

Die Rolle der Zinsen
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Serge Nussbaumer
Chefredaktor
Rund um den Globus drehen derzeit die Währungshüter an der Zinsschraube. Dies hat auch einen Einfluss auf Strukturierte Produkte. Wir werfen einen Blick auf unterschiedliche Produktvarianten und erklären, wie sich Veränderungen am Geldmarkt auf die Preise von Zertifikaten auswirken.
Die Zinswende ist in vollem Gange: Nach zwei Jahren steigender Leitsätze haben diese mittlerweile wieder steil nach unten gedreht. Wer hat’s vorgemacht? Die Schweizer. Mitte März schraubte die SNB als erste der G-10-Staaten und damit weit vor EZB und Fed den Mittelwert für ihr Zielband um 25 Basispunkte nach unten. Seither drehte das Team um Thomas Jordan, der am 26. September nach der dritten Zinssenkung in diesem Jahr sein Amt an Martin Schlegel weitergab, den Geldhahn immer weiter auf. Auch unter dem neuen Vorsitzenden dürfte sich der Pfad fortsetzen: An den Terminmärkten werden zwei weitere Zinsschritte für Dezember 2024 respektive März 2025 auf dann 0.5% eingepreist. Auch die Federal Reserve leitete jüngst ihren Abwärtszyklus ein, und das sogar gleich mit einem XL-Schritt um 0.50 Prozentpunkte.
Des einen Freud, des anderen Leid. Während Aktienanleger über das billige Geld jubeln, trüben sich die Aussichten für Sparer ein. Auch in der Welt der Strukturierten Produkte spielt die Höhe der Leitsätze eine wichtige Rolle. Von Hebel- über Renditeoptimierung bis hin zu Kapitalschutz-Papieren ist der Einfluss der Zinsen nicht zu unterschätzen. Zinsen in Verbindung mit Derivaten beziehen sich im Allgemeinen auf den sogenannten «risikolosen Zinssatz», also auf jenen von Staatsbonds mit höchster Bonität. Höchste Zeit also, einen genauen Blick auf die verschiedenen Strukturen zu werfen und zu analysieren, wie sich die Veränderungen am Geldmarkt auf den Preis eines Zertifikats auswirken.
Warrants
Eines vorweg: Strukturierte Produkte und Optionen sind untrennbar miteinander verbunden, da die Derivate an den Terminmärkten für die Konstruktion von Zertifikaten benötigt werden. Folglich wenden wir uns zunächst den klassischen Warrants zu. Bei einem Kauf eines Call-Warrants spekuliert der Anleger auf steigende Kurse eines Basiswertes. Anders als in der Vorstellung vieler Trader nimmt aber nicht der Emittent gleichzeitig den Gegenpart ein und setzt auf fallende Notierungen. Damit sich auch für die Bank das Geschäft rentiert, sichert sich die Emittentin vielmehr gegen Kursveränderungen des Optionsscheins ab, indem sie den Basiswertes kauft. Aufgrund der Hebelwirkung wird für den Hedge aber mehr Kapital benötigt, als beim Verkauf des Optionsscheins eingenommen wird. Hier kommen die Finanzierungskosten ins Spiel und damit der Einfluss der Zinsen auf das Produkt. Denn bei einem höheren Zinssatz sind auch die Finanzierungskosten für das zusätzlich benötigte Kapital höher. Dieser Aufwand wird in den Preis des Warrants eingerechnet und damit dem Käu-fer in Rechnung gestellt. Steigende Zinsen führen daher zu steigenden Preisen von Call-Optionsscheinen. Bei Puts verhält es sich spiegelbildlich. Hier verkauft die Emittentin Basiswerte, um sich abzusichern. Dafür erhält sie Kapital, welches zinsbringend angelegt wird. Folglich reduzieren steigende Zinsen die Preise von Put-Warrants.
Barrier Reverse Convertible
Beim Schweizer Liebling, dem Barrier Reverse Convertible (BRC), ist der risikolose Zins ebenfalls ein wichtiger Einflussfaktor. Um dies zu verstehen, zerlegen wir die Struktur in ihre Bestandteile. Der klassische Reverse Convertible besteht aus einer Anleihe und dem Verkauf einer Verkaufsoption (Short Put) auf den zugrunde liegenden Basiswert. Bei der Variation mit Barriere wird ebenfalls eine Obligation erworben, gleichzeitig aber eine Down-and-In Put-Option veräussert, bei der die Knock-in-Schwelle des Puts die Barriere des BRCs darstellt. Zinsänderungen beeinflussen also das Produkt in doppelter Hinsicht: Zum einen bei der Anleihenkomponente. Fällt der Zins, steigen im Umkehrschluss die Preise für die Obligation – und umgekehrt. Zum anderen verringern fallende Zinsen den Preis des Puts. Da die Option aber verkauft wird, führt dies wiederum zu einem steigenden Preis des Produkts. Ein höherer risikoloser Zins schlägt sich dagegen in einem tieferen Wert eines BRCs nieder.
Discount-Zertifikate
Die Rabattpapiere haben sich zwar hier in der Schweiz nicht so stark durchgesetzt wie beispielsweise in Deutschland, trotzdem verfolgen sie ein ähnliches Ziel wie Reverse Convertibles. Der Unterschied zwischen den beiden Produktgruppen ist, dass die Emittenten bei einem Discount-Zertifikat einen Abschlag auf den Preis des Basiswerts gewähren, während bei einem Reverse Convertible der garantierte Coupon am Ende der Laufzeit ausbezahlt wird. Ein Discounter ist daher etwas anders aufgebaut. In der Struktur befindet sich einerseits ein Zero-Strike-Call, das entspricht einem Call Optionsschein mit einem Basispreis von null, und andererseits aus dem Verkauf einer Call Option mit einem Basispreis in Höhe des Caps. Durch das Cap ist die maximale Gewinnchance, ebenso wie bei einem Reverse Convertible, also von Anfang an fix.
Kommt es nun zu einem steigenden oder fallenden Zinsumfeld, wird der Zero-Strike-Call davon unmerklich beeinflusst. Bei dem veräusserten Call ist es anders. Reduziert sich nun der Zins, verliert eine Call Option wie bereits eingangs dargestellt aufgrund der geringeren Finanzierungskosten an Wert. Da jedoch bei der Konstruktion eines Discounters das Derivat verkauft wird, führt dies wiederum zu einem steigenden Preis des Zertifikats. Andersherum verhält es sich bei einem steigenden Zinssatz. In diesem Fall steigt der Preis des verkauften Calls, was sich wiederum in einem niedrigeren Preis des Discount-Zertifikats niederschlagen würde.
Kapitalschutz-Zertifikate
Gleich vorne weg: Fällt das Zinsniveau während der Laufzeit eines Garantie-Papiers, so hat dies einen positiven Einfluss auf den Kurs des Zertifikats. Entgegengesetzt verhält es sich, wenn der Zins steigt, dann wirkt sich das negativ auf die Preisstellung aus. Dies ergibt sich aus der Ähnlichkeit von Kapitalschutz-Zertifikaten zu klassischen Obligationen. Um zu verstehen, warum das allgemeine Zinsniveau ein wichtiger Einflussfaktor ist, gilt es wieder einen tiefen Blick in die Konstellation des Papiers mit Vollkaskoschutz zu werfen. Diese Produktkategorie für sicherheitsorientierte Anleger setzt sich aus einer Nullkuponanleihe und einer Call Option zusammen. Wie bereits mehrmals erwähnt, wirkt sich ein fallendes Zinsniveau negativ auf den Preis des Optionsscheins aus. Bei einer Obligation ist es dagegen umgekehrt. Fallen die Zinsen, erhöht sich der Kurs von Bonds. In der Regel überwiegt der positive Einfluss auf die Obligation die negative Reaktion auf das Derivat, sodass sinkende Zinsen letztlich zu einem höheren Preis des Zertifikats führen.
Grundsätzlich bieten neu emittierte Kapitalschutz-Zertifikate in Hochzinsphasen bessere Konditionen wie z. B. kürzere Laufzeiten oder höhere Renditechancen. Daher gilt: Je höher das Zinsniveau, desto attraktiver ist die Ausgestaltung der Produkte. Steigen die Zinsen während der Laufzeit, wirkt sich dies negativ auf den Kurs des Zertifikats aus.
Schlussgedanke
Anleger, die in die Welt der Strukturierten Produkte eintauchen möchten, sollten sich im Vorfeld mit den Einflussfaktoren am Markt vertraut machen. Das allgemeine Zinsniveau ist einer davon. Die oben genannten Beispiele zeigten klar auf, dass sich Zinsenveränderungen unterschiedlich auf die verschiedenen Produkte auswirken können. Dies gilt auch bei Neuemissionen. Je nach Höhe des Zinsniveaus können die Zertifikate verschieden attraktiv ausgestattet sein. Während der Laufzeit ist dies ein zweischneidiges Schwert. Veränderungen im Zinsumfeld wirken sich zwar auf die Kurse aus, auf die Rückzahlung des Zertifikats am Laufzeitende – worauf es bei Renditeoptimierungs- und Kapitalschutzprodukten in der Regel ankommt – hat eine Veränderung des Zinsniveaus jedoch keinen Einfluss. Dies gilt auch für andere Einflussfaktoren wie der Bonität des Emittenten, der Volatilität des Basiswerts oder auch dessen Dividendenausschüttungen. Am wichtigsten sind diese Parameter bei einer Neuemission, denn hier entscheiden eben diese Grössen über mehr oder weniger attraktive Konditionen.