Vorsicht, Blockchain
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Martin Raab
Blockchain-Anwendungen elektrisieren Anleger, Unternehmen und Medien. Ohne Frage ermöglicht diese Technologie eine Vielzahl an Innovationen. Doch wie kann aus Investorensicht davon profitiert werden? Ein Blick hinter die Kulissen enttarnt Luftschlösser und Profiteure.
Der Suchbegriff «Blockchain» hat sich bei Google seit Sommer 2017 in die weltweiten Top 20 der meistgesuchten Stichwörter empor katapultiert. Oft wird Blockchain im gleichen Atemzug mit Bitcoin, der bekannten Crypto-Währung, genannt. Doch das ist zu kurz gegriffen. Auch darf Blockchain nicht mit den oft halsbrecherischen «Initial Coin Offerings» (ICOs) gleichgesetzt werden. Für diese Art der Geldvermehrung hat inzwischen sogar die FINMA eine Wegleitung publiziert. Darin wird definiert, welche Angaben die Behörde für die Bearbeitung von Anfragen für die Unterstellung unter Schweizer Finanzmarktrecht benötigt und nach welchen Prinzipien diese beantwortet werden. Während Bitcoin und andere digitale Assets stark polarisierten – Augustin Carstens, Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, sprach unlängst vor «einer Mischung aus Finanzblase, Schneeballsystem und Umweltkatastrophe» – rückt Blockchain-Technologie bzw. Distributed Ledger Technoloy unstrittig in viele Bereiche des Wirtschaftslebens vor. Der Boom für solche Anwendungen ist weltweit zu beobachten. Unter Blockchain versteht man ein öffentliches, dezentral geführtes Buch, das fälschungssicher und lückenlos ist. Ursprünglich als technologische Grundlage für die virtuelle Währung Bitcoin entwickelt, kann Blockchain dazu genutzt werden, im Geschäftsverkehr Transaktionen, Lieferketten (Pharma, Lebensmittel etc.) oder Vermögensüberträge lückenlos zu dokumentieren.
Multiple Anwendungsbereiche
Der Einsatz von Blockchain ergibt immer dann Sinn, wenn Prozesse aus Unternehmen herausführen und virtuelle Werte und Güter wie Eigentumsrechte oder materielle Dinge durch ein Netzwerk an Beteiligte geführt werden. Ändert sich der Status dieser Assets regelmässig, kann eine Blockchain-Infrastruktur diese Änderungen für alle Beteiligten transparent machen und die Abwicklung deutlich vereinfachen. «Effizienzsteigerung und Bürokratieabbau sind die grossen Versprechungen für die Nutzer aus Wirtschaft und Finanzmarkt. Bei den unzähligen Projekten kommen meistens «private Blockchains» zum Einsatz. Anders als bei offenen Blockchains wie etwa Ethereum oder Bitcoin haben in privaten Blockchains Unternehmen oder Privatpersonen, die nicht an dem entsprechenden Prozess beteiligt sind, keinerlei Zugriff auf die gespeicherten Datensätze.
Enormes Potenzial
Doch egal ob private oder offene Blockchains – das Potenzial ist riesig. «Diese Anwendungen scheinen ähnlich disruptives Potential aufzuweisen wie das Internet vor 20 Jahren. Dabei spreche ich nicht von Crypto-Währungen oder Tokens, welche als einfachster Anwendungsfall heute ja eher fragwürdige Blüten treiben, sondern von Lösungen, welche Finanzintermediäre einschliesslich Banken und SIX überflüssig machen», so Markus Graf, Mitgründer & Head des F10 FinTech Accelerator & Incubator in Zürich. Damit würden auch Problematiken wie zentrales Gegenparteienrisiko etc. gelöst und das Trading könnte in «real time» abgewickelt werden. Allerdings haben die heutigen Protokolle noch Schwachstellen, sei es im Performance-Bereich oder bei der Geldwäscherei- und KYC-Thematik. Die Hausaufgaben bleiben umfangreich das Thema aber nicht weniger lukrativ. «Blockchain ist die Zukunft. Daran gibt es nichts zu rütteln», positionierte sich Robert Herjavec, Self-made-Millionär und TV-Host der US-Serie «Shark Tank», vor wenigen Tagen bei CNBC. Man wird sehen, wie und ob das stimmt.
«Echtes Geld mit Blockchain verdienen gegenwärtig Beratungshäuser und Consultants.»
Consultants und Chip-Hersteller in Hochstimmung
Nicht nur hippe Celebrity-Investoren greifen das Thema Blockchain besonders emsig auf, sondern auch viele bekannte Unternehmensberatungen. Dort schossen seit letztem Jahr etliche Blockchain-Teams aus dem Boden. Konkrete Zahlen hat McKinsey & Company errechnet: Im Bereich Handelsfinanzierung hat Blockchain das Potenzial, die Erträge dank radikaler Prozess-Vereinfachungen um bis zu USD 17 Milliarden zu steigern; bei «Crossborder Payments», sind es sogar bis zu USD 60 Mrd. im Vergleich zur Gegenwart. Der Beratungsbedarf bei Unternehmen ist enorm, die potenziellen Umsätze für Berater ebenso. Vorne dabei sind u.a. auch die börsennotierten Beratungshäuser IBM, Accenture, Cap Gemini, Hewlett Packard Enterprise, VMware und Forrester Research. Selbst der kotierte Regierungsberater Booz Allen Hamilton wirbt für «Blockchain for Governments» und berät diverse Staaten bei der Implementierung. Es ist schon jetzt absehbar, dass die genannten Unter-nehmen dank dem Thema Blockchain dauerhaft Zusatzerträge generieren werden. Auch bei AMD und Nvidia, quasi die digitalen «Schaufelverkäufer» im Crypto-Goldrausch, klingeln die Kassen durch die enorme Nachfrage nach deren GPU-Prozessoren. Jen-Hsun Huang, CEO von Nvidia, bestätigte bei der Vorlage der Q4-17-Zahlen: «Crypto war ein echter Bestandteil unserer Umsätze».
Obskure Verwandlungen
Fragwürdige Details spült es nach oben, wenn man sich die angeblich «dezidierten» Blockchain-Aktien ansieht. Die Kurse einiger dieser Kandidaten sind im Raketentempo gestiegen. Besonders schnell hat man die Chancen u.a. bei Riot Blockchain erkannt. Das Unter-nehmen stellte als Bioptix Inc. eigentlich Medizinprodukte für Tierärzte her, doch dann kam dem Management die zündende Idee: Verwandlung in eine Blockchain-Company. Im Oktober 2017 wurde das Börsensymbol der an der Nasdaq notierten Aktie von BIOP in RIOT gewandelt und rasch Beteiligungen u.a. an zwei kanadischen Crypto-Unternehmen, TESS und Coinsquare, eingegangen. Anschliessend sprang der Kurs von Riot binnen weniger Wochen von USD 7 auf USD 37 der Börsenwert explorierte auf USD 500 Mio.. Wer sich die Mühe macht, die letzten Bilanzzahlen zu lesen, wird stark ernüchtert – das laufende Geschäft schrieb USD 10 Mio. Verlust per Stand 30. September 2017. Nennenswertes Vermögen sind einzig die USD 13 Mio. auf dem Firmenkonto.
Sternenstaub für Anleger
Besonders bizarr: TESS, die Beteiligung von Riot, hat angekündigt den in Kanada kotierten Goldminienbetreiber Cresval Capital Corp. zu übernehmen und als TessPay die Gunst der Anlegerschaft zu suchen. Bis dato hat TESS nur eine behelfsmässige Website. Keine Angabe zu Kunden, geschweige denn zu Umsätzen. Die derzeitige Börsenbewertung von Riot Blockchain liegt bei rund USD 141 Mio. und führt einem die Szene aus «The Big Short» vor Augen, als Matthew McConaughey den berühmten Dialog zur Werthaltigkeit gewisser Anlagen manifestierte: «It’s a wazzy, it’s a woozy, it’s fairy dust. It doesn’t exist». Kurz vor Silvester 2017 hat VR-Präsident John O’Rourke mit seinen Blockchain-Aktien durch zwei Insider-Verkäufe rund 880’000 harte US-Dollars einkassiert – FIAT-Money, at its best. Vor wenigen Tagen wurde die Akquisition von Logical Brokerage Corp., einem Miami-domizilierten Futures-Broker mit zwei Angestellten, bekanntgegeben. Mit deren Lizenz soll eine Crypto-Börse von Weltrang entstehen. Mit ähnlichen Verwandlungen ist man bei Firmen wie der in Frankfurt kotierten Advanced Blockchain AG (vormals BrainCloud AG) oder auch bei 360 BLOCKCHAIN Inc. konfrontiert. Die Phantasie überwiegt, harte Fakten sind Mangelware. Vorbei ist es übrigens mit dem Nasdaq-Lisiting für Long Blockchain Corp., vormals als Long Island Iced Tea Corp. firmierend, wenn nicht bis Ende Februar der Marktwert über USD 35 Mio. steigt. Die Umfirmierung wurde am 21.12. letzten Jahres mit grossem Medienecho begleitet – und verdoppelte fast über Nacht die Börsenkapitalisierung des defizitären Getränkeherstellers. Böse Zungen sprechen vom «Blockchain Saftladen».
«Viele Blockchain-Lösungen sind in Wirklichkeit eher im Proof-of-Concept-Modus und noch nicht in Produktion.»
Markus Graf, Head F10 FinTech Accelerator & Incubator, Zürich
Grosse Ambitionen, kleine Umsätze
Nicht weniger zimperlich ist man bei Hive Blockchain vorgegangen. Auch dort wurde der Börsenmantel eines kanadischen Pennystocks namens Leeta Gold Corp. übernommen, alles auf Blockchain umgekrempelt und mit Crypto-Mining in Island begonnen. Mit Erfolg: Der Aktienkurs hat sich im Winter 2017 verdoppelt, effektiv wurden rund CHF 150 Mio. bei Anlegern eingesammelt. Inzwischen ist die Marktkapitalisierung wieder stark verpufft, fast wie Sternenstaub, trotz der Tatsache, dass Hive und Ankeraktionär Genisis seit Januar in Schweden ein Rechenzentrum für Etherium-Mining aufbauen. Jüngster Blockchain-Star aus der Pennystock-Liga ist Global Blockchain Technologies Corp. aus Kanada. Die Börsenkapitalisierung beträgt umgerechnet CHF 20 Mio. und im Advisory Board sitzt offenbar sogar der bekannte Rohstoff-Investor Jim Rogers. Man möchte als eine Art Blockchain-Master-Fonds agieren und interessante Anlagen aus dem Themenspektrum Blockchain und Initial Coin Offerings bündeln. Ausgang auch hier: offen.
Vielzahl an emsigen Projekten
Wie eingangs erwähnt, machen Anwendungen im Bereich Blockchain-Technologie bzw. Digital Ledger Technology (DLT) insbesondere in der Finanzbranche Sinn. In der Schweiz wurde bei-spielsweise «otc-blockchain.ch» als gemeinsames Projekt für das Clearing und Settlement von ausserbörslich gehandelten Wertpapieren u.a. von SIX, Swisscom und der ZKB angestossen. Bei der Deutschen Börse Group ist man ebenfalls im Blockchain-Thema aktiv. In enger Kooperation mit der Bundesbank wird auch dort im Bereich Wertpapier-abwicklung nach innovativen Lösungen geforscht. Seit Sommer 2017 arbeitet die London Stock Exchange Group mit IBM an einer Blockchain-Lösung im Bereich Aktionärsregister. Dort geht es darum, Aktionärsdaten von klein- und mittelständischen Unternehmen in Europa zu digitalisieren. Nach dem aktuellen Stand gefragt, teilt LSE-Kommunikationschefin Lucie Holloway mit, dass «es derzeit keine Updates zu diesem Projekt gibt». Emsige aber resultatlose Arbeit. «Obwohl es natürlich einige produktive Anwendungen aus dem Startup-Bereich gibt, sind die meisten reinen DLT-Anwendungen in Wirklichkeit eher im Proof-of-Concept-Modus oder allenfalls parallel zu anderen Systemen eingesetzt», relativiert Markus Graf vom F10 FinTech Accelerator & Incubator eine sofortige Praxisumsetzung von Blockchain-Technolgoie. «DLT ist super spannend, weil es uns im FinTech-Bereich unglaubliche Möglichkeiten eröffnet», so Graf.
Anlageprodukte in Entstehung
Mit Blick auf die Investment-Seite empfiehlt sich gegenwärtig die Fokussierung auf Unternehmen, die jetzt bereits Geld verdienen. Das sind die oben erwähnten Management-Consultants und Chip-Hersteller. Anleger sollten sich daher die Beimischung von entsprechenden Aktien oder Aktienderivaten überlegen. Das Timing für Käufe könnte aufgrund der Marktverwerfungen derzeit nicht besser sein. Pfannenfertige Finanzprodukte sind derzeit jedoch noch rar. Ein Versuch ist der Amplify Transformational Data Sharing ETF (Symbol BLOK), welcher bereits USD 162 Mio. eingesammelt hat. Die Management-Fee ist mit netto 0.70% p.a. nicht gerade günstig. Obwohl die Aktienauswahl an sich sehr breit gestreut wurde, dominiert als Sektor aber ganz klar Technologie. Der ETF ist brandneu lanciert und seit 17. Januar 2018 an der New York Stock Exchange im Handel. In der Schweiz gibt es bis dato noch kein kotiertes Blockchain-Produkt, was sich jedoch rasch ändern könnte. Viel Angebot herrscht zunehmend im Bereich Crypto-Währungen. Sowohl kotierte als auch OTC-Produkte drängen auf den Markt. Doch die sollten nicht mit echten Blockchain-Profiteuren in einen Topf geworfen werden.