBM, Google oder auch Amazon, welcher den Cloud-Kunden Zugang zu verschiedenen Arten von Quantencomputing-Technologien ermöglicht, hat nun auch der grösste Softwarehersteller der Welt seit dem vergangenen Jahr eine «Roadmap» für Quantencomputer. Einen genauen Zeitplan veröffentlichte Microsoft zwar nicht, allerdings sei es eher eine Frage von Jahren als von Jahrzehnten. 

Investieren (noch) nicht leicht gemacht

Die Anlagemöglichkeiten in diesem Bereich sind noch überschaubar. Es gibt einige ETFs wie den QTUM Exchange Traded Fund (ISIN US26922A4206) von Defiance, der sich auf den BlueStar Quantum Computing and Machine Learning Index bezieht, aber nur in den USA handelbar ist. Die tatsächlichen Pure-Play-Firmen sind dagegen oft noch in der Start-up-Phase und folglich besonders risikobehaftet. Dazu zählen neben D-Wave auch Rigetti sowie die 2015 ins Leben gerufene IonQ. Letztgenannte ist auf Quantencomputer und Quanteninformationsverarbeitung spezialisiert und 2021 aus der Fusion mit einem SPAC an die Börse gegangen. Der Kursverlauf zeigt den spekulativen Charakter solcher Anlagen: Vom SPAC-Preis von USD 10 ging es schnell auf über USD 28 empor und bereits Mitte 2022 schlug die Notierung bei USD 3 auf. Aktuell bewegt sich der Titel um die Marke von USD 8. «Aktien, die mit Quantencomputing in Verbindung stehen, werden grosse Bewegungen in beide Richtungen erleben, vor allem weil wir noch weit davon entfernt sind, Renditen zu erzielen», bringt es Experte Pelc auf den Punkt.

Weniger risikobereite Anleger setzen auf die grossen Player, um langfristig an dem Zukunftsgeschäft Quantencomputer teilzunehmen. Unternehmen wie die derzeitigen KI-Profiteure Alphabet und Microsoft oder auch der traditionsreiche Computerkonzern IBM eignen sich dazu. «Mehr als 210 Forschungsorganisationen und Unternehmen, von Finanzdienstleistern über Automobilhersteller bis hin zu Energieerzeugern, nutzen die Quantencomputing-Dienste von IBM», erklärt Pelc, der die Aktie langfristig für aussichtsreich hält. Wann QT genau den kommerziellen Durchbruch schaffen wird, lässt sich zwar heute noch nicht sagen. Jedoch hat das Beispiel ChatGPT gezeigt, wie eine Technologie quasi über Nacht die Welt verändern kann – und die Börsenkurse haussieren lässt. 

Unterschiedliche Baskets

Mit Multi-Produkten lassen sich gleich mehrere Tech-Riesen teilgeschützt oder auch mit Hebel ins Portfolio aufnehmen. Zu erstgenannter Kategorie zählt der BRC auf IBM, Microsoft und den KI-Spezialisten Nvidia. Die 15%-Renditechance ist mit einem Puffer von mehr als 40% abgesichert. Das ebenfalls frisch am Markt erhältliche Multi Bonus Outperformance Zertifikat auf Alphabet, Honeywell, die bei ihrer Tochter Quantinuum Anfang des Jahres bei einer Finanzierung eine Bewertung von USD 5 Milliarden erzielte, und IBM ist dagegen deutlich risiko-, zugleich aber auch chancenreicher konzipiert. Das Produkt verfügt über eine Partizipationsrate von 225% oberhalb des Bonus-Levels (100%). Die Barriere befindet sich bei 69% der Startwerte und erlaubt den Basiswerten innerhalb der dreijährigen Laufzeit auch Kursrückschläge, ohne dass der positive Hebelmechanismus sofort ausser Kraft gesetzt wird. Breit diversifiziert lässt sich in diesen Megatrend der Zukunft über den Solactive Quantum Computing Index auch investieren. Das entsprechende Tracker-Zertifikat kommt von der Bank Vontobel. Das weltweit erste Strategiebarometer zu diesem Thema wurde 2020 emittiert und beinhaltet aktuell 22 Unternehmen aus den Segmenten Hardware und Software sowie den wichtigsten Anwendungsfeldern mit dem grössten Potenzial. Jede Kategorie ist mit 50% im Index vertreten. So finden sich beispielsweise neben den Tech-Riesen Alphabet und IBM auch Vertreter aus der Chemie- und Pharmabranche wie Merck oder Roche in der Auswahl. Die Neugewichtung sowie die Überprüfung der einzelnen Komponenten finden halbjährlich statt. Der Track Rekord kann sich sehen lassen: In Schweizer Franken gerechnet legte das Produkt seit Emission um knapp 30% zu, die EUR-Variante (Symbol: ZSOAQV) schaffte gar einen Anstieg um mehr als 40%.

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