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payoff Focus

Rohstoffe: Der neue Superzyklus

08.04.2022 10 Min.
  • Serge Nussbaumer, Chefredaktor

Der Krieg in der Ukraine hat den Preisaufschwung bei Rohstoffen zusätzlich forciert. Neben der Geopolitik spricht die zusehende Verknappung vieler Naturwaren zusammen mit einer strukturell wachsenden Nachfrage für diese spezielle Anlageklasse.

Am 19. Oktober feiert ein Mann seinen 80. Geburtstag, der zu Recht als «Starinvestor» bezeichnet werden kann: Jim Rogers. Bereits im zarten Alter von fünf Jahren startete er mit dem Verkauf von Erd- nüssen sein erstes Geschäft. Rogers spätere Börsenerfolge waren alles andere als «Peanuts». 1970 gründete Rogers gemeinsam mit George Soros den legendären Quantum-Hedgefonds. Vor der Jahrtausendwende sagte er einen Bullenmarkt bei Rohstoffen voraus und investierte erfolgreich in die zu dieser Zeit wenig beachtete Anlageklasse. Als der durch den wirtschaftlichen Aufstiegs Chinas befeuerte Boom den Markt für strukturierte Produkte erfasste, war Rogers – gekleidet mit der für ihn typischen Fliege – bei Branchenanlässen in Zürich anzutreffen.

«Mitte 2008 bereitete die Finanzkrise dem Höhenflug der Naturwaren ein jähes Ende.»

Mitte 2008 bereitete die Finanzkrise dem Höhenflug der Naturwaren ein jähes Ende. Unterbrochen von einigen Zwischenrallys erlebte das Segment eine jahrelange Talfahrt. Als Anfang 2020 die Corona-Pandemie ausbrach, kam es zum Tiefpunkt. Die US-Rohölsorte WTI notierte am 20. April 2020 zwischenzeitlich unter null – aus Furcht vor einer massiven Überversorgung und knapp werdenden Lagerkapazitäten wollte den Energieträger plötzlich niemand mehr haben. Knapp zwei Jahre nach diesem historischen Handelstag ist die Welt eine andere. Statt Lockdown und Mobilitätseinschränkungen ist der Krieg in der Ukraine an den Rohstoffmärkten das bestimmende Thema. Die Eskalation im Osten Europas hat eine schon zuvor laufende Rallye beschleunigt. Gut ablesen lässt sich das Comeback am UBS Bloomberg CMCI Composite Index. Diese Benchmark deckt die Anlageklasse in ihrer ganzen Brei- te ab (siehe Grafiken 1 und 2).

«Da die Produktion weniger stark expandierte, war der Markt zuletzt sieben Quartale nacheinander unterversorgt.»

«Es könnte Anzeichen für einen neuen Superzyklus geben, also eine Phase langanhaltender, stark steigender Preise für eine grosse Anzahl von Rohstoffen», meint Vivien Sparenberg, Head Flow Product Distribution Switzerland bei Vontobel. Im Interview auf Seite 10 erklärt sie den Hintergrund dieser Einschätzung: «Neben den aktuell geschnürten weltweiten Konjunkturpakten sowie staatlichen und privaten Infrastrukturinvestitionen scheinen auch die Industrialisierung und Urbanisierung Indiens, die Energiewende und Umstellung auf Elektromobilität Treiber für ein neuen Superzyklus zu sein.» In der Tat geht bei mehreren Rohstoffen ein strukturelles Nachfragewachstum mit einer latenten Verknappung einher.

Energie: Enorme Verunsicherung

Das gilt auch und gerade für das Energiesegment. Seien es Airlines, Reedereien, Transportunternehmen oder private Autofahrer: Zusammen mit der beschleunigten Industrieproduktion hat die Rückkehr der Mobilität den Verbrauch von Kerosin, Schweröl, Diesel, Benzin und Schmierstoffen deutlich angeschoben. Laut Zahlen der U.S. Energy Information Administration (EIA) erreichte die globale Ölnachfrage im vierten Quartal des vergangenen Jahres zum ersten Mal seit Anfang 2020 mehr als 100 Mio. Barrel pro Tag. Da die Produktion weniger stark expandierte, war der Markt zuletzt sieben Quartale nacheinander unterversorgt. «Die globalen
Öllagerbestände sind seit Mitte 2020 stetig gefallen», stellt die EIA fest.

«Zu enormen Verwerfungen kam es wegen der Eskalation in der Ukraine auch an den Metallmärkten.»

Gleichwohl rechnet die US-Energiebehörde in ihrem jüngsten Marktausblick mit einer Entspannung der Versorgungslage. Bereits im laufenden Quartal soll die globale Produktion die Nachfrage wieder übertreffen (siehe Grafik 3). Die EIA betont jedoch, dass die der Vorhersage zugrunde liegenden ökonomischen Annahmen vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine erstellt wurden. Der Ausblick sei daher mit grossen Unsicherheiten verbunden. Am 12. April (nach Redaktionsschluss) legt die US-Energiebehörde den nächsten «Short-Term Energy Outlook» vor.

OPEC+ bleiben auf Kurs

Auf der Angebotsseite geben die OPEC+ die Richtung vor. Diese Gruppe setzte sich aus der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) und weiteren Förderländern, allen voran Russland zusammen. Seit mehr als fünf Jahren nimmt das Kartell über Förderabsprachen massgeblichen Einfluss auf den Ölmarkt. Nachdem die OPEC+ mit massiven Kürzungen auf die Corona-Flaute reagiert haben, fahren sie die Produktion seit dem vergangenen Herbst wieder hoch. Doch wer erwartet hätte, die Gruppe könnte als Reaktion auf den Ukrainekrieg die Pumpen stärker beschleunigen, sah sich spätestens Ende März eines Besseren belehrt: Bei einem Treffen hielten die OPEC+ an dem Plan fest, die Förderung nur moderat zu forcieren.

In gewisser Weise haben die USA diesen Entscheid konterkariert. Denn praktisch zeitgleich mit dem Beschluss der von Saudi-Arabien angeführten Gruppe drehte Washington den Ölhahn auf: Die US-Regierung kündigte an, über einen Zeitraum von sechs Monaten täglich 1 Mio. Barrel aus den strategischen Reserven frei zu geben. So stark wurden die US-Vorräte noch nie in Anspruch genommen. Folgerichtig gab das schwarze Gold nach dieser Meldung deutlich nach.

«Bei einem Treffen hielten die OPEC+ an dem Plan fest, die Förderung nur moderat zu forcieren.»

Industriemetalle: Engpässe dominieren

Zu enormen Verwerfungen kam es wegen der Eskalation in der Ukraine auch an den Metallmärkten. Besonders extrem fielen sie bei Nickel aus – mehr dazu im Interview mit Vivien Sparenberg. Generell hat der Krieg eine ohnehin angespannte Angebotslage in diesem Rohstoffsegment noch einmal verstärkt. Beispiel Aluminium: Wegen seiner weichen und gleichzeitig zähen Beschaffenheit eignet sich dieses Metall für die verschiedensten Anwendungen. Neben Flugzeugen und Automobilen zählen dazu beispielsweise Verpackungen unterschiedlichster Art. Dementsprechend hat der Wirtschaftsaufschwung diesen Markt 2021 ins Defizit geführt. Laut Zahlen des World Bureau of Metal Statistics (WBMS) übertraf die Nachfrage das Angebot um knapp 2 Mio. Tonnen.

«Profitiert haben vom neuen Commodity- Superzyklus auch die Aktien des Sektors.»

Dem Datendienstleister zufolge hat Russland im vergangenen Jahr knapp 4 Mio. Tonnen produziert und stand damit für annähernd 6% der globalen Produktion von Primäraluminium. Der Grossteil dieser Menge geht in den Export, grösster Einzelabnehmer ist die Türkei. Daneben beliefert Russland die EU, Japan, China und die USA mit diesem wichtigen Industriemetall. Nach Ansicht von Commerzbank-Analyst Daniel Briesemann könnte Russland wegen der westlichen Sanktionen versuchen, künftig mehr Material nach China zu verkaufen. «Dadurch würde sich die Angebotsknappheit in der EU und in den USA wohl weiter verschärfen», schreibt er in einem Kommentar.

Selbst ohne mögliche Lieferausfälle Russlands ist der Markt angespannt. Briesemann verweist darauf, dass europäische Schmelzen ihre Produktion wegen der hohen Energiepreise gedrosselt haben. Angesichts der skizzierten Gemengelage überraschen die Avancen beim Aluminiumpreis nicht. Anfang März kostete eine Tonne an der London Metal Exchange (LME) zum ersten Mal mehr als USD 4’000. «Das prognostizierte hohe Angebotsdefizit und die möglichen bevorstehenden Lieferausfälle sprechen für anhaltend hohe Aluminiumpreise in den kommenden Monaten», meint der Commerzbank-Analyst.

Gold: Zwei Pro- und ein Contra-Argument

Weniger die Relation von Angebot und Nachfrage, als vielmehr der Status als Krisenwährung und Inflationsschutz schiebt den Goldpreis an. Im ersten Quartal verteuerte sich die Feinunze um knapp 6%. Damit ist dem Edelmetall der Ausbruch über den im August 2020 lancierten Abwärtstrend gelungen (siehe Grafik). Wenngleich sich zum Monatsende etwas Hoffnung auf eine Annäherung zwischen Russland und der Ukraine breit machte, dürfte Gold als Krisenwährung gefragt bleiben. Gleiches gilt für das Argument Inflationsschutz: Vor allem die hohen Energiepreise sorgten dafür, dass die Teuerung vielerorts historische Ausmasse erreicht hat.

An dieser Stelle kommt ein Argument gegen Goldinvestments ins Spiel: Die Notenbanken stemmen sich mit einer restriktiveren Geldpolitik gegen das Inflationsgespenst. In der ersten Reihe dieser Bewegung steht das Fed. Nachdem die US-Notenbank ihren Schlüsselsatz im März bereits erhöht hat, gehen die Märkte für die Sitzung Anfang Mai fest von einem weiteren Schritt aus. Da Gold selbst keine Erträge abwirft, schmälern steigende Zinsen den Reiz des Edelmetalls.

Agrarrohstoffe: Teurer Kaffeegenuss

Die Frage, wie es in punkto Inflation weitergeht, wird ein Stück weit auch an den Agrarmärkten mitentschieden. Wenig überraschend sind die Preise in diesem Segment zuletzt stark gestiegen. Weizen – rund 30% der weltweiten Exporte dieseses Getreides stammen aus Russland und der Ukraine – verteuerte allein in der ersten Märzwoche um mehr als die Hälfte. Wenngleich der Agrarrohstoff dieses Niveau nicht halten konnte, notiert der am Chicago Board of Trade gehandelte nächstfällige Terminkontrakt um mehr als zwei Drittel über dem vor einem Jahr fixierten Niveau. Neben den kurzfristigen geopolitischen Treibern gilt der Klimawandel als ein wichtiger Faktor im Agrarsegment.

Passend zu dieser These ist Kaffee mit einem Plus von mehr als 80% auf 12-Monats-Sicht ein Top-Performer unter den landwirtschaftlichen Erzeugnissen. 2021 ist die Kaffeeernte in Brasilien deutlich geschrumpft. Zwar sollen die Felder in dem südamerikanischen Land jetzt wieder deutlich mehr Bohnen tragen. Doch geht die brasilianische Prognosebehörde Conab davon aus, dass der Ertrag deutlich hinter dem vor zwei Jahren erreichten Rekord zurückbleibt. Hinzu kommen fallende Lagerbestände – hier spielt auch der durch die Wiedereröffnung der Gastronomie versursachte Verbrauchsanstieg eine Rolle.

«Wenig überraschend sind die Preise in diesem Segment zuletzt stark gestiegen.»

Anlagelösungen: Zugang in die Welt der Rohstoffe

Seit der Zeit, als Jim Rogers zu den Stars diverser Struki-Anlässe zählte, ist das die Palette an Rohstoffprodukten deutlich geschrumpft. Gleichwohl gibt es immer noch genügend Möglichkeiten, die Anlageklasse in das Portfolio zu holen. Insbesondere die UBS ist ihrem Faible für diesen Markt treu geblieben. Zu den zahlreichen Partizipationslösungen der Zürcher zählt der Tracker CCMCIU auf den UBS Bloomberg CMCI Composite CHF Monthly Hedged TR Index. Das Produkt bildet den bereits erwähnten, marktbreiten Rohstoffbenchmark ab. Wie der Name sagt, wird der Basiswert in CHF berechnet und Wechselkursschwankungen relativ zur Rohstoffvaluta USD auf monatlicher Basis ausgeklammert.

Profitiert haben vom neuen Commodity-Superzyklus auch die Aktien des Sektors. Die Bank Vontobel fährt mit ihrem Tracker-Zertifikat VZOIU auf den Oil-Strategy Index einen zweigleisigen Ansatz. «Je nach Form der Ölpreis-Futures Kurve wählt der Basiswert entweder Aktien von Öl-Konzernen oder Öl-Futures aus», erklärt Vivien Sparenberg. Sobald Terminkontrakte mit einer längeren Laufzeit tiefer notieren als ihre früher fälligen Pendants, greift der Index zum Future. Auf diese Weise sollen die in der «Backwardation»-Situation möglichen Rollgewinne vereinnahmt werden. Befindet sich der Markt im «Contango», will heissen, der Futurepreis steigt, je weiter der Verfall in der Zukunft liegt, erhalten Aktien den Vorzug. Die Strategie möchte auf diese Weise den Nachteil der beim Austausch auslaufender Kontrakte drohenden Rollverluste umgehen. Zuletzt ist diese Methodik aufgegangen: Auf Sicht von einem Jahr hat sich der Tracker in USD mehr als verdoppelt. Zum Vergleich: Für die Nordseeölgattung Brent steht im selben Zeitraum ein Plus von etwas mehr als zwei Dritteln zu Buche.

«Profitiert haben vom neuen Commodity-Superzyklus auch die Aktien des Sektors.»

Gut vertreten sind die Rohstoffaktien auch als Basiswerte für Renditeoptimierungsprodukte. Am 11. April startet der SIX-Handel mit dem Callable Barrier Reverse Convertible (BRC) CGCCBL. Leonteq hat hier drei Branchenriesen zusammengebracht: BHP Group, Glencore, Rio Tinto. Das Trio macht einen garantierten Coupon von 11.00% p.a. möglich. Diese Chance ist durch Barrieren bei 55% der Anfangsfixierung teilgeschützt. Reicht das Polster nicht, wären Anleger dem vollen Risiko des schwächsten Titels ausgesetzt. Emittentin dieses mit einem Kündigungsrecht versehen BRC ist die Cornèr Bank.

Für alle drei Empfehlungen gilt: Trotz der fundamentalen Treiber sind Rückschläge am Rohstoffmarkt nicht ausgeschlossen. Beispielsweise könnte eine globale Rezession eine Kehrtwende verursachen. Gerade mit den Partizipationsprodukten sollten Anleger ohnehin auf die längerfristigen Chancen sowie den Diversifikationseffekt der Commodities setzen. Wie stark sich ein «langer Atem» bezahlt machen kann, hat Starinvestor Jim Rogers eindrucksvoll bewiesen.

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