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payoff Focus

Stagflation: Dem Risiko ein Schnippchen schlagen

08.09.2022 9 Min.
  • Serge Nussbaumer, Chefredaktor

Steigende Inflationsraten bei einer gleichzeitig konjunkturellen Schwäche – Börsianer stehen wahrlich vor herausfordernden Zeiten. Experten nehmen sogar zunehmend den Ausdruck «Stagflation» in den Mund. Mit einer taktischen Asset-Allokation kann der Anleger aber dem allseits gefürchteten Szenario tapfer entgegentreten. Wir zeigen auf, welche Investments jetzt ins Depot gehören.

Der Krieg in der Ukraine, fragile Wertschöpfungsketten, hohe Inflationsraten, monetäre Straffungen sowie eine weiterhin grassierende Pandemie – die Liste an Herausforderungen ist für Börsianer lang. In diesem komplexen Umfeld wird es für Anleger zunehmend schwierig, auf das richtige Asset zu setzen, zumal auch noch das Gespenst der Stagflation umherspukt. Der Begriff führt die beiden volkswirtschaftlichen Ausdrücke Stagnation und Inflation zusammen und beschreibt eine Phase, in der das Wirtschaftswachstum stockt (Stagnation) respektive rückläufig ist (Rezession), während gleichzeitig die Inflation in die Höhe galoppiert.

Sorgenreiche Entwicklung

Auslöser von dem am meisten gefürchteten Szenario für eine Volkswirtschaft
sind in der Regel Angebotsschocks. Das heisst, wird zum Beispiel ein Rohstoff wie Erdöl – die Ölkrise Anfang der 1970er-Jahre lässt grüssen – oder Gas knapp, zieht diese enorme Auswirkungen nach sich. Nicht nur, dass höhere Energiepreise ohnehin den Geldbeutel der Haushalte schmälern, auch nehmen die Produktionskosten der Unternehmen zu, was wiederum zu höheren Produktpreisen führt. Summa summarum schwindet die Kaufkraft.

«Um nämlich Preissteigerungen auszugleichen, fordern Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaften gerne höhere Löhne.»

Das ist aber noch nicht alles: eine sogenannte Lohn-Preis-Spirale steht in einem derartigen Fall ebenfalls im Raum und bedroht die Wirtschaft zusätzlich. Um nämlich Preissteigerungen auszugleichen, fordern Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaften gerne höhere Löhne – wie auch in der aktuellen Situation zu beobachten ist –, wodurch sich eine bedrohliche Wechselwirkung zwischen zunehmenden Preisen und Löhnen entwickeln kann. «Stagflation ist ‚Pest und Cholera‘ zugleich», beschreiben die Experten von Union Investment die Situation und führen weiter aus: «Eine Stagflation stellt nicht nur Politik und Wirtschaft, sondern auch Anleger vor eine grosse Herausforderung.»
 
Beim Anblick der aktuellen Geschehnisse, müssen sich Anleger tatsächlich Sorgen bezüglich einer Stagflation machen. Das gilt vor allem in Europa, wo sich durch den Krieg in der Ukraine ein erhebliches Angebotsdefizit bei Gas zeigt. Allein im August legten die Gaspreise um rund 40% zu und haben sich im laufenden Jahr in etwa vervierfacht. Ein Ende ist nicht in Sicht: Der russische Exporteur Gazprom unterbrach die Lieferungen über die Ostseepipeline Nord Stream 1 ab Ende August wegen Wartungsarbeiten erneut. Das nährt Befürchtungen, dass der ohnehin schon stark gedrosselte Gasfluss aus Russland gänzlich zum Erliegen kommen könnte. Als Reaktion darauf, markierte der europäische Erdgas-Future ein neues Rekordhoch von über EUR 300 pro Megawattstunde.

Preisexplosionen

Die Gaskrise sowie die immer noch anhaltenden Lieferkettenprobleme im Zuge der Corona-Krise sorgen auf der anderen Seite dafür, dass die Inflation weiterhin auf einem extrem hohen Niveau bleibt. In den vergangenen Monaten kannte die Teuerung in der Eurozone nur eine Richtung: Norden. Im Juli erreichte sie laut dem Statistikamt Eurostat einen Rekordwert von 8.9%. Dies ist die höchste Rate seit Einführung des Euro als Buchgeld im Jahr 1999. Nach Ansicht von Agustin Carstens, Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), scheint die Weltwirtschaft vor einem historischen Wandel zu stehen. «In diesem Fall könnte sich die jüngste Zunahme des Inflationsdrucks als länger anhaltend erweisen», warnte der BIZ-Vorsitzende auf dem jüngsten Notenbanken-Treffen in Jackson Hole im US-Bundesstaat Wyoming.

«In den vergangenen Monaten kannte die Teuerung in der Eurozone nur eine Richtung: Norden.»

Der Geldhahn geht zu

Das wohl wirksamste Mittel gegen Inflation sind steigende Zinsen. In den USA fackelte die Fed auch nicht lange und wandelt bereits seit längerem auf einem steilen Zinserhöhungspfad. Bereits vier Mal schraubten die Währungshüter im laufenden Jahr den Leitsatz nach oben, zuletzt sogar in ungewöhnlich hohen Schritten von 0.75 Prozentpunkten. Auf dem alten Kontinent agiert die Notenbank dagegen deutlich defensiver. Erst im Juli liess sich die Europäische Zentralbank (EZB) zu einem ersten Zinsschritt hinreissen. «Die Erhöhung um 50 Basispunkte ist ein Schritt in die richtige Richtung», urteilt Andrea Siviero, Investment Stratege bei Ethenea Independent Investors, fügt aber hinzu: «Die Situation bleibt jedoch für die EZB besonders herausfordernd, da sie zwischen den Risiken von Stagflation, Rezession und politischen Spannungen innerhalb der Eurozone gefangen ist.»

«Auf dem alten Kontinent agiert die Notenbank dagegen deutlich defensiver.»

Es sind vor allem die wirtschaftlichen Abweichungen sowie die unterschiedlichen Verschuldungssituationen in den Euro-Ländern, die eine gemeinsame fiskalische Richtung erschweren. Die jüngst veröffentlichten EZB-Protokolle zeigen aber, dass nur wenige Währungshüter auf der Sitzung im Juli für eine eher schwache Erhöhung argumentiert hatten. Da der Teuerungsdruck weiterhin besteht – laut der Mitschrift hat sich dieser «ausgeweitet und verstärkt» –, geht das Gros der Ökonomen von einer erneut kräftigen Anhebung aus. «Basierend auf dem Protokoll und dem Fokus auf Datenabhängigkeit für die anstehenden Sitzungen erwarten wir eine Erhöhung um 50 Basispunkte im September», schätzen die Experten der US-Bank Morgan Stanley. Auch Ethenea-Stratege Siviero hofft auf ein entschlossenes Handeln der Notenbank: «Ein weiteres Hinauszögern ihrer Massnahmen würde das derzeitige schädliche Stagflationsumfeld unnötig verlängern.» Die nächste Zinssitzung der EZB ist für den 8. September angesetzt.

In der Zwickmühle

 
Steigende Leitsätze können zwar einerseits die Inflation einfangen, die wirtschaftliche Entwicklung allerdings in Bedrängnis bringen, denn eine Reduzierung der Geldmenge bremst gleichzeitig auch die Nachfrage. Bei einer Stagnation müssen die Notenbanken aber versuchen, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Die Entscheider stecken also wahrlich in der Patsche. Werden die Zinsen zu stark erhöht, schreitet die Stagnation voran oder mündet im Worst-case gar in einer Rezession. 

Die Stagflation stellt aber nicht nur Notenbanken, Politik und Wirtschaft vor eine große Herausforderung, sondern auch Anleger. Cash ist dabei wohl die schlechteste Wahl, denn aufgrund der hohen Inflation findet auf dem Bankkonto eine reale Geldentwertung statt. Welche Anlageklassen aber sind in einer derartigen Phase zu bevorzugen, um eine Chance auf den Ausgleich der Teuerung zu haben?

«Die Stagflation stellt aber nicht nur Notenbanken, Politik und Wirtschaft vor eine grosse Herausforderung, sondern auch Anleger.»

Investieren in unsicheren Zeiten

Starten wir mit jenen Klassen, bei denen Anleger vorerst an der Seitenlinie bleiben sollten. Dies gilt neben dem erwähnten Bargeld auch für Obligationen, denn die Inflation lässt die Zinsen steigen und belastet damit die Kurse der Bonds. Zum anderen ist auch von hoch bewerteten Wachstumsaktien abzuraten, die häufig noch keine Gewinne erzielen. Denn angesichts steigender Zinsen rückt bei diesen Unternehmen wieder verstärkt die Schuldensituation in den Fokus.

Anleger sollten Aktien aber nicht gänzlich den Rücken kehren, das vielerorts propagierte Akronym TINA – There is no Alternative – zu Aktien, dürfte immer noch Gültigkeit besitzen. Dabei ist aber ein selektives Vorgehen ratsam. Tendenziell behaupten sich während einer Stagflation eher defensive Unternehmen, also Konzerne, deren Produkte und Dienstleistungen für den Alltag der Menschen unverzichtbar sind. Zudem sind eine solide Bilanz, konstante Cashflows sowie eine Preissetzungsmacht wichtig. Eine Dividendenkontinuität unterstreicht zusätzlich die Qualität eines Unternehmens.

«Tendenziell behaupten sich während einer Stagflation eher defensive Unternehmen.»

Gleich zwei Fliegen mit einer Klatsche können Anleger mit dem Tracker-Zertifikat DIVQC auf den UBS Global Quality Dividend Payers Index schlagen. Um in das Barometer einziehen zu können, müssen die Unternehmen nämlich nicht nur über eine attraktive Dividendenrendite verfügen, sondern auch eine gesunde Bilanz sowie ein nachhaltiges Umsatz- und Gewinnwachstum vorweisen. Dazu durchforsten die UBS-Analysten alle drei Monate ein internationales Universum von mehr als 3’300 Aktien von denen letztlich 30 Titel ausgewählt werden. Das ist noch nicht alles: Auch auf eine ausreichende Diversifikation hinsichtlich Länder und Branchen wird geachtet. Dass sich der Aufwand lohnt, zeigt ein Blick in den Rückspiegel: Der UBS Global Quality Dividend Payers Index – gemessen in Schweizer Franken – brachte es auf einen durchschnittlichen Wertzuwachs in den vergangenen fünf Jahren von 9.4%. (siehe auch «Learning Curve» Seite xx)

«Einen besonders guten Ruf geniessen auch die Familienunternehmen.»

Einen besonders guten Ruf geniessen auch die Familienunternehmen. Sie gelten als renditestark und krisenfest. Mit Blick auf die aktuelle Lage an den Weltmärkten sind das Attribute, die Anleger aufhorchen lassen sollten. «Familiengeführte mittelständische Unternehmen verfolgen tendenziell eine längerfristig orientierte Strategie, sie haben in Krisenzeiten einen längeren Atem und können somit Durststrecken oft besser überbrücken, ohne dass das Unternehmen substanziell Schaden nimmt», erläutert Michael Marbler, Partner bei der Beratungsgesellschaft EY. Eine Auswertung von EY zusammen mit der Universität St. Gallen zeigt, dass die grössten Familienunternehmen für die Gesundheit der Weltwirtschaft von entscheidender Bedeutung sind. Sie erwirtschaften zusammen einen Umsatz von USD 7.28 Billionen und beschäftigen 24.1 Millionen Mitarbeiter. Den Experten zufolge haben diese Unternehmen zuletzt in der Corona-Krise ihre langfristigen Geschäftsaussichten mit der Fähigkeit in Einklang gebracht, sich in einer Krise schnell zu bewegen. Mit dem aktiv gemanagten Tracker QHMLTQ auf den AcrossGen European Family Owned Index lässt sich in ein sorgfältig ausgewähltes Portfolio von Unternehmen investieren, bei denen eine Familie hinter dem Unternehmenserfolg steht. Die Gesellschaft muss dabei mindestens in der zweiten Generation geführt werden. Das Universum des Index umfasst alle europäischen börsennotierten Aktien.

Gold als Sicherheitsanker

«Last but not least» könnte auch Gold seinem zugeschriebenen Charakter als Vermögenswert, der sich bei ungünstigen wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen gut entwickelt, in der aktuellen Phase gerecht werden. Ein Rückblick in die 1970er-Jahre unterstreicht die Annahme, dass bei Stagflationsphasen Gold als Absicherung zunehmend von Anlegern gefragt ist. Als zwischen dem 3. Quartal 1973 und dem 1. Quartal 1975 das US-BIP sank und die Inflation in diesem Zeitraum von 7.4% auf über 10% kletterte, verteuerte sich das Edelmetall um knapp drei Viertel. Investieren lässt sich in die Anlageklasse unter anderem mit dem Gold-ETF von iShares CSGOLD. Dieser physische Fonds kommt mit einer geringen Gesamtkostenquote von 0.19% p.a. aus.

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