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payoff Focus

Industriegase: Am Puls von Wachstum und Transformation

07.12.2023 8 Min.
  • Serge Nussbaumer
    Chefredaktor

Egal ob Acetylen, Helium oder Wasserstoff: Ohne Industriegase lassen sich Wohlstand, Wachstum und eine nachhaltige Zukunft kaum bewerkstelligen. Entsprechend angesagt sind die führenden Hersteller dieser unsichtbaren Stoffe an der Börse.

Am Neujahrstag verschwindet eine Marke von der Bildfläche, die in der Schweiz ein steter Begleiter von Handwerkern, Küchenchefs, Ballonfahrern und Medizinern war. «PanGas heisst ab dem 1. Januar 2024 Linde», teilte das Unternehmen aus Dagmersellen vor kurzem mit. Auf diese Weise soll der engen Verzahnung zwischen Tochtergesellschaft und Mutterkonzern Rechnung getragen werden. 1909 haben Arnold Gmür und Carl von Linde die «Sauerstoff- und Wasserstoff-Werke AG Luzern» gegründet. Das seit 1984 als PanGas firmierende Unternehmen ist ein schweizweit führender Anbieter von technischen und medizinischen Gasen. Sie ermöglichen das Schweissen in der Autowerkstatt, das Grillieren und Kochen, die Fahrt im Heissluftballon oder die Beatmung von Patienten.

Wachstumssprung in Europa

Nicht nur hier zu Lande, weltweit sind diese Stoffe gefragt. Im vergangenen Jahr wurden rund um den Globus Industriegase in einem Volumen von rund EUR 91 Milliarden verkauft. Der mit Abstand grösste Einzelmarkt sind die USA, gefolgt von China und Japan (siehe Grafik 1). In punkto Wachstum liess die Europäische Union aufhorchen: Laut Zahlen der European Industrial Gases Association (EIA) dehnte sich der EU-Markt für Industriegase 2022 um 30% auf knapp EUR 30 Milliarden aus (siehe Grafik 2). Für den Zeitraum 2012 bis 2022 taxierte die Branchenvereinigung die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate auf 4.4%. 

Die Aussichten sind positiv. Grand View Research geht davon aus, dass der globale Markt für Industriegase zwischen 2023 und 2030 im Schnitt pro Jahr um 7.4% zulegt. «Das Wachstum wird in erster Linie durch die expandierende Fertigungsindustrie in den Schwellenländern der Region Asien-Pazifik angetrieben», schreiben die Experten. Hinzu käme eine zunehmende Verwendung dieser Stoffe in der verarbeitenden Industrie, dem Bergbau, der Metallindustrie, dem Lebensmittel- und Getränkesektor sowie dem Gesundheitswesen. Als mögliche Bremsklötze nennt Grand View Research Umweltvorschriften, Sicherheitsaspekte sowie die Kosten der Gasumwandlung.

Take-or-pay

Relativ wenig kann dieser Branche das von Inflation, höheren Zinsen und einer angespannten Geopolitik geprägte makroökonomische Umfeld anhaben. Kepler Cheuvreux begründet die Resilienz einerseits mit den Aktivitäten im defensiven Gesundheitswesen. Gleichzeitig habe sie damit zu tun, dass die Industriegaskonzerne häufig langfristige Verträge mit ihrer Kundschaft abschliessen. Dabei gelte das Motto «take-or-pay»: Wer die bestellten Mengen nicht abnimmt, muss trotzdem bezahlen. Vor diesem Hintergrund überrascht die starke Börsenentwicklung der führenden Spieler in diesem Geschäft nicht. Gemessen an der Marktkapitalisierung ist Linde die Nummer 1. Vor fünf Jahren hat sich das Münchener Unternehmen mit dem US-Rivalen Praxair zusammengetan und dadurch einen Sprung nach vorne gemacht. 

Linde: In einem Boot mit den US-Techs

Im vergangenen Frühjahr beendete Linde die Kotierung an der Frankfurter Börse. Folgerichtig flog das Schwergewicht aus dem DAX. Jetzt ist die Wall Street der wichtigste Handelsplatz für das von Grossbritannien aus gesteuerte Unternehmen. Linde ist an der Technologiebörse Nasdaq kotiert und Mitglied des US-Leitindex S&P 500. Der Performance konnten die nicht unumstrittene Fusion sowie die vielen mit ihr einhergehenden Umbrüche keinen Abbruch tun. Im Gegenteil: Auf Sicht von fünf Jahren legte die Linde-Aktie um rund 170% zu (siehe Grafik 3). 

Das Gros der Analysten hebt weiterhin den Daumen. Dazu zählt Martin Roediger von Kepler Cheuvreux. Nach den jüngsten Quartalszahlen hat der Branchenriese das Kursziel leicht auf USD 448 erhöht. «Läuft wie ein Schweizer Uhrwerk – sehr zuverlässig», bringt Roediger seine Einschätzung auf den Punkt. In der Tat hat Linde die Erwartungen einmal mehr schlagen können. Obwohl die Umsätze von Juli bis September gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 7% geschrumpft sind, hat das deutsch-amerikanische Unternehmen den Gewinn deutlich gesteigert. Mit knapp USD 1.6 Milliarden verdiente es 15% mehr als im 3. Quartal 2022. 

CEO Sanjiv Lamba konnte die Prognose für das Gesamtjahr bereits zum dritten Mal nach oben schrauben. Er peilt beim angepassten Ergebnis je Aktie jetzt für 2023 ein Wachstum von 14% bis 15% an. Zuvor lag die Zielspanne bei 12% bis 14%. «Ich gehe davon aus, dass Linde weiterhin jedes Jahr eine Margensteigerung von 20 bis 50 Basispunkten erzielen wird», sagte Lamba in einem Analystencall. In den ersten neun Monaten 2023 konnte der Konzern die angepasste operative Marge sogar um 4.5 Prozentpunkte auf 27.7% ausbauen. Schon kurz vor dem Zahlentermin hatte Linde neben einer Quartalsdividende von USD 1.75 je Aktie einen USD 15 Milliarden schweren Aktienrückkauf angekündigt. «Wir verfügen über eine erhebliche Summe an überschüssigem Kapital, welche wir für dieses Programm verwenden können», erklärte CFO Matt White.

Grüne Zukunftsinvestitionen

Dank der hohen Cashflows bleibt genügend Geld für Zukunftsinvestitionen. Das Management hält es für möglich, allein in den Bereich saubere Energie innert zehn Jahren mehr als USD 50 Milliarden zu investieren. Wasserstoff spielt eine zentrale Rolle. Bekanntlich ist die Produktion respektive Abspaltung von H2 sehr energieaufwendig. Insofern hilft dieser Stoff bei der Dekarbonisierung nur, wenn er mit Hilfe von regenerativen Energiequellen gewonnen wird. Der Fachjargon spricht hier vom grünen Wasserstoff. Linde geht noch einen zweiten Weg und investiert auch in blauen Wasserstoff. Dabei werden die anfallenden Treibhausgase durch Bindung und dauerhafte Einlagerung unschädlich gemacht. 

Air Liquide: Good News aus den Staaten

Die Konkurrenz schläft nicht. Air Liquide verleiht seinen H2-Ambitionen über eine Partnerschaft mit den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris Nachdruck. Die Fahrzeugflotte dieses sportlichen Top-Events umfasst 500 Wasserstoff-PKWs von Toyota. «Diese Autos werden mit Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen angetrieben, der von Air Liquide geliefert wird», erklärt das französische Unternehmen. Der Industriegasekonzern verfügt in der H2-Produktion über eine 60-jährige Erfahrung. Diese soll nun auch und gerade jenseits des Atlantiks ausgespielt werden. «Air Liquide wird in der Entwicklung von Wasserstoff quer über die USA ein Schlüsselspieler sein», sagte CEO François Jackow bei der Vorlage der jüngsten Quartalszahlen. 

Aus Washington D.C. haben die Franzosen bereits den Zuschlag als Partner für sechs von insgesamt sieben geplanten Wasserstoff-Hubs erhalten. Mit Hilfe der Investitionen von insgesamt USD 7 Milliarden möchte das US-Energieministerium die Basis für ein grünes Energienetzwerk schaffen. Laut Berechnungen der Deutschen Bank könnte Air Liquide allein über dieses Projekt Zugang zu privaten Investitionen in Höhe von bis zu USD 16 Milliarden erhalten. Die Frankfurter stufen die Nummer 2 auf dem Weltmarkt für Industriegase mit «Buy» ein. 

17 weitere Research-Häuser heben den Daumen, während auf Reuters sechs Mal das Rating «Halten» sowie eine Verkaufsempfehlung für Air Liquide dokumentiert sind. Ein starkes Argument für diesen Large Cap sind die Wachstumsaussichten. Dem Konsens zufolge soll Air Liquide den Gewinn bis 2025 gegenüber dem vergangenen Jahr um annähernd die Hälfte steigern. Nicht nur fundamental, auch aus charttechnischer Sicht ist Air Liquide interessant. Die Aktie hat den horizontalen Widerstand im Bereich von knapp EUR 170 überwunden. Dadurch konnte sie eine mehrmonatige Seitwärtsbewegung nach oben auflösen (siehe Grafik 4). 

Air Products & Chemicals: Big Business in Saudi-Arabien

Die Nummer 3 am Weltmarkt für Industriegase hält nicht mit dem Top-Duo Schritt. Vielmehr tritt die Aktie von Air Products seit Monaten auf der Stelle (siehe Grafik 5). Auch mit den jüngsten Zahlen konnte das US-Unternehmen nichts am Seitwärtstrend ändern. Dabei hat Air Products im 4. Quartal der Fiskalperiode 2023 mit einem prozentual zweistelligen Gewinnwachstum die Erwartungen schlagen können. Bezahlt machte sich vor allem die Zusammenarbeit mit Saudi Aramco. In einem Joint Venture mit dem Ölgiganten betreiben die US-Amerikaner an der Jazan-Raffinerie die weltgrösste Anlage für Industriegase. Über eine Laufzeit von 25 Jahren erwirtschaftet das Gemeinschaftsunternehmen einen festen monatlichen Erlös. 

Sauer aufgestossen ist den Investoren offenbar die Umsatzentwicklung. Im 4. Quartal sind die Erlöse des weltgrösssten Wasserstoffproduzenten um 11% auf USD 3.19 Milliarden geschrumpft. Analysten hatten im Schnitt mit einem Geschäftsvolumen von USD 3.35 Milliarden gerechnet. Die Air Prodcuts-Aktie brach am Zahlentermin um mehr als ein Zehntel ein. Mittlerweile hat sich der rund USD 60 Milliarden schwere Dividendentitel erholt – und so den skizzierten Seitwärtstrend halten können.

Anlagelösungen

Auf eine Fortsetzung dieser charttechnischen Konstellation können Anleger mit einem Discount-Zertifikat (ISIN CH1218239783) der ZKB setzen. Der Cap liegt bei USD 260 und damit rund USD 6 unter dem Basiswertkurs. Solange Air Products am Laufzeitende auf oder über dem Höchstbetrag notiert, wirft das Produkt die Maximalrendite von 8.27% ab. Andernfalls liefert die Kantonalbank den US-Titel, wodurch das Investment dem vollen Risiko des Underlyings ausgesetzt wäre. Für die Trader ist Air Liquide nach dem jüngsten Ausbruch nach oben interessant. Mit einem Faktor-Zertifikat (ISIN DE000SD1VSG7) lässt sich gehebelt auf ein starkes Jahresfinale bei dem französischen Blue Chip setzen. Das von der Société Générale auf Swiss DOTS sowie an der BX Swiss gehandelte Produkt partizipiert mit einem konstanten Faktor von 4 an der täglichen positiven Wertentwicklung von Air Liquide. Sollte der Basiswert nach unten drehen, fallen selbstredend überproportionale Verluste an. 

Leonteq hat Air Liquide und Linde mit dem Chemiekonzern BASF zusammengespannt. Beim Multi Barrier Reverse Convertible (ISIN CH1248694601) treffen die Lieferanten für Industriegase auf einen wichtigen Abnehmer. Obwohl BASF seit der Emission nachgegeben hat, trennen den DAX-Titel noch annähernd 40% von der Barriere. Air Liquide und Linde verfügen sogar über ein Polster von jeweils mehr als 50%. Solange keine Aktie auf oder unter die Schutzschwelle fällt, wirft das Produkt am Laufzeitende eine Seitwärtsrendite von mehr als einem Zehntel ab. Leonteq kann die Emission vorzeitig kündigen. In diesem Fall würde die Emittentin neben dem vollständigen Nominal auch den anteiligen Restcoupon überweisen.   

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