

Express Zertifikate – Im Eiltempo ins Glück?
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Martin Diethelm
Express-Zertifikate locken mit attraktiven Coupons, tiefen Barrieren und einer vorzeitigen Rückzahlung des Investments im Erfolgsfall. Doch die Produktfamilie ist vielseitiger als sie auf den ersten Blick scheint. Ein genaues Studium der Termsheets schützt vor unangenehmen Überraschungen.
Das Basis-Szenario
Express-Zertifikate werden meistens mit einer Laufzeit von mehreren Jahren ausgegeben. Als Underlyings dienen Indizes oder Einzelaktien. Nach bestimmten Perioden (z.B. jährlich) wird die Performance des Basiswertes überprüft. Falls der Basiswert über dem Strike (Niveau des Fixierungstages) notiert, wird das Zertifikat mit einem vordefinierten Coupon zurückbezahlt, unabhängig davon wie weit über dem Strike der Basiswert zu diesem Zeitpunkt liegt. Ist die Performance des Underlyings negativ, läuft das Produkt weiter, ein Coupon wird nicht ausbezahlt. An den darauf folgenden Observationspunkten wird die Performance erneut überprüft. Liegt das Underlying jetzt über dem Strike, wird das Produkt zurückbezahlt, wobei der entsprechende Coupon nach jeder Periode deutlich erhöht wird (normalerweise entspricht er dem n-fachen, wobei n der Anzahl vergangener Observationspunkte entspricht).
Falls das Zertifikat nicht vorzeitig zurückbezahlt wurde, sind am Laufzeitende drei Szenarien möglich: Liegt der Wert des Underlyings über dem Strike, wird das Nominal plus ein Coupon zurückbezahlt. Dies ist das Szenario mit der höchstmöglichen Auszahlung des Produktes. Liegt der Wert des Underlyings zwischen einem vordefinierten Kick-in-Level (meistens zwischen 50 und 70 Prozent des Strikes) und dem Strike, wird das Nominal ohne Coupon zurückbezahlt. Im schlechtesten Fall, wenn das Underlying unter die Barriere fällt, wird ein Betrag entsprechend der Performance des Underlyings zurückbezahlt.
Die Varianten
Der Phantasie bezüglich Ausgestaltung der Zertifikate sind fast keine Grenzen gesetzt. So bietet die Deutsche Bank auf dem Deutschen Markt zehn verschiedene Arten von Express-Zertifikaten an. Beliebt sind Varianten, bei denen ein (konstanter) Coupon an jedem Beobachtungszeitpunkt ausbezahlt wird, falls der Basiswert nicht unter die Barriere fällt, jedoch der Kurs unter dem Strike liegt. Der Vorteil für den Investor liegt darin, dass er selbst dann von Coupons profitiert, wenn am Laufzeitende das Underlying unter dem Strike notiert. Oft werden mehrere Aktien oder Indizes als Underlyings benutzt. In diesem Fall ist normalerweise die Performance des schlechtesten Basiswertes für die Bestimmung eines Kick-in-Ereignisses oder einer Rückzahlung relevant. Je höher die Anzahl Basiswerte und je niedriger deren Korrelation ist, desto höher ist das Risiko für den Investor, dass mindestens eines der Underlyings schlecht performt. Im Gegenzug dürfen höhere Coupons erwartet werden als für ein Produkt mit einem einzigen Basiswert. Einige weitere Parameter, auf die der Investor unbedingt achten sollte, sind die Frequenz der Observationszeitpunkte, eine allfällige variable Anpassung des Strikes, eine Quanto-Ausgestaltung (Eliminierung des Wechselkursrisikos bei ausländischen Basiswerten) und insbesondere die europäische oder amerikanische Betrachtungsweise der Barriere. Eine amerikanische Betrachtung bedeutet, dass der Investor am Laufzeitende die Performance des Basiswertes erhält (höchstens 100 Prozent des Nominals), falls die Barriere irgendwann während der Laufzeit unterschritten wird. Bei der europäischen Variante ist ein Kick-in-Ereignis nur am Laufzeitende relevant.
Meistens kommts gut…
Express-Zertifikate sind ein Sonderfall im Bereich der Strukturierten Produkte, weil sie eine variable Laufzeit aufweisen. Da die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass die Performance des Underlyings bis zum ersten Beobachtungszeitpunkt nicht negativ ist, ist eine relativ schnelle Rückzahlung mit attraktivem Coupon das häufigste Szenario. Bewegt sich das Underlying am Anfang stark südwärts, wird die Geduld des Anlegers auf die Probe gestellt, weil die Produkte dann oft vier oder noch mehr Jahre aktiv sind und eine positive Performance unwahrscheinlicher wird.
Express-Zertifikate sind vergleichbar mit den bekannten Barrier Reverse Convertibles (BRC) mit einer langen Laufzeit. Der einzige Unterschied ist die mögliche vorzeitige Rückzahlung. Dieses zusätzliche Feature scheint attraktiv, die Intuition täuscht allerdings: Wenn man von sonst gleichen Produktparametern ausgeht, bleibt das Risiko der beiden Produkte gegen unten das gleiche (abgesehen vom sicheren Coupon des Barrier Reverse Convertibles). Bewegt sich der Basiswert hingegen nach oben (z.B. 10 Prozent), profitiert der BRC von einem grösseren Risikopuffer, das Express-Zertifikat wird mit einem Profit zurückbezahlt. Man kann davon ausgehen, dass der Investor in der Folge ein neues Express-Zertifikat mit gleichen Konditionen erwirbt. Entscheidender Unterschied ist der neue Strike des Express-Zertifikates, welcher nun auf dem aktuellen Niveau des Underlyings, also 10 Prozent höher liegt. Fällt das Underlying wieder auf den Anfangswert, verliert der Investor des BRC insgesamt nichts, der Investor des Express-Zertifikates hat zwar den Coupon der vergangenen Rückzahlung auf sicher, liegt aber mit dem neuen Produkt schon stark im negativen Bereich. Anders formuliert: Je höher die Frequenz der Observationspunkte, desto schneller werden die Strikes und die Barrieren gegen oben nachgezogen und das Risiko erhöht, falls der Investor nach einer Rückzahlung jeweils erneut in ein Express-Zertifikat investiert. Dies spricht nicht grundsätzlich gegen Express-Zertifikate, weil die Coupons entsprechend dem Risiko auch höher sind. Wichtig ist, dass sich der Investor des langfristigen Risikos bewusst ist und sich nicht durch die hohen Wahrscheinlichkeiten von positiven Renditen täuschen lässt.