Crypto-Anlagen im Jahr 2019
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Serge Nussbaumer, Chefredaktor
Ein Kurzinterview mit Lidia Bolla zu Kryptowährungen und der Blockchain
Frau Bolla, Crypto-Währungen wie Bitcoin sind seit geraumer Zeit in aller Munde. Können Sie in wenigen Worten beschreiben um was es genau geht?
Klassische Crypto-Währungen wie Bitcoin zielen darauf ab, ein neuartiges Währungssystem zu entwickeln – in der Regel um ein alternatives Zahlungs- oder Wertaufbewahrungsmittel zu bieten. Das Neuartige an diesen Währungssystemen ist, dass sie völlig ohne zentrale Instanz auskommen. Bei traditionellen Währungen muss man darauf vertrauen, dass Geschäfts- und Notenbanken ihre Arbeit korrekt machen. In der Schweiz ist das heute keine Frage. Aber in krisengeprägten Ländern stellen Crypto-Währungen eine bereits heute rege genutzte Alternative zur staatlichen Währung dar.
Neu: Neben Bitcoin gibt es inzwischen viele weitere Crypto-Währungen wie Ethereum und Ripple – versuchen diese alle, ein neues Währungssystem aufzubauen?
Nein. Viele als Crypto-Währungen bezeichnete Instrumente sind in der Tat gar keine Währungen. Wir sprechen deshalb in der Regel von Crypto-Anlagen. Ethereum beispielsweise bietet eine Entwicklerumgebung, auf welcher Blockchain-Anwendungen – analog zu Apps auf unseren Handys – gebaut werden können. Ripple versucht den Clearing-Settlement-Prozess im Finanzwesen zu vereinfachen. Diese Crypto-Anlagen verfolgen also nicht das Ziel, dass wir sie an der Migros Kasse als Zahlungsmittel verwenden.
Im Zusammenhang mit den Crypto-Währungen fällt regelmässig der Begriff Blockchain. Was steckt dahinter?
Die Blockchain ist eigentlich eine Datenbank mit zwei Zusatzfunktionen: Die Speicherung der Informationen erfolgt bei vielen Personen gleichzeitig, was die Sicherheit ungemein erhöht. Zudem ist ein Mechanismus eingebaut, um Konsens darüber zu finden, welche Information in dieser Datenbank abgespeichert wird. Über die Blockchain können wir nun zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit mit anderen Personen interagieren und Informationen teilen, ohne ihnen vertrauen zu müssen. Das Vertrauen wird durch die Technologie sichergestellt.
Wo sehen Sie die Einsatzmöglichkeiten der Blockchain in der Finanzindustrie?
Ein Bereich mit enormem Potential ist die Tokenisierung. Bei der Tokenisierung geht es darum, Wert- und Besitzrechte in der Blockchain abzuspeichern. In Zukunft werden Aktien und Obligationen, aber beispielsweise auch Anteile an Immobilien oder Gemälden auf der Blockchain gespeichert sein. Das bringt viel bessere Transparenz, Liquidität und Effizienz mit sich und erlaubt völlig neue Business-Modelle. Erste solcher, mit realen Anlagen hinterlegte, Tokens werden nun lanciert (siehe das Beispiel im Bericht).
Was muss ich beachten beim Kauf solcher Crypto-Anlagen?
Es ist nicht alles Gold was glänzt und deshalb ist im aktuell frühen Stadium dieser Technologieentwicklung beim Investieren besondere Vorsicht geboten. Als regulierter Vermögensverwalter suchen wir bei Vision& stets nach geeigneten Projekten und Startups, welche Blockchain-Technologie entwickeln, umsetzten, sinnvoll anwenden oder Services in diesem Bereich anbieten. Mit unserer Expertise in diesem neuen Feld unterstützen wir Investoren, Banken und andere Vermögensverwalter, die Rosinen aus dem undurchsichtigen Dschungel an Startups und Projekten zu picken.
Bitcoin wurde als Antwort auf die Finanzkrise 2008 ins Leben gerufen. Rechnen Sie damit, dass im Falle eines Abgleitens der Weltwirtschaft in eine Rezession Bitcoin und andere Crypto-Anlagen wieder verstärkt nachgefragt werden?
Crypto-Anlagen ermöglichen das Investieren, ohne dass zentralen Parteien, wie Banken und Nationalbanken, vertraut werden muss. Kommt es zu einer Krise, bei denen Staaten und Banken in Schieflage geraten, dann wäre dies durchaus möglich.
Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt. Das beschreibt die Kursentwicklung der Crypto-Währung der letzten 14 Monate wohl am Besten. Wieso ist die Crypto-Branche dennoch happy?
Eine Vielzahl von schlauen Köpfen forschen aktuell an Blockchain-Anwendungen. Das grosse Potential der Technologie bietet gerade jungen Menschen wieder eine neue berufliche Perspektive und erlaubt es ihnen, unternehmerisch etwas aufzubauen. Das ist für die Schweiz als Land wie auch für die hiesige Bankenindustrie eine unglaubliche Chance. Viele spüren das und lassen sich nicht zu fest von den kurzfristigen Kursentwicklungen ablenken.
Mit Ihrer Firma Vision& erstellen Sie Research und sind in der Vermögensberatung in der Blockchain/Crypto-Anlagewelt unterwegs. Was sind Ihre aktuellen Beobachtungen?
Das Jahr 2018 war aus Anlegerperspektive ein schwieriges Jahr. Aber was man von Aussen nicht sieht: Im letzten Jahr hat es unglaublich viele Entwicklungen auf der Infrastruktur-Seite gegeben: Banken, Börsen und institutionelle Investoren rüsten sich im Verborgenen für das Blockchain-Zeitalter. Jeder möchte für den nächsten Wachstumsschub bereit sein.
Ein Grossteil der Verwaltungshandlungen in Estland sind digitalisiert. Wieso spüren wir die Blockchain noch nicht in unserem Alltag?
Wenn ein neues Technologiezeitalter eingeläutet wird, ist zu Beginn oft nicht ersichtlich, was diese neue Technologie besser macht. Beim Smartphone haben zu Beginn viele moniert, dass es einfach ein kleiner Computer oder ein grosses Mobiltelefon sei. Aber durch die neuen Features des Smartphones waren plötzlich revolutionäre Geschäftsmodelle, wie Uber, möglich. Bei der Blockchain-Technologie ist das gleich: Das neue Feature «Vertrauen» erlaubt völlig neue Geschäftsmodelle. Einige erste, spannende Anwendungsfälle sehen wir nun. Welche vielen weiteren Anwendungen dieses neue Technologiezeitalter aber noch ermöglicht, können wir uns nicht im Geringsten vorstellen.
Herzlichen Dank!