Bitcoin für Banker: Was ist Bitcoin?
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Pascal Hügli
Redaktor
Manch einer dürfte die Antwort auf die Frage im Titel schon zu glauben wissen: Bitcoin ist eine Kryptowährung.
So richtig diese Ahnung im Detail ist, so falsch ist sie für jemanden, der sich um das Verständnis des grossen Ganzen bemüht. Denn Bitcoin geht letztlich weit über das Konzept einer Währung hinaus. «Er» umfasst viel mehr, wie im Verlauf dieses Artikels sowie der gesamten Artikelserie klar werden sollte. Was folgt, ist eine Betrachtungsweise unterschiedlicher Ebenen.
In seiner grundlegendsten Form ist Bitcoin pure Information. Obschon von immer mehr Menschen als Sache oder gar als Wert betrachtet, existiert Bitcoin weder physisch noch technisch. Insbesondere letzteres mag verblüffen, zeigt sich darin doch der hohe Abstraktionsgrad von Bitcoin. So ist es auf fundamentaler Ebene die Kombination von Mathematik und Kryptografie – gepackt in Programmiercode –, die Bitcoin zum Leben erweckt. Wie mit allem «Virtuellen» so scheint auch Bitcoin dem 3. Gesetz des britischer Science-Fiction-Schriftsteller und Physiker Arthur C. Clark zu folgen: «Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.»
Rücken wir von dieser abstrakten, fast schon philosophischen Ebene ab, erscheint uns Bitcoin in erster Linie als technische Umsetzung im Bereich der Softwareentwicklung. Gewissermassen als neues Internetprotokoll lässt sich Bitcoin mit anderen Netzwerkprotokollen der gesamten Internetprotokollfamilie vergleichen. Dazu gehören zum Beispiel TCP, IP, SMTP oder HTTP. BTC (Bitcoin) sowie LN (Lightning-Bitcoin, dazu in einem später Artikel mehr) sind als neue Ergänzungen davon anzusehen (Grafik 1).
Interneteigene Werte
Der Vergleich mit anderen Internetproto- kollen unterstreicht Bitcoins Tragweite und zeigt dessen Dimension sowie Potenzial als Open-Source-Protokoll zur Übertragung von interneteigenen Werten auf. Nicht umsonst hat der Durchbruch von Bitcoin dem Begriff des Internets der Werte eine neue Bedeutung gegeben. Aufgrund der im letzten Beitrag thematisierten digitalen Knappheit, ist Bitcoin aus ökonomischer Sicht eben auch als Werteinheit zu fassen. Jeder einzelne der 21 Millionen Bitcoin-Einheiten, die es maximal geben wird und die alle bis auf die achte Kommastelle teilbar sind, fungiert als einer dem Bitcoin System eigene Vermögenswert. Ob dieses Bitcoin-Asset tatsächlich als Geld aufgefasst werden kann, liegt letztlich im Auge eines jeden einzelnen Betrachters und Nutzers. Die Theorie jedenfalls legt nahe, dass Bitcoin verschiedenste Eigenschaften von Geld optimal in sich vereint.
Als Folge davon gibt es gegenwärtig viele Inhaber, die Bitcoin mit dieser Absicht halten. Kaum jemand ist gewillt zu verkaufen, bevor Bitcoin in seinem S-förmigen Kurvenverlauf der schrittweisen Akzeptanz nicht an einen Sättigungspunkt gelangt ist und seine Monetarisierungsphase damit nicht abgeschlossen hat.
Der Netzwerk-Staat
Doch wird Bitcoin dereinst ein allgemein akzeptiertes Tauschmittel sein? Schon heute sind unterschiedliche Güter gegen sogenannte Sats tauschbar. Sats ist die Kurzform von Satoshis, der Währungsuntereinheit des Bitcoin-Systems. In diesem Sinne sind sie das Äquivalent des Rappens zum Schweizer Franken.
Wie so oft mit neuen Entwicklungen dürfte auch Bitcoin in der kurzen Zeit überschätzt, in der langen Frist aber unterschätzt sein. Dass Bitcoin als Zahlungsmittel noch wenig Akzeptanz findet, ist gewiss auch der Volatilität geschuldet. Sollte diese mit steigender Liquidität und grössere Markttiefe fallen, dürfte die Verwendung Bitcoin als Zahlungsmittel zunehmen – so jedenfalls lässt es die ökonomische Theorie vermuten.
Noch gibt es also wenig Akzeptanzstellen für Bitcoin. Unter Millennials und noch jüngeren Generationen ist Bitcoin allerdings schon weit verbreitet. Wird Bitcoin dereinst ein Grossteil ihres Vermögens ausmachen, werden sie ältere Generationen als Ton angebende Kraft in der Gesellschaft längst abgelöst haben und Bitcoin somit zur Massenakzeptanz verhelfen.
«Gewissermassen als weltumspannender Netzwerk- Staat ist Bitcoin drauf und dran, eine neue globale Bürgerschaft zu rekrutieren.»
Dieser Punkt ist denn auch nicht zu unterschätzen. Bitcoin symbolisiert auch eine globale Bewegung, welche unterschiedlichste Strömungen unter sich vereint. Sei die Aussicht auf staatenloses Geld, der Wunsch nach einem erlaubnisfreien, offenen Finanzsystem für 1,7 Milliarden Menschen ohne Bankkonto oder die Hoffnung auf finanzielle Freiheit für Frauen, Bitcoin scheint die Menschen aus den unterschiedlichsten politischen Lagern abzuholen.
Gewissermassen als weltumspannender Netzwerk-Staat ist Bitcoin drauf und dran, ei- ne neue globale Bürgerschaft zu rekrutieren. Als Bitcoiner – oder auch Netizen genannt – sind sie Teil einer internationalen Community, deren Loyalität und Patriotismus nicht mehr länger dem eigenen Staat, sondern der Bitcoin-Nation gilt. Was religiöse Züge angenommen hat, ist mittlerweile Bitcoins stärkste Waffe geworden. Auf der ganzen Welt evangelisieren Menschen für Bitcoin, was die Anhängerschaft und damit das Bitcoin-Netzwerk immer wie stärker und grösser macht.
Eine neue ökonomische Institution
Um Bitcoin in seiner kleinsten Einheit zu erklären, haben wir zu Beginn dieses Artikels bei den Bits und Bytes, der Information angesetzt. Auf grösstmöglicher Ebene, der makroökonomischen Stufe ist Bitcoin nicht weniger abstrakt einzuordnen: Bitcoin ist eine neue ökonomische Institution.
So sind öffentliche, erlaubnisfreie Blockchains wie Bitcoin eine neue Grundlagentechnologie zur Koordination menschlicher Interaktion. In ihrer grundlegendsten Form handelt es sich dabei um sogenannte Ledgers. Andere Institutionen wie Banken, Versicherungen, Konzerne und Staaten bilden heute das Fundament von Wirtschaft und Gesellschaft. Auch sie sind letztlich Ledger, die es uns erlauben, über soziale Handlungen und Fakten Buch zu führen.
Seit der Entdeckung Bitcoins verfügt die Menschheit erstmals über eine neue Innovation zur sozioökonomischen Koordination. Als dezentralisierte Ledger stellen System wie Bitcoin eine neue Klasse kryptoökonomischer Organisationseinheiten dar. Sie sind global dezentralisierte, nicht-staatliche Institutionen, die vollständig im Cyberspace exis- tieren und durch die Kombination von Kryptographie, Anreizen und sozialem Konsens aufrechterhalten werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Bitcoin ist ein Internetprotokoll, das ein Peer-to-Peer Zahlungsnetzwerk schafft. Letzteres verfügt über ein gleichnamiges digitales Asset, das dem direkten Tausch und Transfer von Wert innerhalb es Netzwerkes dient und dabei ohne zentrale Intermediäre auskommt. Eine Anreizstruktur und ein Konsensus-Mechanismus, intakt gehalten durch Mathematik und Kryptografie, schaffen ein eigenständiges System. Bitcoin ist somit mehr als nur eine digitale Kryptowährung – und sollte daher auch mehr Aufmerksamkeit verdient haben.