Bitcoin: Wo befinden wir uns im Marktzyklus?
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Pascal Hügli
Redaktor
«Spieglein, Spieglein an der Wand, wohin geht der Bitcoin-Kurs im
Kryptoland?» Nach einem starken ersten Quartal scheint sich die Euphorie um Bitcoin abgekühlt zu haben. Der Preis korrigierte zuletzt unter die Marke von USD 60’000 und eine grössere Korrektur scheint bevorzustehen.
Warum aber kommt der Bitcoin-Preis gerade jetzt in Schleudern? Immerhin war doch vor wenigen Tagen erst das Halving erfolgreich vonstattengegangen. Nun, mit der Halbierung der Block-Belohnung hat Bitcoin seine Stellung als härtestes Geld einmal mehr unter Beweis gestellt. Wie aber allgemein erwartet, war das Halving eben ein sogenannter «Non-Event, da der Effekt in der kurzen Frist vernachlässigbar ist.
Kehrt die Inflation zurück?
Viel entscheidender sind da die makroökonomischen Verhältnisse. Und diese scheinen sich aus Sicht von Risikoanlagen wie Bitcoin gerade wieder zu verschlechtern. Es ist nämlich die wiederaufkeimende Inflation in den USA, welche die Anleger erneut zur Vorsicht mahnt. Zwar ist die Inflation seit ihrem Höchststand bei über 9% im Sommer 2022 stark gefallen, doch wurde das eigentliche Inflationsziel durch die US-Notenbank noch immer nicht erreicht.
Doch keine Zinssenkungen?
Getrieben durch weiterhin hohe Haushaltsdefizite des US-Staats dürfte die Inflation daher noch länger höher bleiben (Grafik 1). Eine unerwartet höhere Inflationsrate wird sich auf alle Vermögenswerte auswirken, auch auf Bitcoin.
Es ist wahrscheinlich, dass die Zinsen in den kommenden Monaten aufgrund der wieder an-
ziehenden Inflation nicht so stark sinken werden wie noch zu Jahresbeginn erwartet. Noch im Januar hatte der Markt bis zu sieben Zinssenkungen bis Ende 2024 eingepreist. Heute hat der Markt jedoch die meisten Zinssenkungen bis 2024 bereits wieder ausgepreist und erwartet aktuell nur noch eine Zinssenkung um 25 Basispunkte bis Dezember. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 18% gehen die Marktteilnehmer sogar davon aus, dass wir in diesem Jahr gar keine Zinssenkung sehen werden.
Geopolitische Unsicherheiten und Währungsfiasko
Neben der Inflation belasten die geopolitischen Spannungen im Nahen Osten und mögliche Turbulenzen am internationalen Währungsmarkt die Märkte. Erst vor wenigen Tagen schwankte das Währungspaar USDYEN heftig um die historisch wichtige Chartmarke von 150, was auf Interventionen der Bank of Japan hindeuten könnte.
Sollte sich der Yen weiter abschwächen, werden auch andere Nationen – allen voran China – gezwungen sein, ihre Währungen abzuwerten, um auf dem globalen Exportmarkt konkurrenzfähig zu bleiben. Für Bitcoin wäre eine solche Entwertungswelle langfristig natürlich positiv – kurzfristig überwiegt jedoch die Unsicherheit, die gerade der Kryptowährung am meisten schadet.
US-Bitcoin-ETFs geraten ins Stocken
Im ersten Quartal waren US-Bitcoin-ETFs eine wichtige Nachfragequelle für Bitcoin. Im April verlangsamte sich diese durch ETFs generierte Nachfrage nach Bitcoin und in den letzten Tagen gab es mehr Nettoabflüsse aus ETFs als Zuflüsse. In der Woche vom 22. bis 26. April verzeichneten US-ETFs einen Nettoabfluss von insgesamt USD 328 Millionen. Aber nicht nur der GBTC ETF, der bereits als notorisches Verkaufsvehikel bekannt ist, sondern auch die Bitcoin ETFs von Fidelity (FBTC) oder ARK (ARKB) mussten Abflüsse hinnehmen. Und der Bitcoin ETF von BlackRock (IBIT), der seit einigen Tagen auf dem Trockenen sitzt, verzeichnet aktuell keine Zuflüsse mehr (Grafik 2).
Tropfen auf den heissen Stein: ETFs aus Hongkong?
Die Erwartungen an die Lancierung waren hoch – einige Kommentatoren sagten sogar voraus, dass Hongkong die USA bei Bitcoin-ETFs in Bezug auf Zuflüsse und Volumen am ersten Tag übertreffen könnte. Diese Erwartungen wurden jedoch nicht erfüllt, und das Debüt der ETFs in Hongkong war verhalten.
Bei genauerem Hinsehen war der Start aber gar nicht so enttäuschend. Die Hongkong Bitcoin und Ether ETFs generierten zwar nur ein Handelsvolumen von rund USD 12 Millionen. Der ChinaAMC Bitcoin ETF hingegen generierte am ersten Tag insgesamt USD 123 Millionen.
Obwohl diese Zuflusszahlen wohl auch auf ein sogenanntes «Pre-Seeding» vorab zurückzuführen sind, machen diese Zahlen das Produkt zu einem der erfolgreichsten ETF-Produkte der letzten drei Jahre in Hongkong, Ob die Zuflüsse in Asien mögliche fortschreitende Abflüsse in den USA kompensieren können, wird sich zeigen.
Was geschieht auf der Blockchain selbst?
Bitcoin bietet uns die Möglichkeit, mögliche Dynamiken direkt aus der Blockchain abzulesen. Durch die sogenannte On-Chain-Analyse kann beispielsweise festgestellt werden, wer in welchem Umfang verkauft, wo die Anschaffungskosten der einzelnen Inhaber liegen und ob diese einen Gewinn oder Verlust realisieren.
Eine relevante Unterscheidung ist die zwischen Langzeit- (LTH = Long-time Holder) und Kurzzeithaltern (STH = Short-time Holder). Nach einer Preisrallye, wie wir sie im ersten Quartal dieses Jahres gesehen haben, zeigen beide Gruppen jeweils historisch auffällige Verhaltensmuster. Kennt man diese und kann sie mithilfe der On-Chain-Analyse für das Hier und Jetzt ableiten, lassen sich Einschätzungen über die aktuelle Situation am Bitcoin-Markt treffen.
Langzeithalter verkaufen – in schwindendem Ausmass
Betrachtet man die Langfristhalter, so sind diese derzeit natürlich fast ausschliesslich im Gewinn. Beginnend im Dezember letzten Jahres begannen verschiedene Langfristhalter ihre Gewinne zu realisieren und verkauften in den steigenden Bitcoin-Preis hinein (blaue Linie unten). Am stärksten ausgeprägt war ihr Verkaufsverhalten etwa zum März-Hoch bei USD 73’000 (Grafik 3). Wie in den letzten Tagen zu sehen ist, haben sich die Verkäufe der Langzeithalter verlangsamt und sind aktuell fast vollständig versiegt.
Zahl der Kurzzeithalter mit Verlusten nimmt zu
Das Pendant zu den Langzeithaltern sind die Kurzzeithalter, deren Marktverhalten ebenfalls aufschlussreich ist. Bei den Kurzzeithaltern interessieren weniger die Gewinne als die aktuellen Verluste.
Wie aus dem e-Indikator STH-MVRV-Zscor hervorgeht, ist dieser vollständig auf Null oder sogar unter Null gesunken. Dies bedeutet, dass der durchschnittliche Kurzzeitbesitzer Verluste macht. Von den aktuell rund 4.95 Millionen Bitcoins, die den Kurzzeithaltern zugeordnet werden können, befinden sich 3.32 Millionen im Verlust. Übersetzt bedeutet dies, dass über 67% aller Kurzzeithalter derzeit im Minus sind.
Kommt jetzt die Kapitulation der Kurzzeithalter?
Aus einer On-Chain-Perspektive befinden wir uns derzeit an einem kritischen Punkt. Wie uns der sogenannte STH Realized Price zeigt, liegt die Cost Basis (Anschaffungskosten) der Kurzzeithalter bei etwa USD 59’500. Mit der jüngsten Preiskorrektur sind wir unter dieses Level gefallen, was bedeutet, dass den Kurzzeithaltern das Messer am Hals sitzt. Es besteht also die «Gefahr» einer möglichen Kapitulation der Kurzzeithalter, die ihre Bitcoins mit Verlust verkaufen und damit den Preis weiter nach unten ziehen könnten.
Einige Kurzzeithalter haben ihre Verluste denn auch schon realisiert. Deren Verhalten gilt es aufmerksam zu beobachten. Eine gute Möglichkeit hierfür bietet der STH-SOPR-Indikator. SOPR steht für «Spend Output Profit Ratio» misst den realisierten Gewinn oder Verlust der Kurzzeithalter.
Liegt der SOPR über 1, verkaufen die Kurzzeithalter mit Gewinn. Dies kann in der Regel als Zeichen einer Marktüberhitzung interpretiert werden. Fällt der SOPR jedoch unter 1, deutet dies auf Verlustverkäufe hin, da die Bitcoins unter dem Anschaffungspreis verkauft werden. Bewegt sich der SOPR-Wert unter 1, könnte dies auf mögliche Panikverkäufe durch Kurzzeithalter hindeuten.
Wie Grafik 4 zeigt, ist der SOPR in diesen Tagen unter 1 gefallen. Dies kommt auch in Bullenmärkten immer wieder vor. Problematisch ist es, wenn SOPR unter 1 fällt und nur mit Mühe wieder darüber steigt. Dies ist ein Zeichen dafür, dass Kurzzeithalter kapituliert haben und nun verstärkt verkaufen.