Wer könnte die Debatte „Substanz oder Wachstum“ für sich entscheiden?
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Laurence Taylor, Portfolio Manager
Ein aktiver Entscheidungsprozess ist in einem unsicheren Umfeld entscheidend
Die wichtigsten Punkte
- Aus der Reaktion der Märkte auf die Daten zu den Covid-19-Impfstoffen ergeben sich einige kurzfristige Risiken. Entscheidend wird sein, ein breites Portfolio zu halten, um für den holprigen Weg in eine „Zukunft nach Corona“ gerüstet zu sein .
- Unserer Ansicht nach geht es jetzt nicht darum, eine Wahl zwischen Substanz- und Wachstumstiteln zu treffen. Für viel wichtiger halten wir eine sorgfältige Risikokontrolle und eine aktive Titelselektion.
- In einer von geringem Wachstum gekennzeichneten Welt wird die Generierung echter Gewinne für Anleger weiterhin von großer Bedeutung sein, ebenso die Beständigkeit eines Geschäfts angesichts der beschleunigten Disruption.
Globale Aktien haben zugelegt, während die Anleger zwischen der sich verschlechternden Lage rund um die Coronavirus-Pandemie und der Hoffnung auf einen potenziellen Coronavirus-Impfstoff abzuwägen versuchten. Die Stimmung bessert sich zwar, jedoch halten wir es für sinnvoll, bei der Portfoliopositionierung vorsichtig zu sein. Um Missverständnissen vorzubeugen: Auf Sicht der nächsten ein oder zwei Jahre sind wir durchaus optimistisch. Aktuell erleben wir jedoch eine zweite Welle von Virusinfektionen, die sich vielerorts als stärker und länger erweist als die erste Welle. Die Entwicklung von Impfstoffen ist natürlich positiv, doch aus der Reaktion des Marktes auf die Aussicht auf eine „Welt nach Corona“ ergeben sich kurzfristig sowohl Unsicherheit als auch Risiken.
Die richtige Balance finden
Eine Frage, die die Anleger beschäftigt, ist: Substanz- oder Wachstumswerte? Der Gedanke an eine Welt nach dem Coronavirus weckt logischerweise Begeisterung und würde natürlich eine Rotation in alles auslösen, was „billig“ ist. Doch wenn die Konjunkturerholung für längere Zeit gestört oder unterbrochen wird, bevorzugen die Märkte Unternehmen, die bei einer Fortdauer der Covid-19-Krise profitieren würden. Diese finden sich innerhalb des Stilspektrums normalerweise eher im Wachstumssegment.
Für uns ist es keine Frage des richtigen Timings innerhalb eines Stilzyklus. Unserer Ansicht nach geht es jetzt nicht darum, eine Wahl zwischen Substanz- und Wachstumstiteln zu treffen. Entscheidend ist nach unserer Auffassung vielmehr, auf dem voraussichtlich schwierigen Weg zur Erholung und Verbesserung ein breites Portfolio zu halten, diversifiziert zu bleiben sowie eine sorgfältige Risikokontrolle und aktive Titelselektion sicherzustellen. Die Bewertungen sind ein wichtiger Aspekt, und wenn sich hier und da zu großer Optimismus breitmacht oder Unsicherheit in Bezug auf die US-Politik aufkommt, dann müssen darauf eingehen.
Unserer Ansicht nach geht es jetzt nicht darum, eine Wahl zwischen Substanz- und Wachstumstiteln zu treffen.
Genau abzuwägen, welche Aktien nach dem Ende dieser Krise, im ersten Halbjahr 2021 und im Jahr 2022, auf der Gewinnerseite stehen könnten, ist für alle Anleger, unabhängig von ihrer Anlagephilosophie, nun sehr wichtig. Dies ist zwar eine komplexe Aufgabe, doch uns einer solchen Komplexität zu stellen, ist eine Herausforderung, die wir sehr gut kennen.
Sind Wachstumsaktien zu teuer?
Das Umfeld für die Auswahl von Wachstumsaktien ist heute sehr viel ausgewogener als auf dem Höhepunkt der Pandemie. Die Märkte haben erkannt, dass sich die Disruption immer schneller vollzieht, und viele der Nutznießer wurden belohnt. In dieser Phase des Zyklus ist es enorm wichtig, die Anlagegründe für eine Aktie zu hinterfragen, um zu gewährleisten, dass das „Konzept“ weiterhin funktioniert und durch die Umsetzung und Monetisierung in einer Welt nach Corona unterstützt wird.
Für beständige, wachstumsorientierte Unternehmen den richtigen Preis zu zahlen bleibt … wichtig.
Es ist auch wichtig, Aktien, die langfristig betrachtet höhere Erträge erbringen dürften, über einen ausreichend langen Zeitraum zu halten. Selbst wenn die Bewertungen auf Basis der kurzfristigen Schätzungen oder der realisierten Ergebnisse bei einigen bestimmten disruptiven Wachstumswerten höher sind, halten wir die Wachstumsaussichten weiterhin für gut und attraktivere Bewertungen daher für möglich, vor allem auf Sicht von zwei bis drei Jahren. Doch das aktive Management der Positionsgrößen ist in dieser Phase immens wichtig – Anleger sollten sich nicht selbst etwas vormachen und nach Gründen suchen, warum sie eine konzentrierte oder keine Position in einer Aktie halten.
Bei genauerer Betrachtung ist es wichtig zu verstehen, dass durch unsere digitale Welt ein Zyklus entstanden ist, in dem Wachstumstitel eine Spitzenposition einnehmen, der sich aber klar von der Technologie-Blase Ende der 1990er Jahre unterscheidet. Ein Grund, warum Technologieplattform-Unternehmen wie Alphabet und Facebook aktuell Gegenwind seitens der Politik spüren, ist, dass sie so dominant geworden sind. Der Aspekt der Rentabilität war während der Tech-Blase kein Thema, da die Internet-Infrastruktur noch in den Kinderschuhen steckte und, wenn überhaupt, nur wenige Unternehmen wirklich Gewinne damit erwirtschaften konnten.
Die wahre Frage lautet, was man heute für führende Wachstumswerte zahlt. Dies ist eine sehr titelspezifische Entscheidung, doch generell erkennen wir heute keine Wachstumsblase am Markt.
Ein wachstumsorientierter Manager zu sein bringt Vorteile
Als wachstumsorientierte Anleger profitieren wir weiterhin von der Diversität, die das globale Chancenspektrum zu bieten hat. Wir haben nicht darauf gebaut, dass wir unsere Ziele durch eine starke Konzentration erreichen. Für uns lag der Schlüssel im Jahr 2020 eher darin, unter anderem anhand bottom-up-orientierter Unternehmensanalysen von der Entwicklung der Anlagemöglichkeiten zu profitieren.
Die Finanzmärkte haben sich in den letzten zehn Jahren drastisch verändert, und ein großer Teil der strukturellen Veränderungen, die wir beobachten konnten, war weder für das Wirtschaftswachstum noch für die Inflation von Vorteil, erst recht nicht für die Value-Segmente des Marktes. Ein „normaler“ Wachstums- und Inflationszyklus trägt gewöhnlich zum Gewinnwachstum der Unternehmen und zu Kurssteigerungen der wesentlichen Komponenten des Value-Index bei (zum Beispiel natürliche Rohstoffe). Doch anders als bei einem „normalen“ Zyklus, der zu höheren Erträgen führt, standen Substanzwerte etwas unter Druck, weil die Disruption die Rückkehr zum Mittelwert als beherrschendes Marktthema abgelöst hat.
Wir sind der Auffassung, dass der Zugang zu einem Chancenspektrum, das ein großes Gewinnwachstumspotenzial bietet, zusammen mit der Fähigkeit, Unternehmen aufzuspüren, die auch in dieser neuen Ära des geringen Wachstums und der niedrigen Inflation mit der Zeit höhere Erträge erbringen können, ein großer Vorteil ist.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Für beständige, wachstumsorientierte Unternehmen den richtigen Preis zu zahlen, bleibt unserer Ansicht nach wichtig. Wir glauben auch, dass sich Anlegern zahlreiche Möglichkeiten bieten, Aktien zu finden, die zeitweilig zwar weniger gefragt sind, bei denen der innere Wert des Geschäfts aber weiterhin intakt ist. Der Ansatz, beim Aktienkauf zu sehr auf scheinbar günstige Bewertungen zu achten, hat sich in den letzten zehn Jahren jedoch als folgenschwer erwiesen.
Die Umverteilung von Cashflows in Unternehmen, die in der digitalen Welt die Innovation erfolgreich meistern und eine disruptive Wirkung auf etablierte Konkurrenten haben, die langsam oder gar nicht reagieren, war in den letzten Jahren der Schlüssel zum Erfolg. In der technologisch orientierten Welt von heute stehen vielen Unternehmen ganz andere Wege zur Erzielung von Gewinnen offen als in der Vergangenheit.
In einer von geringem Wachstum gekennzeichneten Welt kommt es unseres Erachtens darauf an, reale Gewinne zu erwirtschaften. Die Fähigkeit, diese zu finden, ist die Voraussetzung, um ein guter wachstumsorientierter Manager zu sein.