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payoff Focus

Völlig losgelöst

01.07.2015 12 Min.
  • Matthias Niklowitz

Die Situation bei Immobilienanlagen in der Schweiz entkoppelt sich: Dem Boom bei Wohnrenditeobjekten stehen hohe Leerbestände bei Geschäftsliegenschaften gegenüber. Derweil floriert der Immobilienmarkt in Teilen der EU wieder zunehmend. Eine aktuelle Anlegerorientierung.

Die Warnung kam von oberster Stelle. «Kreditnehmer, Banken und die Immobilienbranche müssen wissen: Wenn die Zinsen wieder steigen oder wenn die Immobilienpreise plötzlich sinken, müssen dies alle Beteiligten bewältigen können», verkündete Thomas Jordan, Chef der Schweizerischen Nationalbank, Ende Mai an einer Podiums-Veranstaltung der Zeitung «Schweiz am Sonntag». Wer vom Flughafen Zürich mit dem Zug Richtung Hauptbahnhof fährt, kann die Warnung des obersten Schweizer Notenbankers gut nachvollziehen: Nach dem Verlassen des Flughafenbahnhoftunnels erscheint in Fahrtrichtung links das Opfiker Riet, 20 Jahre lang als die «teuerste Wiese Europas» bezeichnet und inzwischen mit unzähligen Wohnimmobilien weitgehend überbaut. Nicht immer haben die Architekten im Glattpark Geschmack bewiesen. Doch die meisten Wohnungen sind vermietet oder verkauft. Anders bei den Geschäftsliegenschaften. Diese wurden entweder in den 1980er-Jahren oder nach 2005 erstellt. Ältere Gebäude werden saniert, jüngere stehen entweder leer oder sie tragen das Logo neuer Grossflächen-Mieter wie Zurich oder Credit Suisse.

Leere Büroräume keine Seltenheit

Unter dem Eindruck von Kosteneinsparungen und erhöhtem Margendruck haben gerade die Finanzdienstleister und Technikunternehmen viele Büros aus teuren Lagen in den Innenstädten an die Peripherie verlegt. Die Allianz Suisse und UPC Cablecom bezogen in der boomenden Zürcher Stadtrandgemeinde Wallisellen jeweils ihr neues Schweiz-Hauptquartier. Die ehemaligen Büros von UPC Cablecom, kurz vor dem Bahnhof Hardbrücke in Zürich, warten dagegen immer noch auf Nachmieter. Die UBS hat viele Büros Richtung Zürich-Altstetten und Opfikon zentriert, Swiss Life fokussiert ihre IT auf das Zürcher Binz-Quartier. Nur noch hochwertige Arbeitsplätze mit vielen lukrativen Kundenkontakten bleiben in den teuren Innenstadt-Büros. «Im Schweizer Büromarkt unterscheiden sich die Verhältnisse nicht sehr stark von denen in Japan», konstatieren die Analysten von der US-Bank Morgan Stanley nüchtern: Entgegen weit verbreiteten Annahmen haben die durchschnittlichen Mieten für Büros in guten Lagen in Zürich seit dem Jahr 2000 stagniert. Um 2008/2009 sowie seit 2011 waren die Mieten sogar gefallen. Seit 1997 haben sich die Erträge halbiert, sie liegen noch bei knapp über 3%. Bei zweitklassigen Lagen sieht es düster aus: Da rutschen die Erträge und die Kosten bleiben, wenn Büros nicht vermietet werden können. Allein in Zürich stehen derzeit laut Wüest&Partner 800‘000 Quadratmeter Büroflächen leer.

Entkoppelung der Geschwindigkeiten

«Es gibt keinen einheitlichen Immobilienmarkt», sagt Donato Sconamiglio, Geschäftsführer der Immobilienberatungsfirma IAZI und einer der führenden Immobilienmarktexperten der Schweiz. «Stattdessen gibt es wie auf einer Autobahn mehrere Spuren bzw. sogar einen Pannenstreifen: Da steht der Büromarkt.» Selbst in der Zürcher Innenstadt gibt es immer häufiger vakante Büros. Ein geschulter Blick durch die hochpreisigen Adressen genügt, um das Überangebot zu identifizieren. «Keiner wird beim ersten Anruf Preisnachlässe bei Büroflächen offerieren, aber ganz sicher in der zweiten Runde», hört man aus Zürcher Maklerkreisen. So ist sogar eine mietfreie Zeit von drei Monaten nach dem Bezug inzwischen kein Tabu mehr. Zudem wurde in jüngster Zeit immer noch zu viel (an in den Vorjahren gestarteten Projekten) gebaut. Das spült zusätzlich Objekte mit hochwertigen Flächen neu auf den Markt. Für die Eigentümer heisst das: Erwartete Mietpreise müssen zum Teil stark nach unten korrigiert werden, um Leerstände abzubauen.

Eigenheim-Blase leert sich langsam

Neben dem Pannenstreifen Büroflächen, auf der rechten Fahrspur – praktisch mit Tempo 110 – befindet sich der Markt für Eigenheime. Die Blase ist dort dabei, sich zu leeren. Abverkauf und Preiszugeständnisse inklusive. So kommen insbesondere Immobilienbesitzer in den Preisregionen von CHF 3-5 Mio. inzwischen hart in der nüchternen Realität an. Ihre Objekte, egal ob Haus oder opulente Wohnung mit toller Aussicht, sind unter den neuen Regeln unfinanzierbar teuer für Normalverdiener, und die ausländischen Superlativ-Investoren vergangener Jahre tanzen inzwischen oftmals auf anderen Hochzeiten – nicht selten ausserhalb der Schweiz. In Summe wurde die Entwicklung bei Eigenheimen aufgrund der neuen regulativen Bestimmungen wie einer Amortisationspflicht über 15 Jahre auf 65%, dem Niederstwertprinzip und mindestens 10% hartem Eigenkapital stark abgebremst. Zudem hat der Negativzins der Schweizerischen Nationalbank zu einer Verteuerung der Absicherung bei Banken geführt. Luxuriösere Objekt kann nur noch finanzieren, wer über entsprechend satte Eigenmittel oder überdurschnittlich hohes Einkommen verfügt. Die übrige Bevölkerung fällt als Nachfrager weg. Auch bei privaten Liegenschaften im Ein- bis Zwei-Millionen-Bereich harzt es in der Deutschschweiz mit der Nachfrage spürbar.

Fast Lane bei Wohnvermietung

Auf der Überholspur – Tempo 130 und gerne auch mehr – rast derzeit der Markt der Renditeobjekte. Vermietung für Wohnzwecke ist nach wie vor hoch in Mode. «Die Risiken vom Einkaufen überzahlter Objekte steigt, eine Blase könnte sich aufbauen, sollten die Zinsen nicht drehen», beobachtet Immobilienexperte Sconamiglio. Aufgrund der fehlenden Anlagemöglichkeiten sind insbesondere Versicherungen bereit, sehr tiefe Anfangsrenditen in Kauf zu nehmen, getreu dem Motto: Besser 3-4% Rendite auf Immobilien als negative Renditen bei Obligationen oder im Cash-Konto. Die Pensionskassen sind etwas weniger aggressiv auf dem Markt unterwegs, da sie sich die Preise der Objekte aufgrund ihrer Renditeanforderungen meist nicht leisten können. Offen ist, wann sich bei diesem Marktsegment Bremswirkungen zeigen. Neben Faktoren zur Nachfrage wie Zuwanderung und Konjunktur spielen die Angebotsseite (Anzahl gebauter Wohneinheiten, verfügbare Fläche) als auch die Finanzierungsmöglichkeiten eine grosse Rolle.

Zu billiges Geld

«Der Preis des Geldes ist der Zins, und dieser ist, obwohl er leicht gestiegen ist, immer noch viel zu tief», konstatiert Sconamiglio. Selbst wenn sich die Zinsen, vom aktuellen Niveau aus, verdoppeln sollten, wären sie noch unter dem längerfristigen durchschnittlichen Niveau. Mit einer so günstigen Fremdfinanzierung lassen sich Eigenkapitalrenditen von über 10% erzielen. «Eine eigentliche Wende erwarte ich, wenn sich die Konjunktur in Europa etwas erholt und dadurch der Druck auf den Schweizer Franken nachlässt», sagt der Immobilienexperte. Sollte sich die Konjunktur in Europa erholen, werden auch die Renditeanforderungen an die Obligationen steigen und dadurch Immobilien relativ gesehen weniger attraktiv sein. Spätestens bei einem Zinsanstieg sollte es zu einer Korrektur der Werte kommen, sofern nicht gleichzeitig aufgrund der besser laufenden Konjunktur die Mieten erhöht werden können. «An steigende Mieten glaube ich jedoch kurzfristig nicht, sind diese doch insbesondere bei Neubauten bereits heute eher hoch angesetzt, und aufgrund der Entwicklung des Referenzzinssatzes gehen wir kurzfristig eher von sinkenden Bestandsmieten aus», so Sconamiglio.

Unter dem gespalteten Immobilienmarkt leiden laut den Analysten von J. Safra Sarasin unmittelbar die Baufirmen und ihre Zulieferer, weil in bestimmten Segmenten einfach weniger gebaut wird. Bei Baufirmen wie Implenia war der Kurs im Zuge des Immobilienbooms nach 2005 geradezu explodiert. Im Sommer 2014 setzte eine Korrektur am Aktienmarkt ein, welche das miserable vierte Quartal bereits vorwegnahm. Ähnlich ging es Arbonia, einem Bauzulieferer. Und auch die beiden grossen Fusionsvorhaben in der Schweiz lassen sich mit der Baukonjunktur erklären: Holcim und Lafarge gehen zusammen, aber die Holcim-Aktie steht unter dem Kurs vor der Fusionsankündigung vor einem Jahr, (auch) weil Fusionen in der Zementbranche wenig operative Einsparungen, aber viele kartellpolitische Diskussionen mit sich bringen. Und Saint-Gobain, der französische Bauzulieferer, will sich nicht zuletzt beim schweizerischen Bauchemiekonzern Sika die Kontrollmehrheit holen, weil das eigene Geschäft harzt und bei der globalen Expansion die falschen Märkte angesteuert wurden. Beton, Zement & Co. versprechen eher bei Aktivitäten im Ausland, insbesondere den Emerging Markets, die lukrativeren Renditen.

Aufpreise bei Immofonds

 

Möglicherweise verführt die Annahme, dass es bei Immobilienanlagen letztendlich immer um handfeste Bauten aus Beton, Holz, Glas und Metallen geht, dazu, die möglichen brutalen Auswirkungen zu unterschätzen, die von Veränderungen bei den Zinsen ausgehen. Der von der Zürcher Kantonalbank (ZKB) berechnete Immobilienfondsindex war alleine im Mai um 8% gefallen und hat damit praktisch seinen gesamten zuvor eingespielten Preiszuwachs im laufenden Jahr wieder verloren. In der Langfristperspektive liegt der Index jedoch weiterhin in sehr luftigen Höhen. Denn der Index liegt auch nach der Mai-Korrektur rund 60% über dem höchsten Stand von vor der Finanzkrise. Zur Bewertungssituation bei Immobilienfonds hat die Credit Suisse interessante Zahlen zusammengetragen. Die Agios, also die Aufschläge, welche Anleger auf den Netto-Portfoliowert zu zahlen bereit sind, sind lediglich von 37 auf 30% geschrumpft. Zur Einordnung: Der langfristige Durchschnitt steht bei 15%. Und bei einzelnen Fonds, die besonders stark im Wohnimmobilienbereich exponiert sind, liegen diese Aufschläge immer noch bei 40 und mehr Prozent. Das ist mehr als doppelt so hoch wie bei Gewerbeimmobilien, wo Investoren und Eigentümer jetzt behutsam die Luft aus der Blase entweichen lassen. Bei klassischen Immobilienfonds kommt erschwerend hinzu, dass Anleger diese Fonds nicht ausreichend rasch die von ihnen gehaltenen Immobilien verkaufen können, wenn Anleger massenhaft Anteile zurückgeben . Zwar halten Fonds immer einen bestimmten Anteil ihres Vermögens in Bargeld, aber bei Verkaufswellen genügen diese Polster nicht und monatelange Kündigungsfristen sind die Regel.

Schaffe, schaffe, Häusle baue

Nach jüngsten Zahlen der internationalen Maklergruppe Frank Knight herrscht in vielen anderen europäischen Märkten dagegen schon fast wieder Goldgräberstimmung. So wechselten im Jahr 2014 Gewerbeimmobilien für rund CHF 180 Mrd. den Besitzer – ein Plus von 21%. Im ersten Quartal 2015 wurden bereits Gebäude im Wert von CHF 55 Mrd. gekauft. Das ist eine Zunahme um rund 44%. Neben erstklassigen Lagen kauften institutionelle Anleger auch vermehrt in zweitklassigen Städten und peripheren Lagen. Das spricht für mehr oder freiwilligen Risikoappetit, welcher bei den rekordtiefen Zinsen nachvollziehbar ist. Gerade in der Eurozone wird jetzt durch den günstigen Wechselkurs beherzt von aussereuropäischen Käufern zugegriffen. Besonders eifrig sind die Deutschen: Im privaten Wohnungsbau herrscht regionaler Blasenalarm. Gerade in Ballungszentren wie München, Stuttgart oder Hamburg sind die Preise für Wohnraum explodiert. Die rekordtiefen Zinsen haben einen Bauboom ohne absehbares Ende ausgelöst. Doch sind viele Finanzierungen einzig und allein nur durch die tiefen Zinsniveaus oder Erbschaften möglich. Kritiker befürchten in sieben bis zehn Jahren – dann kommt es zur Refinanzierung – eine Welle an Zwangsversteigerungen als unausweichlich. Ein Szenario, das auch so mancher Schweizer LIBOR-Hypothek drohen könnte? Nicht unrealistisch. Entspannt ist hingegen die Maklergruppe Knight für Deutschland. In den Segmenten Büro, Wohnen und auch Einzelhandel sieht man stabile bis leicht steigende Renditen.

 

Discount-Offerten im Süden

Weniger blasenverdächtig ist derzeit Südeuropa, aber auch entsprechend fragil. «In Märkten wie Spanien steht die Erholung erst am Anfang», sagt Bart Gysens, Immobilienanalyst bei Morgan Stanley. Gemäss Maklergruppe sind besonders in Portugal, Spanien und Italien zwar Schnäppchenpreise omnipräsent, doch die wirtschaftliche Zukunft offen. In Italien hofft die Immobilienbranche nach drei Rezessionen seit der Finanzkrise 2008 auf wieder anziehende Geschäfte. Ein Abverkauf im grossen Stil lässt die Transaktionsvolumen anziehen. Ausländische Anleger beäugen das Angebot sorgfältig. Zusätzlich könnte ein Gesetz, börsenkotierte Immobilienfonds in Italien attraktiver zu machen, für frischen Wind im Immobilien-Sektor sorgen. Aktuell gibt es nur zwei Immofonds an der Börse in Mailand kotiert, dafür aber viele italienische Immobilienholdings – so wie auch an der Börse Frankfurt und der London Stock Exchange. Eine attraktive Möglichkeit für Anleger ist hier der ETF (LYMEH) von Lyxor auf den FTSE EPRA NAREIT Developed Europe Index. Damit kauft man sich mit nur einer Transaktion die führenden Immobilienholdings Europas ins Depot. Der ETF hat eine starke Ausrichtung auf britische, französische und deutsche Immobilienaktien. Auch vier Schweizer Werte sind inklusive: PSP, Mobimo, Allreal und SPS.

Indirekte Möglichkeiten attraktiv

Auch wer keine Direktanlage in Immobilien plant, kann unterdessen mithilfe von Wertschriften zielgerichtet am Immobilienmarkt partizipieren. So bieten Strukturierte Produkte und ETFs eine Vielzahl an Möglichkeiten: Risikoaverse Anleger sollten sich Kapitalschutzprodukte wie VUSRE mit Immobilienbezug ansehen. Wer chancenorientiert ist und Schweiz-Ausrichtung möchte, setzt bevorzugt auf Anlageprodukte mit Bezug zum SXI Real Estate Index. Dieser reflektiert zwölf Aktien (u.a. Allreal, HIAG, Mobimo, SPS) aus dem Bereich Liegenschaftsverwaltung bzw. Liegenschaftsholdings. Der Vorteil des Tracker-Zertifikats sowie des ETF auf diesen Index ist die tägliche Handelbarkeit, tiefe Gebühren, Risikodiversifikation und hohe Transparenz. In der unten aufgeführten Tabelle finden Privatanleger die derzeit besten Produkte für eine Partizipation im Immobilienmarkt. Diese können im Falle eines Falles auch wieder rasch verkauft werden, ohne wochenlange Käuferverhandlungen über Makler. «Etwas mehr Sorge bereiten mir all die Privatpersonen, welche zu Anlagezwecken Eigenheime kaufen und weitervermieten, dies oft noch mit Libor-Hypotheken», erklärt Immobilienexperte Sconamiglio. Dort kann nicht einfach der «Verkaufen»-Button angeklickt werden.

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