Die Biotech-Branche ist fundamental so gut aufgestellt wie selten zuvor
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Serge Nussbaumer, Chefredaktor
Herr Koller, was sind derzeit die wichtigsten Trends im Sektor Biotechnologie?
Wir erwarten in der Onkologie eine wachsende Zahl an Zulassungen von Produkten, die das körpereigene Immunsystem aktivieren die Tumorzellen anzugreifen. RNA-basierte Arzneien werden in den nächsten Jahren die gentherapeutische Behandlung von immer mehr Krankheiten revolutionieren. Die Milliardenumsätze, die Moderna und BioNTech mit ihren COVID-19-Vakzinen erzielen, waren hier erst der Anfang. Firmen, wie unser Portfoliounternehmen Alnylam, mit Patisiran, einer Arznei gegen die seltene genetisch bedingte Erkrankung ATTR Amyloidose mit Kardiomyopathie, können mit neuen Produkten in Zukunft jährliche Milliardeneinnahmen erzielen.
Der Sektor Biotechnologie hat sich im laufenden Jahr im Quervergleich überdurchschnittlich entwickelt und weniger an Boden verloren als die meisten Sektoren. Woran lag das?
Die vor einem Jahr losbrechende Ausverkaufswelle hat Biotech-Aktien auf historisch niedrige Bewertungen gedrückt. Dabei ist die Biotech-Branche fundamental so gut aufgestellt wie selten zuvor, wie gerade die zahlreichen klinischen Erfolge in diesem Jahr dokumentieren. Insbesondere Mid Caps mit vielversprechenden Produkten und Technologien haben in diesem Jahr positive Nachrichten geliefert und werden von den Investoren wieder entdeckt.
Die Akzeptanz der Gentechnik hat durch die Corona-Impfstoffe Auftrieb erhalten. Welche neuen Impfstoffe und Heilmittel stehen im Fokus?
Auf Sicht der nächsten Jahre erwarten wir bei den RNA-basierten Arzneien den Übergang in eine neue Marktphase. Immer vorausgesetzt, dass sich die jüngsten Erfolge in klinischen Spätphasen fortsetzen, wird sich das Einsatzspektrum von Nischenindikationen auf Krankheiten erweitern, von denen eine grössere Patientenzahl betroffen ist. Dazu zählen Herz-Kreislauferkrankungen, Stoffwechselstörungen oder Organfibrosen. Im Erfolgsfall sind für neue Produkte Milliardeneinnahmen zu erwarten.
Dank der Biotechnologie konnten in der Behandlung seltener Krankheiten grosse Erfolge erzielt werden. Welche Durchbrüche sind hier zu erwarten?
In diesem Jahr könnten die beiden ersten Produkte auf Basis des Gene-Editings die letzte Hürde vor der Zulassung nehmen. Gene-Editing zielt auf eine dauerhafte Heilung von Krankheiten ab, indem Fragmente der menschlichen DNA herausgeschnitten und durch Ersatzstücke repariert werden. CRISPR Therapeutics und Vertex Pharma präsentieren zulassungsrelevante klinische Daten für Beta-Thalässemie und Sichelzellanämie, zwei genetisch bedingte Störungen bei der Bildung von Blutzellen.
Wo steht man bei der Behandlung neurologischer Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson für die es einen riesigen Markt gäbe?
Weil die krankheitsauslösenden Mechanismen noch nicht im Detail erforscht sind, bleibt die Alzheimererkrankung auch für Investoren ein medizinisch schwieriges Feld. Das zeigt auch die Rücknahme des Verkaufs des 2021 zugelassenen Medikaments Aduhelm von Biogen, weil die Kostenerstattung aufgrund des umstrittenen medizinischen Nutzens nicht gewährleistet ist. Wir haben unsere Position in Biogen vor der Entscheidung stufenweise aufgelöst. Neue Studienergebnisse von Eisai und ihrem Partner Biogen für den Antikörper Lecanemab sehen nun aber wiederum erfolgsversprechend für die Behandlung von Alzheimer aus.
In den vergangenen Monaten gab es nur sehr wenige Übernahmen im Vergleich zu früheren Zeiten. Woran lag das und warum sehen Sie hier Anzeichen einer Trendwende?
Wir sehen in diesem Jahr wieder zunehmende M&A-Aktivitäten. Im Visier der Pharmakonzerne und grossen Biotech-Unternehmen sind insbesondere Mid Caps, die wie Biohaven und Global Blood Therapeutics bereits Einnahmen mit zugelassenen Produkten erzielen, oder wie ChemoCentryx eine Pipeline an Produkten mit vielversprechendem Potenzial zur Kommerzialisierung haben. Die trotz der jüngsten Kurserholung weiterhin tiefen Bewertungen zahlreicher Biotech-Firmen haben dazu geführt, dass Übernahmeprämien von über 50% und teilweise sogar von mehr als 100% gezahlt werden.
Das Portfolio von BB Biotech ist sehr stark fokussiert, Ihre fünf grössten Positionen – Ionis, Argenx, Neurocrine, Vertex und Moderna – weisen einen Anteil von beinahe 50% auf. Warum diese starke Fokussierung bzw. wie sieht Ihre Strategie aus?
Langfristig betrachtet hat sich unsere Anlagestrategie ausgezahlt, vier bis sechs Kernbeteiligungen in unserem Portfolio zu grösseren Positionen heranwachsen zu lassen, anders als es bei Investmentfonds gehandhabt wird. Wir beginnen erste Positionen aufzubauen, wenn wir davon überzeugt sind, dass ein neuer Therapieansatz den Durchbruch zur Marktreife schafft. Mit dem zunehmenden positiven Nachrichtenfluss bauen wir diese Positionen so lange aus, bis das Wachstum seinen Höhepunkt erreicht hat.
Welche Überlegungen stecken hinter der Gewichtung der beiden grössten Positionen der US-amerikanischen Ionis und der niederländischen Argenx?
Unsere langfristige Kernposition Ionis ist Marktführer in der Entwicklung von Arzneien auf der Basis der Antisense-Technologie. Diese verwendet Antisense-Oligonukleotide, das sind einzelsträngige kurzkettige Nukleinsäuren, um krankheitsauslösende Proteine zu identifizieren und auszuschalten. Argenx hat mit einer bahnbrechenden Antikörpertechnologie den Durchbruch geschafft und den Zulassungsantrag bei einer seltenen neurologischen Autoimmunerkrankung eingereicht. Für beide Unternehmen sehen wir noch nicht ausgeschöpftes Potential und deklinierbare Technologie für diverse Krankheitsfelder.
Auf welche ESG-Faktoren legen Sie bei der Auswahl besonderes Gewicht?
Alle Investitionen von BB Biotech werden systematisch auf Nachhaltigkeitsrisiken und Verstösse gegen elementare Menschenrechte (z. B. gemäss den Prinzipien des UN Global Compact) untersucht. Neben der Einhaltung strikter Ausschlusskriterien – wie etwa ernsthafte Verletzungen allgemeingültiger Standards im Hinblick auf Umwelt, Menschenrechte oder verantwortungsvolle Unternehmensführung – umfasst die Fundamentalanalyse jedes Unternehmens auch einen ESG-Integrationsprozess mit ökologischen, sozialen und Governance-Kriterien, welcher der Bewertung finanzieller Risiken oder Chancen mit Blick auf die künftige Aktienmarkt-Performance dient. Hierzu werden ESG-Ratings des weltweit führenden ESG-Researchanbieters MSCI ESG hinzugezogen, jedoch mit der notwendigen Vorsicht interpretiert und im Einzelfall kritisch hinterfragt.
Vielen Dank
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Dr. Daniel Koller kam 2004 zu Bellevue Asset Management und ist seit 2010 Head Investment Management Team der BB Biotech AG. Von 2001 bis 2004 war er als Investment Manager bei equity4life Asset Management AG und von 2000 bis 2001 als Aktienanalyst bei UBS Warburg tätig. Er absolvierte ein Studium in Biochemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und promovierte in Biotechnologie an der ETH und bei Cytos Biotechnology AG, Zürich.