Brasilien: Endlich wieder Samba am Zuckerhut
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Serge Nussbaumer
Chefredaktor
Das grösste Land Südamerikas hat in den vergangenen Jahren wichtige Reformen angestossen, welche sich auch unter der neuen linksgerichteten Regierung fortsetzen. Im Zuge eines zuversichtlichen Wachstumsausblicks sowie steigenden Investitionen kehren auch Investoren wieder zurück nach Brasilien. Eine anstehende Wende in der Geldpolitik könnte den Kapitalmarkt zusätzlich anheizen. Wir verraten, mit welchen Lösungen sich Anleger in dem Schwellenland positionieren können.
Der Zauber hat Brasilien wieder – zumindest was den Fussball betrifft. Mit einem abgebrühten 4:0 gegen Panama startete die Frauen-Elf in die Weltmeisterschaft 2023. Im Rückstand liegt das südamerikanische Land allerdings noch am Kapitalmarkt. Im laufenden Jahr steht für den Bovespa ein Plus von 12% zu Buche. Damit liegt der Leitindex am Zuckerhut rund 4 Prozentpunkte hinter dem MSCI World zurück, auf Sicht von 4 Jahren beträgt der Abstand gar rund 20 Prozentpunkte.
Wachstumsfeuerwerk
Die mittelfristige Underperformance hat einen fundamentalen Grund. Das grösste lateinamerikanische Land bewegte sich zuletzt wirtschaftlich nur im Schneckentempo. Nach einer Rezession in 2015/16 zog das Bruttoinlandprodukt (BIP) zwar kurzfristig etwas an, doch mit dem Corona-Schock ging es erneut abwärts. Zuletzt startete die brasilianische Wirtschaft erneut einen Erholungsversuch. 2022 kam das BIP um 2.9% voran und auch der Start in das neue Jahr ist geglückt. Im 1. Quartal lag das Wachstum bei stolzen 4%, was deutlich mehr ist als der Konsens für das Gesamtjahr 2023 mit nur 0.9% prophezeit. Ökonomen sprachen gar von einem «Wachstumsfeuerwerk». Damit könnte Brasiliens Wirtschaft das dritte Jahr in Folge deutlich schneller wachsen als die Ökonomen es zum jeweiligen Jahresbeginn prognostiziert haben.
Der starke Anstieg kommt vor allem von den boomenden Agrarexporten. Diese sorgten auch dafür, dass das Land im Mai den grössten Handelsbilanzüberschuss der vergangenen 30 Jahre erzielte. Dies wiederum führt dazu, dass das Devisenpolster wächst und die lateinamerikanische Währung an Vertrauen gewinnt. Gegenüber dem Greenback wertete der brasilianische Real in diesem Jahr um etwas mehr als ein Zehntel auf. Damit hat der seit Anfang des Jahres regierende Luiz Inacio Lula da Silva, der sich bei den jüngsten Wahlen gegen seinen Vorgänger Jair Bolsonaro durchsetzen konnte, bereits einige Erfolge vorzuweisen. Lula ist angetreten, um das Land vor allem für westliche Unternehmen wieder attraktiver zu machen und die Industrialisierung anzustossen. Als der aktuelle Präsident zuletzt vor 2 Jahrzehnten regierte, betrug der Anteil der Industrie am BIP knapp 18%, aktuell sind es lediglich noch 11%. Zudem wurden neue Regeln für den Staatshaushalt angekündigt. Bis zum Jahr 2026 soll mehr eingenommen als ausgeben werden.
Zinsgipfel erreicht
Eine starke Währung kombiniert mit einer schwachen Konsum- und Investitionsnachfrage – die Leitzinsen in Brasilien liegen bei hohen 13.75% – sorgen dafür, dass der Preisdruck abnimmt. So betrug die Inflationsrate im Juni nur noch 2.9% und lag damit deutlich unter dem Höchststand im April 2022 mit etwa 12.1%. «Der Rückgang der Inflation sowie die Stärke des brasilianischen Reals und die Tatsache, dass Präsident Lula seine verbalen Angriffe gegen die Zentralbank eingestellt hat, eröffnen Spielraum für Zinssenkungen», urteilen die Ökonomen der Fondsgesellschaft Deka. Ein erster Schritt nach unten wird für das 3. Quartal erwartet.
Dank der verbesserten Aussichten aufgrund des dynamischen Wachstums sowie auch eines neuen Haushaltsgesetzes meldete sich jüngst auch Standard & Poor’s zu Wort, um Hand an der Risikoeinstufung des Landes anzulegen. Mitte Juni 2023 bestätigte die Ratingagentur das «BB»-Kreditrating für Brasilien schraubte aber gleichzeitig aber den Ausblick von «stabil» auf «positiv» empor. Damit nehmen die Chancen zu, dass auch die Kreditwürdigkeit des Landes in naher Zukunft angehoben wird. Eine sinkende Ausfallwahrscheinlichkeit würde wiederum mehr Investoren anlocken.
Möglicher Boom
Das steigende Vertrauen zieht generell mehr Kapital an. So haben die ausländischen Direktinvestitionen zuletzt Monat für Monat zugenommen. Lagen diese im Dezember 2022 noch unter USD 6 Milliarden, beliefen sie sich laut CEIC Data im März auf USD 7.6 Milliarden. Bereits im vergangenen Jahr war das Land am Zuckerhut nach den USA und China die Nation, in das ausländische Unternehmen das meiste Geld pumpten. Positiv kommt nun hinzu, dass es Brasiliens Präsident Lula gelungen ist, eine umfassende Steuerreform anzustossen. Anfang Juli hat das Abgeordnetenhaus dieser mit einer grossen Mehrheit zugestimmt und jetzt bedarf es nur noch einer Abstimmung im Senat. Laut dem angesehenen Volkswirt Samuel Pessôa von der Wirtschafts-Universität Fundação Getulio Vargas, könnte die Reform einen ähnlichen Wachstumsschub auslösen wie vor knapp 3 Jahrzehnten die Wirtschaftsreform «Plano Real». Diese bescherte dem Land Mitte der 1990er-Jahre einen Wirtschafts- und Investitionsboom.
Die Daumen gehen nach oben
Wie eingangs erwähnt, entdecken inzwischen immer mehr Anleger den einstigen Star innerhalb der BRICs als Investitionsziel. Auch grosse Investmenthäuser äussern sich zunehmend positiv. Während beispielsweise die Experten von BlackRock vor allem brasilianische Anleihen in Lokalwährung bevorzugen, sehen die Bank of America und JP Morgan rund 15% Potenzial bei Aktien bis zum Jahresende. Insbesondere der erwartete Zinslockerungszyklus sollte den Bovespa, den Leitindex in Brasilien, antreiben. Gehen die Prognosen der Experten auf, würde nach einer langen Seitwärtsphase das Top bei 131’190 Punkte, das im Juni 2021 erreicht wurde, wieder in den Fokus rücken. Darüber hinaus könnte es auch bald wieder zu IPOs kommen. Laut Lateinamerika-Expertin Ivana Ferreira an der Nasdaq könnten zahlreiche Börsengänge anstehen. Hoch gehandelt wird dabei das brasilianische Fintech Creditas. CEO Sergio Furio hofft bereits 2024 den Sprung aufs Parkett zu schaffen. Dann soll die Firma auch profitabel sein, der Breakeven wird für diesen Dezember angepeilt.
Volle Partizipation
Der Fundus an Strukturierten Produkten, um sich in Brasilien zu positionieren, beschränkt sich im Wesentlichen auf ETFs. Mit diesen Partizipationspapieren können risikoerprobte Anleger auf ein Comeback am Zuckerhut setzen. Zur Wahl stehen an SIX Swiss Exchange zwei verschiedene Basiswerte: Der MSCI Brazil sowie der FTSE Brazil. Amundi, Franklin, iShares, Lyxor und Xtrackers haben darauf entsprechende Exchange Traded Funds. Mit Blick auf den Track-Record und die Gebührenstruktur überzeugen vor allem die Papiere von Amundi, Franklin und iShares.
Doch Vorsicht: In derart volatilen Märkten kann es immer Übertreibungen in beide Richtungen geben. Daher sollten Anleger vorsichtig einsteigen. Das bedeutet: Das Kapital für die vorgesehene Position nur in Etappen in den Markt fliessen lassen. Vor weiteren Verwerfungen ist auch Brasilien längst nicht gefeit, zumal es auch eine kleine Saat des Zweifels für die wirtschaftliche Entwicklung im zweiten Halbjahr gibt. Das Wetterphänomen «El Niño» verursacht nämlich in Lateinamerika derzeit ausgeprägte Dürren im Norden und stärkere Regenfälle im Süden. Eine Trockenheit über Nordbrasilien könnte die dortige Zucker-, Kaffee- und Kakaoproduktion schmälern. Und wie das 1. Quartal gezeigt hat, ist das Land noch stark von seinen landwirtschaftlichen Erträgen abhängig.