Rote Drachen, weisse Mäuse
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Martin Raab
Halluzinationen sind Sinnestäuschungen bei denen die Betroffenen sehen, hören oder sogar riechen, was in der Realität gar nicht existiert.
Sie selbst sind jedoch überzeugt, dass ihre Wahrnehmung real ist. Welche Körpertemperatur Ex-Präsident Donald Trump durchschnittlich hatte oder was er in seine Cola gemixt bekam, ist nicht erfasst. Doch es offenbart sich eine reale Wahrnehmung von ihm: China ist ein globaler Problemfall. Dabei geht es nicht mehr um Ideendiebstahl, Bilanzfälschung oder Plagiate von Gucci-Taschen. Jetzt sprechen wir von radikalem Eingriff in den Kapitalmarkt gepaart mit geopolitischen Affronts gegen westliche Staaten.
So wurde Jack Ma, Gründer von Alibaba, der milliardenschwere Börsengang der Schwestergesellschaft Ant Financial Group einkassiert, just nachdem er die Herrscher in Peking indirekt gerüffelt hatte. Zusätzlich haben die Wettbewerbshüter in Peking Alibaba eine Rekordstrafe in Höhevon USD 2.5 Milliarden aufgebrummt – moderne, ökonomische Sippenhaft. Auch wurden jüngst Börsengänge im Ausland für chinesische (Tech-)Unternehmen defacto verboten. Träume von Wall Street IPOs sind damit jäh geplatzt. Aktu- elles Beispiel ist der Fahrvermittler Didi. Frisch an der New York Stock Exchange kotiert, wurde Didi auf Befehl von Peking, aus den App-Stores der westlichen Welt verbannt – wegen «Verstössen gegen den Datenschutz». Parallel wurde der Markt für Nachhilfeunterricht quasi über Nacht durch einen Federstrich der KP neu ausgerichtet mit fatalen Folgen für kotierte Schulungsunternehmen.
Ein Tiefpunkt durchlebt derzeit auch Hong Kong. Dort wurde erstmalig das frisch installierte «Sicherheitsgesetz» gegen einen 24-Jährigen angewendet. Er hat ein Pappschild «Free Hong Kong» gehoben und wurde wegen Terrorismus verurteilt. Die Reaktion an den Börsen in Hong Kong und Shanghai auf die neuen Realitäten im Reich der Mitte waren heftig. Der Hang Seng Index tankte in der Spitze -10%; rund -7.50% hat der CSI300 innert weniger Tage einbüsst.
Nach dem Crash bedrängt die Regierung nun in- und ausländische Banken zu «Sympathie-Käufen». Sensible Sinne hin oder her, China-Exposure ist für westliche Investoren bei solchem Verhalten ein unkontrollierbares Risikospiel geworden. Bleibt zu hoffen, dass der Westen seine Naivität endgültig abschüttelt. Und ernsthafte Nachhaltigkeitsfanatiker, mit grünen ESG-Mützen auf dem Kopf, müssten eigentlich spätestens jetzt imaginäre Stimmen hören, die ihnen mitteilen: Sell Chinese Bonds. Oder sind das alles nur weisse Mäuse statt roter Drachen?