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payoff Focus

US-Wahlen: Lackmustest für die Wall Street

01.10.2020 13 Min.
  • Serge Nussbaumer, Chefredaktor

Bei den Präsidentschaftswahlen am 3. November steht in den USA ein Richtungsentscheid an. Amtsinhaber Donald Trump dürfte im Falle eines Sieges an seiner «America First»-Doktrin festhalten. Dagegen käme unter Joe Biden ein wirtschafts-, sozial- und aussenpolitischer «U-Turn» auf die von der Corona-Pandemiegeplagten Vereinigten Staaten zu. Für die Wall Street als Ganzes lassen sich die Folgen des Urnengangs relativ schwer abschätzen. Im Speziellen dagegen kristallisieren sich einzelne Sektoren als potenzielle Gewinner und Verlierer heraus.

Eigentlich müsste Washington D.C. am 20. Januar 2021 Kopf stehen. Für diesen Tag ist in der US-Hauptstadt die Amtseinführung des 59. Präsidenten angesetzt. Doch wenige Monate vor der «Inauguration Ceremony» ist nicht nur offen, wer an der Westfront des Kapitols den Eid ablegen wird. Wegen der Corona-Pandemie steht auch der Rahmen dieser Feierlichkeit ziemlich in den Sternen. Ende August hat der für die Organisation zuständige Senator Roy Blunt erklärt, dass die Zeremonie «wahrscheinlich anders aussehen» werde. In jedem Fall müssten die Besucher mit einer Reihe von Social-Distancing-Vorschriften rechnen. Ungeachtet dessen offerieren diverse Buchungsplattformen bereits Tickets für den Anlass. Während weit von der Bühne entfernte Stehplätze ab USD 300 zu haben sind, rufen die Dienstleister für die begrenzten Sitzplätze im vorderen Bereich USD 9’500 auf.

Ablauf und Rahmen der Amtseinführung zählen zu den kleineren Problemen des politischen Amerikas. Und doch zeigen die skizzierten Unwägbarkeiten, wie sehr das Virus auch und gerade die Supermacht USA aufwühlt. Folgerichtig ist die Pandemie mit ihren drastischen gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen das bestimmende Thema im Wahlkampf. Nur allzu gerne würde Donald Trump am 20. Januar mit viel Glamour in eine zweite Amtszeit starten. Dagegen hat vor allem Joe Biden etwas. Der Demokrat und Vizepräsident unter Barack Obama möchte seine bereits in den 1970er-Jahren gestartete Politikerlaufbahn mit der Rückkehr in das Weisse Haus krönen.

Kompliziertes US-Wahlrecht

Geht es nach den Umfragen, dann stehen die Chancen hierfür nicht schlecht. Mitte September lag Biden mit 6.8 Prozentpunkten vor seinem Rivalen. Bei den in Grafik 1 dargestellten Werten handelt es sich um die Ergebnisse von landesweiten Befragungen. Das heisst, die Mehrheit der Amerikaner möchte den Demokraten im Oval Office sehen. Doch Hillary Clinton musste vor vier Jahren schmerzlich erfahren, dass man sich hierfür nichts kaufen kann. Beim tatsächlichen Urnengang werden die Wahlmänner respektive das so genannte Electoral College bestimmt. Dieses Gremium kommt am 14. Dezember zur Abstimmung zusammen. Am 6. Januar zählt der Kongress die Stimmen aus. Um dann offiziell als Sieger bekannt gegeben zu werden, muss ein Kandidat mindestens 270 der insgesamt 538 Wahlleute hinter sich bringen.

An Hand der aktuellen Umfragen kann Biden mit 222 Stimmen rechnen. Zwar liegt er damit laut RealClearPolitics deutlich vor seinem Kontrahenten. Doch die Zuordnung von 191 Wahlleuten ist noch offen (siehe Grafik 2). In das Electoral College entsenden die einzelnen Bundesstaaten jeweils eine bestimmte Anzahl an Vertretern, welche am Wahltag durch einfache Mehrheiten bestimmt werden. Viele Bundesstaaten sind traditionell auf eine Partei festgelegt. Insofern entscheidet sich der Kampf um das Weisse Haus in den sogenannten Swing States. Hier wiederum könnte sich bei der Präsidentschaftswahl 2020 Florida als eine Art «Zünglein an der Waage» herauskristallisieren. Noch im Sommer sah es ganz danach aus, als könnte Joe Biden fest mit den 29 Wahlleuten aus dem Südosten der USA rechnen. Doch laut RealClearPolitics hat Donald Trump in Florida mächtig aufgeholt. Von den Befragten votierten 47.4% für den Republikaner. Biden bringt es auf eine Zustimmungsquote von 48.7%. Ende Juli betrug der Vorsprung des Demokraten noch satte 8.4 Prozentpunkte.

«Mit Blick auf den Wahltermin preisen die Märkte eine weiter zunehmende Kursschwankungsbreite ein.»

Investoren mit schwitzigen Händen

Je näher der Wahltag rückt, desto mehr dürfte die mit dem Urnengang einhergehenden Unsicherheitsfaktoren die Wall Street beschäftigen. Einen kleinen Vorgeschmack auf einen möglicherweise heissen Herbst erlebte der US-Aktienmarkt im September. Nach einer monatelangen Aufwärtsbewegung gaben die Kurse deutlich nach. Betroffen waren vor allem die Technologieaktien: Gegenüber dem, am 2. September erreichten, Allzeithoch sackte der Nasdaq-100 Index innert weniger als drei Wochen um bis zu 14% ab. Der Rücksetzer ging mit einem deutlichen Anstieg der Volatilität einher. An dieser Stelle hilft der VIX weiter. Diese Benchmark bildet die in Optionen auf die S&P 500-Aktien eingepreiste Kursschwankungsbreite ab. Zuletzt kletterte sie über die Marke von USD 30. Zwar hatte der VIX zur Zeit des akuten Corona-Ausverkaufs im März noch einen Wert von mehr als USD 80 gesehen. Doch obwohl sich das kollektive Nervenkostüm nach diesen typischen Volaspitzen beruhigt hat und die Aktienkurse vielfach durch die Decke gegangen sind, verharrt der Gradmesser auf relativ hohem Niveau (siehe Grafik 3). Mit Blick auf den Wahltermin preisen die Märkte eine weiter zunehmende Kursschwankungsbreite ein: Die VIX-Futures für Oktober und November notieren deutlich über dem aktuellen Indexniveau – hierzu später mehr.

Herausforderer im Fokus

Der aufkommende Börsenstress hat gute Gründe. Am 3. November stimmen die rund 250 Millionen US-Wahlberechtigten über zwei völlig unterschiedliche politische Denkarten ab. Sei es die gross angelegte Steuerreform oder die Deregulierung: Donald Trump hat einen unternehmens- und investorenfreundlichen Kurs gefahren. Gleichwohl sorgte er an der Wall Street vor allem über den Handelsstreit mit China für jede Menge Verunsicherung. Im Falle eines Wahlsieges dürfte der Republikaner an seiner «America first»-Doktrin festhalten und für einen weiteren regulatorischen Rückzug des Staates respektive eine fallende Abgabenlast sorgen. Da eine zweite Amtszeit für Trump eher weniger Veränderungen bedeuten würde, setzen sich Strategen und Analysten derzeit vor allem mit dem Programm von Joe Biden auseinander. Die stärksten Verschiebungen könnte nach Ansicht von J.P. Morgan eine «blaue Welle» auslösen. Dieser an die Parteifarbe angelehnte Begriff steht für einen totalen Triumph der Demokraten. Will heissen, sie stellen den Präsidenten und verfügen über Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses – Senat und Repräsentantenhaus. «Unter diesem Szenario würden die staatlichen Ausgaben stärker steigen als die Steuern und in den kommenden Jahren für einen starken Fiskalimpuls sorgen», schreibt Michael Feroli, Chefökonom USA bei J.P. Morgan, in einem Spezialreport. Ungeachtet vom Wahlausgang rechnet er damit, dass der Handelskonflikt mit China weitergeht, allerdings könnten sich die Regeln des Zanks ändern. Feroli bringt auf den Punkt, worum es am 3. November im Kern geht: «Auf gewisse Weise ist die Wahl ein Referendum über die Covid-19-Pandemie und dadurch auch über die Wirtschaft.» Der Ökonom verweist auf die rückläufigen Infektionszahlen in den USA. Eine Fortsetzung dieses Trends sowie jedwede Fortschritte bei der Impfstoffsuche würden den Republikanern in die Hände spielen. Dagegen wären epidemiologische Rückschläge förderlich für die Blauen.

Höhere Steuern, mehr Staatsausgaben

Joe Biden wird im Wahlkampf nicht müde, Versäumnisse des Präsidenten in der Pandemiebekämpfung herauszustreichen. Im Falle einer Machtübernahme möchte er versuchen, einen staatlichen Impuls zu setzen, um der Krise schneller zu entkommen. Unter anderem enthält Bidens Programm Infrastrukturausgaben im Volumen von USD 2 Billionen. Dabei soll ein Fokus auf dem Klima- und Umweltschutz, also grünen Technologien, liegen.

«Die stärksten Verschiebungen könnte nach Ansicht von J.P. Morgan eine ‹blaue Welle› auslösen.»

Darüber hinaus möchte der 77-jährige die von Trump vollzogenen Steuererleichterungen zumindest teilweise zurückdrehen. Unter anderem würde seine Regierung den Steuersatz für Unternehmen auf 28% erhöhen. Trump hatte diesen Tarif von 35% auf 21% gedrückt und damit an der Wall Street Beifallsstürme ausgelöst. Laut Berechnungen des «Center for a Responsible Federal Budget» würden Bidens Vorschläge in der Steuerpolitik über einen Zeitraum von zehn Jahren zu Einnahmen von USD 3.5 Billionen führen. Diese Summe kommt 1.4% der für denselben Zeitraum erwarteten US-Wirtschaftsleistung gleich. «Unterm Strich würde eine blaue Welle wahrscheinlich einen deutlich positiven fiskalischen Impuls auslösen», meint Michael Feroli. Auf diese Weise könnte sich dem Experten zufolge auch der kurzfristige Wachstumsausblick für die USA weiter aufhellen. Dagegen rechnet er bei einer zweiten Amtszeit für die Trump-Administration kaum mit Änderungen in der Steuer- oder Ausgabenpolitik. Ein zusätzlicher Fiskalimpuls würde also ausbleiben.

Grüner Daumen nach oben

Gespannt dürften nicht nur die Investoren sondern auch die Unternehmen dem Wahltag entgegenfiebern. Schliesslich könnten sich die Geschäftsgrundlagen nach dem Urnengang markant verschieben. Für den Fall der demokratischen Machtübernahme sind sich viele Analysten in einem Punkt einig: Der Bereich erneuerbare Energien wäre ein potenzieller Gewinner. Er verweist darauf, dass Joe Biden – anders als der Amtsinhaber – an den Klimawandel glaubt. Mit einem gross angelegten Plan möchte er daher den C02-Fussabdruck der Staaten verkleinern. Biden unterstützt das Ziel, wonach die USA im Jahr 2050 klimaneutral aufgestellt sein sollen. Allein in den kommenden vier Jahren möchte er mehr als USD 2 Billionen in die so genannten «Renewables» investieren.

«Sämtliche Segmente aus dem Bereich Alternative Energie würden davon profitieren», meint J. P. Morgan. Wobei die US-Grossbank die Solaraktien hervor-hebt. Schliesslich plant Biden 8 Millionen zusätzliche Photovoltaikdächer und möchte gleichzeitig die Speichertechnologie fördern. Schon jetzt sind die «Sonnenanbeter» an der Wall Street und darüber hinaus angesagt. Sie profitieren jedoch längst nicht nur von Bidens Agenda. Zu Recht verweist J. P. Morgan darauf, dass die Erneuerbaren auch unter Trump deutlich ausgebaut wurden. 2019 waren die USA hinter China das Land mit der weltweit zweitgrössten Kapazität an Sonnenstrom (siehe Grafik 4). Das zeigt, dass für den Vormarsch längst nicht mehr nur die politischen Rahmenbedingungen entscheidend sind. Vielmehr können die «Renewables» in punkto Kosten immer mehr mit den konventionellen Energieträgern Schritt halten. Insofern müsste eine zweite Amtszeit für Donald Trump nicht unbedingt negativ für den Sektor sein.

«Schon jetzt stehen die ‹Big Techs› unter Druck.»

Gegenwind für die Highflyer

Unabhängig von der zukünftigen Besetzung des Weissen Hauses könnte es für die Technologiebranche ungemütlicher werden. Die zunehmende Macht- und Wettbewerbskonzentration dieser Schlüsselindustrie stösst Vertretern von beiden politischen Lagern sauer auf. Die US-Strategen der Société Générale nennen hierzu eine interessante Zahl: Demnach dürften 16.3% des nominalen BIPs der USA im laufenden Jahr von den 20 grössten Konzernen aus dem S&P 500 erwirtschaftet werden. Angeführt von Apple und Microsoft handelt es sich dabei um acht Unternehmen aus dem IT-Bereich. Hinzu kommen die Internetgiganten Amazon.com, Facebook und Alphabet.

Schon jetzt stehen die «Big Techs» unter Druck: Im Juli mussten die CEOs von Amazon.com, Apple, Facebook und Google im Kongress zur ihren Geschäftspraktiken Stellung beziehen. Bei der nahezu sechs Stunden langen Online-Anhörung stand die Frage im Fokus, ob und inwiefern die Unternehmen ihre Machtposition ausnutzen. Die SocGen-Strategen rechnen damit, dass die kartellrechtlichen Prüfungen weitergehen. Gleichzeitig sehen sie die Technologiegiganten einem anhaltenden regulatorischen und steuerlichen Druck ausgesetzt.

Anlagelösungen – für die Wahlen und darüber hinaus

Ob der starke Rücksetzer bei Apple & Co. von Anfang September mit diesen Aussichten zusammenhängt, ist schwer zu sagen. Möglicherweise hat der eine oder andere Investor nach der immensen Nasdaq-Rallye einfach mal Gewinne mitgenommen. Für den Sektor spricht nach wie vor die durch Corona forcierte Digitalisierungswelle. Sei es die für das Homeoffice benötigte IT-Ausstattung, der verstärkte Streaming-Boom oder die Verlagerung des Handels mitsamt Zahlungsabwicklung in das Internet: Die strukturellen Wachstumstreiber vieler Unternehmen sind mehr als jemals zuvor intakt.

Ins Kalkül sollten Anleger ausserdem den konjunkturellen Aufschwung sowie die mehr denn je am Boden liegenden Zinsen ziehen. Diese Gemengelage spricht dafür, dass die Wall Street ungeachtet der wohl anstehenden hektischen Phase ihren langfristigen Aufwärtstrend fortsetzt. Eine Möglichkeit, diversifiziert am wichtigsten Börsenplatz der Welt zu investieren, bietet der börsengehandelte Indexfonds SPXS. Unter diesem Symbol repliziert Invesco den S&P 500 mittels Swaps und für eine tiefe Gesamtkostenquote von 0.05% p.a.

«Ins Kalkül sollten Anleger ausserdem den konjunkturellen Aufschwung sowie die mehr denn je am Boden liegenden Zinsen ziehen.»

Dem Kauf dieses passiven Produkts sollte ein «Buy and Hold«-Ansatz zugrunde liegen. Dagegen ist das Tracker-Zertifikat VIXMT gerade für eine taktische, auf die Zeit vor und nach dem Urnengang ausgerichtete Positionierung interessant. Das UBS-Produkt basiert auf dem S&P 500 VIX Mid-Term Futures Index ER. In diesem Gradmesser kommen die mittelfristigen Erwartungen des Marktes hinsichtlich der Volatilität am US-Aktienmarkt zum Ausdruck. Indexanbieter S&P geht dazu eine täglich rollende Long-Position in Terminkontrakten auf den VIX ein. Für die Mid-Term-Benchmark sind die an der CBOE gehandelten Futures von der viert- bis zur siebtnächsten Fälligkeit im Einsatz. Im laufenden Jahr gab das zuvor am Boden liegende Derivat mit der Volatilität ein kräftiges Lebenszeichen von sich: Momentan notiert der Tracker mehr als 90% über dem Niveau von Ende 2019.

Derweil ist das Partizipationspapier SQBCEU nach einem heftigen Corona-Rücksetzer in die Erfolgsspur zurückgekehrt (siehe Grafik 5). Im Rahmen der «Themes Trading»-Reihe hat Swissquote im Februar 2018 den Megatrend Nachhaltige Energie aufgegriffen. Aktuell sind in dem aktiv verwalteten Portfolio 18 Unternehmen enthalten. US-Aktien steuern gut ein Viertel zur gesamten Kapitalisierung bei. Die Experten des Direktbrokers haben sich beispielsweise für eine Allokation in den Photovoltaikspezialisten First Solar und Solaredge entschieden. Mit von der Partie ist zudem Nextera. Das in Palm Beach beheimatete Infrastrukturunternehmen bezeichnet sich selbst als weltgrössten Produzenten von Wind- und Sonnenstrom. Wenn der UBS-Tracker auf die Swissquote-Strategie im Februar 2025 ausläuft, sollte bereits der übernächste Präsident vereidigt sein. Insofern bleibt genügend Zeit, damit die Auswahl weiterhin von der globalen Energiewende profitiert. Ein Auftritt von Joe Biden am 21. Januar 2021 vor dem Kapitol könnte dabei nicht schaden.


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