Zurück
payoff Focus

Mythos Agrarspekulation

23.02.2016 9 Min.
  • Martin Raab

An Hunger hat keiner Interesse. Sozialwerke verdächtigen Derivate als ungezügelte Preistreiber im Agrarsektor. Im Vorfeld der Spekulationsstopp-Initiative bedarf es klarer Abgrenzung von Fakten und Fiktion. Die echten Probleme bleiben bisher unangetastet.

Des Moines, die Hauptstadt des US-Bundesstaats Iowa, ist Ende Januar kurzfristig Schlagzeilenlieferant für die Medien geworden: Das manierenlose Rauhbein Donald Trump hat dort die Stimmenmehrheit im Agrarstaat für sich gewonnen und damit den US-Präsidentschaftswahlkampf mit einem Paukenschlag beginnen lassen. Inzwischen ist im Farmerstaat, der 3,5-mal so gross wie die Schweiz ist, aber wieder der Alltag eingekehrt. Alltag heisst Nahrungsmittelproduktion. Die drei Millionen Einwohner Iowas produzieren über 10% des Nahrungsmittelbedarfs der gesamten USA. Diese «Soft-Commodities» sind im Mittleren Westen seit Langem fester Bestandteil der Wirtschaftsstruktur. So wurde im Jahr 1881 nicht zufällig im Nachbarstaat Minnesota die erste Börse für Agrarrohstoffe gegründet. Ältere US-Schwester ist die 1848 gegründete Rohstoffbörse Chicago Board of Trade. Diese ist inzwischen fusioniert mit der Chicago Merchantile Exchange und New York Merchantile Exchange zur CME Group, der Weltmarktführerin beim Handel mit Agrar-Rohstoffen.

Handel im Umbruch

Der Terminkauf- und verkauf von Agrarrohstoffen hat bei Landwirten und Produzenten eine lange Tradition – nicht nur in Übersee. In Europa wurden bereits im 14. Jahrhundert in Brügge und Amsterdam Weizen und Gewürze börslich gehandelt, das sicherte den Bauern die Abnahmepreise der Ernte. Doch die Zeiten haben sich geändert: Die Musik im Agro-Business spielt heute auf globaler Ebene. Agrarkonzerne treten in der Regel als Direktankäufer auf, übernehmen die Lagerung und betreiben die möglichst vollständige Wertschöpfungskette. Grosskonzerne wie Cargill (Jahresumsatz USD 136 Mrd.), Bunge (USD 60 Mrd.) oder Dreyfus (USD 57 Mrd.) brillieren in diesem Geschäft. Im physischen Agrarstoffhandel werden jährlich Warenwerte von geschätzten 600 Mrd. gehandelt – weitgehend unreguliert, im Unterschied zum Finanzmarkt. Dort wird der Handel von Rohstoff-Futures von der US-Aufsichtsbehörde CFTC automatisch erfasst und regelmässig die «Commitments of Traders» publiziert. So lassen sich die Positionierungen der Rohstoff-Player direkt auf der Website der CFTC ablesen.

Nahezu täglich konvertiert ein Asiate in den Speisegewohnheiten – «Schweinebraten statt Reispfanne». Das sorgt im globalen Agrarbusiness für zusätzliche, preisbestimmende Nachfrage.

Täglich neue Kunden aus Fernost

Der Handel mit Agrarprodukten ist mehr denn je ein strategisches Asset geworden. Deutliche Impulse kommen dabei von den neuen Grossverbrauchern in Fernost. So stammen 99,8% aller Weizenimporte Chinas aus den USA. Nahezu täglich konvertiert ein Asiate in den Speisegewohnheiten – «Schweinebraten statt Reispfanne». Das sorgt im globalen Agrarbusiness für zusätzliche Nachfrage. Parallel entstehen in Fernost neue Handelsplätze. Ein Newcomer ist die Dalian Commodity Exchange in China, die inzwischen zu einer der grössten Agrarbörsen der Welt gehört. Dort werden die höchsten Umsätze in Sojabohnen und Sojaöl gehandelt. Die etablierten Terminbörsen in Chicago verteidigen unterdessen ihre Leaderstellung bei Weizen und Mais. Bekannterweise laufen die Fäden im weltweiten Handel mit physischen Agrargütern in Genf zusammen. Die Rhônestadt ist zugleich Zentrum der Handelsfinanzierung, Warenprüfstelle und Jobmotor für Commodities-Spezialisten. Nur eines wird in Genf nicht gemacht – die Erntebedingungen.

Wetter und Subventionen preisbestimmend

Egal wo die Agrargüter gehandelt werden, das Preisverhalten wird vom Pflanzenzustand und Ernteaussichten in den Anbauländern beeinflusst. Bei Wetterkapriolen reagieren die Terminmarktpreise für Rohstoffe in wenigen Minuten. Nicht «Spekulanten» bestimmen den Preis, sondern Petrus. Fester Bestandteil des preisbestimmenden Cocktails sind aber auch Subventionen. Jeder Steuerzahler der USA bezuschusst die Farmer z.B. mit umgerechnet CHF 430 im Jahr. Der EU-Durchschnitt beträgt EUR 188, in der Schweiz bezahlt jeder Steuerpflichtige indirekt gar bis zu CHF 2‘000 jährlich an Landwirtschaftssubventionen. Auch beim «Weizenkönig» Russland alimentiert Vater Staat seine Bauern. Diese bezahlen im Vergleich zu ihren globalen Konkurrenten nur ein Zehntel der sonst üblichen Pachtzinsen. Als besonders fragwürdig gilt der EU-Agrarhaushalt. Im letzten Jahr wurden EUR 5,4 Milliarden allein an die deutsche Landwirtschaft ausgezahlt. Beliebtes Programm ist «Grünflächen statt Acker». Das sorgt für weniger Erntemenge. Kurios: Teilweise erhalten aber selbst Chemiekonzerne, ohne einen Zentimeter Nutzland zu besitzen, 100’000 Euro an Agro-Zuschüssen aus Brüsseler Honigtöpfen.

Phantom-Spekulanten und die Lebensmittelpreise

Beim Stichwort Agrar-Rohstoffe trommelt aktuell eine breit abgestützte «Spekulationsstopp-Initiative» für eine Änderung der Bundesverfassung. Die These ist: Spekulanten treiben mit gezielten Käufen den Preis nach oben und füllen sich somit die Taschen mit satten Renditen. Beim nüchternen Blick auf die Preisentwicklung diverser Agrargüter fällt auf, dass die Börsenkurse von Zucker, Sojabohnen, Weizen, Kaffee und vor allem Mais seit Januar 2013 aber alle gefallen sind. Preispush? Fehlanzeige. Im Langfristvergleich seit 1989 gibt es zwar beachtliche Kurssprünge nach oben und unten, doch letztlich ist die Teuerung moderat – bedenkt man, dass die Weltbevölkerung in den letzten 23 Jahren um über 1,3 Milliarden Menschen gewachsen ist. Dieser Fakt wird in der Initiative völlig aussen vor gelassen. Was ebenfalls ignoriert wird: Echtes Power-Play durch millionenschwere Handelspositionen in Agrar-Rohstoffen haben einzig und allein Hedge-Fonds. Nur sie können den Markt verstärkend in die eine oder andere Richtung schieben – und auch nur, wenn es flankierende News, wie beispielsweise plötzliche Ernteausfälle, gibt. Losgelöst und aus heiterem Himmel den Weizen oder Kakaopreis zu bewegen ist nicht möglich. Hierfür genügt ein nüchterner Blick auf die Daten der US-Rohstoff-Futuresaufsicht CFTC zum Argarmarkt.

Konkret ist von der Initiative folgende Änderung der Bundesverfassung geplant:

Art. 98a (neu) Bekämpfung der Spekulation mit Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln

1 Der Bund erlässt Vorschriften zur Bekämpfung der Spekulation mit Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln. Dabei hält er sich an folgende Grundsätze:
a.  Banken, Effektenhändler, Privatversicherungen, kollektive Kapitalanlagen und ihre mit der Geschäftsführung und Vermögensverwaltung befassten Personen, Einrichtungen der Sozialversicherung und andere institutionelle Anleger und unabhängige Vermögensverwalter mit Sitz oder Niederlassung in der Schweiz dürfen weder für sich noch für ihre Kundschaft und weder direkt noch indirekt in Finanzinstrumente investieren, die sich auf Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel beziehen. Dasselbe gilt für den Verkauf entsprechender strukturierter Produkte.

Man zielt bewusst auch auf das explizite Verbot Strukturierter Produkte, die ein Agrarbasiswert besitzen. Die Umsetzung des Vertriebsverbots soll innert drei Jahren erfolgen und von der FINMA soll gemäss Initiative die Umsetzung am Finanzmarkt überwacht werden. Völlig offen ist im vorgeschlagenen Absatz b (Zulässig sind Verträge mit Produzenten und Händlern von Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln über die terminliche oder preisliche Absicherung bestimmter Liefermengen) von welchen Liefermengen man spricht? Was ist angemessen für eine «bestimme» Liefermenge? Wenn sich Nestlé bei der Absicherung des Kaffeepreis für die Nespresso-Produktlinie einem Future oder Forward bedient gelten andere Grössenordnungen wie für den Einkauf von Mittelständlern? Oder doch nicht?

Nicht ein Forward-Kontrakt auf Robusta ist das Problem, sondern die Geiz-ist-geil-Mentalität der Verbraucher. Wer fragt im Coffee-Shop nach, woher die Bohnen kommen? Keiner.

Wertschöpfung als zentraler Faktor ignoriert

Niemand hat Interesse daran, den Hungersnöten in weiten Teilen der Welt tatenlos zu zusehen. Doch sollte der Fokus statt auf die «bösen Spekulanten» auf die wahren Missstände im Zusammenhang mit Armut gelenkt werden. Wesentlicher Faktor ist, neben starken Nachfrageveränderungen in Richtung Fernost und China, das Thema Wertschöpfung. Prominente Beispiele sind Kaffee, Baumwolle oder Kakao. So sind bis dato nur wenige Kaffeefarmer und ihre Kooperativen aufgrund dominanter Einkaufskartellen in der Lage ihre Produktivität und Erträge umweltschonend und sozial verträglich zu steigern. Nicht ein Forward-Kontrakt auf Robusta ist das Problem, sondern die Geiz-ist-geil-Mentalität der Verbraucher. Wer fragt im Coffee-Shop nach, woher die Bohnen kommen? Keiner. Jeder Kaffeetrinker mit Gewisser sollte ausschliesslich zu Bohnen von Rainforest Alliance, Fairtrade oder UTZ Certified greifen. Juso’s und Grüne könnten hier eine gezielte Aktion in Zusammenhang mit Nahrungsmitteln machen – bis dato aber Fehlanzeige. Bei Baumwolle gibt es unter Diktat von Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) klare Vorgaben, dass beispielsweise der Baumwollanbau im bettelarmen Staat Burkina Faso forciert wird, aber bitte die Rohbaumwolle strikt exportiert wird und nicht im Land samt Wertschöpfung verarbeitet wird. Wo stammt doch gleich das T-Shirt von H&M, Tally Weijl oder Zara her? Bio-Baumwolle? Leider nein. Ebenfalls sind die Kakaofarmen in Westafrika nicht gerade Hochburgen von Reichtum. Zu viele lokale Staatsbedienstete halten die Hände auf, Exportkartelle regieren und auch bei Kakao passiert die Wertschöpfung wo anders – nicht in Accra oder Abidjan. Der oben geannte US-Bundesstaat Iwoa gehört zu den positiven Beispielen, welcher zeigt, dass Anbau, Verarbeitung und Weiterverkauf keine zehntausend Kilometer getrennt werden müssen. Das ist eine zentrales Element für die Bekämpfung von Hunger, nicht das Verbot von Geldanlagen in Tracker-Zertifikaten auf den Weizen-Future.

FAKTEN AUF EINEN BLICK:

  • Im Langfristvergleich seit 1989 gibt es zwar beachtliche Kurssprünge nach oben und unten, doch letztlich ist die Teuerung moderat – bedenkt man, dass die Weltbevölkerung in den letzten 23 Jahren um über 1,3 Milliarden Menschen gewachsen ist.
  • Wetter und Subventionen sind preisbestimmend, nicht spekulative Elemente. Diese verstärken sicher Preistrends aber setzen keine.
  • Wesentlicher Faktor ist, neben starken Nachfrageveränderungen in Richtung Fernost und China, das Thema Wertschöpfung. Prominente Beispiele sind Kaffee, Baumwolle oder Kakao.
  • In vielen Entwicklungsländern fehlt nach wie vor eine effektive Korruptionskontrolle sowie eine gezielte Neuverhandlung mit der WTO zum Aufbruch von Exportkartellen.
  • Die Initiative Spekulationsstopp geht an der Lösung von Hunger- und Armutsproblemen bedauerlicherweise völlig vorbei.

 

Weitere News aus der Rubrik

Unsere Rubriken