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payoff Interviews

Are We Running Out?

14.06.2016 8 Min.
  • Dieter Haas

Ingrid Bryan, preisgekrönte Autorin, über Nachhaltigkeit vs. Gewinnmaximierung, Rohstoffausbeutung, Bevölkerungsexplosion und den Beginn des neuen Zeitalters.

Frau Bryan, in Ihrem neuesten Buch «Are We Running Out?» beschreiben Sie das Hauptproblem der Zivilisation: Ressourcenknappheit. Wie würden Sie die aktuelle Situation in wenigen Worten zusammenfassen?
Die meisten Menschen verstehen unter Ressourcen Metalle, Minerale und fossile Brennstoffe. Es besteht wenig Anlass zur Sorge, dass uns diese in naher Zukunft ausgehen werden, weil der Markt in Bezug auf den effizienten Einsatz dieser Ressourcen relativ gut funktioniert. Dies trifft aber auf viele erneuerbare Ressourcen wie etwa Biodiversität, Fischerei, Wasserressourcen und Forstwirtschaft nicht zu, für die die aktuelle Situation aus verschiedenen Gründen prekär ist.

Warum ist die Lage bei erneuerbaren Ressourcen zunehmend prekär?
Ein Grund ist das vordringliche Problem des Klimawandels, der all diese Bereiche, sowie auch die Landwirtschaft und damit unsere Fähigkeit, eine steigende Bevölkerung zu ernähren, beeinflusst. Der zweite Grund ist unser verschwenderischer Umgang und die Zerstörung von Frischwasserressourcen, der Landwirtschaft und Biodiversität beeinträchtigt. Der dritte Grund ist die Entwaldung, die in manchen Teilen der Welt bereits zurückgegangen ist, während sie in Südostasien unvermindert voranschreitet, hauptsächlich, um freies Land für die Produktion von Palmöl zu gewinnen. Der vierte Grund ist die Überfischung und die Übersäuerung der Ozeane, der die gesamte Ökologie im Ozean zu verändern droht und das Leben von Millionen von Menschen bedroht.

Gehen Konzerne und Regierungen respektvoller mit ihren Ressourcen um als in der Vergangenheit?
Ja und nein. Konzerne agieren innerhalb eines Regelwerkes, welches von den Regierungen vorgegeben wird. Es ist keine Frage, dass die Regierungen bewusster mit dem Thema Ressourcen umgehen. Vor allem die europäischen Länder waren Vorreiter im Bereich der Umweltgesetzgebung. Nicht jedoch in vielen Entwicklungsländern – bedingt durch schwache Regierungen, Korruption und das Fehlen finanzieller Ressourcen.

 

«Die aktuellen Aussterberaten von Arten liegen deutlich über den normalen Werten.»

 

Doch auch bei demokratischen Regierungen harzt es an Durchsetzungskraft wie zum Beispiel beim Thema Kohlenstoffsteuer in Hinblick auf die Bekämpfung des Klimawandels oder dem Widerstand gegen Wassergebühren in vielen Teilen der westlichen Welt und der Widerstand gegen Reformen in der Fischerei. Aus meiner Sicht spielen Konzerne jetzt und in der Zukunft eine führende Rolle in der Veränderung hin zu einer grünen Wirtschaft, in erster Linie durch die Entwicklung neuer Technologien. Beispiele dafür sind der explosionsartige Anstieg an Technologien im Bereich der Wind- und Sonnenenergieproduktion, Batterietechnologien und effizientere Lösungen im Bereich der Transporttechnologien.

Laut dem Konzept der planetarischen Grenzen haben wir bereits drei von neun Grenzen überschritten und stehen kurz davor, noch weitere zu überschreiten. Der Verlust an Biodiversität scheint eines der grössten Risiken zu sein. Können Sie uns erklären, warum?
Das Verschwinden von einigen Arten ist normal, aber die aktuellen Aussterberaten liegen deutlich über den normalen Werten, die in der Vergangenheit nur während Naturkatastrophen ähnlich hoch waren. Warum sollten wir uns Sorgen machen? Die genetische Biodiversität ist wesentlich für die langfristige Fähigkeit, sich an verschiedene durch Menschen verursachte Veränderungen anzupassen. Zum Beispiel, wenn eine Art aufgrund des Klimawandels oder aufgrund von Erkrankungen verschwindet, kann eine andere Art, solange es genügend Vielfalt gibt, diese Nische im Ökosystem füllen. Die meisten Pflanzen wurden aus Wildpflanzen gezüchtet. Wenn eine Nutzpflanze von einer Krankheit befallen wird, können wir, solange wir genügend Vielfalt in der Natur vorfinden, wahrscheinlich neue Pflanzen finden. Bei Naturkatastrophen erleichtert eine vielfältige Biodiversität den Aufprall – je mehr Arten wir haben, desto stabiler und belastbarer ist die Umwelt.

Gegenwärtig ist eine Fusion des Saatgut und Düngemittel-Konzerne Monsanto und Bayer im Gespräch. Das Thema Stickstoffkreislaufes behandeln Sie auch…
Ohne Kunstdünger – vor allem Stickstoff und Phosphor – wäre die Welt nicht in der Lage gewesen, die steigende Bevölkerung zu versorgen. Trotz langer Forschungstätigkeit werden aber nicht alle Aspekte des Stickstoffkreislaufes und die optimale Ausbringmenge verstanden; sehr oft verwenden Landwirte vor allem in den entwickelten Ländern der Welt zu viel davon. Wenn mehr Dünger verwendet wird als die Pflanzen aufnehmen können, wird der Überschuss in den Gewässern und schliesslich in den Ozeanen landen. Die Stickstoffverschmutzung hat eine negative Auswirkung auf viele Wasserströme, Seen und Küstengewässer. Zu viele Nährstoffe führen zu einer übermässigen Bildung von Algen, die dem Wasser Sauerstoff entziehen und Fisch- und Pflanzensterben zur Folge haben. Die Folgen sind Sauerstoffmangel oder Todeszonen – eine der grössten befindet sich im Golf von Mexiko. Die langfristige Lösung ist die gezielte Anwendung von Düngemitteln und die Weiterentwicklung von landwirtschaftlichen Technologien.

 

«Die grösste Todeszone der Weltmeere befindet sich derzeit im Golf von Mexiko.»

Der explosionsartige Bevölkerungszuwachs spielt eine wesentliche Rolle beim Verbrauch der Ressourcen. Ist es noch möglich eine Katastrophe abzuwenden?
Natürlich wissen wir nicht, wie präzise diese Vorhersagen sind, die hauptsächlich von der erwarteten Fertilitätsrate abhängen – die Fertilitätsrate steht für die Anzahl von Kindern, die eine durchschnittliche Frau in ihrem Leben gebären wird. Entwickelte Länder mit gewissem Wohlstandsniveau sind unkritisch, aber in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara gibt es hohe Fertilitätsraten. Als Lösungen siehe ich Investitionen in Bildung und Chancen für Frauen und Investitionen in Landwirtschaft, vor allem in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara.

Was muss getan werden, damit wir wieder in einer nachhaltigen Welt leben können?
Der Klimawandel ist sicher ein allumfassendes Problem. Im Wesentlichen lässt sich ein Aktionsplan auf die vorher genannten Bereiche eingrenzen: Allmähliche Abschaffung der Kohlekraftwerke, gezielte Massnahmen um die Biodiversität zu erhalten und der Zerstörung von natürlichen, vielfältigen Wäldern Einhalt zu gebieten. Auch muss sich die Landwirtschaft u.a durch einer weniger destruktiven Bewässerung verändern. Die Wasserpolitik muss neu organisiert werden, um eine angemessene Wasserpreispolitik umzusetzen. Es ist auch sehr wichtig, die Fischerei weltweit zu schützen, indem Fanggrenzen eingeführt und umgesetzt werden und illegale Fischerei kontrolliert wird.

Glauben Sie, dass ein Mechanismus existiert, der garantiert, dass die Erde sich selbst heilen kann oder glauben Sie an die Hypothese, dass sich die Menschheit im Gewinnstreben selbst zerstört?
Ich glaube weder an die eine noch an die andere Hypothese. Im erstgenannten Fall wird behauptet, dass man nichts tun muss, da auf lange Sicht alles von alleine wieder gut wird. Dies ist auch die Behauptung der Medea-Hypothese. Wir müssen nichts tun, weil wir alle ohnehin verurteilt sind. Ich glaube, dass wir uns in einem neuen Zeitalter befinden: dem «Anthropozän»; einem Zeitalter, in dem die Umwelt durch menschliches Handeln irreversibel verändert wurde. Das Beste, was wir tun können, ist zu erkennen, dass der Mensch der Hauptverantwortliche ist und jetzt Massnahmen treffen muss, um diese Veränderungen abzuschwächen.

 

VITA
Ingrid Bryan ist Umweltschützerin, emeritierte Professorin der Fakultät für Wirtschaft an der Ryerson Universität in Toronto und Grossmutter von zwei Enkelkindern. Sie ist ehemalige Dekanin der Geisteswissenschaftlichen Fakultät und war Vorsitzende der Wirtschaft bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2005. Sie ist Autorin von verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema Transport und internationaler Handel und Autorin des Buches zur Kanadischen Wirtschaftspolitik. Nach ihrer Pensionierung und nach der Geburt ihrer Enkelkinder hat sie sich besonders mit der Frage des ökologischen Vermächtnisses für unsere zukünftigen Generationen beschäftigt und beschlossen, ihre Zeit dem Thema der Ressourcen zu widmen und darüber zu schreiben. Ihr Buch zum Thema Ressourcen «Are we Running Out? The Sustainability of the World’s Ressources» wurde im September 2015 veröffentlicht. Das Buch gewann die Goldmedaille (erster Platz) im Bücherwettbewerb 2016 der Unabhängigen Verleger in den USA in der Kategorie Umwelt/Ökologie/Natur.

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