Optimisten setzen auf Österreich
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Dieter Haas
Der österreichische Aktienmarkt profitiert in der Regel dank seiner vorwiegend zyklischen Branchenstruktur überdurchschnittlich von einer allfälligen Beschleunigung des Weltwirtschaftswachstum.
Die Volksseele hierzulande macht sich gerne über unser Nachbarland lustig. Die meisten Witze haben ein ähnliches Strickmuster wie das folgende Beispiel: «Was passiert, wenn ein Schweizer Vollidiot nach Österreich auswandert? – In beiden Ländern steigt der durchschnittliche Intelligenzquotient». Würde das zutreffen, dann müsste man annehmen, dass es auf dem Finanzplatz Austrias wenig Erspriessliches gibt. Dem ist aber beileibe nicht so. Der Aktienmarkt ist zwar vergleichsweise klein. Er enthält aber sehr wohl die eine oder andere Perle. Einen guten Einblick in den Gesamtmarkt findet der interessierte Anleger auf der Webseite der Wiener Börse.
Solide Wirtschaftsentwicklung
Eine gute Wirtschaftsentwicklung ist das A und O eines Aktienmarktes. In dieser Hinsicht befindet sich unser östliches Nachbarland seit 1980 im Median der Industrieländer. Österreichs Wirtschaft wächst und ist wettbewerbsfähig. Im ersten Quartal stieg das Bruttoinlandprodukt (BIP) um 0.4%. Getragen wurde diese Entwicklung von einer anhaltend starken Konsum- und Investitionsnachfrage. Besonders die Bauinvestitionen wurden kräftig ausgeweitet. Dagegen schwächte sich die exportgetragene Industriekonjunktur seit Mitte 2018 ab. Die Ökonomen der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) rechnen für das gesamte Jahr mit einer Wirtschaftsleistung von 1.5%. Das liegt wegen dem international schwächer werdenden Umfeld etwas unter früheren Prognosen. In den Jahren 2020 und 2021 erwartet die OeNB derzeit einen leichten Anstieg des BIP um jeweils 1.6%. Das ist alles in allem solide und bietet intakte Voraussetzungen für eine anhaltend gedeihliche Entwicklung des Aktienmarktes.
«Der Kursverlauf des ATX gibt einen Hinweis hinsichtlich der Dynamik des globalen Weltwirtschaftswachstums.»
Indizes im Überblick
Die Wiener Börse bietet derzeit vier auf Österreich fixierte Länderindizes an: den ATX (Austrian Traded Index), den ATX Prime, den ATX five und den WBI (Wiener Börse). Neben dem ATX, dem Leitindex der Wiener Börse, der die 20 liquidesten und am höchsten kapitalisierten Aktien des österreichischen Kapitalmarktes darstellt, bildet der ATX Prime (aktuell 38 Werte) die im prime market notierten Werte ab. In das Segment prime market werden Aktienwerte einbezogen, die zum Amtlichen Handel zugelassen sind und speziellen Zusatzanforderungen wie erhöhte Transparenzkriterien und Mindestkapitalisierung entsprechen. Mit dem ATX five sollen die 5 stärksten Aktien, und damit die für den Umsatz hauptverantwortlichen Unternehmen abgebildet werden. Der WBI als ältester Index der Wiener Börse ist ein all-share Index, der bereits seit 1967 berechnet wird. Er umfasst alle österreichischen Aktien (derzeit 66 Werte), die im Amtlichen Handel der Wiener Börse notieren. Der Blue Chip Index ATX wird regelmässig im März und September überprüft. Hauptkriterien für die Aufnahme bzw. Streichung sind kapitalisierter Streubesitz und Börsenumsatz. Bei der halbjährlichen Anpassung können höchstens drei Aktien aus dem Index gestrichen bzw. in den Index aufgenommen werden.
Historischer Performance-Vergleich zur Schweiz
Der grafische Vergleich des Swiss Performance Index SPI mit dem Austrian Traded Index (ATX), dem wichtigsten Aktienindex Österreichs, und den im ATX five zusammengefassten fünf Top-Werten seit 2004 zeigt die Stärken und Schwächen in verschiedenen Marktphasen. Fast immer, wenn die Wirtschaft brummt, läuft es beim ATX wie geschmiert. Besonders auffällig war dies von 2004 bis 2007 vor der Finanzkrise. Seit der Finanzkrise schneidet der SPI (umgerechnet in EUR) deutlich besser ab, abgesehen vom Zeitraum Juli 2016 bis Januar 2018. Die Divergenz erklärt sich vorwiegend mit der unterschiedlichen Branchenstruktur der beiden Länder. Die Schweiz gilt als defensiver Aktienmarkt, da die Sektoren Nahrungsmittel (Nestlé) und Gesundheitswesen (Novartis, Roche) den Index dominieren. Der ATX und noch stärker der ATX five weisen dagegen ein Schwergewicht im Finanzsektor (Erste Group, Raiffeisen) und im Industriesektor (OMV, Voest Alpine, Andritz) auf. Beide Sektoren gelten als zyklisch. Das war ein Plus bis zur Finanzkrise. Seither hinkt der Performance-Index ATX Five dem ATX, der die 20 grössten österreichischen Unternehmen mit Börsennotierung umfasst, hinterher. Im Unterschied zur Schweiz, wo die drei höchstkapitalisierten Aktien (Nestlé, Novartis, Roche) den Blue Chip Index SMI seit Mitte 2018 geschlagen haben.
Indikator für die Weltkonjunktur
Der Kursverlauf des ATX gibt einen Hinweis hinsichtlich der Dynamik des globalen Weltwirtschaftswachstums. Zieht die Weltkonjunktur an, dann läuft die Börse prächtig. So gesehen mahnt die aktuelle Kursentwicklung seit 2018, in der der ATX einer der schwächsten Börsen weltweit war, zu einer gewissen Vorsicht, auch wenn der erfolgreiche Finanzinvestor Ken Fisher dem Aktienmarkt im Januar ein beträchtliches Nachholpotenzial bescheinigte. In den ersten vier Monaten des laufenden Jahres schien die Prognose aufzugehen. Die Korrektur im Mai sorgte allerdings wieder für einen Dämpfer und liess den ATX im internationalen Vergleich abermals in hintere Ranglistengefilde abgleiten. Der zukünftige Verlauf wird zeigen, ob die Zinssenkungen und die Liquiditätszufuhren der Notenbanken ausreichen, um nebst der verbesserten relativen Bewertung, das Wachstum der Weltwirtschaft wieder anzukurbeln. Gelingt das Unterfangen, dann würde die österreichische Börse in den kommenden Monaten die Trendwende schaffen und zu den Outperformern zählen. Im anderen Fall droht eine Fortsetzung der seit Ende Januar 2018 anhaltenden, unterdurchschnittlichen Performance zum Weltaktienindex.
Kaum Impulse der Top 5
Ein Manko der österreichischen Börse ist das Fehlen langjähriger Flaggschiffe. Keiner der fünf Topwerte zeigte seit Mai 2005 einen stabilen Aufwärtstrend. Sowohl die Aktie des Maschinen- und Anlagenbauers Andritz als auch diejenige des Technologie- und Industriegüterkonzerns Voestalpine hängen stark von der weltwirtschaftlichen Konjunktur ab. Ihre Aktien befinden sich seit September bzw. Januar 2018 in einer Korrekturphase. Die Aktien der Raiffeisen und der Erste Group wurden Opfer der seit der Finanzkrise anhaltenden Zurückhaltung der Investoren gegenüber Bankwerten, während diejenige von OMV, einem international tätigen Öl- und Gasunternehmen, unter den tiefen Rohstoffpreisen zu leiden hatte.
«Im laufenden Jahr schlug sich bisher die Aktie der Immobiliengesellschaft S Immo am besten.»
Nebenwerte des ATX geben 2019 den Ton an. Die aktuellen Börsenstars des Blue Chips Börsenbarometer ATX finden sich gegenwärtig in der zweiten Reihe des Blue Chips Barometers, und zwar in den Sektoren Immobilien, Materialien, Energie und Versorger. Im laufenden Jahr schlug sich bisher die Aktie der Immobiliengesellschaft S Immo am besten. Sie investiert in Immobilien in Österreich, Deutschland sowie Zentral- und Osteuropa. Satte Gewinne verzeichneten daneben die Aktien von Verbund, dem grössten Elektrizitätsversorgungsunternehmen Österreichs, Vienna Insurance, einer der grössten Versicherungskonzerne in Europa und Schoeller-Bleckmann, einem Hersteller von Hochpräzisionsteilen für die Oilfield Service-Industrie. Am Ende der diesjährigen Kursrangliste figurierten am Stichtag die Aktien des Maschinenbauers Andritz sowie diejenigen des Flugzeugkomponentenherstellers FACC.
Familiengeführte Unternehmen schlagen sich beachtlich
Aktien von familiengeführten Unternehmen schlagen sich gemäss Studien langfristig besser als der Gesamtmarkt. Im Falle des ATX Family, der am 13. Februar 2018 erstmals kotiert wurde, muss sich das allerdings erst noch weisen. Gemäss der bis Ende 2011 gemachten Rückrechnung konnte der Index nicht ganz mit dem ATX Schritt halten. Was noch nicht ist, das kann ja noch werden. Der ATX Family ist ein nach Streubesitz gewichteter Preisindex und besteht aus allen im ATX Prime enthaltenen Aktien (gegenwärtig 14), bei denen die Gründerfamilien, Vorstände oder Aufsichtsräte zwischen 25% und 75% der Anteile halten bzw. ihnen diese Anteile zurechenbar sind. Im laufenden Jahr wies bis zum Stichtag die Aktie von Warimpex, einer Immobilienentwicklungs- und Investmentgesellschaft, die beste Kursentwicklung auf, gefolgt von der Aktie von Rosenbauer, einem weltweit führenden Hersteller für Feuerwehrtechnik im abwehrenden Brand- und Katastrophenschutz, der Aktie von UBM Development, einem international tätigen Immobilienentwickler, sowie der Aktie des Baukonzerns Porr.
Empfehlenswerte Anlagen
Abgesehen von den wenigen guten, passiv verwalteten Österreichfonds wie beispielsweise dem Allianz Invest Austria Plus (siehe www.lipperleaders.com) sollten sich Anleger in erster Linie auf Länder- oder Themen-ETFs der ATX-Indexfamilie konzentrieren. Dafür in Frage kommt in erster Linie der in der Schweiz kotierte ETF CBATX der Commerzbank (siehe Product News). Wer auf den ATX Five oder den ATX Family setzen möchte, der kann dies zum Beispiel über entsprechende an der Wiener Börse gehandelte Tracker-Zertifikate tun. Das Tracker-Zertifikat auf den ATX Family ist dabei wesentlich risikoärmer als dasjenige auf den ATX five. Letzteres kommt vor allem für Investoren in Frage, die in den kommenden Monaten aufgrund der Zinssenkung der US-Notenbank mit einer Beschleunigung des Weltwirtschaftswachstums rechnen.
«Die Aktien des ATX sind im internationalen Quer-vergleich im Allgemeinen günstig bewertet.»
Abschliessende Bemerkungen
Die Aktien des ATX sind im internationalen Quervergleich günstig bewertet. Die erwarteten Kurs-Gewinn-Verhältnisse liegen zwischen knapp 9 (OMV) bis 30.5 (Verbund) und die geschätzte Dividendenrendite bewegte sich am Stichtag zwischen 1.5% (Verbund) und sagenhaften 6.9% (Oesterreichische Post). Gemäss dem Konsens der Empfehlungen räumen die Finanzanalysten gegenwärtig den Aktien von AT & S Austria Technologie & Systemtechnik, und denjenigen der FACC, einem chinesisch-österreichischen Flugzeugkomponentenhersteller die besten Kurs-Gewinn-Chancen ein. Für erfahrene Stockpicker, die sich auf Perlensuche begeben, sind das absolut valable Kaufkandidaten. Alle übrigen österreich-affinen Investoren sollten sich als Beimischung in einem breit diversifizierten Portfolio an klassische ETPs auf den ATX und/oder den ATX Family halten.