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payoff Trading Desk

Das grosse Zähneklappern beginnt

25.02.2025 6 Min.
  • Thomas Wulf

Donald Trump ist wieder da und die Staaten der EU überlegen, was sie alles anders machen sollen. «Mehr Wettbewerbsfähigkeit» tönt es durch den Wald.

Panik macht sich breit in Brüssel. Donald ante portas. Alles scheint möglich, keiner weiss so recht, was man machen soll. Die Mitgliedstaaten sind ebenso kopflos wie die Kommission, die Abgeordneten im EU-Parlament sowieso. Wirklich alle Abgeordneten? Aber nein, eine mit den EU-Wahlen im Juni recht gross gewordene und auf drei Fraktionen verteilte Gruppe rechter und traditionell sehr EU-kritischer Parteien vieler Staaten freut sich, gar nicht so insgeheim, dass die Dinge endlich ins Wanken geraten. Auch diese Kollegen fragen sich aber, was genau da zu wackeln beginnt und ob dann der Klötzchenturm, um im Bild zu bleiben, auch in die gewünschte Richtung fällt. Da wiederum ist man genauso ratlos wie alle anderen, hektischer Transatlantikflüge mit Presseterminen des künftigen Präsidentenstabes zum Trotz. 

Klar ist nur, es rasselt gerade mächtig im EU-Karton. Pragmatisch und wie gewohnt schnell das Fähnlein neu in den gedrehten Wind hängend, hat Ursula von der Leyen der überzogenen Fixierung ihrer ersten Amtzeit auf Nachhaltigkeit um jeden Preis («Green Deal») weitgehend abgeschworen, zumindest was neue Regulierungen betrifft. Zu gross war nicht nur die Kritik der Industrieseite, mit der man vielleicht noch hätte leben können. Wirkmächtig gesellte sich über die letzten Monate die eher träge europäische Zivilgesellschaft hinzu. Ihr wurde langsam klar, dass die Ambitionen der von den Mitgliedstaaten abgesegneten EU-Klimapläne sich nur unter Wohlstandeinbussen erreichen lassen. Diese werden wohl in vielen Ländern des alten Kontinents massive Jobverluste einer mitten in der eher unprofitablen Umstellung auf volle Nachhaltigkeit begriffenen und durch den schwachen Euro innovationsträge gewordenen Industrie beinhalten. Volkswagen lässt grüssen. 

Das neue Mantra in Brüssel heisst Wettbewerbsfähigkeit, oder gerne auch etwas cooler in der englischen Variante «Competitiveness».Es gesellt sich zur schon länger herumgeworfenen Vokabel der «Strategischen Autonomie». Lässt sich das intellektuelle Erweckungserlebnis in Hinblick auf letzere noch irgendwie mit der überraschenden Versorgungskatastrophe im Gesundheitsbereich zu Pandemiebeginn rechtfertigen, reiben sich viele die Augen, warum jetzt Wettbewerbsfähigkeit einer speziellen Berücksichtigung bedarf. Fand sie die vorher etwa nicht? Die Antwort ist aber bei näherem Hinsehen klar – nein, fand sie nicht. Die Ermöglichung und Förderung eines gesunden und möglichst staatsfreien unternehmerischen Wettbewerbs nämlich galt und gilt vielen Beamten, wohlgemerkt auf EU wie auch nationaler (!) Ebene weiterhin als arg unfein. Illustrieren mag dies eine kleine Anekdote.

So ist es unter den Interessenvertretern in Brüssel seit Jahren ein bekanntes Kuriosum (neudeutsch: ein «running gag»), dass die pflichtschuldig jedem neuen Regelungsvorschlag hinzugefügten «Impact Assessments» meistens schon fertig in der Schublade liegen, bevor der Gesetzesvorschlag überhaupt zur Diskussion veröffentlicht ist. Auf dem Papier soll diese Übung allerdings genau dazu dienen, zu verhindern, dass ein Gesetz bei seiner Anwendung über das Ziel hinausschiesst und später in der Praxis unbotmässige, sprich den Wettbewerb auf dem freien Mark unnötig erschwerende Wirkung hat. Offenbar kann man das hervorragend und abschliessend aus dem Bürozimmer im Brüssler Berlaymont beurteilen. Konsequenterweise kommen denn auch 99.98% aller «Impact»-Analysen, derer der Verfasser in seinen fünfundzwanzig Jahren im EU-Viertel angesichtig geworden ist, zu einem positiven Ergebnis. Honi soit, qui mal y pense.

Im alten Europa herrscht auf staatlicher Seite eben leider noch oft ein Geist aus dem vorindustriellen Zeitalter. Die Regierung ist demnach in erster Linie zum Dauerregulieren da. Dass ein Übermass desselben dazu führt, dass man irgendwann den Ast absägt, auf dem man sitzt, dämmert nun allmählich auch dem letzten Hinterbänkler. Dabei gab es im Finanzsektor schon einen ersten Warnschuss in Form der seit 2013 aufrechterhaltenen Weigerung der USA, den globalen Basel-III Standard für alle heimischen Banken umzusetzen. Vielerorts passe das Regelwerk einfach nicht auf die Geschäftsrealität des Regelungsadressaten – es sei zu komplex, überzogen verwaltungsintensiv und unangemessen, sprich wettbewerbsschädigend. Pragmatismus dieser Art ist Europäern fremd. Dies gilt auch und vor allem für die vielen Mitgliedstaaten, die Spass daran zu haben scheinen, die unter ihrer Mitwirkung erlassenen und schon arg restriktiven EU-Regeln mit einem euphemistisch sogenannten «goldplating» noch komplizierter zu machen.

Zum schnellen Umsteuern bedarf es denn aber, da sind sich USA und Europa so ungleich dann doch nicht, des Machtwortes von oben. Die in diesem Sinne überarbeiteten Mandate der Ende 2024 ernannten Kommissare durch ihre alte neue Chefin hätten dafür allein wohl nicht gereicht. Die Übernahme des Wettbewerbsfähigkeits-Slogans in den öffentlichen Diskurs der französchen und deutschen Regierung half dann, instabile Lage beider Gremien hin oder her, doch. Zu gut summiert der Begriff nämlich die Essenz des Problems. Auf Wettbewerbsfähigkeit kann man schliesslich vieles testen und auch jedesmal zu neuen (und oft immer ärgerlichen) Ergebnissen kommen, wenn man den Bezug, sprich die Vergleichsreferenz des Tests ändert.

Zwar sind es meistens immer noch die USA, an denen sich alles aus Brüssel messen will, hin und wieder kommen aber auch andere Nationen ins Spiel, sei dies Norwegen, was die Investitionspolitik von Staatsfonds betrifft oder sogar einzelne EU-Staaten, wenn diese, wie bei Schweden, vorbildlich den Anlegern eine riesige Entscheidungsfreiheit bei der Altersvorsorge gewähren. Bleibt zu hoffen, vielleicht auch einmal der höchst effektive kantonale Steuerwettbewerb der Schweiz mit positiverem Blick betrachtet wird, wenn sich irgendwann der Kommission die Wichtigkeit des Themas Steuer im Investitionsbereich erschliesst (ein Aspekt, der regelmässig unter den Tisch fällt, auch weil die EU keine Kompetenz ausserhalb der Mehrwertsteuer hat).

Es gibt aber auch kleine Lichtblicke in Brüssel. Die ungeliebte, weil schlecht vorbereitete, technisch undurchführbare und mit einem völlig abstrusen Verwaltungsaufwand verbundene Retail Investment Strategy («RIS») liegt seit Juli auf Eis. Die neue Finanzmarktkommissarin Maria Albuquerque, Portugiesin und ehemalige Finanzministerin und Asset Managerin, die die Branche bestens kennt, wird bis zum Ende des Quartals über das weitere Vorgehen entscheiden. Niemand will dieses Dossier, das sowohl in seiner ursprünglichen Fassung als auch in den verschiedenen Änderungsfassungen von Rat und Parlament von allen Seiten nur Kritik hervorgerufen hat. Um angesichts des wachsenden Drucks, der heimischen Industrie und Finanzwirtschaft nicht noch mehr Knüppel zwischen die Beine zu werfen, sind sowohl ein kompletter Rückzug, eine teilweise Überarbeitung als auch die schon oft praktizierte Verschiebung auf den St. Nimmerleinstag denkbar. Man wird sehen. Vielleicht hilft ja auch hier ein Wink mit dem Zaunpfahl von der anderen Seite des grossen Teiches.

Es grüsst aus Brüssel, wie immer unverdrossen optimistisch, 

Ihr Thomas Wulf   

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Die im Artikel dargelegten Ansichten sind ausschliesslich die eigenen des Autors.

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