«Die Schweiz braucht eine Start-up-Kultur»
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Martin Raab
Jan Schoch, Gründungspartner und CEO der Leonteq Gruppe, über Geld, Börse, Fintech und die Grenzen der Digitalisierung sowie die Zukunft der Strukturierten Produkte und das Erfolgspotenzial von Schweizer Unternehmen.
Herr Schoch, was bedeutet Geld für Sie?
Abgesehen von dem, was man zum Leben braucht, ist Geld für mich primär Mittel zum Zweck, um Projekte umzusetzen, Erfindergeist zu unterstützen und Erfolge zu belohnen. Grundwerte wie Ehrlichkeit, Anstand und Verlässlichkeit sind mir viel wichtiger.
Ihr Unternehmen ist börsenkotiert und damit ist auch Ihr persönlicher Vermögensteil täglich den Marktkräften ausgesetzt. Fluch oder eher Segen?
Das ist schlicht ein Fakt. Mir geht es vielmehr um langfristige Ausrichtung, nachhaltiges Wachstum, gesunde Finanzen und Innovationskraft, als ständig den Börsenkurs im Auge zu behalten. Leonteq ist und bleibt eine langfristige strukturelle Investitionsmöglichkeit von fünf bis zehn Jahren.
Das derzeit hippe Stichwort «Fintech» zählte bereits seit Gründung Ihres Unternehmens 2007 zu Ihrer Standardvokabel. Wohin geht der Trend, welche Entwicklungen setzt Leonteq derzeit um?
Der Finanzdienstleistungsbereich befindet sich im Umbruch. Das Spannungsfeld von Niedrigzins, erhöhtem Kapitalbedarf, veralteter IT-Infrastruktur, zunehmender Digitalisierung, neuen regulatorischen Auflagen und veränderten Kundenbedürfnissen bringt grundlegende Veränderungen mit sich. So wird sich die Fertigungstiefe in der Finanzdienstleistung reduzieren. Wir gehen von einem Outsourcing-Potenzial von 70% aus, derzeit sind es rund 10%. Anbieter werden sich zunehmend spezialisieren, Netzwerkeffekte werden sich verstärken. Wir in der Schweiz dürfen diese Chancen nicht ungenutzt verstreichen lassen und mit innovativen und smarten Lösungen Geschäft langfristig an unseren Standort binden.
…wo sind die Grenzen der Digitalisierung im Bank- und Finanzgewerbe?
Diese sind noch lange nicht erreicht, und gerade das macht es so spannend. In die Finanzbranche wird zunehmend Transparenz gebracht, Wertschöpfungsketten werden aufgebrochen und Kunden erwarten zeitgemässe, effizient gepreiste Lösungen. Wir befinden uns erst am Anfang einer längeren Umbruchphase, viele weitere tiefgreifende Veränderungen stehen uns noch bevor.
Der Markt für Strukturierte Produkte wurde nach der Finanzkrise 2008/2009 von Schwarzsehern als «tot» abgeschrieben. Nach Ihren Worten ist das Potenzial dort aber erst minimal ausgeschöpft. Was stimmt Sie so zuversichtlich?
Strukturierte Anlageprodukte sind in den letzten Jahren wesentlich transparenter, liquider und sicherer geworden. Darüber hinaus lassen sich heute strukturierte Anlageprodukte nach individuellen Kundenwünschen mit relativ kleinen Nennwerten kreieren. Intelligente Tools helfen Kunden bei der Produktauswahl. All dies eröffnet neue Kundengruppen und Vertriebsmöglichkeiten. Dank zunehmender Demokratisierung sinken Stückkosten weiterhin – Preisvorteile, die wir gern an unsere Kunden weitergeben. In Niedrigzinsphasen bieten strukturierte Anlageprodukte Mehrwert und gute Renditechancen. Nicht umsonst ist Japan, seit Jahren Niedrigzinsland, der grösste Markt für strukturierte Anlageprodukte. Gemäss SNB sind derzeit strukturierte Anlageprodukte von «nur» rund 217 Milliarden Schweizer Franken in Schweizer Depots verbucht, gegenüber einem geschätzten Gesamtmarkt in Europa und Asien von 1-2 Billionen Schweizer Franken.
Versteht heutzutage jeder Marktteilnehmer die Risiken, die er effektiv hält?
Risikomanagement ist ein wesentlicher Bestandteil unseres täglichen Geschäfts. Unser Team von Risikomanagement-Spezialisten führt täglich 700 Stresstests und Szenario-Analysen durch, um sicherzustellen, dass wir im Rahmen unserer engen Risikogrenzen operieren. Für andere Marktteilnehmer kann ich nicht sprechen.
Wo sehen Sie im Markt für Strukturierte Produkte Verbesserungsbedarf?
Es bedarf noch mehr Transparenz. Es gibt definitiv Optimierungsbedarf bei der Darstellung von strukturierten Anlageprodukten im Portfoliokontext. Zusammensetzungen sollten adäquat aufgezeigt werden können. Ebenso sollten Produktkosten transparenter kommuniziert werden. Auch auf der Buy-side herrscht noch starker Nachholbedarf. Verstärkte Automatisierung von Prozessen entlang der kompletten Wertschöpfungskette wäre hier erstrebenswert.
Ihr Unternehmen wächst stark und ist gleichzeitig profitabel. Was ist das Erfolgsrezept hinter dem Schweizer Derivat-KMU Leonteq?
Wie stark besorgt Sie die sich ausbreitende Überregulierung?
Dieser kann mit verstärkter Automatisierung und damit einhergehender erhöhter Transparenz begegnet werden, und dies entspricht unserem Geschäftsmodell. Wir haben beispielsweise unsere Dienstleistungen um neue Compliance-Aspekte erweitert. Kunden haben die Möglichkeit, auf unserer Plattform Produktdokumentation, interne Kontrollen und Prozesse massgeschneidert zu automatisieren, so Risikopotenzial zu reduzieren und Auflagen von Aufsichtsbehörden effizient erfüllen zu können. Intern ist unser globales Legal & Compliance Team eng in alle Abläufe mit eingebunden. Aus der Perspektive des Schweizer Finanzplatzes wäre ein modulares Regulierungskonzept zu begrüssen, das sich an den unterschiedlichen Anforderungen für die jeweiligen Teilbereiche entlang der Produktionskette «Finanzdienstleistung» orientiert. Das wäre zeitgemäss und würde gerade FinTech-Unternehmen den Markteintritt erheblich erleichtern.
Sie reisen beruflich viel nach Asien, Ihrem zweiten Standbein. Was müssen wir in der Schweiz tun, um den hiesigen Finanzplatz weiterhin in der internationalen Spitzenliga zu halten?
Swissness mit Innovationsfreude vereinen. Schweizer Finanzdienstleister stehen für höchste Qualität, Sicherheit, Zuverlässigkeit und hervorragenden Service. Doch das wird in Zukunft nicht mehr ausreichen, um an der Weltspitze mithalten zu können. Wir müssen verstärkt auf Kreativität, Erfindergeist und die Förderung junger Talente setzen. Die Schweiz braucht eine Start-up-Kultur, die von Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Aufsichtsbehörden anerkannt und gelebt wird. Schweizer Unternehmen haben gerade im B-2-B FinTech-Bereich gute Erfolgsaussichten, um neue Trends von Anfang an mitzubestimmen.
Abschliessend: Sie haben in den letzten Jahren viel erlebt. Welche Begegnung oder Erkenntnis hat Sie am meisten beeindruckt?
Unternehmerisch betrachtet sind wir mit Leonteq zu einem falschen Zeitpunkt gestartet: Inmitten der Kreditkrise war die Wirtschaft bzw. der gesamte Finanzsektor geschwächt. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen konnten wir uns als FinTech-Unternehmen mit einem B2B-Geschäftsmodell etablieren. Letztendlich sind es vor allem die Leute, mit denen man zusammenarbeitet, die für diesen Erfolg entscheidend waren und sind. Ohne gute Leute und erfolgreiches Teamwork hätten wir nichts zustande gebracht.
VITA
Jan Schoch ist Gründungspartner und CEO der Leonteq Group. Nach diversen Stationen bei Goldman Sachs und Lehman Brothers gründete Jan Schoch im Jahr 2007 zusammen mit drei weiteren Partnern den Spezialisten für strukturierte Produkte «EFG Financial Products». Die rasante und sehr erfolgreiche Entwicklung des Unternehmens erlaubte 2012 den Börsengang. Kurze Zeit später fand die Umfirmierung zu Leonteq statt. Das Unternehmen ist mittlerweile neben der Schweiz in Europa und Asien präsent. Leonteq Securities verfügt über eines der erfahrensten Expertenteams, das sich über alle Bereiche des Unternehmens hinweg auf den Kundenservice fokussiert, unterstützt durch eine hochmoderne, integrierte IT Infrastruktur. Mit Stand 30.6.2015 beschäftigte das Unternehmen mehr als 390 Mitarbeitende.