Milliardenmarkt über den Wolken
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Serge Nussbaumer
Chefredaktor
Der Luftverkehr hat den dramatischen Einbruch während der Corona-Pandemie hinter sich gelassen. Für die Zukunft sagen Experten ein starkes Wachstum der Passagierzahlen voraus. Flugzeughersteller, Flughäfen und Fluggesellschaften können mit florierenden Geschäften rechnen. Trotz der Herausforderungen bietet die Luftfahrtindustrie Chancen für Investoren.
Auf dem internationalen Flughafen Blagnac in Toulouse wurde am Morgen des 27. April 2005 europäische Industriegeschichte geschrieben. Das doppelstöckige, mit vier Rolls-Royce-Triebwerken ausgestattete Flugzeug löste die «Jumbo» genannte Boeing 747 als grösstes Passagierflugzeug der Welt ab. Knapp zwei Jahrzehnte nach dem Jungfernflug sind 226 Exemplare des A380 im Einsatz. Über 70 Meter lang, bis zu 907 Stundenkilometer schnell und mit einer Spannweite von fast 80 Metern fasziniert der König der Lüfte Passagiere und Luftfahrtfans gleichermassen. Doch die wirtschaftlichen Hoffnungen und Ziele, die Airbus mit dem milliardenschweren Programm verband, haben sich nicht erfüllt.
2019 zog der Konzern die Reissleine und stellte die Produktion ein. Als die Luftfahrt ein Jahr später durch Corona zum kollektiven «Grounding» gezwungen wurde, blieben besonders viele A380 am Boden. Inzwischen sind nur noch 20 Maschinen im Einsatz. «Der A380 kommt natürlich nicht wieder», sagte Lufthansa-Chef Carsten Spohr im Herbst 2021. Er sollte sich irren. Heute setzt die Swiss-Mutter acht der ursprünglich 14 gekauften Maschinen auf der Langstrecke ein. Emirates, der grösste A380-Nutzer, hat nur drei von insgesamt 123 Flugzeugen «stillgelegt».
Komplex und kapitalintensiv
Die Geschichte des baldigen «Jubilars» steht exemplarisch für die Komplexität der Luftfahrtindustrie. Flugzeughersteller müssen Trends in Technik und Mobilität frühzeitig und richtig erkennen. Nur so können sich die immensen Investitionen in eine Neuentwicklung lohnen. Bei den Fluggesellschaften wiederum können neben den Präferenzen der Passagiere weitere exogene Einflüsse die Prognosen ad absurdum führen. Neben der Konjunktur, den Energiepreisen und den Finanzierungskosten spielen auch Umweltauflagen eine wichtige Rolle.
Corona und die damit verbundenen Reisebeschränkungen haben die gesamte Branche – Flugzeughersteller, Fluggesellschaften und Flughäfen – in schwere Turbulenzen gestürzt. «Wir bluten finanziell in einem noch nie dagewesenen Tempo aus», warnte Airbus-CEO Guillaume Faury im April 2020. Tatsächlich verzeichnete der Konzern allein im ersten Halbjahr 2020 einen Mittelabfluss von mehr als EUR 12 Milliarden. An der Börse dauerte es nur rund sechs Wochen, bis die Aktie des Branchenriesen mehr als die Hälfte ihres Wertes verlor. Der Crash ist Geschichte. Ende März, genau vier Jahre nach Ausbruch der Pandemie, erreichte die Airbus-Aktie ein Allzeithoch. Doch dieses Hoch konnte der Large Cap nicht halten (siehe Grafik 1). Die Schwierigkeiten, das prall gefüllte Auftragsbuch im geplanten Zeitrahmen abzuarbeiten, bremsten das Dividendenpapier.
Airbus: Harzige Lieferketten
Eigentlich hatte CEO Faury das Ziel ausgegeben, bis 2024 insgesamt 800 Maschinen an Kunden zu übergeben. Doch diese Prognose musste er im Sommer nach unten korrigieren. Nun will der Franzose «rund» 770 Jets ausliefern. Faury begründete die Anpassung mit Engpässen bei Triebwerken und anderen wichtigen Komponenten. Wie ambitioniert auch das reduzierte Ziel ist, zeigt ein Blick auf die Auslieferungszahlen der ersten neun Monate: Von Januar bis September verliessen 497 Flugzeuge die Endmontage – 2% oder neun Maschinen mehr als im Vorjahreszeitraum. Um auf 770 Auslieferungen zu kommen, muss der Industrieriese von Oktober bis Dezember 273 Maschinen fertigstellen. Gegenüber dem letzten Quartal 2023 wäre das ein Plus von 11%. «Die Auslieferungen haben sich stärker nach hinten verschoben, als wir erwartet haben», erklärte der CEO Ende Oktober.
Gleichzeitig präsentierte Faury über den Erwartungen liegende Ergebnisse für das 3. Quartal. Unter anderem konnte Airbus das operative Ergebnis (bereinigtes EBIT) um 39% auf EUR 1.41 Milliarden steigern. «Wir bleiben auf unsere Prioritäten konzentriert, die Steigerung der Flugzeugauslieferungen und den Umbau der Rüstungs- und Satellitensparte», machte der CEO deutlich. Im Raumfahrtgeschäft zwangen verschiedene Probleme das Management zu hohen Abschreibungen.
Boeing: In schweren Turbulenzen
Auch Boeing ist in den Weiten des Universums unterwegs. Anfang Juni flogen die US-Astronauten Butch Wilmore und Suni Williams mit dem von dem US-Konzern entwickelten und gebauten «Starliner» zur Internationalen Raumstation ISS. Seitdem sitzt das Duo dort fest. Wegen technischer Probleme bei der ersten bemannten Mission des Boeing-Raumschiffs hatte die Weltraumbehörde NASA Sicherheitsbedenken. Der «Starliner» kehrte ohne seine Passagiere zur Erde zurück. Es sieht so aus, als ob Wilmore und Williams erst im kommenden Februar mit dem «Crew Dragon» des US-Raumfahrtkonzerns SpaceX die Heimreise antreten können.
So blamabel, ärgerlich und kostspielig dieser Rückschlag für Boeing ist: CEO Kelly Ortberg hat ganz andere Knoten zu lösen. «Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, können gar nicht hoch genug eingeschätzt werden», schrieb der seit August amtierende Top-Manager in einem Brief an die mehr als 170’000 Boeing-Mitarbeiter. Was 2018 und 2019 mit dem Absturz zweier Maschinen vom Typ 737-Max begann, ist heute eine existenzielle Krise. Pannen, Sicherheitsbedenken und Verstösse gegen staatliche Auflagen haben die Turbulenzen verstärkt. Im Herbst setzte der Streik tausender Arbeiter den Branchenriesen zusätzlich unter Druck. Boeing musste die Produktion der Modelle 737-Max, 777 und 767 stoppen.
Massiver «Cash burn»
Wenig überraschend hat der Arbeitskampf den Konzern noch tiefer in die roten Zahlen getrieben. Allein im 3. Quartal 2024 meldete Boeing einen operativen Verlust von USD 6.2 Milliarden. Gleichzeitig hat das Unternehmen rund USD 2 Milliarden Cash «verbrannt». Der CEO macht keinen Hehl daraus, dass Boeing seinen «ikonischen» Status verloren hat. Kelly Ortberg vergleicht den Industriegiganten mit einem grossen Schiff, das Zeit braucht, um den Kurs zu ändern. Aber wenn dieses Manöver gelingt, kann Boeing seiner Meinung nach wieder «grossartig» werden. Um das Ruder herumzureissen, denkt Ortberg über eine Verschlankung nach. Unbestätigten Berichten zufolge steht ein Teil des Raumfahrtgeschäfts zur Disposition.
Finanziell hat sich der mit einem Schuldenberg von fast USD 60 Milliarden belastete Konzern bereits Luft verschafft. Durch die Ausgabe neuer Aktien und Wandelanleihen sammelte Boeing bis Ende Oktober mehr als USD 24 Milliarden ein. Die Mega-Kapitalerhöhung war so gefragt, dass ihr Volumen um ein Viertel aufgestockt wurde. Obwohl die Wall Street positiv auf die Bilanzverbesserung reagierte, bleibt es bei einer extremen Underperformance der Boeing-Aktie. Während der marktbreite S&P 500 Index von Rekord zu Rekord eilt, kommt die Aktie des Luft- und Raumfahrtriesen seit Jahren de facto nicht vom Fleck (siehe Grafik 2).
Strukturelles Wachstum
Für langfristig orientierte Anleger könnte die Baisse eine Chance sein. Schliesslich dürfte es den Flugzeugherstellern auch in Zukunft nicht an Aufträgen mangeln. Airbus analysiert regelmässig die Aussichten der Branche. In den «Global Market Forecast», kurz GMF, fliessen neben der Demografie auch das Wirtschaftswachstum, Trends im Tourismus, der Ölpreis sowie die Entwicklung auf neuen und bestehenden Flugrouten ein. Aus diesen Faktoren leiten die Autoren einen konkreten Bedarf an Passagierflugzeugen ab. Gemäss der aktuellen Ausgabe des GMF werden 2023 weltweit gut 24’000 Flugzeuge im Einsatz sein. Bis 2043 wird sich diese Flotte in etwa verdoppeln. 5’800 Flugzeuge aus dem heutigen Bestand sollen am Ende des Prognosezeitraums noch im internationalen Luftraum unterwegs sein. Während die Fluggesellschaften knapp 18’500 Flugzeuge ersetzen dürften, rechnet Airbus mit einem Zuwachs von 23’970 Jets (siehe Grafik 3).
Nach aktuellen Prognosen wird der Luftverkehr in Asien und im Mittleren Osten besonders stark wachsen. Indien ragt dabei heraus. Für den Subkontinent rechnet Airbus bis zum Jahr 2043 mit einem durchschnittlichen Anstieg der umsatzgenerierenden inländischen Passagierkilometer (RPK) um 6.9% pro Jahr. In China soll der Inlandsverkehr eine durchschnittliche Wachstumsrate von 5.1% erreichen. Auch auf den internationalen Strecken zwischen den USA bzw. Europa und den aufstrebenden Regionen wird mit einem deutlichen Anstieg der RPKs gerechnet.
Flughafen Zürich: Ein Tor zur Welt
Zu diesen Aussichten passt eine aktuelle Meldung des Flughafens Zürich. Zum Winterflugplan kann der Airport mit dem internationalen Kürzel «ZRH» eine «verbesserte Anbindung des Mittleren Ostens, Asiens und Afrikas» anbieten. Neben einer zusätzlichen Verbindung nach Abu Dhabi zählen neue Flüge nach Hongkong und Addis Abeba sowie die Fortführung der Reisemöglichkeit nach Neu Delhi zu den Highlights. Insgesamt fliegen im Winter 53 Fluggesellschaften von Zürich aus knapp 170 Destinationen an. Damit stehen die Chancen gut, dass der Flughafen im Nordosten der Limmatstadt seinen Wachstumstrend fortsetzt bzw. die Corona-Flaute endgültig vergessen macht.
Zuletzt bewegten sich die Passagierzahlen in etwa auf dem Niveau von 2019, dem Jahr vor dem Ausbruch der Pandemie. Im September zählte «ZRH» rund 2.9 Millionen Passagiere. Das sind 5% mehr als im Vorjahresmonat und 2% mehr als im September vor fünf Jahren. (siehe Grafik 4) An der Börse ist die Betreibergesellschaft schon weiter. Der Flughafen Zürich notiert auf dem höchsten Stand seit Sommer 2018. (siehe Grafik 5) Zuletzt punktete das Unternehmen mit starken Zahlen für das erste Halbjahr. Von Januar bis Juni 2024 erwirtschaftete der Flughafen Zürich einen Gewinn von CHF 151.8 Millionen und übertraf damit das Rekordergebnis des ersten Halbjahres 2019 um 6%.
«Take off» in Indien
Der operative «Flow» hilft CEO Lukas Brosi, die Investitionen zu erhöhen. Im ersten Halbjahr 2024 investierte das Unternehmen CHF 275.4 Millionen in Sachanlagen und Projekte. Mehr als 4 von 10 investierten Franken flossen in den Flughafen Zürich. So baute das Unternehmen beispielsweise das Retail- und Gastronomieangebot weiter aus und schloss die Hauptarbeiten an einer neuen Gepäcksortieranlage ab. International liegt der Fokus auf Indien. «Südlich von Delhi bauen wir den zweiten Hauptstadtflughafen», erklärt Lukas Brosi. Start- und Landebahn, Terminal und Kontrollturm sind weit fortgeschritten. «Wir gehen davon aus, dass der Flughafen Ende April nächsten Jahres in Betrieb genommen werden kann», sagt der CEO. Dann dürfte auch der Anteil der Erträge, die ausserhalb von «ZRH» erwirtschaftet werden, weiter steigen. Schon heute wachsen die neun Flughäfen, an denen der Flughafen Zürich in Südamerika beteiligt ist, stärker als der Heimatstandort. Der erfolgreiche Business-Mix hat seinen Preis. Aktuell liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des Flughafens Zürich für 2026 bei gut 17. Zum Vergleich: Fraport weist ein KGV von 9.5 auf.
Fraport: Probleme an der Basis
Diese Diskrepanz steht in direktem Zusammenhang mit der deutlich schwächeren Performance des deutschen Flughafenbetreibers. Operativ profitiert Fraport davon, dass die Flughäfen in Griechenland, im türkischen Antalya oder in der peruanischen Hauptstadt Lima die Krise gut überstanden haben. Die Passagierzahlen am Frankfurter Flughafen lagen im ersten Halbjahr 2024 dagegen nur bei 87% des Niveaus von 2019. Streiks, unter anderem bei der Lufthansa, Unwetter, Klimaproteste und IT-Probleme störten den Betrieb massiv. Auch die Erhöhung der Luftverkehrssteuer und der Flugsicherungsgebühren waren für den Flughafen nicht gerade förderlich. Fraport legte nach und erhöhte die Flughafenentgelte um 9.5%.
Lufthansa: Flügellahmer Kranich
Zu den Leidtragenden gehört die Deutsche Lufthansa. Frankfurt ist das grösste Drehkreuz der Fluggesellschaft. CEO Carsten Spohr ärgert sich über die generell hohen Kosten an deutschen Flughäfen. «Ich mache mir grosse Sorgen um die Erreichbarkeit unseres Wirtschaftsstandorts», sagte er in einem Zeitungsinterview. Auch die konjunkturelle Lage auf dem Heimatmarkt bereitet dem Manager mit Kapitänspatent Kopfzerbrechen. «Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer Rezession», stellte er kürzlich fest. Der Carrier spürt die Flaute an der sinkenden Nachfrage nach Geschäftsreisen mit Lufthansa.
Die Kernmarke ist das Sorgenkind der Gruppe. Im 3. Quartal 2024 brach das operative Ergebnis der Lufthansa Airlines um mehr als ein Drittel auf EUR 407 Millionen ein. Die Marge sank dadurch um 5 Prozentpunkte auf 8.5%. Die nach Umsatz zweitgrösste Linie Swiss erreichte mit 16.3% eine fast doppelt so hohe Profitabilität. Auch Austrian Airlines und Eurowings konnten den Rekord-Reisesommer erfolgreich nutzen. 40% des Gesamtgeschäfts des Lufthansa-Konzerns entfallen auf die Kranich-Linie. Entsprechend hoch ist der Sanierungsdruck. Spohr setzt vor allem auf Kostensenkungen und möchte das Betriebsergebnis bis 2028 um brutto EUR 2.5 Milliarden verbessern.
Auf der Umsatzseite setzten die Verantwortlichen auf die Modernisierung der Kabinenausstattung. Unter der Marke «Allegris» erhalten Langstrecken-Reisende komfortablere und flexiblere Sitze. «Die First Class Suite Plus fühlt sich so privat und so individuell an wie ein Hotelzimmer – nur in elf Kilometern Höhe», wirbt Jens Ritter, CEO von Lufthansa Airlines, für das Premiumprodukt. Verbaut ist «Allegris» in allen neu ausgelieferten Airbus A350 sowie der Boeing 787.
Anlagelösungen
Anfang August lancierte Julius Bär den Callable Barrier Reverse Convertible FBEUJB auf die Swiss-Mutter. Hier genügt eine annähernd stabile Flughöhe, um die Seitwärtsrendite von knapp 11% p.a. einzufahren. Aktuell notiert die Lufthansa knapp 50% über der Barriere. Generell macht eine relativ hohe Volatilität die Aktien aus diesem Sektor zu interessanten Basiswerten für Renditeoptimierungsstrukturen. Dies zeigt sich auch beim Callable BRC KPZIDU auf Airbus und Deutsche Lufthansa. Zum Laufzeitende im September 2025 stellt dieses Produkt eine Rendite von 17.1% p.a. in Aussicht. Bei Airbus, dem seit der Emission schwächeren Basiswert, steht dieser Chance ein Puffer von knapp 30% gegenüber.
Naturgemäss sind die Bedingungen für die einzelnen Produkte moderater. Der BRC SBWAJB basiert auf dem Flughafen Zürich. Er bietet eine Renditechance von 5.8% p.a. mit einem Barriereabstand von 16.2%.
Leonteq hat die jüngsten Ereignisse bei Boeing zum Anlass genommen, um den Callable BRC LTACUA zu emittieren. Der garantierte Coupon beträgt 12.60% p.a. in der Produktwährung USD. Die Barriere liegt bei 59% der Anfangsfixierung. Das Produkt kann ab dem 11. November an der BX Swiss gehandelt werden.
Auf Swiss DOTS haben wir den Call Warrant (ISIN DE000SJ0KT29) ausfindig gemacht. Er eignet sich für eine Wette auf den Sanierungsfortschritt bei Boeing. Der Strike des Anfang Oktober von der Société Générale aufgelegten Optionsscheines liegt mit USD 165 rund USD 14 über dem Kurs des Basiswerts. Der Warrant hat zwar noch keinen inneren Wert, lässt Boeing aber noch etwas Zeit, die Wende zu schaffen. Die Laufzeit endet kurz vor Weihnachten 2025.