Ethereum und das Mammut-Upgrade
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Pascal Hügli
Redaktor
Die Kryptomärkte taumeln derzeit vor sich hin. Die Preise haben mächtig nachgelassen, und mit ihnen das Interesse.
Das zeigen die Daten auf Google Trends: Suchanfragen für die Begriffe «Bitcoin» oder «Crypto» sind stark gesunken. Das Desinteresse an Kryptos verspüren auch die grossen Börsen. So ist das Handelsvolumen von Privatanlegern an der populären US-amerikanischen Handelsbörse Coinbase in Q1 2022 im Vergleich zu Q4 2021 um 58% gesunken.
Es stellt sich also die folgende Frage: Soll man es als Anleger der grossen Menge gleichtun und den Kryptowährungen vorerst den Rücken zukehren? Wie er diese Frage beantwortet, hat natürlich jeder Investor für sich selbst zu entscheiden. Fakt ist aber: Die Mühlen der Krypto-Welt werden sich unaufhaltsam weiterdrehen. Allen voran Ethereum, das zweitgrösste Krypto-Asset nach Marktkapitalisierung, steht vor einem monumentalen Upgrade. Dieses soll gewissermassen zur Generalüberholung der bestehenden Ethereum-Blockchain führen, weshalb das Upgrade von einigen als der bisher wichtigste Meilenstein in der Geschichte Ethereums angesehen wird.
Worum geht es?
Noch immer wird im Zusammenhang mit diesem Ethereum-Upgrade von Ethereum 2.0 geredet. Die Ethereum Foundation selbst hat diesen Begriff allerdings Anfang dieses Jahres aufgegeben. Das Ziel dabei ist zu signalisieren, dass das bestehende Ethereum-Netzwerk ein tatsächliches Upgrade durchlaufen und nicht auf ein neues Netzwerk migrieren wird.
Nach dem Upgrade wird Ethereum konzeptionell, in zwei verschiedene Ebenen zu unterteilen sein:
· Ausführungs-Ebene (Execution Layer ehemals Ethereum 1)
· Konsens-Ebene (Consensus Layer ehemals Ethereum 2)
Auf der Ausführungs-Ebene werden die Instruktionen entgegengenommen und als Smart Contracts mittels Transaktionen als Output ausgeführt. Die darunterliegende Konsens-Ebene sorgt dafür, dass in Bezug auf diesen Output jederzeit ein vollständiger Konsens herrscht und dieser zulässig ist.
Bereits heute existieren diese beiden Ebenen. Die Konsens-Ebene wird Beacon Chain genannt und ist am 1. Dezember 2020 live gegangen. Seit diesem Zeitpunkt findet die Konsens-Findung basierend auf dem Proof-of-Stake-Mechanismus statt. Ende Mai 2022 sind über 13 Millionen Ether von beinahe 400’000 verschiedenen Validatoren gestakt. Noch sichert deren Konsens allerdings keine Transaktionen, weshalb diese Ether auch noch nicht «entstakt» werden können.
Mit dem bevorstehenden Update soll sich das ändern. Ausführungs-Ebene (Ethereum 1) und Konsens-Ebene (Ethereum 2) sollen unwiderruflich fusioniert werden. Dieses Ereignis wird deshalb «The Merge» genannt. Die Fusion von Ausführungs-Ebene und Konsens-Ebene wird schliesslich das aufgerüstete Ethereum-Netzwerk begründen und das Ende von Proof-of-Work für Ethereum bedeuten. Aktuell basiert Ethereum noch auf dem gleichen Konsens-Mechanismus wie Bitcoin. Ist der Merge vonstatten gegangen, wird Ethereum eine reine Proof-of-Stake-Blockchain sein.
Die Proof-of-Stake-Migration ist jedoch nicht das Endziel. In einer letzten essenziellen Phase soll das sogenannte «Sharding» implementiert werden. Dieses soll der Skalierung des Ethereum-Netzwerkes dienen. Dabei will man möglichst so skalieren, dass die Skalierbarkeit nicht auf Kosten der Dezentralität des Netzwerkes geschieht.
Wie das Sharding-Upgrade ganz konkret aussehen wird, darüber herrscht noch keine Klarheit. Vor 2023 wird dieser Schritt auch noch nicht priorisiert. Ursprünglich war es die Vorstellung, dass die Transaktionslast von Ethereum auf 64 neue Shard Chains aufgeteilt werden kann. Durch diese horizontale Aufteilung sollte die Überlastung des Ethereum-Netzwerkes im Vergleich zum gegenwärtigen Zustand reduziert werden. Nicht nur die derzeitige Limitierung von 15-45 Transaktionen pro Sekunde sollte überwunden werden, auch die Netzwerk-Transaktionsgebühren sollten durch das Sharding gesenkt werden.
In der Zwischenzeit scheint man bei Ethereum jedoch auf die Skalierung mittels Rollups umgestellt zu haben. Ohne hier ins Detail gehen zu können: Einfach gesagt sind Rollups eine Skalierungs-Lösung, bei welcher Transaktionen off-chain gebündelt und komprimiert werden, bevor sie auf dem Konsens-Layer verifiziert werden. Mehrere Transaktionen werden so zu einer On-chain-Transaktion zusammengefasst. Die Skalierung soll also nicht mehr über eigentliche Shard, sondern mittels Rollups geschehen.
Wie es der gesamte strategische Fahrplan nach dem Merge vorsieht, sollen rund um das Skalierungsvorhaben noch ergänzende Weiterentwicklungen dazu kommen. Eine Verbesserung soll sein, dass Full Nodes zukünftig nicht die Speicherleistung für die gesamte Transaktionshistorie aufbringen müssen. Da Full Nodes jene Entitäten sind, welche die Konsens-Regeln und damit die Spielregeln im Ethereum-Netzwerk durchsetzen, soll diese Verbesserung die Dezentralität von Ethereum steigern, da in Zukunft potenziell mehr Full Nodes dazustossen können
Besser als Bitcoin?
Eine häufig gestellte Frage ist, ob Ethereum nach den Upgrades besser sein wird als Bitcoin. Eine Antwort darauf hängt letztlich von der subjektiven Bewertung der Differenzen ab. Neben anderen Streitpunkten steht vor allem die Debatte zwischen Proof-of-Work und Proof-of-Stake im Vordergrund. Für die Ethereum-Anhänger soll Ethereum mit dem Übergang zu Proof-of-Stake sicherer werden.
Aufseiten der Bitcoiner wird angezweifelt, ob Ethereum als Blockchain-Netzwerk tatsächlich an Sicherheit gewinnt. Ähnlich wie Proof-of-Work hat auch Proof-of-Stake zahlreiche Attack-Vektoren, nur sind diese für ein Netzwerk von der Grösse von Ethereum noch kaum erprobt. Dass die Sicherheit mit diesem Wechsel gesteigert wird, ist demnach nicht garantiert, so die Bitcoin-Seite.
Klar scheint, dass Ethereum nach den Upgrades in Sachen Skalierbarkeit und Umweltfreundlichkeit die Nase vorn haben dürfte. Mit dem Wegfall des Minings wird sich Ethereums Energieverbrauch um 99.95% verringern. Damit wird dieser nicht nur um Welten kleiner sein als derjenigen von Bitcoin, sondern auch den von traditionellen Zahlungssystemen in den Schatten stellen.
Für Bitcoiner sind jedoch auch diese Argumente nicht überzeugend. Deren Ansicht nach bringt eine skalierende sowie umweltfreundliche Blockchain nichts, wenn ihr aufgrund eines unerprobten Konsens-Mechanismus die Sicherheit abhanden kommt.
Eine Angebotsreduktion sondergleichen
Auf der Seite von Ethereum glaubt man, dass sich diese Argumente als wenig stichhaltig erweisen werden. Vielmehr weist man auf die Tatsache hin, dass Ether nach dem Merge Staking-Rewards von bis zu 9% abwerfen könnte. Und selbst wenn die reale Rendite niedriger ausfallen dürfte, wird Ether dennoch zu einem der wenigen liquiden Vermögenswerte werden, die in der aktuellen renditearmen Welt positive Erträge generiert.
Auch soll sich die jährliche Emission von Ether drastisch reduzieren. Gegenwärtig liegt die Neuschaffung auf das Jahr hochgerechnet bei ca. 4’950’000 Ether. Mit dem Proof-of-Stake-Algorithmus soll diese auf ungefähr 650’000 fallen – also um mehr als das 7,5-Fache weniger . Und weil diese Reduktion insgesamt etwa drei Bitcoin-Angebotshalbierungen entspricht, sprechen Ethereum-Anhänger auch vom sogenannten Triple-Halvening.
Doch das ist noch nicht alles. Aufgrund eines Upgrades, das Ethereum im August 2021 durchlaufen hat, könnte Ether nach dem Merge dereinst sogar deflationär werden. Mit dem EIP-1559-Upgrade hat Ethereum nämlich einen sogenannten Burn-Mechanismus eingeführt. Je stärker Ethereum genutzt wird, desto mehr Ether werden zerstört. Werden nach dem Wechsel zu Proof-of-Stake also weniger Ethereum produziert als vernichtet, wird eine Deflation Tatsache sein. Natürlich müsste die Nutzung des Ethereum-Netzwerkes hochbleiben, damit dementsprechend Ether vernichtet werden. Eine berechtigte Frage ist: Wird das Ethereum-Ökosystem noch rege verwendet werden, wenn niemand seine potenziell deflationären Ether ausgeben will?
Wann wird das alles Realität?
Spekulationen über Spekulationen. Und diese existieren rund um Ethereum zuhauf. Die allergrösste dreht sich darum, wann denn das Merge-Upgrade und mit ihm der Wechsel zu Proof-of-Stake tatsächlich Realität werden wird.
Am 8. Juni wird mit dem Ropsten Testnet eines der wichtigsten Ethereum-Testnetzwerke das Merge-Upgrade implementieren. Ropsten gilt als dasjenige Testnetzwerk, das dem Hauptnetzwerk von Ethereum am ähnlichsten ist. Mit diesem Schritt wird man also weitere wichtige Erkenntnisse für den eigentlichen Mainnet-Launch gewinnen können.
Wann dieser effektiv über die Bühne gehen wird, ist unklar. Während einige auf den August spekulieren, glauben andere, dass die Lancierung noch bis Q4 diesen Jahres dauern könnte. Sicher ist: Da es in der Software-Entwicklung stets Unwägbarkeiten gibt, dürfte zum heutigen Zeitpunkt noch niemand das genaue Lancierungsdatum wissen – nicht einmal die Ethereum-Kernentwickler selbst.
Abschliessendes zur Investorensicht
Was hat das nun für den Investor zu bedeuten? Wer nicht an die Sicherheit und Verlässlichkeit von Proof-of-Stake im Kontext von Ethereum glaubt, wird dem Merge wenig abgewinnen können. Wer jedoch davon überzeugt ist, dass sich Ethereum mit dieser Neuerfindung nicht zuletzt vor dem Hintergrund des derzeit populären Umweltnarratives einen Gefallen tut, der dürfte das bevorstehende Update positiv bewerten.
Möglich ist, dass verschiedene institutionelle Investoren letztere Ansicht teilen werden. Nicht nur wird ihnen Ether ein ESG-konformes Investment mit Rendite bieten, sondern erstmals nach der bekannten Discounted Cash-Flow-Bewertungsmethode zu bewerten sein. Letztere ist beliebt und verhilft Institutionen dabei, zig Milliarden an Vermögen in Vermögenswerte zu lenken. Dass Ether gemäss diesem Bewertungsmodell derzeit arg unterbewertet ist, wie es verschiedene Experten vorrechnen, könnte also durchaus als Katalysator wirken.
Ebenfalls ein Katalysator könnte sein, dass unmittelbar nach dem Merge keine neuen Ether auf den Markt kommen werden. Bereits auf der Beacon Chain gestakte Ether sowie jede Art von Staking-Rewards werden noch durch das Protokoll gesperrt sein und voraussichtlich erst ein paar Monate später nach einem weiteren Upgrade periodisch freigesetzt. Konkret bedeutet das: Für eine noch unbestimmt lange Zeit werden keine neue Ether auf den Markt kommen. Es dürfte besonders spannend zu beobachten sein, welche Auswirkungen das in einem Bärenmarkt haben dürfte.