SMI: Schwergewichtstrio lässt die Muskeln spielen
-
Serge Nussbaumer
Chefredaktor
Anleger schickten die beiden SMI-Dickschiffe Nestlé und Roche 2023 auf die Bretter. Beide beendeten das vergangene Börsenjahr deutlich in den Miesen. Novartis schlug sich mit einem kleinen Plus dagegen etwas besser. Im neuen Jahr könnten nun für alle drei Bluechips wieder bessere Zeiten anbrechen. Die Unternehmen blicken positiv nach vorne und die Analysten sehen Kurspotenzial. Anleger können je nach Risikoneigung mit unterschiedlichen Produkten in das Dreigespann investieren.
«All’s well, that ends well» lautet ein Stück von William Shakespeare aus dem 17. Jahrhundert. Bei dem Lustspiel über eine lange Zeit nicht erwiderte Liebe fügt sich zum Schluss alles zum Besten und mündet in einem klassischen Happy End. «Ende gut, alles gut» beschreibt seither einen positiven Ausgang einer Sache und lässt die negativen Dinge, die sich davor ereignet haben, irrelevant werden. Diese Erkenntnis kann bestens auf das Börsenjahr 2023 übertragen werden. Während andere Indizes auf Rekordjagd gingen kam der SMI monatelang nicht vom Fleck und krebste gar im Minusbereich umher. Nur aufgrund eines kräftigen Schlussspurts schafften es die 20 Bluechips letztlich noch in die Gewinnzone. Allerdings gilt dies nicht für alle Titel gleichermassen, etwas mehr als ein Viertel der Börsenelite beendete das Jahr im negativen Bereich. Unterschiede wiesen auch die drei SMI-Schwergewichte auf. Bei Nestlé, Novartis und Roche, die sich für rund die Hälfte des Kursverlaufs des Index verantwortlich zeigen, dominierten zum Teil noch an Silvester die roten Vorzeichen. Mit einem Abschlag von 9% bei Nestlé respektive knapp 16% bei Roche belegten sie im Performance Ranking nach Lonza die beiden letzten Plätze.
2024: Wiederholung oder Neubewertung?
Nach dieser eher holprigen Phase stellt sich die Frage, was für die Dickschiffe im neuen Börsenjahr 2024 drin sein könnte? Um das künftige Potenzial auszuloten bedarf es zunächst einer Analyse, was die Underperformance bei Nestlé und Roche eigentlich ausgelöst hat. Beim weltgrössten Nahrungsmittelkonzern kamen mehrere Faktoren zusammen. Eine schwächelnde Sparte «Nestlé Health Science», Lieferprobleme im Bereich Vitamine, Mineralstoffe und Nahrungsergänzungsmittel sowie ein starker Franken sorgten für Bremsspuren in der sonst so erfolgsverwöhnten Bilanz. So ging der Umsatz in den ersten neun Monaten um 0.4% zurück. Auch die Verkaufsmenge reduzierte sich über die gesamte Periode um 0.6%. Hier scheint allerdings die Wende nah. Im 3. Quartal fiel das Minus mit 0.3% deutlich weniger stark aus als im Vorquartal mit 1.1%.
Reiten auf der Diätwelle
Ein weiterer Belastungsfaktor für die Nestlé-Aktie war der überraschende Erfolg von Medikamenten zur Gewichtsreduktion wie «Zepbound» von Eli Lilly und «Wegovy» von Novo Nordisk. Die Beliebtheit der neuen Mittel führte am Markt zu Bedenken, ob der Verkauf von Lebensmitteln und Getränken durch die neue Diätwelle beeinträchtigt werden wird. CEO Mark Schneider sieht aber weniger eine Bedrohung als vielmehr eine Chance für seine Gesundheitssparte: «Während GLP-1-Patienten möglicherweise weniger zuckerhaltige oder fetthaltige Lebensmittel zu sich nehmen, müssen sie ihren Nährstoffbedarf über andere Lebensmittel, Getränke und Nahrungsergänzungsmittel decken». So soll das Geschäft mit Proteinriegel, -pulver und -getränke ausgebaut werden. Denn Patienten, welche die Medikamente einnehmen, droht ein Verlust der Muskelmasse, was durch eine erhöhte Proteinaufnahme wieder ausgeglichen werden könnte. «Allein innerhalb von Nestle Health Science erzielen wir bereits einen Umsatz von mehr als CHF 1.5 Mrd. mit Produkten, die für GLP-1-Patienten geeignete Ernährungsvorteile bieten», stellt das Firmenoberhaupt klar. Obwohl sich das Geschäft bis dato hauptsächlich auf Nordamerika konzentriert, wo die GLP-1-Akzeptanz am höchsten ist, prüft Nestlé eine breitere geografische Einführung seiner Präparate. Zudem möchte Schneider 2024 neue Produkte auf den Markt bringen, um den Trend noch besser zu nutzen. Dazu könnten Nahrungsergänzungsmittel gehören, die beispielsweise einen «Jo-Jo-Effekt», also die unerwünschte schnelle Gewichtszunahme nach einer Reduktionsdiät, ausgleichen sollen. Darüber hinaus treibt der Lebensmittelriese seine eigentliche geografische Expansion weiter voran. So sollen bis Ende 2025 rund USD 1.2 Mrd. in den Ausbau des Geschäfts und der Produktionskapazitäten in Brasilien, dem drittgrössten Nestlé-Markt, investiert werden. Der Analystenkonsens malt bezüglich der Nestlé-Aktie ein wieder deutlich positiveres Bild. Laut Bloomberg münden 19 von 28 Research-Berichten in einer Kaufempfehlung. Das durchschnittliche Kursziel beträgt CHF 115, was einem Potenzial von 18% gleichkommt. Eine noch etwas höhere Kurs-Performance trauen die Experten dem 2023er-Verlierer Roche zu. Im Mittel wird den Genussscheinen ein Reversal um 22% auf CHF 297 vorhergesagt.
Roche: Hausgemachte Schwäche
Sollten sich die Vorhersagen der Analysten bewahrheiten, würde Roche seinen in 2023 aufgebauten Rückstand zu Konkurrent Novartis wieder etwas reduzieren. Das mittlere Kurspotenzial von Novartis in 2024 wird nämlich «nur» auf 11% geschätzt. Dass Novartis im vergangenen Jahr deutlich besser abschnitt, liegt vor allem an der Schwäche von Roche. Dem Arzneimittel- und Diagnostikhersteller setzte nach dem Ende der Pandemie vor allem die Flaute im Geschäft mit Corona-Tests und -Arzneien zu. Im gesamten Jahr dürfte dieser Effekt den Konzern CHF 4.5 Mrd. an Umsatz kosten. Hinzu kommt Konkurrenz durch günstigere Nachahmer-Medikamente für wichtige Erlösbringer, welche das Geschäftsvolumen zusätzlich schmälern. Alles in allem gehen die Basler für 2023 von rückläufigen Umsätzen und Ergebnissen aus.
Wichtige Expansionsschritte
Der Einstand des frisch gebackenen Konzernchefs Thomas Schinecker, der zuvor die Diagnostik-Division leitete, läuft also alles andere als nach Mass. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass Roche zudem Rückschläge in der späten Phase der klinischen Erprobung mit wichtigen Wirkstoffen gegen Alzheimer und in der Krebsimmuntherapie hinnehmen musste. Doch lässt sich der 48-jährige davon nicht entmutigen und möchte den Konzern bei der Medikamentenentwicklung wieder auf die Erfolgsspur führen. Dabei scheut Schinecker auch keine Übernahmen. Bereits Ende Oktober tätigte der CEO seinen ersten grossen Zukauf. Für USD 7.1 Mrd. leibte sich das Unternehmen die im Bereich entzündliche Darmerkrankungen tätige Telavant ein. Damit sichert sich Roche die Entwicklungs-, Herstellungs- und Vermarktungsrechte für den Wirkstoff «RVT-3101» in den USA und Japan. Das Mittel befindet sich noch nicht auf dem Markt, jedoch soll so schnell wie möglich eine für die Zulassung entscheidende Studie starten. «Sollten die Phase-III-Ergebnisse die guten Daten früherer Studien bestätigen, habe RVT-3101 das Potenzial zum Umsatzrenner», konstatiert Analyst Stefan Schneider von der Bank Vontobel. Um die Pipeline an Hoffnungsträgern weiter aufzufüllen und die Abhängigkeit von Krebsmitteln zu reduzieren gelang Roche in den letzten Wochen des Jahres 2023 noch ein ganz besonderer Deal: der Kauf von Carmot Therapeutics. Damit steigt der Konzern in das Geschäft mit Abnehmmedikamenten ein, auf den zuletzt Novo Nordisk und Eli Lilly für Aufsehen sorgten. Carmot entwickelt Wirkstoffe, die zur Behandlung von Fettleibigkeit und Diabetes eingesetzt werden könnten. Das am weitesten fortgeschrittene Produkt «CT-388» ist inzwischen in der Entwicklungsphase II. «Abhängig von der Wirksamkeit und Sicherheit der neuen Wirkstoffe hat Roche die Aussicht, Marktanteile in diesem sehr grossen Markt zu gewinnen», stellt Vontobel-Analyst Schneider fest. Laut der Weltgesundheitsorganisation sind weltweit mehr als 650 Mio. Erwachsene fettleibig. J.P. Morgan schätzt, dass der globale Markt bis 2032 einen Wert von USD 71 Mrd. erreichen wird. Die Ergebniskurve von Roche soll bereits ab dem laufenden Jahr wieder nach oben zeigen. Der Analystenkonsens erwartet für 2024 ein Plus von 6.5%, 2025 soll der Gewinn je Aktie dann bereits um 9% ansteigen. Auch die beiden SMI-Mitstreiter Nestlé und Novartis stehen dem Pharmakonzern in nichts nach, für das Duo rechnet der Markt mit ebenfalls höheren Profiten.
Novartis: Zuerst Abspaltung…
Das Bild von Novartis war 2023 geprägt von dem Spin-off von Sandoz. Die bereits rund ein Jahr zuvor angekündigte Abspaltung wurde im Oktober vollzogen. Mit einem Startwert an der Börse von rund CHF 11 Mrd. war der gemessen am Bruttoumsatz global führende Anbieter von Arzneien mit abgelaufenem Patentschutz damit der grösste Neuzugang am Parkett in Zürich seit 2019. Novartis hat sich mit dieser Trennung von dem vergleichsweise margenschwachen Geschäft mit Generika und Biosimilars gelöst und den vorerst letzten Schritt eines fast zehn Jahre dauernden Umbaus vollzogen. Ab jetzt konzentriert sich das Unternehmen ganz auf das lukrative Geschäft mit patentgeschützten Medikamenten.
…dann höhere Ziele
Nur wenige Wochen nach der Abspaltung hob der Pharmakonzern seine Jahresziele an. Dank Kostensenkungen sowie unerwartet hoher Erlöse für ein Medikament gegen Multiple Sklerose (MS) schraubte das Management die Gewinnprognose zum dritten Mal in Folge nach oben. Der um Sonderfaktoren bereinigte operative Gewinn soll 2023 währungsbereinigt im prozentual «mittleren bis hohen Zehnerbereich» zulegen, bislang wurde ein «niedriger bis mittlerer» 10%-Bereich in Aussicht gestellt. Neben dem MS-Medikament «Kesimpta» zeichnen sich derzeit auch das Herzmedikament «Entresto», die Brustkrebsarznei «Kisqali» und «Pluvicto» gegen Prostatakrebs als Wachstumsmotoren aus. Ende November legte Novartis dann auch ambitioniertere Mittelfristziele vor. Bis 2027 wird unter Ausschluss von Wechselkurseffekten im Schnitt ein Umsatzplus von 5% p.a. angepeilt, bislang lautete die Vorgabe 4%. Am Rentabilitätsziel hält der Konzern fest: Die um Sonderfaktoren bereinigte operative Gewinnmarge soll 2027 bei 40% oder darüber liegen. Im Vorjahr hatten die Verkaufserlöse 4% zugelegt und die operative Marge betrug 33%.
Auf Blockbuster-Suche
Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will sich bei der Entwicklung neuer Medikamente für Therapien auf ein Milliarden-Umsatzpotenzial konzentrieren. «Wir gehen davon aus, dass wir nur Produkte mit einem Spitzenumsatz von USD 2 Mrd. in die volle Entwicklung bringen», sagt Shreeram Aradhye, Leiter der Medikamentenentwicklung. Das ist auch dringend nötig, schliesslich drohen Novartis ab 2027 merkliche Umsatzeinbussen durch Nachahmerarzneien für wichtige Medikamente, deren Patentschutz dann ausläuft. «Wir denken, dass die Anleger in Bezug auf das Wachstum nach 2027 zurückhaltend bleiben werden, abhängig davon, was die Pipeline in den kommenden Jahren liefern wird», so die US-Bank J.P. Morgan. Einen weiteren Forschungserfolg feierte Novartis noch kurz vor dem Jahresende. Das Unternehmen präsentierte positive Ergebnisse einer Phase-III-Studie mit «Iptacopan» zur Behandlung von Patienten mit einer äusserst seltenen Nierenerkrankung. 2024 steht eine mögliche Zulassung rund um den Globus an. Daneben hat Novartis noch 40 potenzielle Arzneien in der entscheidenden Phase III. Bei Konkurrent Roche ist die Pipeline ebenfalls prall gefüllt.
Investieren in die «Big 3»
Während Nestlé und Novartis zumindest auf Sicht von 5 Jahren positive Zuwächse aufweisen, gelang den Papieren von Roche auch über diesen längeren Zeitraum nur eine Nullrunde. Allerdings stehen die Chancen, wie oben aufgezeigt, durchaus gut, dass der Pharma-Titel in 2024 auf Comeback-Kurs geht. Risikobereite Anleger können mit Hebel-Papieren auf dieses Szenario setzen. Wer nur auf einen kurzen und schnellen Rebound wetten möchte, ist mit einem Faktor-Zertifikat bestens ausgestattet. Um eine potenzielle Erholung etwas längerfristig zu begleiten, würden sich Call Warrant und Mini Futures eignen. Auch bei Nestlé und Novartis sieht die Analystenzunft Aufwärtspotenzial, welches zu einer Hebelspekulation einlädt. Allerdings können etwas vorsichtigere Anleger auch mit Puffer auf eine Erholung, wie beispielsweise bei Nestlé, setzen.
Die Bank Vontobel hat dazu das Bonus-Zertifikat ZNEABV am Start, das bei einem Risikopuffer von 30% eine Seitwärtsrendite von 6.1% in Aussicht stellt. Bei einem Anstieg über das Bonus-Level hinaus sind Inhaber 1:1 dabei. Ähnlich attraktive Konditionen und damit ebenfalls eine teilgeschützte Aufwärtsspekulation bietet das Pendant von Julius Bär SAABJB auf Roche. Die Raiffeisen hat für Zweifler, dass der Pharma-Titel schnell wieder auf die Beine kommt, noch ein ganz besonderes Produkt in der Pipeline: das Twin-Win-Zertifikat LRZRCH. Bis zum Barrier-Level bei CHF 204.33 verwandelt das Zertifikat Verluste in Gewinne um. Geht es dagegen mit dem Kurs nach oben, werden Anleger vollständig an den Gewinnen über dem Startlevel von CHF 263.65 beteiligt. Für den Fall, dass das Schwergewichtstrio auf 2024 nicht richtig in die Gänge kommen sollte, eignet sich ein Multi BRC. Das relativ frisch emittierte Produkt KPFADU aus dem Hause UBS ist mit einem ordentlichen Coupon von 6.00% p.a. sowie einem Risikopuffer – der Worst Performer ist aktuell Nestlé – von 35.7% ausgestattet.