Zurück
payoff Focus

Der Boom im Boom

10.04.2025 8 Min.
  • Serge Nussbaumer
    Chefredaktor

Seit Jahren wächst der Markt für Exchange Traded Funds rasant. Aktive ETFs sind besonders gefragt. Mit einer Vielzahl an solchen Strategien wagen sich die Anbieter verstärkt in das Terrain klassischer Investmentfonds vor. Wir haben aktuelle Zahlen zu diesem aus den USA nach Europa überschwappenden Trend und stellen aktive ETFs mit Potenzial vor.

Ob im nagelneuen BlackRock-Hauptquartier in Manhattan, im «One Congress»-Büroturm in der State Street in Boston oder in der vergleichsweise schlichten Zentrale von Vanguard in einem Vorort von Philadelphia: Am 9. März dürften bei den drei führenden Anbietern von Exchange Traded Funds die Korken geknallt haben. An diesem Tag jährte sich die Einführung des ersten ETFs zum 35. Mal. Am 9. März 1990 startete an der Toronto Stock Exchange (TSX) der Handel mit den «Toronto 35 Index Participation Units», kurz TIPS. 35 Jahre nach dieser Geburtsstunde strotzt der globale ETF-Markt geradezu vor Kraft. Allein im Februar 2025 investierten Anleger rund um den Globus USD 152 Milliarden in diese passiven Fonds. Laut dem Informationsdienstleister ETFGI war das der 69. Monat in Folge mit Netto-Mittelzuflüssen. In Summe verwaltete die ETF-Industrie Ende Februar rekordhohe USD 15.5 Billionen.

Für diesen Erfolg gibt es mehrere Gründe. Neben den niedrigen Gebühren sind dies vor allem die einfache Funktionsweise, die hohe Liquidität und natürlich der allgemeine Börsenboom. In den letzten Jahren ist ein weiterer Wachstumstreiber hinzugekommen. Immer mehr Anleger legen sich aktive ETFs ins Portfolio. Diese Produkte weichen von dem Prinzip ab, einen bestimmten Index möglichst genau abzubilden. Vielmehr wird versucht, durch die Portfoliokonstruktion auf Basis einer bestimmten Strategie Überrenditen (Alpha) zu generieren. Insofern begibt sich die ETF-Industrie hier zunehmend auf das Terrain der aktiven Vermögensverwalter und Fondsmanager. Gleichzeitig entsteht eine direkte Konkurrenz zu einem Wachstumssegment im Markt für Strukturierte Produkte – dazu später mehr.

Wachsende Bedeutung

Das Angebot nimmt laufend zu. Ende Februar 2025 waren gemäss ETFGI weltweit rund 3’400 aktive ETFs handelbar. Sie kamen zusammen auf ein verwaltetes Vermögen (AuM) von USD 1.26 Billionen (siehe Grafik 1). Allein im vergangenen Jahr stieg das verwaltete Vermögen in diesem Segment laut dem Datendienstleister um 59%. Über eine Dekade betrachtet verzeichneten aktive ETFs eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate (CAGR) von 40.3%. Zum Vergleich: Der Gesamtmarkt wuchs bis 2024 um 27.6%, während die CAGR über 10 Jahre bei 17.1% lag. Der Anteil aktiver Vehikel am Gesamtmarkt ist mit knapp 8% zwar noch relativ gering, hat sich aber in den letzten 10 Jahren mehr als versiebenfacht.

Ermöglicht wird die Entwicklung durch einen enormen Anstieg der Mittelzuflüsse. Laut BlackRock lag der Anteil aktiver ETFs an den gesamten Mittelzuflüssen der Branche im Jahr 2013 erst bei etwas mehr als 3%. Im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres floss mehr als ein Fünftel des gesamten weltweiten ETF-Neugeldes in aktive Strategien (siehe Grafik 2).

Mehrere Treiber

Die Aussichten sind positiv. Branchenprimus BlackRock geht davon aus, dass sich das in aktiven ETFs verwaltete Vermögen bis 2030 auf USD 4 Billionen mehr als verdreifachen wird. «In den heutigen Märkten mit höherer Volatilität suchen Anleger verstärkt nach aktiv verwalteten Strategien», begründet der Vermögensverwalter und Betreiber des ETF-Labels iShares seine optimistische Prognose. Aufgrund einer Reihe von Vorteilen wie Effizienz und Transparenz würden ETFs anderen Lösungen vorgezogen. Befeuert wird der Boom laut BlackRock von regulatorischen Änderungen in den USA, der zunehmenden Nutzung von Musterportfolios sowie einer wachsenden Zahl von Selbstentscheidern, die ihr Kapital über digitale Plattformen allokieren.

In die gleiche Kerbe schlägt J.P. Morgan. Die Experten der Grossbank verweisen in einer Analyse auf die 2019 von der US-Wertpapieraufsicht SEC verabschiedete Rule 6c-11. Diese sogenannte ETF-Regel erleichtere es, massgeschneiderte Anlagelösungen in den Mantel eines ETF zu packen. «Bei aktiv verwalteten ETFs waren die Vorteile besonders ausgeprägt», stellen die Autoren der Studie fest. 

Nach diesem «Urknall» ist die Zahl der verfügbaren Produkte in den USA geradezu explodiert. Waren es 2018 erst 300 Strategien, so bildeten aktive ETFs im Mai 2024 bereits 1’500 regelbasierte Portfolios ab. «Der Appetit der Kleinanleger ist mit dem Angebot gestiegen», stellt J.P. Morgan fest. Gleichzeitig hat die ETF-Regel zu einem Transformationsprozess geführt. Von 2021 bis Mai 2024 wurden 77 klassische Fonds mit einem Gesamtvolumen von USD 110 Milliarden in aktive ETFs umgewandelt. Für Begeisterung sorgt auch die Tatsache, dass es bei ETFs keine Mindestanlagesumme gibt. Dieser Vorteil führt laut J.P. Morgan zu einer Demokratisierung des Anlagesegments.

Aufbruchstimmung in Europa

Obwohl rund drei Viertel des Marktes für aktive ETFs auf die USA entfallen, ist der Boom längst auch auf dem alten Kontinent angekommen. Laut Bloomberg Intelligence (BI) wird sich die Zahl der in Europa verfügbaren Produkte bis 2024 mehr als vervierfachen auf 125. Die ETF-Boutique hanetf malt eine rosige Zukunft. Bis 2031 könnte das verwaltete Vermögen aktiv gemanagter ETFs in Europa von derzeit USD 56 Milliarden auf USD 1 Billionen ansteigen. Die Zuversicht schöpft das Londoner Finanzhaus aus einer Umfrage unter 50 europäischen Vermögensverwaltern. Demnach planen mehr als 90% der Dienstleister, ihr Angebot in diesem Bereich auszubauen.

Und auch die Branchenriesen aus den USA scharren mit den Hufen. Daten von BI zeigen, dass unter anderem J.P. Morgan Asset Management, BlackRock, Invesco und Goldman Sachs bis 2025 aktive ETFs an europäischen Börsen listen wollen. «Europa ist ein Paradies für aktive Fondsmanager», sagt Athanasios Psarofagis, ETF-Experte bei BI. Er verweist damit auf die traditionelle Vorliebe europäischer Anleger für aktiv verwaltete Portfolien. Doch es gibt auch Herausforderungen: Neben den nach wie vor bestehenden regulatorischen Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern gehört dazu die relativ geringe Zahl von Selbstentscheidern in Europa.

Mensch und Maschine

Und natürlich wird die Konkurrenz dem Vormarsch der aktiven ETFs nicht tatenlos zusehen. Neben den klassischen Anlagefonds hat auch der Markt für Strukturierte Produkte etwas zu verlieren. Auch und gerade in der Schweiz hat das Actively Managed Certificate (AMC) in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Die Emittenten verpacken eine bestimmte Anlageidee in den Mantel eines Tracker-Zertifikats. Ein Investmentmanager kümmert sich um die jeweilige Strategie und passt sie bei Bedarf an. Man darf gespannt sein, ob und inwieweit die aktiven ETFs die AMC-Welle abfangen können. Falls Sie sich für das Thema AMC interessieren, lesen Sie mehr auf payoff.ch: AMC: Aktiv die Börsenwelt entdecken

An der Schweizer Börse sind mittlerweile 170 ETFs kotiert, die aktiv gehandelt werden. Im vergangenen Herbst sind mit abrdn Investments und Robeco zwei Emittenten mit mehreren Strategien neu an SIX Swiss Exchange gekommen. Eine davon ist der Dynamic Theme Machine ETF RDYN. Dieser Fonds bringt Mensch und Maschine zusammen und könnte damit exemplarisch für den Aufstieg aktiver ETFs stehen. Mit Hilfe spezieller Algorithmen versucht Robecco, langfristige Trends und deren Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt frühzeitig zu erkennen. Bei der Auswahl der aussichtsreichen Themen bzw. der entsprechenden Aktien hat das Management das letzte Wort. Der ETF mit einem AuM von knapp USD 20 Millionen steckt noch in den Kinderschuhen – aufgrund der kurzen Historie lässt sich die Strategie nur schwer bewerten.

Anlagelösungen

Gut, dass es an SIX auch «aktive» Schwergewichte gibt. Dazu gehört der JPM US Research Enhanced Index Equity ETF JREU. Im Herbst 2018 lancierte J.P. Morgan diese Strategie. Sie versucht, eine diversifizierte Positionierung am US-Aktienmarkt mit Hilfe der hauseigenen Research-Abteilung zu optimieren. Aktien, denen die Analysten besonders viel Potenzial zutrauen, werden übergewichtet, während vermeintlich teure Titel untergewichtet werden. Bislang geht die Rechnung der Enhanced-Strategie auf: Der aktive ETF erzielte seit seiner Auflegung eine jährliche Outperformance von 0.66 Prozentpunkten gegenüber dem S&P 500 Index.

Eine Outperformance von 0.99% p.a. hat J.P. Morgan mit dem Europe Research Enhanced ETF JREE seit der Markteinführung erwirtschaftet. Diese Strategie setzt auf mehrere Schwergewichte aus dem Schweizer Aktienmarkt. An erster Stelle steht derzeit Nestlé mit einem Anteil von 3.2% am Portfolio. Damit profitierte der ETF mit einem Wertzuwachs von knapp 6.2% seit Jahresbeginn von der Rückkehr des Nahrungsmittelkonzerns an die Börse. Mit Roche, Novartis und Richemont zählen weitere Schweizer Large Caps zu den grössten Positionen im insgesamt mit knapp 150 Aktien umfassenden Fondsvermögen.

Im Segment der festverzinslichen Wertpapiere gibt es eine grosse Anzahl von aktiven ETFs. Einer der Klassiker ist der PIMCO US Dollar Short Maturity ETF MINT. Seit über 14 Jahren nutzt dieser Fonds die Expertise des führenden Vermögensverwalters im Bereich Fixed Income und bietet eine liquide Alternative zu traditionellen Geldmarktanlagen. Das Portfolio besteht aus Unternehmens- und Staatsanleihen, die überwiegend auf US-Dollar lauten. Das Management versucht, die Duration im Bereich von bis zu 1 Jahr zu halten. Die Diversifikation ist sehr hoch, derzeit hält der ETF rund 500 Positionen. Die erwirtschafteten Zinsen werden monatlich an die Anteilseigner ausgeschüttet. Derzeit liegt die Rendite bei 4.6%. Das Konzept kommt an, der PIMCO US Dollar Short Maturity ETF verwaltet mehr als USD 2.1 Milliarden.

Die Beispiele zeigen, welche Vorteile aktive ETFs bieten können. Doch der Boom hat auch seine Schattenseiten. Viele Produkte schaffen es nicht, die Benchmark zu schlagen. Zudem liegen die Gebühren zum Teil deutlich über dem im ETF-Markt üblichen Niveau. Anleger sollten sich daher genau informieren und überlegen, ob sie tatsächlich einen Mehrwert erwarten können. Wenn nicht, könnten klassische Investmentfonds oder auch Partizipationslösungen aus dem Struki-Markt die bessere Wahl sein.

Weitere News aus der Rubrik

Unsere Rubriken