Wir werden in 2021 das Wachstum vervielfachen – dies zu managen wird eine Herausforderung.
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Serge Nussbaumer, Chefredaktor
Herr Rihak, können Sie unseren Lesern in wenigen Worten Classtime erläutern?
Classtime (www.classtime.com/de) ist eine SaaS-Plattform (Software-as-a-Service) für Lernzielkontrolle und digitale Prüfungen. Lehrerinnen und Lehrer können mit Classtime kompetenzorientierte Assessment-/Lernzielkontroll-Fragen entweder selbst erstellen, oder aus Bibliotheken, von Verlagen oder von Kollegen importieren. Anschliessend lassen sich diese Fragen digital in verschiedenen Anwendungen von den Schülerinnen und Schülern aktivieren. Sie lösen die Aufgaben auf ihren Endgeräten – sei es auf dem Smartphone, dem Tablet oder Laptop. Dies funktioniert im Präsenzunterricht für schnelle formative Assessments, für Flipped Classroom, für Prüfungen, Hausaufgaben, oder autonomes Lernen. Die Schülerinnen erhalten (wenn es die Lehrperson so einstellt) sofortiges Feedback zum Lernstand, und auch der Lehrer hat eine detaillierte Übersicht über den Lernstand der Klasse, in Echtzeit, und er weiss, welchen Schülern er schwierigere Auf- gaben zuteilen kann, und wer noch weitere Unterstützung braucht.
Welche Vorteile bietet Classtime bezüglich der Lernförderung gegenüber einem Präsenzunterricht?
Classtime wurde ursprünglich für den Präsenzunterricht entwickelt, und wird auch heute noch vor allem im Präsenzunterricht (ergänzend) eingesetzt. Daneben wurden viele weitere use-cases erschlossen, wie oben erwähnt (Prüfungen, Hausaufgaben, Flipped Classroom, Förderung von Diskurs und Debatte, etc.)
Wenn Classtime optimal eingesetzt wird, arbeiten die Lernenden motivierter und lernen engagierter und intensiver (siehe auch: Studie der EPFL). Gewisse «Modi», beispiels- weise die Möglichkeit gewisse Übungen in Team-Challenges einzubetten, motivieren die Lernenden verschiedener Stufen ungemein. Im Übrigen können die Schülerinnen und Schüler selbst Lernverantwortung übernehmen, da ihnen die Plattform bereits gewisse Rückmeldungen gibt.
«Sie lösen die Aufgaben auf Ihren Endgeräten – sei es auf dem Smartphone, dem Tablet oder Laptop.»
Die Lehrperson spart wesentlich an Korrekturzeit – so haben Lehrpersonen Prüfungen häufig bereits während deren Durchführung korrigiert (da beispielsweise Freitextantworten intelligent gebündelt werden und das System aus früheren Beurteilungen dazulernt und diese auf neue Antworten applizieren kann). Damit können auch komplexe Prüfungen und Fragen automatisch oder zumindest semiautomatisch enorm schnell korrigiert werden.
Was sind die Stärken von Classtime und wo sehen Sie inskünftig noch Ausbaumöglichkeiten?
Classtime schafft es hervorragend, eine einfache und intuitive User-Experience mit einer grossen Vielfalt von Fragetypen, Interaktionsmöglichkeiten und Einstellungsmöglichkeiten zu kombinieren. Dadurch, dass es einfach zu erlernen und zu benutzen ist, schaffen wir es, immer weitere Lehrpersonen zu gewinnen, die häufig von Nutzern weiterempfohlen wurden. Die Tiefe der Funktionen, beispielsweise die Verknüpfung mit Kompetenzstandards verschiedener Bildungssysteme, schafft eine Datentiefe und Insights, die für Institutionen und Behörden enorm spannend sind (oder sein könnten – nicht in allen Regulatorien ist man gleichweit bzgl. Datennutzung).
Potential haben wir in verschiedenen Geschäftsbereichen (Angebote für Schülerinnen und Schüler, für Verlage und Firmen), sowie in gewissen Technologiebereichen, insbesondere im Bereich Artificial Intelligence – wir werden verstärkt neuronale Netze einsetzen, um Freitext-Antworten zu bewerten, sowie um bestehende Fragen von Lehrpersonen zu ergänzen und zu verbessern.
Wie viele Personen nutzen derzeit Classtime?
140’000 Lehrerinnen und Lehrer (sowie Ausbildungsverantwortliche bei Firmen) sowie 7.5 Millionen Schülerinnen und Schüler (einschliesslich Auszubildende bei Firmen).
Rückblickend betrachtet, welches waren bislang die grössten Schwierigkeiten ihres Start-up Unternehmens?
Obwohl wir ein Schweizer Unternehmen sind, und faktisch die Datenschutzbestimmungen viel besser und für den Standort Schweiz adäquater umsetzen, hat es enorm lange gedauert, bis wir als Unternehmen für den Betrieb an Schulen zugelassen wurden.
Ausserdem werden in der Schweiz Lösungen angepriesen, die zwar bekannter sind, aber die Daten in den USA oder irgendwo sonst haben (es gibt Tools, die von kantonalen Stellen «empfohlen» wurden, die gemäss Chinesischem Datenschutzrecht operieren). Diese Diskrepanz und Unprofessionalität in diesem Bereich war und ist enorm frustrierend.
Welche Überlegungen waren ausschlaggebend, dass der Sitz von Classtime in den USA ist?
Wir sind eine Schweizer Aktiengesellschaft mit Sitz in Schlieren, im Kanton Zürich. Allerdings haben wir eine Tochterunternehmung in den USA, 100% durch die Schweizer AG gehalten, um in den USA einfacher Geschäfte machen zu können. Mein Schweizer Kollege Valentin Rüst, mit dem ich bereits in einem früheren Jungunternehmen eng zusammengearbeitet habe (MoneyPark), baut den US Markt für Classtime auf.
Was sind die strategischen Ziele für Classtime im laufenden und den kommenden Jahren?
Wir werden in 2021 das Wachstum vervielfachen – dies zu managen und sauber umzusetzen wird eine Herausforderung. Wir haben Partnerschaften mit Kantonen in der Schweiz, mit Districts in den USA und mit grossen Unternehmen international gewinnen können und wollen solche Partnerschaften weiter ausbauen und multiplizieren.
Wir treiben ferner verschiedene wichtige Produktinitiativen – im Bereich Gewinnung von Verlagen als Partner und Platzierung von Verlagsinhalten auf unserer Plattform, Integration in bestehende Plattformen (nebst Google Classroom, wo wir bereits integriert sind, wollen wir uns in Microsoft Teams, Canva, ggf. Moodle und weitere Plattformen integrieren), und haben wichtige weitere Technologieinitiativen auf der Roadmap (Artificial Intelligence und Data Analytics).
Wo steht Europa im Bereich des digi- talen Lernens im internationalen Kontext?
In den USA ist die Affinität zu digitalen Tools höher, und man ist teilweise weiter bei Infrastukturthemen (WIFI, Ausstattung mit Chromebooks). Die Schweiz und Deutschland holen aber auf – nachdem in der Pandemie die Digitalisierung an den Schulen massiv beschleunigt wurde, sehe ich die jetzige Phase als eine Art Konsolidierungsphase, wo sich Schulen mit etwas mehr Zeit und weniger hektisch sortieren und digital rüsten. So hat beispielsweise auch die Politik gewisse Stellen mandatiert, digitale Lösungen für den Unterricht zu beschaffen.
Die Pandemie hat das Wachstum der Digitalisierung im Bereich der Ausbildung beschleunigt. Wie hoch schätzen Sie das langfristige, jährliche Wachstumspotential in den nächsten zehn Jahren?
Durch die demographische Entwicklung wächst der Bildungsmarkt insgesamt, vor allem in Asien, aber nicht nur dort. EdTech und Smart Classroom Solutions, wo der Markt heute bereits USD 250 Milliarden umsetzt, wächst pro Jahr mit 17% (ohne den Pandemie-Effekt). Dieses Wachstum wird aus meiner Sicht mindestens so weitergehen, wenn es sich nicht sogar noch akzentuiert. Top Unternehmen haben während der Pandemiezeiten Nutzer- und Umsatzzahlen um das Vier- bis Sechsfache steigern können.
Wo liegen im Bereich des digitalen Lernens die grössten Wachstumsbereiche?
Wir glauben, dass Lernen nach wie vor eine im Kern soziale und zwischenmenschliche Komponente beibehalten wird. Die Relevanz, etwas zu lernen, kommt aus einem sozialen Kontext – sei es, dass man einen bestimmten Beruf erlernen will, mit dem man sich identifiziert, oder dass man sich für ein Fach interessiert, weil einen die Lehrpersonen inspiriert, oder sei es, dass man sich mit Mitschülern messen will. Deshalb glauben wir, dass vor allem Technologien, welche soziale und persönliche Interaktionen stärken, digital aufladen oder intensiver machen, oder gewisse Zyklen (bspw. Rückmeldungen/Feedback) verkürzen, massives Potential haben. Das Klassenzimmer und die Lehrperson wird nicht verschwinden (sicher nicht bald) – deshalb braucht es Lösungen, die bei Lehrpersonen ansetzen und diese effektiver und effizienter machen, und dabei natürlich den Lernerfolg der Lernenden steigern.
«Wir glauben, dass Lernen nach wie vor eine im Kern soziale und zwischenmenschliche Komponente beibehalten wird.»
Welches börsenkotierte Unternehmen im Bereich des digitalen Lernens weist eine vergleichbare Struktur wie Classtime auf?
Classtime ist ein Jungunternehmen mit erst 19 Mitarbeitern, und wir sind noch eine Weile vom IPO entfernt (wir machen in diesen Monaten unsere Series A). Insofern ist ein Vergleich mit börsenkotierten Unternehmen schwierig :-). Kahoot macht wohl bald einen IPO – obwohl Kahoot einiges mehr an Nutzern hat als Classtime, hat es eine recht triviale Lerninteraktion und schafft es weniger gut, die Lernenden kompetenzorientiert zu engagieren. Wir glauben, wir sind produktseitig weiter und vielversprechender, müssen aber noch stark skalieren.
Was erachten Sie persönlich als wahrscheinlicher, dass Classtime a) dereinst von einem grossen börsenkotierten Technologieunternehmen übernommen wird oder b) dass Classtime als unabhängige Gesellschaft ein IPO an einer Börse macht?
Die Gedanken mache ich mir momentan noch nicht – ich weiss nicht, wie aussagekräftig und wertvoll so eine Spekulation wäre. Der Fokus liegt momentan darauf, das Wachstum zu vervielfachen, das Produkt stetig zu verbessern, und den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern zu steigern.
Vielen Dank!
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Jan Rihak ist Gründer und CEO (Europa) von Classtime AG, einem innovativen Bildungsunternehmen. Jan Rihak hält einen Master in Computerwissenschaften der ETH Zürich und ein MBA der Cambridge University. Zuvor war er Bera- ter bei McKinsey & Company, COO bei MoneyPark AG, und Leiter Multikanalstrategie bei UBS Schweiz. Mit Classtime setzt er sich heute für eine Verbesserung von Lernfortschritt von Schülerinnen und Schülern ein – das Unternehmen hat 19 Mitarbeiter an drei Standorten, wird von 140’000 Lehrperso- nen, 7.5 Millionen Lernenden, und von ca. 200 Institutionen (Schulen, Unternehmen, Verlagen) benutzt.