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payoff Focus

Alter Kontinent in neuem Licht

05.02.2025 9 Min.
  • Serge Nussbaumer
    Chefredaktor

Wachstumsschwäche, politische Turbulenzen und mögliche neue US-Zölle belasten die europäischen Börsen. Dennoch gibt es auch Argumente für ein Engagement in Aktien des alten Kontinents. Neben der Aussicht auf weitere Zinssenkungen und eine makroökonomische Erholung sind dies die relativ niedrige Bewertung und nicht zuletzt die gute Verfassung einiger europäischer Top-Konzerne.

Am 23. Februar wird in Deutschland gewählt. Fast 60 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, über die künftige Zusammensetzung des Bundestages zu entscheiden. Knapp drei Wochen vor der Wahl deutet alles auf einen Machtwechsel hin. CDU und CSU liegen mit ihrem Spitzenkandidaten Friedrich Merz deutlich in Führung. In einem Wahlkampf, der von den Themen Wirtschaft und Migration geprägt ist, fehlt es nicht an negativen Superlativen. Deutschland als «kranken Mann Europas» zu bezeichnen, reicht einigen Kandidaten nicht mehr. Der Vorsitzende der Freien Wähler und bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger sieht sein Land auf dem Weg zur «Leiche Europas».

Das blühende Leben

Von Sterben kann an der Deutschen Börse keine Rede sein, es herrscht vielmehr blühendes Leben. Auf Sicht von zwölf Monaten hat der DAX mehr als ein Viertel an Wert gewonnen. Damit führt er die Rangliste der wichtigsten europäischen Leitindizes an (siehe Grafik 1). Deutschland ist an den Börsen des alten Kontinents eher Zugpferd als Bremsklotz. Doch die öffentliche Wahrnehmung – auch unter Investoren – entspricht dieser Entwicklung keineswegs. Vielmehr scheint die im Bundestagswahlkampf so heftig geführte Krisendebatte weit über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus abzufärben. Nicht wenige Politiker, Ökonomen, Medien und Investoren sehen Europa am Abgrund.

Diese Stimmung hat viel mit der geopolitischen Entwicklung der Welt zu tun. Europa befindet sich in einer Art Zwickmühle. Aus dem Osten und Fernen Osten drängen Russland und China auf den Kontinent. Beim Blick über den Atlantik nach Westen taucht seit dem 20. Januar ein neues und zugleich altbekanntes Gesicht auf. Mit Donald Trump ist an diesem Tag ein Mann ins Weisse Haus zurückgekehrt, der kaum ein gutes Haar an Europa, genauer gesagt an der Europäischen Union, lässt. «Sie behandeln uns sehr, sehr schlecht», sagte er kurz nach seinem Amtsantritt. Trump begründete diesen Vorwurf mit dem hohen US-Handelsdefizit gegenüber der EU und behauptete, die Europäer würden keine Autos und Agrarprodukte aus den USA kaufen. Bereits vor seiner Vereidigung hatte der Republikaner die EU aufgefordert, mehr Öl und Gas aus den USA zu importieren. «Sonst gibt es Zölle ohne Ende!», drohte er. 

Makroökonomie: Leichte Besserung

Es gibt gute Gründe, trotz des politischen Getöses aus dem Weissen Haus und der «Leichenschau» im deutschen Wahlkampf einen analytischen Blick auf den alten Kontinent zu werfen. Wir gehen dabei top-down vor und betrachten zunächst das makroökonomische Umfeld. «Die Wirtschaft im Euroraum wird 2024 moderat wachsen», sagt Jörg Krämer, Chefökonom der Commerzbank. Dabei gibt es deutliche regionale Unterschiede. In Deutschland schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr. Frankreich verzeichnete ein Wachstum von 1.1%, in Spanien sorgte der Tourismusboom für ein Plus von 3.2% und Italiens Wirtschaft wuchs um 0.5%.

Nach einem wirtschaftlich harten Winter rechnet Krämer im neuen Jahr mit einem moderaten Aufschwung. «Die Konjunktur im Euroraum dürfte von den Zinssenkungen der EZB profitieren», sagt der Ökonom. Ende Januar hat die Europäische Zentralbank ihren Lockerungskurs fortgesetzt und den Einlagensatz wie erwartet um 25 Basispunkte auf 2.75% gesenkt. Möglicherweise wirkt sich die Geldpolitik bereits auf die Stimmung der Unternehmen aus. Jedenfalls ist der HCOB-Einkaufsmanagerindex für die Eurozone auf 50.2 Punkte gestiegen. Damit liegt er erstmals seit August letzten Jahres wieder über der Wachstumsschwelle von 50. «Der Start ins neue Jahr ist leicht ermutigend», kommentiert Cyrus de la Rubia, Chefökonom der Hamburg Commercial Bank (HCOB) die Ergebnisse der Umfrage unter einer repräsentativen Auswahl von 5’000 Unternehmen. «Alles andere als ermutigend» sei hingegen die Entwicklung an der Preisfront.

Permanenter Inflationsdruck

In der Tat bleibt die Inflation ein Dauerthema. Hohe Lohnabschlüsse und die Erholung der Konjunktur sprechen dafür, dass die Konsumentenpreise weiter nach oben gehen. «In diese Richtung wirken auch strukturelle Inflationstreiber wie die Demographie, die De-Karbonisierung und die De-Globalisierung», meint Commerzbank-Ökonom Jörg Krämer. Sein Haus geht davon aus, dass sich die Inflationsrate in der Eurozone in diesem Jahr und 2026 über dem EZB-Zielniveau von 2% bewegen wird. Eine gewisse Teuerung muss für die Börsen nicht schlecht sein. Wichtig ist hier, dass die Unternehmen den Kostendruck weitergeben und ihre Gewinne ausbauen können. Auch an dieser Stelle ist in Europa nicht alles schlecht.

Mikroökonomie: Starke Large Caps

Beispiel SAP: Von Oktober bis Dezember 2024 steigerte Europas grösster Softwareriese seinen Überschuss um 35% auf EUR 1.62 Milliarden. Entsprechend optimistisch blicken die Deutschen in die Zukunft. «Dank unserer starken Position sind wir zuversichtlich, dass wir unser Umsatzwachstum bis 2027 beschleunigen können», sagt CEO Christian Klein. Ein Treiber ist das Cloud-Geschäft. In diesem Segment strebt SAP bis 2025 ein Umsatzwachstum von 26% bis 28% zu konstanten Wechselkursen an. Für das operative Ergebnis des Gesamtunternehmens stellt der CEO eine Steigerung zwischen 26% und 30% in Aussicht. Und in der Kasse soll es kräftig klingeln: Mit rund EUR 8 Milliarden liegt der für die laufende Periode angepeilte freie Cashflow um fast die Hälfte über dem Niveau von 2024. 

SAP setzt wenig überraschend auf Künstliche Intelligenz (KI). Unter anderem mit dem KI-Assistenten «Joule» können Kunden auf Basis ihrer Geschäftsdaten effizienter arbeiten und Prozesse automatisieren. «Mehr als 20’000 SAP-Entwickler nutzen bereits Joule for Developers», sagte Christian Klein in einer Telefonkonferenz. Von der Aufregung um die neue chinesische KI «DeepSeek» lässt sich der Topmanager nicht anstecken. Die Angst vor der starken und zugleich billigeren Konkurrenz aus dem Reich der Mitte hatte viele KI-Aktien im Technologiesegment einbrechen lassen. Der SAP-Chef zeigte sich zwar begeistert von der Leistungsfähigkeit von «DeepSeek», Europa müsse sich aber nicht verstecken. 

Das Schwergewicht im MSCI Europe Index legte zwei Tage nach der Nummer 3 eine starke Performance vor. Der Hersteller von Lithografiesystemen für die Halbleiterindustrie ASML Holding konnte im 4. Quartal 2024 Aufträge mit einem Volumen von EUR 7.1 Milliarden verbuchen. Analysten hatten den Niederländern im Schnitt nur knapp EUR 4 Milliarden zugetraut. Auch beim Überschuss übertraf der Chipausrüster die Erwartungen: In drei Monaten verdiente ASML knapp EUR 2.7 Milliarden. «Die Entwicklung von KI ist der wichtigste Wachstumsmotor für unsere Branche», sagte CEO Christophe Fouguet. Die Anlagen von ASML kommen bei Herstellern von Hochleistungsprozessoren zum Einsatz. Trotz des jüngsten «DeepSeek»-Schocks bestätigte der CEO die Prognose für 2025. Er will den Umsatz von zuletzt EUR 28.3 Milliarden auf EUR 30 bis 35 Milliarden steigern. Gleichzeitig strebt ASML eine Bruttomarge von 51% bis 53% an. 2024 lag diese Kennziffer bei 51.3%.

Moderates Wachstum, tiefe Bewertung

Trotz solider Bilanzen und optimistischer Prognosen der Schwergewichte kann Europa beim Gewinnwachstum nicht mit anderen Regionen mithalten. Dies gilt insbesondere im Vergleich zu den USA. Dank des KI-Booms und einer unternehmensfreundlichen Politik läuft der Gewinnmotor an der Wall Street auf Hochtouren. Aber auch diesseits des Atlantiks nimmt die Dynamik zu. Analysten trauen den Unternehmen im MSCI Europe im kommenden Jahr ein Gewinnwachstum im zweistelligen Prozentbereich zu (siehe Grafik 2).

Angesichts dieser Aussichten sind europäische Aktien nicht teuer. Im Gegenteil: Auf Basis der für 2026 erwarteten Gewinne liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis des MSCI Europe bei gut 12. Beim S&P 500 Index nähert sich diese viel beachtete Kennziffer der Marke von 20. Dieser Abschlag geht einher mit einem deutlichen Vorsprung bei der Dividendenrendite. Aktuell beläuft sich die Verzinsung der für die nächsten 12 Monate erwarteten Ausschüttungen im MSCI Europe auf 3.3%. Damit würde die aggregierte Dividendenrendite der über 400 Unternehmen dieser kontinentalen Benchmark die des S&P 500 Index um gut 2 Prozentpunkte übertreffen (siehe Grafik 3).

Auf den Punkt gebracht

Skeptiker mögen nun die Hand heben und den Bewertungsabschlag europäischer Aktien angesichts der strukturellen Probleme als gerechtfertigt bezeichnen. Positiv betrachtet sind die Chancen des alten Kontinents jedoch kaum zu übersehen. Neben dem sich – auch und gerade im Zuge der Wahlen in Deutschland – abzeichnenden Politikwechsel hin zu einer wirtschaftsfreundlicheren Gesetzgebung sprechen die Aussicht auf weitere Zinssenkungen sowie die Fülle an international erfolgreichen Unternehmen für ein Engagement. Als eine Art «Joker» könnte sich China erweisen. Ein Aufschwung im Reich der Mitte, unterstützt durch die jüngsten Konjunkturprogramme, würde vor allem Europa in die Hände spielen. Ein zentrales Risiko bleibt der Mann im Weis-sen Haus. Sollte Donald Trump mit seinen Zolldrohungen gegen Europa Ernst machen, könnte er den zarten Aufschwung diesseits des Atlantiks im Keim ersticken.

Anlagelösungen

Optimisten können sich den MSCI Europe mit dem Exchange Traded Fund EUREUA ins Portfolio holen. Mit dem 2009 lancierten ETF bildet UBS den diversifizierten Index physisch ab. Das heisst, die 414 enthaltenen Aktien befinden sich im Fondsvermögen. Die Dividenden werden an die Anleger weitergegeben. Die Gesamtkostenquote des über EUR 300 Millionen schweren ETFs wird mit 0.10% p. a. tief gehalten.

Gerade wegen der jüngsten «DeepSeek»-Turbulenzen ist der europäische Markt auch für die Fans von Renditeoptimierungsprodukten interessant. Die historische Volatilität der ASML Holding beträgt über einen Zeitraum von einem Monat mehr als 40%. Beim MSCI Europe Index liegt diese Kennziffer im einstelligen Bereich. Mit dem Barrier Reverse Convertible LTACVK können Anleger auf eine Beruhigung der Lage beim niederländischen Börsenschwergewicht setzen. Leonteq zahlt für das auf CHF lautende Produkt einen Coupon von 8.60% p.a. Solange der Basiswert die Barriere nicht berührt oder unterschreitet, erhalten Anleger bei Verfall den vollen Nominalbetrag ausbezahlt. Mit EUR 440.635 liegt die massgebliche Schwelle 37.5% unter dem Kurs der ASML Holding.

Natürlich finden sich am Schweizer Markt für Strukturierte Produkte auch Lösungen für die Europaskeptiker. Wer davon ausgeht, dass der alte Kontinent weiter ins Hintertreffen gerät und die Börse nach unten dreht, könnte einen Blick auf das Angebot an Shortprodukten werfen. Ein Mini Future mit der ISIN DE000SV0D701 setzt fallende Kurse des EURO STOXX 50 Index mit einem Hebel von derzeit 5.6 in Gewinne um. Die Stoppschwelle setzt die Société Générale bei 6’079.82 Punkten und damit rund 15% über dem Stand des Eurozonen-Index. Dieses Polster darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei einer Fortsetzung des positiven Momentums an den europäischen Aktienmärkten den Bären deutliche Verluste drohen.

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