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payoff Focus

Wie ESG-Ratings nachhaltiges Investieren beeinflussen können

07.11.2024 6 Min.
  • Stéphanie Fuchs
    CEO und Founder
    Stéphanie Fuchs Consulting

  • Ülkü Cibik lic. iur.
    Counsel
    MLL Legal AG

ESG: Fakten und Zahlen in a Nutshell

Das eigene Portfolio um nachhaltige Investmentprodukte zu erweitern ist seit einigen Jahren für viele Anleger zu einem zentralen Kriterium geworden. Von Green Bonds zu nachhaltigen Investmentfonds ist das Angebot an entsprechenden Anlageprodukten über die letzten Jahre konstant gewachsen. Gemäss der Global Sustainable Investment Review 20221 der Global Sutainable Investment Alliance erreichte der weltweite Markt für nachhaltige Investitionen 2022 rund USD 30.3 Billionen. In der Schweiz wuchs das Volumen nachhaltiger Anlagen laut der Swiss Sustainable Investment Market Study 20242 von Swiss Sustainable Finance zwischen 2022 und 2023 um 3% von CHF 1’610 Milliarden auf CHF 1’660 Milliarden. Derweil wird im Investment Report 20243 der United Nations Conference on Trade and Development ersichtlich, dass allein der Markt für nachhaltige Bonds und Fonds 2023 im Vergleich zum Vorjahr weltweit um 20% auf über USD 7 Billionen gestiegen ist.

In Bezug auf die Definition von Nachhaltigkeit bei Finanzierungsinstrumenten befindet sich die Finanzbranche jedoch noch in einer Findungsphase. Einer der am weitesten verbreiteten Ansätze ist der Bezug auf die sogenannten ESG-Kriterien. Der 2004 von der Initiative Global Compact der Vereinten Nationen geprägt Begriff steht für «Environment, Social, Governance», zu Deutsch: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Sprich: 

  1. Environment: Umgang mit ökologischen Ressourcen, die Emissionsreduktion und das Management von Umweltbelastungen.
  2. Social: Aspekte wie Arbeitnehmerrechte, Sicherheitsstandards, Kundenorientierung und die Einbindung lokaler Gemeinschaften.
  3. Governance: Unternehmensführung und -struktur, einschliesslich Ethik, Transparenz, Antikorruptionsmassnahmen und die Zusammensetzung des Vorstands.

Heikle Rolle der Ratingagenturen 

Um den ESG-Status von Unternehmen zu bewerten und diese für Investoren vergleichbar zu machen, spielen Nachhaltigkeits-Ratingagenturen eine Schlüsselrolle. MSCI, Sustainalytics und ISS ESG, um nur drei zentrale der mittlerweile weltweit über 100 Ratingagenturen zu nennen, haben spezifische Kriterien entwickelt, um Unternehmen auf der Basis von ESG-Faktoren zu analysieren und diese in jeweilige Ratings zu übersetzen. Letztere sollen Anlegern helfen, die Nachhaltigkeitspotenziale einzelner Unternehmen auf einen Blick einzuordnen, zu vergliechen und entsprechende Anlageentscheidungen zu treffen.

Da verschiedene Rating-Agenturen unterschiedliche Metriken und Bewertungsmodelle verwenden, sind Transparenz und Vergleichbarkeit der jeweiligen Auswertungen jedoch mit Vorsicht zu bedenken. Verschiedene akademische Studien4 haben gezeigt, dass sich die Ratings in Bezug auf Auswahl, Abdeckung, Messmethoden und die Gewichtung jeweils gewählter Kriterien erheblich unterscheiden. Ein Unternehmen kann daher von verschiedenen Agenturen unterschiedliche Nachhaltigkeitsbewertungen erhalten, was die grundsätzliche Aussagekraft einzelner Ratings einschränkt. 

Zusätzlich zum Tragen kommt die Grundproblematik, dass Risikofaktoren zur Messung der finanziellen Stabilität eines Unternehmens und Impactfaktoren zur Auswertung der sozialen und ökologischen Auswirkungen der jeweiligen Unternehmenstätigkeit im Aufbau der Nachhaltigkeitsmessungen der Agenturen häufig vermischt werden. Dadurch kann es vorkommen, dass Unternehmen mit gutem Risikomanagement hohe ESG-Werte erhalten, obwohl ihre tatsächlichen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft eher begrenzt sind. 

Steuern: Der verdeckte Treiber 

Ein versteckter aber zentraler Faktor im Methodenkatalog der Ratingagenturen können steuerliche Aspekte spielen. Eine Studie der Universität St. Gallen5 zeigt, dass die Gewichtung steuerbezogener Faktoren in einigen ESG-Ratings bis zu 10% der Gesamtbewertung ausmachen kann. Dabei variieren auch hier die Indikatoren, welche die Agenturen für ihre Bewertungen heranziehen, erheblich. Typische Bausteine sind beispielsweise ohne Anspruch auf Vollständigkeit die drittpreiskonforme Gestaltung der Verrechnungspreise, die Verlagerung von Gewinnen in Steuerparadiese, aggressive Steuervermeidungsstrategien, der effektive Steuersatz, Steuer-Governance und Compliance sowie laufende Kontroversen.

Während einige Agenturen eine tiefgreifende, steuerliche Analyse vornehmen, stützen sich andere stark auf in den Medien veröffentlichte Kontroversen und lassen journalistische Meinungen direkt in ihre Bewertungen einfliessen. Andere legen hingegen besonderen Wert auf einige wenige für sich selbst nur beschränkt aussagekräftige Kennzahlen, wie etwa den effektiven Steuersatz, und gewichten diese sehr hoch. Dadurch entstehen sehr unterschiedliche Einschätzungen: Während die Bewertungen der einen Agenturen ein Bild zeichnen, das stark von Drittmeinungen in der medialen Berichterstattung geprägt ist, können die Bewertungen anderer Agenturen ein eher verzerrtes Bild ergeben, das sie zu stark auf spezifische steuerliche Kennzahlen fokussieren, ohne diese in einem breiteren Kontext einzubetten. 

Es stellt sich die grundsätzliche Frage, welcher Zusammenhang zwischen Steuern und Nachhaltigkeit überhaupt besteht. Macht es ein Unternehmen nachhaltiger, wenn es nicht in Niedrigsteuerländern aktiv ist oder wenn es hohe Steuern bezahlt? Im letzteren Fall ist es schlussendlich der Staat, welcher über die Verwendung der Mittel entscheidet, was höchstens indirekt zur Nachhaltigkeit des Unternehmens beiträgt. Zudem eröffnet es insbesondere Unternehmen, die etwa in Bezug auf Umweltfaktoren mit einer tiefen Bewertung abschneiden, die Möglichkeit, ihr Gesamtrating durch gezielte Steuerplanung zu verbessern, ohne tatsächlich nachhaltiger zu agieren.

Ratings mit Bedacht verwenden

Die ESG-Bewertung von Unternehmen hat sich als zentraler Massstab für nachhaltiges Investieren etabliert, doch Transparenz und Vergleichbarkeit der Ratings sind aufgrund verschiedener Kriterien herausfordernd. Der steuerliche Aspekt zeigt beispielhaft, wie komplex die Bewertung eines Unternehmens im Hinblick auf Nachhaltigkeit sein kann. Entsprechend ist für Investoren zentral, ESG-Ratings nur als einen Anhaltspunkt zu verwenden in Bezug auf die Einordnung von Investitionen als nachhaltig. 

Fazit

Auch wenn ESG-Ratings eine zentrale Rolle bei der Bewertung der Anlageprodukte spielen und ein wichtiges Element bei der Definition von nachhaltigen Anlagen darstellen, ist die Kritik an denselben teilweise berechtigt. Steuerliche Aspekte sowie die Vermischung von Risiko- und Impactfaktoren können das Bild verzerren – die Investoren sollten die Ratings daher kritisch hinterfragen und lediglich als erste Orientierung nutzen. Es ist wichtig, die Rating-Modelle genau zu verstehen und die ESG-Daten hinter den Ratings zu erkennen. Diese sind von grossem Nutzen: Einerseits geben sie spezifische Informationen und andererseits helfen sie dem Investor bei den Anlageentscheiden.

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Quellen
1 www.gsi-alliance.org/global-sustainable-investment-review-finds-us30-trillion-invested-in-sustainable-assets/
2 www.sustainablefinance.ch/api/rm/93CA6P49C8F73JJ/ssf-2024-ms-summary-d-final-1.pdf
3 unctad.org/system/files/official-document/wir2024_en.pdf
4 Zhu, Conghao / Yang, Cunyi. Divergences among ESG rating systems: Evidence from financial indexes. Economy Analysis Letters 2024, 2(1), S. 46-51. Berg, Florian/Kölbel, Julian F. / Rigobon, Roberto. Aggregate Confusion: The Divergence of ESG Ratings. Review of Finance 2022, S. 1315-1344. Liu, Min. Quantitative ESG disclosure and divergence of ESG ratings. Frontiers in Psychology. 05.08.2022
5 Berndt, Thomas/ Sigg, Alexander/ Hongler, Peter. Steuern im ESG-Rating. Zur Relevanz steuerlicher Aspekte in der Nachhaltigkeitsbeurteilung von Unternehmen. In: ZCG. Zeitschrift für Corporate Governance. 19, August 2024, S. 157 bis 164.

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