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payoff Interviews

«Die Blockchain ist aussergewöhnlich faszinierend.»

03.12.2020 9 Min.
  • Serge Nussbaumer, Chefredaktor

Prof. Dr. Philipp Sandner vom Frankfurt School Blockchain Center (FSBC), zu seinem Aufgabengebiet, den aktuellen Trends rund um die Kryptowährungen, der Frage wann und ob das Bargeld abgelöst wird und seinem Rat an die potenziellen Anleger in Kryptowährungen.

Professor Sandner, was sind Ihre Hauptaufgaben als Leiter des Frankfurt School Blockchain Center an der Frankfurt School of Finance & Management?
Das Blockchain Center der Frankfurt School ist ein Think Tank und Forschungszentrum, welches die Auswirkungen der Blockchain-Technologie, Krypto-Assets und der Distributed-Ledger-Technologie (DLT) auf Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle untersucht. In dieser Funktion haben wir nicht nur einen starken Forschungs- und Lehrfokus, sondern sind darüber hinaus auch beratend für die Industrie und Startups tätig, veranstalten über Deutschland hinaus bekannte Blockchain-Konferenzen und fungieren als eine Art Multiplikator, um das Blockchain-Ökosystem zu vernetzen. Zusammen mit meinem Team sind wir hier seit der Gründung 2017 sehr erfolgreich und eigenfinanziert.

Wie beurteilen Sie die künftige Rolle der Blockchain-Technologie?
Die Blockchain ist aussergewöhnlich faszinierend. Sie ist eine Querschnittstech- nologie und wird alle Industrien weltweit erfassen – genau wie das Internet, das auch nicht national oder industriespezifisch ist. Inhaltlich wird Blockchain alles verändern, was mit dem Bereich Finance zu tun hat bzw. monetär organisiert ist. Der Euro, Aktien, Wertpapiere, Kryptowährungen, Immobilien, das Kfz-Register oder andere Vermögensgegenstände werden früher oder später auf Blockchain-Systemen laufen.

«In 10 Jahren wird es kaum noch Finanzierungen, Transaktionen oder Vermögenswerte ohne die Anwendung von einer DLT geben.»

Was sind die aktuell wichtigsten Trends in Blockchain?
Als Querschnittstechnologie dürfte es auf diese Frage in unterschiedlichen Industrien und Sektoren wohl auch genauso viele Antworten hierauf geben. Themen, welche uns sicherlich auch die nächsten Monate und Jahre begleiten werden, sind Krypto-währungen, wie der Bitcoin, Aktien und Schuldverschreibungen auf Blockchain-Basis, der digitale und programmierbare Euro wie auch das breite Feld rund um Decentralized Finance. Wir glauben, dass sich Organisationen intensiv mit der Blockchain-Technologie beschäftigen sollten, um diese herausragende Technologie wirksam einsetzen zu können. Der Grund dafür ist einfach: In 10 Jahren wird es kaum noch Finanzierungen, Transaktionen oder Vermögenswerte ohne die Anwendung von einer DLT geben.

In welchen Anwendungen sehen Sie die grössten Potentiale der Technologie?
Eines der spannendsten Themen, das alle Firmen erfassen wird, ist der Euro auf Blockchain-Basis. Ziel ist, dass der Euro von Maschinen und Geräten – Stichwort IoT-Devices – in der Economy of Things genutzt werden kann. Auf dieser Basis können diese zusammenarbeiten, indem Geschäfte wie Zinszahlungen oder Konsortialkredite als «Smart Contract» programmiert und abgewickelt werden können. Richtig spannend wird es, wenn nicht nur der Euro auf der Blockchain läuft, sondern auch Wertpapiere. Dann hätten wir Zahlung und Lieferung zum gleichen Zeitpunkt auf einem System ohne Agenten und Finanzintermediär. Das Clearing kann dann direkt «on-chain» stattfinden. Daneben können vor allem die folgenden drei Bereiche genannt werden: Finance- und Asset-Management, Financial Inclusion und Industrial Finance. Gerade im produzierenden Gewerbe gibt es mehr und mehr Bewegung. Bekannte Beispiele sind die Volkswagenbank, Siemens Financial Services oder die BMW Bank. Diese Geschäftseinheiten arbeiten, im Vergleich zu den klassischen Finanzintermediären, hoch profitabel. Finance bewegt sich von den reinen Finanzorganisationen hin zu den Produzenten und den Endkunden einer Dienstleistungs- oder Warentransaktion.

Gegenwärtig laufen Pilotprojekte zur Einführung von CBDC (Central Bank Digital Currency). Was steckt hinter diesen Projekten?
Die Entwicklungen rund um Kryptowerte und die Ankündigung des von Facebook initierten Libra-Projekts war in den letzten Jahren ein treibender Faktor dafür, dass eine Vielzahl von Banken angekündigt hat sich mit den Anwendungsfeldern der DLT noch genauer auseinanderzusetzen und selbst an einer digitalen Währung zu forschen. Industrieländer erhoffen sich primär durch eine CBDC-Einführung die Finanzstabilität zu erhöhen, die Effizienz des Zahlungsverkehrs zu steigern, also
Transaktionsdauer und Transaktionskosten zu reduzieren, und die Sicherheit digitaler Transaktionen zu erhöhen. Entwicklungsländer hingegen erhoffen sich aus einer CBDC-Einführung neben einem höheren Grad an finanzieller Stabilität auch höhere Effizienz und Sicherheit im Zahlungsverkehr und vor allem finanzielle Inklusion.

«Der Hauptvorteil des digitalen, programmierbaren Euros liegt darin, dass Zahlungen programmierbar gemacht werden können.»

Werden diese dereinst das Bargeld ablösen?
Die Digitalwährung muss nicht zwangsläufig ein Ersatz für Bargeld sein, vielmehr könnte sie Bargeld ergänzen, um somit den Anforderungen der Industrie an die Digitalisierung und dem steigenden internationalen Wettbewerbsdruck Rechnung zu tragen. Der Hauptvorteil des digitalen, programmierbaren Euros liegt darin, dass Zahlungen «programmierbar» gemacht werden können. Diese Programmierbarkeit verspricht ein sehr hohes Automatisierungs- potenzial für jede Art von Zahlungen. Im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr können Zahlungen durch den digitalen, programmierbaren Euro darüber hinaus schneller und günstiger abgewickelt werden, da durch die Nutzung einer DLT Intermediäre entfallen. Zuletzt können Leistung und Gegenleistung auf einer Plattform abgewickelt werden, was einen enormen Effizienzgewinn für digitale Geschäftsmodelle darstellen kann.

Was sind die charakteristischen Merkmale von Kryptowährungen?
Spricht man von Kryptowährungen, bezieht man sich in der Regel auf sogennante Krypto-Assets, wie Bitcoin oder Ethereum. Allerdings können sich diese verschiedenen Protokolle oftmals erheblich voneinander unterscheiden. Was sie eint, ist das technologische Fundament der Kryptografie sowie das Ziel des bargeldlosen Zahlungsverkehrs – oftmals unter Ausschluss traditioneller Intermediäre, wie Banken. Grosse Unterschiede gibt es u. a. in der ökonomischen Ausgestaltung, den Konsens-Mechanismen, den Anwendungsfeldern sowie der Skalierbarkeit. Hier versucht z. B. die International Token Standardization Association (ITSA) mit der Token Identification Number (ITIN) einen offenen Marktstandard für die sichere Identifizierung von kryptographischen Token herzustellen, um die Markttransparenz zu erhöhen und die operationellen Risiken zu verringern.

Bitcoin besitzt dank der auf 21 Millionen begrenzten maximalen Anzahl einen zunehmenden Raritäteneffekt. Wie realistisch halten Sie Preismodelle wie dasjenige von Plan B, die längerfristig den Bitcoin Kurs im Vergleich zum USD um ein Vielfaches höher sehen?
Ich bin der Meinung, dass wir momentan den Aufstieg des Bitcoin und der Blockchain-Technologie erleben. Der Preis des Bitcoins entwickelt sich nach den Regeln von Angebot und Nachfrage. Zum einen hat im Mai dieses Jahres eine geplante Halbierung des nachlaufenden Angebots an Bitcoin stattgefunden. Zum anderen können wir, getrieben von zunehmendem Interesse der Industrie an Krypto-Assets, einen erheblichen Nachfrageschub nach Bitcoin beobachten. Immer mehr deutsche Banken wie das Bankhaus Scheich, Firmen, Emittenten und Börsen haben den Bitcoin bereits eingebunden oder stehen kurz davor. Zudem tauschen einzelne Firmen in den USA ihren Cash-Bestand mit Bitcoin. Zusammen mit dem steigenden Interesse des Marktes und einem zunehmend positiven Regulierungsumfeld des Gesetzgebers, ist eine weiter steigende Marktkapitalisierung nicht unwahrscheinlich. Es ist weiterhin zwar mit einer gewissen Volatilität zu rechnen, jedoch befindet sich der Preis im Aufwärtstrend.

Welches sind die grössten Risiken bei Bitcoin?
Die Risiken sind natürlich, wie bei jeder Kapitalanlage, nicht zu vernachlässigen. Kryptowährungen unterliegen keiner gesetzlichen oder freiwilligen Einlagensicherung. So kann es hier unter Umständen zum Totalverlust des angelegten Kapitals kommen. Auch besteht weiterhin ein regulatorisches Risiko, sollte, wider Erwarten, der Gesetzgeber, anders als jetzt, die Nutzung von Krypto-Assets stark einschränken oder sogar verbieten. Cyber-Risiken sind ebenfalls vorhanden. Im Falle eines sehr unwahrscheinlichen Hacks der Bitcoin-Blockchain könnte es ebenfalls zu Wertverlusten kommen.

Vor kurzem haben erstmals Unternehmen wie Microstrategy und Square, u. a. aus strategischen Überlegungen, Bitcoins erworben. Was sind die Implikationen dieser Transaktionen?
Der Grund dieses Schrittes ist sicherlich die Erwartung einer erheblichen Preissteigerung und Renditeaussicht, welche die des Aktienmarktes übertrifft. Hieraus lässt sich eine zunehmende Professionalisierung des Marktes ableiten, wie auch eine zunehmende Institutionalisierung. War der Bitcoin bis vor ein paar Jahren noch eine mit grosser Skepsis beäugte Asset- Klasse, ist er auf dem Weg zu einem festen Bestandteil von diversifizierten Portfolios zu werden. Auch dies dürfte mittelfristig die Chance auf weitere Preissteigerungen erhöhen.

«DeFi ist ein ambitionierter Versuch, zentralisierte und traditionelle Anwendungsfelder der Finanzindustrie zu dezentralisieren.»

Bei den Altcoins dominiert Ethereum. Wie beurteilen Sie dessen zukünftige Chancen (Stichwort DeFi)?
DeFi ist ein ambitionierter Versuch, zentralisierte und traditionelle Anwendungsfelder der Finanzindustrie wie Handel, Kreditvergabe, Investitionen, Vermögensverwaltung, Zahlung und Versicherung mit Hilfe der Blockchain-Technologie zu dezentralisieren. Hier hat besonders Ethereum, mit der Möglichkeit der Programmierbarkeit durch sogenannte Smart Contracts, Chancen die technologische Grundlage vieler der beschriebenen Anwendungsfälle abbilden zu können.

Bei vielen Anlegern herrscht gegenüber Kryptoanlagen grosse Skepsis. Was raten Sie Investoren, die sich überlegen, in diese Nische zu expandieren?
Hier sollten vor einer grösseren Investition zuerst die Grundlagen der Blockchain-Technologie sowie Marktdynamiken verstanden werden. Auch sollte man sich mit den verschiedenen Protokollen vertraut machen, um das Marktpotenzial von einzel- nen Krypto-Assets selbstständig einschätzen zu können. Hierfür sind Universitäten, bekannte Konferenzen sowie ausgewählte Literatur eine gute Anlaufstelle.

Es gibt noch immer keinen ETF auf Bitcoin oder andere Kryptoanlagen. Woran liegt das?
Dies dürfte an den bisweilen noch immer hohen regulatorischen Hürden liegen. Als Alternative gelten hier börsennotierte Inhaberschuldverschreibungen, sogenannte ETNs. Allerdings tragen Investoren bei ETNs zusätzlich zum Verlustrisiko auch noch ein Emittentenrisiko. Ausserdem sind die Gebühren solcher ETNs bislang meist höher als die der ETFs. Hier sollte man Geduld haben und bei einem Investitionsvorhaben auf seriöse und regulierte Anbieter wie die Börse Stuttgart zurückgreifen.

Welches sind Ihre drei persönlichen Anlagefavoriten im Bereich Block- chain und/oder Kryptoanlagen?
Etablierte Kryptowährungen wie Bitcoin und Ether sind auch weiterhin hoch interessant. Ebenfalls gibt es sehr spannende und hoch-innovative Startups, auf welche sich ein Blick lohnt. Allerdings muss sich hier jeder ein eigenes Bild des Marktes machen, bevor man sich entscheidet zu investieren.

Vielen Dank!

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Prof. Dr. Philipp Sandner hat das Frankfurt School Blockchain Center (FSBC) gegründet. Von 2018 bis 2020 wurde er von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), einer der größten Zeitungen in Deutschland, als einer der “Top 30”-Ökonomen ausgezeichnet. Darüber hinaus gehörte er zu den “Top 40 unter 40” — einem Ranking des Wirtschaftsmagazins Capital. Seit 2017 ist er Mitglied des FinTechRats des Bundesministeriums der Finanzen.

Die Expertise von Prof. Sandner umfasst die Blockchain-Technologie, Kryptowerte wie Bitcoin und Ethereum, den digitalen programmierbaren Euro, Tokenisierung von Assets und Rechten und letztlich digitale Identität.

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