Roundtable: Smart Indexing
Passive Anlageprodukte wie ETFs und Tracker-Zertifikate sind inzwischen eine feste Grösse in der Anlagewelt und bei der Vermögensanlage. Vier ausgewiesene Experten diskutierten im Rahmen eines Roundtable-Gespräches über die Konzeption zwischen Kern und Satelliten, Kundenvorlieben, Smart Beta, deren Chancen und Risiken sowie die neuesten Trends.
Meine Herren, die Anlagewelt ist stark in Bewegung. Ein viel zitierter Begriff sind Kernanlagen, auch als Core Investments betitelt. Wie lassen sich Kernanlagen in einfachen Worten definieren?
Sven Württemberger: Ich definiere den Kern als ein Investment, das in Standardmärkte geht. Dazu zählt ein EURO STOXX 50 für Europa, ein S&P 500 für die USA, ein DAX für Deutschland oder ein SMI für die Schweiz. Also Anlagen in Indizes, die, breit gestreut, standardisiert investierbar sind und einen Markt im klassischen Sinne abbilden.
Andreas Homberger: Unter Kernanlage verstehe ich eine Abdeckung aller Anlageklassen und aller Märkte auf eine möglichst einfache Art und Weise.
…was versteht man im Finanzjargon unter Satellitenanlagen?
Florian Stasch: Wenn der Kern eher die etablierten Märkte darstellt, welcher auf eine grundsolide langfristige Rendite abzielt, dann sind Satelliten Anlagen, die etwas Würze ins Depot bringen sollen. Über die Auswahl von Anlagethemen, Ländern oder Sektoren wird bei diesem Ansatz versucht, durch eine taktische Übergewichtung eine gewisse Überrendite zu erzielen bzw. eine Benchmark zu schlagen. Der Anleger muss sich aber bewusst sein, dass eine höher erwartete Rendite immer mit einem höheren Risiko einhergeht.
Andreas Homberger: Satelliten sind Anlagen, die in Richtung Spielgeld gehen. Geld, welches man nicht braucht und bei dem der Anleger bereit ist, auch einen Verlust in Kauf zu nehmen, falls es schiefgeht. Punkto Gewichtung sehe ich aus Sicht eines Praktikers ein Verhältnis zwischen Kern- und Satellitenanlagen von 90% zu 10%. Es gibt in der Regel nur eine begrenzte Anzahl an attraktiven Themen, die wirklich einen Mehrwert versprechen. Bildlich gesprochen sind Kernanlagen der Volkswagen und Satelliten der Porsche oder der Ferrari.
Raimund Müller: Satelliteninvestments stellen jeweils nur einen kleineren Anteil am Portfolio dar. Sie machen vor allem in Märkten mit geringer Markteffizienz Sinn. Dort bestehen eher Möglichkeiten, mit einem aktiven Management die Benchmark zu schlagen und überdurchschnittliche Renditebeiträge zu erzielen. Zudem wirken sie aufgrund geringer Korrelationen mit dem Core-Investment diversifizierend.
Herr Württemberger, muss eine Kernanlage immer passiv sein?
Sven Württemberger: Wir sehen generell eine Passivierung des Kerns in der Industrie. Das lässt sich etwa an den Mittelflüssen der ETFs ablesen. So machen die zehn grössten der global rund 3’000 passiven Indexfonds gegenwärtig rund 20% des gesamten Volumens im Markt aus. Dazu gehört u.a. ein ETF auf den MSCI World oder einer auf den S&P 500.
Welche Bedeutung haben ETFs inzwischen in der Schweiz?
Florian Stasch: An der SIX Swiss Exchange sind mittlerweile rund 1’100 ETFs kotiert. Bei der überwiegenden Mehrheit handelt es sich dabei um klassische Beta-Fonds. Etwa 80 ETFs bilden Strategien bzw. Themen ab. Ihre Anzahl hat im vergangenen Jahr 2015 stark zugenommen.
Wie sehen die Kundenvorlieben der einzelnen Indextypen aus?
Raimund Müller: Kapitalisierungsgewichtete ETFs dominieren nach wie vor das Marktgeschehen. So sind global rund USD 2’300 Mrd. in Aktien-ETFs investiert, wovon drei Viertel im Bereich der kapitalisierungsgewichteten Strategien anfallen. Bereits an zweiter Stelle folgen jedoch Alternative-Beta-ETFs, dies noch vor währungsgesicherten oder nachhaltigen Anlagen. Es ist also ein deutlicher Trend in Richtung der alternativen Indexierungsformen auszumachen.
Sven Württemberger: Smart-Beta, Konzepte wie Faktormodelle oder gleichgewichtete Indizes erfreuen sich steigender Beliebtheit. Wie so häufig in der Finanzindustrie kommt der Trend aus dem institutionellen Bereich der USA, wo bereits rund 20% in Smart-Beta investiert sind. In Europa sehen wir hier noch Entwicklungspotenzial, denn hier liegen die Anteile erst bei etwa 10%. Die grosse Nachfrage liegt in den aktuell bestehenden Risiken begründet. So haben wir eine hohe Volatilität, was zu einem Absicherungsbedürfnis führt. Anleger möchten daher verstärkt die Performance- und Risikoparameter in ihrem Portfolio isolieren und nicht den gesamten Markt kaufen. Das führt zu Konzepten wie Value, Growth, Momentum u.a. Für diese Anlagen gibt es mittlerweile ETF-Lösungen, die aber im Unterschied zu den rein passiven Beta-ETFs ihre eigenen Gesetze haben.
Was ist das Besondere an Smart-Beta und wie kann ich es als Anleger nutzen?
Andreas Homberger: Nicht alles Gute ist neu, nicht alles Neue ist gut. Zweiteres gilt meiner Meinung nach für das Konzept Smart-Beta. Diese sind nichts anderes als aktiv verwaltete Fonds. Aktiv verwaltete Fonds weichen in irgendeiner Form von den klassischen marktgewichteten Indizes ab. Bei Smart-Beta müssen Anleger den Anlageprozess verstehen, der dahinter steht. Dieser lässt sich von Aussenstehenden häufig aber nur schwer nachvollziehen. Smart-Beta klingt auf den ersten Blick vielversprechend und lässt sich entsprechend vermarkten. Es ist allerdings eine Illusion, zu glauben, dass solche ETFs ähnlich oder gleich den klassischen Beta-ETFs sind. Der Nobelpreisträger William Sharpe sagt zu Smart Beta: «Smart Beta makes me sick.»
Sven Württemberger: Smart-Beta-Fonds sind ganz klar keine aktiven Fonds. Die Index-Konstrukte werden sehr transparent ausgewiesen und sind zumeist regelbasiert. Das Wachstum der Smart-Beta ist ein Fakt und nicht mehr wegzudiskutieren – in diesem Bereich findet gegenwärtig in der Fondsindustrie Innovation statt.
Raimund Müller: Alternative Beta-Strategien sind grundsätzlich keine neue Erfindung. Das Wissen wurde in der akademischen Welt über die Jahrzehnte erarbeitet. Bereits seit den 1970er-Jahren stehen faktorbasierte Anlagestrategien im Mittelpunkt akademischer Untersuchungen. Dabei hat sich gezeigt, dass sich die klassischen Benchmarks mit Strategien, die nach Value, Quality, Low Volatility und Yield ausgerichtet sind, tendenziell übertreffen lassen. Wohingegen die Evolution stattgefunden hat, ist in der Implementierung dieser Strategien in transparenten und effizienten Vehikeln wie ETFs, welche den Anlegern einen einfachen und kostengünstigen Zugang ermöglichen.
Gibt es Risiken im Einsatz von Smart-Beta?
Andreas Homberger: Bei gleichgewichteten ETFs erhalten alle Titel dasselbe Gewicht. Das kann Probleme mit sich bringen vor allem bei grossen Fonds, da kleinkapitalisierte Aktien nur eine eingeschränkte Liquidität haben. Zudem verursacht der ständige Anpassungsbedarf höhere Kosten im Vergleich zu klassischen Beta-ETFs. In unserer Firma legen wir daher das Schwergewicht auf kapitalisierungsgewichtete Indexfonds.
Welches sind die Vorteile von Smart-Beta?
Sven Württemberger: Ein Smart-Beta-Produkt ist ein einfaches, transparentes und flexibles passives Investment, basierend auf einem Indexmodell. Ob der ETF einen MSCI World oder eine Momentum-Strategie abbildet, spielt im Endeffekt keine Rolle. Sie kaufen einen ETF, weil sie ihn an der Börse täglich flexibel handeln können. Was dahinter der Index macht, ist wichtig und muss transparent sein. Ein Smart-Beta-ETF wird immer regelbasiert angelegt und der zugrunde liegende Index mit einem technischen Ansatz abgebildet.
Raimund Müller: Ein interessanter und empirisch nachgewiesener Aspekt ist, dass sich mit Alternativen Beta-Strategien zusätzliche Renditequellen erschliessen und klassische Indizes übertreffen lassen. So haben die Faktorstrategien Value, Qualität, Volatilität oder Rendite über eine Zeitperiode von zehn bis 15 Jahren den breiten Markt geschlagen – dies gilt sowohl für den US- als auch für den europäischen Aktienmarkt. Anleger, die auf solche Konzepte setzen, sollten jedoch langfristig operieren. Alternative Beta-Strategien können durchaus über gewisse Perioden auch schwächer abschneiden als der breite Markt, gemessen an marktkapitalisierungsgewichteten Indizes.
Was steckt hinter der zunehmenden Nachfrage nach Smart-Beta?
Sven Württemberger: Das Wachstum kommt vor allem von der Investorenseite. Sie benötigen neue Produkte, um im aktuellen Marktumfeld besser agieren können. Die Volatilität ist gestiegen. Nach einer bald siebenjährigen Hausse an den Aktienmärkten, ungewissen Perspektiven für 2016 und einem Negativzinsumfeld stellen sich viele die Frage, was sie mit ihrem Geld machen sollen. Für eine differenzierte Anlage müssen sie sich neu positionieren. Das haben sowohl institutionelle als auch private Anleger verstanden und fragen nach solchen neuartigen Konzepten. Diese Nachfrage müssen wir als Industrie bedienen. Das Wachstum von Smart-Beta ist daher ein unumstössliches Faktum und wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen.
Welche Anlagetrends stehen bei den Indexprodukten im Vordergrund?
Florian Stasch: Wir positionieren uns im Satellitenbereich, den 10-20% des Vermögens. Dabei machen wir Themen handelbar, die bisher nicht oder nicht so einfach zugänglich waren. Populär in den letzten Monaten waren Technologie-Themen, bspw. intelligente Autos, intelligentes Zuhause oder Internetsicherheit. Spezialisierte Anbieter entwickeln auf solche Themen Indizes, welche als Basis für Tracker-Zertifikate oder Kapitalschutzlösungen dienen. Letztere sind ein interessanter Aspekt, bei dem Smart-Beta im gegenwärtigen Tiefzinsumfeld sehr hilfreich sein kann. So ist es mithilfe eines alternativen Indexgewichtungsmodells möglich, kapitalgeschützte Produkte zu kreieren, was mit einem klassischen Index wie dem EURO STOXX 50 derzeit nicht funktioniert. Im Unterschied zu Smart-Beta-Fonds können neue Ideen über die Anlageklasse der Strukturierten Produkte viel schneller umgesetzt werden.
Raimund Müller: Eine grosse Nachfrage von Investorenseiten sehen wir bei währungsgesicherten Anlagelösungen. Hier werden sowohl auf der Obligationen- wie auch auf der Aktienseite ETFs nachgefragt, welche bereits eine Währungsabsicherung integriert haben. Sicherlich hat die Aufhebung des EUR/CHF-Mindestkurses durch die SNB am 15. Januar 2015 diesen Trend unterstützt. Ferner möchte ich das nachhaltige Investieren anführen. Viele Investoren wollen nachhaltig, zukunftsorientiert und im Einklang mit den persönlichen Werten anlegen, ohne dabei auf Rendite zu verzichten. Entsprechend sehen wir eine stetig wachsende Beliebtheit von Socially Responsible Investments (SRI) sowohl im Aktien- als auch im Obligationensegment.
Sven Württemberger: Wir sehen derzeit Zuflüsse bei Aktien-ETFs im europäischen Bereich und für viele überraschend neuerdings auch wieder in Emerging Markets, vor allem in den asiatischen Raum. Im Obligationenbereich sind es ebenfalls vorwiegend die Schwellenländer, die auf Interesse stossen. Sie offerieren etwa im Vergleich zu Europa deutlich höhere Renditen. Das sind im Augenblick die wesentlichsten Trends. Als Cash Plus weichen Schweizer Anleger anstelle der Liquiditätshaltung momentan auf Unternehmensanleihen aus. Im Smart-Beta-Segment stösst in Anbetracht der gestiegenen Volatilität das Minimum-Volatilitäts-Konzept auf eine rege Nachfrage. Der Ansatz federt das Risiko ab – aber gleichzeitig auch die Rendite. In einem riskanten Markt ist das zweifellos die beste Option.
Eine letzte Frage an den Schweizer Vermögensverwalter in der Runde: Wie sieht aktuell Ihre Anlagestrategie aus bei einem neuen Mandat mit einem mittleren Risiko?
Andreas Homberger: Ich würde zurzeit wohl nur die Hälfte anlegen und den Rest im Cash lassen. Meistens hat sich ein gestaffeltes Vorgehen in der Vergangenheit bewährt. Für Aktien sind wir derzeit vorsichtig und investieren Neugelder ein unter unserem üblichen Mittel. Bei Obligationen liegt der Fokus auf variablen Papieren, deren Renditen ansteigen im Falle einer Zinswende. Für risikobewusste Anleger dürften gefallene Engel wie Russland, Brasilien, China, Öl und Edelmetalle wie bspw. Platin die grössten Chancen bieten.